Wojciech Kunicki und Ernst Jünger

Die Korrespondenz begann über den Eisernen Vorhang hinweg
© Leipziger Universitätsverlag 2015

 

 

 

Wir Slawen sind Genies des Leidens
Wojciech Kunicki und Ernst Jünger: Briefe und Tagebücher.
199 Seiten mit zahlreichen Faksimiles, geb., Leipziger Universitätsverlag 2015, 29 Euro.

 

 

Im Oktober 1985 wendet sich der Pole Wojciech Kunicki mit einem Brief an den deutschen Jahrhundertschriftsteller Ernst Jünger. Sein Anliegen: Der Wissenschaftliche Mitarbeiter an der Universität Breslau möchte sich über Ernst Jünger habilitieren. Die Beziehung, die daraus entstand, wurde immer enger und freundschaftlich und dauerte bis zum Tod Jüngers 1998.


Dieser Briefwechsel, der nun im Leipziger Universitätsverlag erschien, ist wie eine kleine Zeitreise. Viele können sich kaum noch vorstellen, wie das Klima war – damals vor dem Zusammenbruch des sogenannten Ostblocks. Mut und Souveränität gehörte sicher dazu, als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Breslau sich an Ernst Jünger zu wenden, um sich über dessen Werk habilitieren zu können.

 

Immerhin galt der damals 90jährige dem herrschenden links-liberalen Milieu Westdeutschlands zu dieser Zeit noch als Inbegriff eines unverbesserlichen Nationalisten und Kriegsverherrlicher. Das änderte sich erst einige Jahre später zum hundertsten Geburtstag des Schriftstellers. Umso mehr muß es Jünger erstaunt haben, daß sich gerade ein polnischer Nachwuchs-Germanist mit seinem umfangreichen Werk auseinandersetzte und damit auch noch seine wissenschaftliche Weihe erlangen wollte. So antwortete ihm Jünger: »Hegen Sie denn die Hoffnung, sich mit dieser Arbeit habilitieren zu können, wenn Sie politisch gerecht zu urteilen gedenken? Jedenfalls steht zu befürchten, daß Sie die Übersetzung der Marmorklippen [an der Kunicki gerade arbeitete] nur für sich selbst unternommen haben und sie so bald keinem größeren Publikum unterbreiten können. Doch auch hier gilt ja: ‚Doch im Innern ist’s getan.‘«


Wojciech Kunickis Hartnäckigkeit ist es zu verdanken, daß ab Ende der 1980er Jahre in Polen eine Reihe von Büchern Jüngers erscheinen konnten. Zuerst hatte er Auf den Marmorklippen ins Polnische übertragen, anschließend Das abenteuerliche Herz, Zweite Fassung. Zu einer Verzögerung der Veröffentlichungen kam es, weil der polnische Verlag beim deutschen Hausverlag Jüngers, Klett-Cotta, nicht um die Rechte bat.

 

Wir Slawen sind Genies des Leidens nimmt seinen Titel von einer Äußerung Kunickis gegenüber Jünger. Das Buch bringt die gesamte Korrespondenz aller Beteiligten. Dazu gehört auch das anfängliche Empfehlungsschreiben von Karl Konrad Polheim, damals Germanistik-Professor an der Universität Bonn, mit dem dieser den ersten Brief Kunickis an Jünger sandte. Anders als der Untertitel verspricht, enthält das Buch daneben jedoch keine ‚Tagebücher‘.  Viele der Postkarten und Briefe – gerade Jüngers – sind im Original reproduziert.

 

Die Korrespondenz dreht sich dabei fast ausschließlich um die geplanten Übersetzungen und Veröffentlichungen in Polen. In kurzen Andeutungen versucht Kunicki, Jünger zu Äußerungen über Stellen in seinen Büchern zu bewegen. Der hält sich jedoch zurück, was den Briefwechsel eher für den harten Kern der Jüngerianer interessant macht.

 

Dennoch ist die Dokumentation ein Zeugnis für die Courage eines jungen Wissenschaftlers hinter dem Eisernen Vorhang, der sich um die Verbreitung des Jüngerschen Werkes in Polen sehr verdient gemacht hat.

 


Tom Jacobi – Grey Matter(s)

© Tom Jacobi, Peaceful Mind
Kirkjufell, Iceland, 2015

 

 

Tom Jacobi – Grey Matter(s)
Photobuch im Hirmer Verlag, 144 Seiten mit 70 Abbildungen auf 200g-Photopapier, gebunden, 49,90 Euro (D).

Ausstellung in der CWC Gallery, Auguststraße 11-13, 10117 Berlin bis 16. April 2016.

 

 

Tom Jacobi, ehemaliger Art-Director der Illustrierten Stern, reiste zwei Jahre zu unberührten Orten, um sie so zu photographieren, wie er sie sieht: grau. Entstanden sind atemberaubende Photos. Obwohl in Farbe aufgenommen, dominiert bei diesen großformatigen Naturlandschaften die Nicht-Farbe.


Sein voriges großes Projekt Wo Gott wohnt führte den Hamburger Photographen  zu spirituellen Orten auf der ganzen Welt. Hier fiel ihm auf, daß die bedeutenden Ereignisse in der Kirchengeschichte und die wichtigsten rituellen Handlungen in der Morgen- und Abenddämmerung stattfanden. Als er dann später mit Freunden die Antarktis bereiste, sah er die Erhabenheit der Eisberge. Und diese waren nicht etwa strahlend blau, wie im Fernsehen, sondern grau. Nur in den seltenen Momenten, wo einmal die Sonne durch die dichte Wolkendecke dringen konnte, kamen Farben zum Vorschein.

 

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Frank Horvat – Please Don’t Smile

© Frank Horvat, for Harpers Bazaar, High Fashion at Cafe¦
ü Flore with Carol Lobravico (with glasses), Paris, 1962

 

 

 

Frank Horvat, Please Don’t Smile
256 Seiten mit 291 Abbildungen, gedruckt auf Photopapier, gebunden, Hatje Cantz Verlag 2015, 48 Euro.

 

 

Frank Horvat prägt unser visuelles Gedächtnis für die Mode-Photographie der 1960-er, 70-er und 80-er Jahre. Eine umfangreiche Monographie präsentiert nun das Lebenswerk des großen Photographen.

 


Frank Horvat wurde geprägt durch die Reportage-Photographie. Das, worauf es hierbei ankommt, behielt er auch in der Fashion-Photographie bei und kreierte damit einen ganz eigenen Stil. Bereits seine frühen Mode-Aufnahmen haben den typischen Horvat-Stil: Bei dem 1928 in Abbazia, heute Opatija, Kroatien Geborenen steht nicht mehr die Mode, die sich am Körper des Models befindet, im Mittelpunkt der Bildkomposition.

 

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Ernst Jünger – In Stahlgewittern

Wieder in einer schönen gebundenen Ausgabe verfügbar:
Ernst Jüngers Kriegsbuch In Stahlgewitten
© Klett-Cotta 2014

 

 

 

Ernst Jünger, In Stahlgewittern.
Mit einem Nachwort von Helmuth Kiesel.
317 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, Klett-Cotta Verlag 2014, 24,95 Euro.

 

 

Ernst Jüngers Kriegsbuch In Stahlgewittern gilt als eine der größten Schilderungen des Ersten Weltkriegs. Für Jünger selbst war es Fluch und Segen zugleich. Nun bringt Klett-Cotta wieder eine schön gestaltete gebundene Ausgabe heraus.

 

 

Ernst Jünger (1895-1997) zog zusammen mit seiner gesamten Generation voller Begeisterung in den Ersten Weltkrieg. Er nahm ein kleines Notizbüchlein mit, in das er für ihn bedeutende Ereignisse notierte. Es zählte 50 Blätter und war rasch vollgeschrieben. Bis zum Ende der Schlachten – für den jungen Offizier durch eine weitere schwere Verletzung im August 1918 – füllte er insgesamt fünfzehn Notizhefte unterschiedlichen Umfangs.

 

Aus ihrem Inhalt formulierte er auf Anraten seines Vaters das Buch In Stahlgewittern – Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers. Die ungefilterte Schilderung der Grausamkeit des barbarischen Grabenkampfes wurde im Nachkriegsdeutschland der 1920er Jahre zum Erfolg. Der hochdekorierte junge Offizier avancierte zum Autoren und machte sich in der Zwischenkriegszeit in nationalistischen Kreisen einem Namen.

 

Häufig ist Jünger vorgeworfen worden, sein berühmtes Buch sei eine Heroisierung des Krieges. Tatsächlich schilderte der Autor sein Töten genauso unkommentiert wie den Anblick von Leichen, toten Tieren und brennenden Dörfern. Das wurde in der 68er Zeit gern verwechselt mit Kälte, war in Wahrheit jedoch Jüngers désinvolture, sein Anspruch, mehr Beobachter als Mit-Täter zu sein.

 

Was Jünger tatsächlich zum Problem wurde, waren seine nationalistischen Passagen. Sie entstanden aus seinem jugendlichen Überschwang, dem geschändeten und um den Sieg betrogenen Vaterland dienen zu wollen und später, die Schmach des Versailler Vertrags nicht akzeptieren zu wollen. Dies dem jungen Autoren, für den der Schützengraben zur ersten existentiellen Erfahrung wurde, vorzuwerfen, ist ahistorisch.

 

Die Nationalsozialisten versuchten, den berühmten Frontoffizier, mehrfach verwundeten Helden und fulminanten Autoren für sich zu gewinnen. Sie boten Jünger ein Reichstagsmandat an und vereinnahmten seine Schriften für ihre Ideologie. Das zwang Jünger dazu, in folgenden Auflagen allzu nationalistisch interpretierbare Passagen zu tilgen. Jünger hat die Stahlgewitter insgesamt ein halbes Dutzend Mal vollständig überarbeitet. Die hier vorliegende Neuausgabe folgt dem Text letzter Hand, wie ihn Jünger für die Gesamtausgabe 1978 redigiert hatte.

 

Times – they are a changing, sang Bob Dylan einst. In der fünften Auflage von 1924 findet sich zum letzten Mal die kämpferische Schlußpassage:

 

»Wir sind inzwischen durch viele Kämpfe geschritten und sehen schon wieder das Getümmel neuer Kämpfe vor uns im ungewissen Licht. Wir – unter diesem wir verstehe ich die geistige und begeisterungsfähige Jugend des Landes – werden sie nicht scheuen. Wir stellen uns vor das Andenken von Toten, die uns heilig sind, und unserem Schutze fühlen wir die wahren, die geistigen Hüter des Volkes anvertraut. Wir stehen für das, was sein wird, und für das, was gewesen ist. Wenn auch von außen Gewalt und von innen Barbarei sich in finsteren Wolken zusammenballen, – solange noch im Dunkle die Klingen blitzen und flammen, soll es heißen: Deutschland lebt und Deutschland soll nicht untergehen!«

 


 

 

 

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Chic – 50 modische Legenden & wie man sie trägt

Nicht nur der seidene Einband ist gelungen:
Ein Stil-Ratgeber mit Geschichts-Nachhilfe
© Kein & Aber 2015

 

 

 

Katharina Blansjaar und Daniel Müller (Illustrationen), Chic.
50 modische Legenden und wie man sie trät.
319 Seiten, geb. mit seidenem Einband, Kein & Aber Verlag 2015, 24 Euro.

 

 

Ein Mode-Handbuch so nützlich wie unterhaltsam, so bildend wie schön gestaltet. Katharina Blansjaars Chic – 50 modische Legenden & wie man sie trägt.


Wir alle kennen das Kurze Schwarze, Jeans und Flipflops. Wahrscheinlich haben auch die meisten Mittelstandsbürger, die in einer europäischen Mittel- oder Großstadt leben, von solchen absoluten Modeklassikern einige im Schrank.

 

Oft ist man sich dennoch unsicher: Wie ausgewaschen darf meine Jeans sein, will ich sie im Büro anziehen? Bei welchen Gelegenheiten geht das Kurze Schwarze? Ja und Overknees? Darf man (Frau) die überhaupt anziehen? Sind die nicht allzu nuttig?

 

Ein Mode-Ratgeber schafft lustvoll und unterhaltsam Abhilfe. Katharina Blansjaars Chic – 50 modische Legenden & wie man sie trägt schildert jeweils auf einigen Seiten einen Mode-Klassiker. Seine Geschichte, seine Herkunft – und berät dann wie und wann man ihn tragen sollte. Anschaulich wird die Geschichte eines Kleidungs-Klassikers durch Beispiele von berühmten Trägerinnen oder Trägern untermalt. Das sehr schön gestaltete Buch listet 50 dieser Legenden, die uns heute allüberall begegnen, auf. Die Liste reicht von Animal Print, Ballerinas, Bikini, über Bomberjacke, Büstenhalter, Caprihose bis Rollkragen, Spitze, Strumpfhose und last but not least T-Shirt.

 

Die kurzen Texte sind sowohl lehrreich – ohne dabei belehrend daher zu kommen – wie ungeheuer unterhaltsam. Mehrmals in der Woche greift man zu einem der hier geschilderten ‚Mode-Legenden‘, ohne über ihre Geschichte informiert zu sein. Das wird in Zukunft anders sein. Wurde der Bikini auf dem Bikini-Atoll erfunden? Oder haben ihn hier die Frauen zuerst getragen?

 

Getrüffelt wird das kluge Buch durch die wohlfeilen Zeichnungen von Daniel Müller.



 

Ein wohlfeiles Geschenk für die Liebste. Und wunderbarer Gesprächsstoff für den nächsten Party-Smalltalk.

Joe Strummer – Day of Death

Joe Strummer died at december 22nd 2002. Rest in peace!

Joe Strummer, Burning Lights (From I Hired a Contract Killer):

 


Institut für Zeitgenossenschaft IFZ – Die 100 wichtigsten Dinge

Definiert ab jetzt den wissenscaftlichen Kanon aller Wissensgebiete:
Die 100 wichtigsten Dinge vom IFZ
© Hatje Cantz 2015

 

 

Institut für Zeitgenossenschaft IFZ, Die 100 wichtigsten Dinge
256 Seiten, gebunden, mit 100 Abbildungen, Hatje Cantz Verlag 2015, 20 €.

 

 

In unserer materialistischen Spaß- und Wegwerfgesellschaft sind wir umgeben von zahllosen Dingen. Doch welche davon sind wirklich wichtig? Die Antwort gibt nun endlich das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ mit seinem Handbuch Die 100 wichtigsten Dinge.


Wir haben alles, können alles kaufen, besitzen eher zuviel, als das was fehlen würde. Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung befinden sich in deutschen Küchen durchschnittlich 23 Küchengeräte, von denen die Hausfrauen und –Männer angeben, 87 Prozent niemals zu benutzen.

 

Das Institut für Zeitgenossenschaft IFZ ist bereits vor einigen Jahren angetreten, um die wirklich wichtigen von den unwichtigen Dingen zu trennen. Nun erscheint noch kurz vor Weihnachten das Buch Die 100 wichtigsten Dinge, um uns endlich Orientierung zu geben. Es ist ein Kompendium der für unser Leben tatsächlich notwendigen Dinge, von denen es – wie das IFZ in der Einführung feststellt – zufälligerweise genau einhundert gibt. Dazu gehören solche Dinge wie Zeiger, Würfel, Ware, Vertrag, Tür, Tier, Styropor, Spiegel, Sirene oder Serviette, um nur einige Beispiele aus dem ersten Gliederungspunkt des Buches zu nennen.

 

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Mercedes-Benz – The Grand Cabrios & Coupés

Mercedes 300 Sc Pinin Farina, 1956
Photo © 2015 René Staud Studios GmbH, Leonberg, Germany. All rights reserved.

 

 

 

René Staud/ Mercedes-Benz, The Grand Cabrios & Coupés.
304 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, ca. 200 Farbphotographien.
Text in Deutsch, Englisch und Chinesisch, 98,- € (D.).

 

 

Die Cabriolets und Coupés von Mercedes-Benz sind Legende. Ein Bildband im Riesenformat präsentiert die schönsten gebauten Mercedes‘ mit atemberaubenden Photos von René Staud.

 

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Rankin – Less is More

Rankin, Highly Flammable II, 1997
© Rankin Photography Ltd.

 

 

 

Der Photograph Rankin wird in der Kunsthalle Rostock mit einer großen Werkschau gewürdigt. Noch bis Ende Februar sind über 100 Photographien, zwei exklusiv für die Ausstellung produzierte Groß-Installationen und diverse Filme zu sehen.

 

Rankin, bekannt als innovativer und provozierender Fashion- und Lifestyle-Photograph, gründete mit einem Partner zu Beginn der 1990er Jahre das Zeitgeistmagazin Dazed&Confused, ist auch Autor und Regisseur. Rankin produziert Kurzfilme, Dokumentationen und Musikclips. Er selbst sieht sich nicht als Künstler, sondern lediglich als ‚Photograph‘.

 

In Deutschland wird Rankin von der Galerie Camera Work vertreten, die noch über einzelne Werke verfügt
(E-Mail: info@camerawork.de).

 

 

 

Rankin – Less is More
Ausstellung noch bis 28. Februar 2015

Kunsthalle Rostock
Hamburger Straße 40
D-18069 Rostock

Di. – So. 11 – 18 Uhr
Montags geschlossen

Eintritt frei.

www.kunsthallerostock.de

 


 

Virginia Woolf – Beau Brummell

Virginia Woolf (1882-1941). Portrait von George Charles Beresford, 1902
Quelle: wikipedia.org

 

 

Virginia Woolf, Beau Brummell.
Aus dem Englischen von Tanja Handels, 39 Seiten, gebunden in Leinen mit Titelvignette, L.S.D. Verlag, Göttingen 2015, 14,80 €.

 

 

Am 20. November 1929 strahlte die BBC eine weitere Folge ihrer Sendereihe Miniatur-Biographien aus: Die britische Schriftstellerin Virginia Woolf portraitierte den Ur-Dandy Beau Brummell. Dieser kurze Essay erscheint nun neu übersetzt in einer bibliophilen Ausgabe.

 


Man sieht die britischen Hörer der BBC förmlich an ihren Radio-Apparaten gefesselt. Bei schummrigem Licht, den Kopf aufmerksam in den Ohrensessel gesenkt. Virginia Woolf (1882-1941) zieht die Hörer – nun die Leser – in ihren Bann.  Sie erzählt die Lebensgeschichte des Mannes, dem im Nachhinein die Begründung des Dandytums zugeschrieben wird. Denn die Erschaffung kaum einer anderen Sozialfigur wird so mit einer einzigen Person verbunden wie der des Dandys. Natürlich ist ein Gutteil daran Legende. Dennoch haben sich Generationen nachfolgender Dandys, die es waren oder nur sein wollten, an George Bryan Brummell (1778-1840) abgearbeitet. Lord Byron, Zeitgenosse Brummells, äußerte sich über seinen ästhetischen Landsmann – eines Dandys gemäß – anerkennend. Für ihn – Byron – gebe es nur drei bedeutende Männer: neben ihm selbst nur noch Napoleon und Brummell. Oscar Wilde nannte den Beau öfter als Vorbild. Auch Ernst Jünger, Sebastian Horsley, Bryan Ferry oder Nick Cave kennen ‚ihren‘ Brummell.

 

 

Virginia Woolf spannt den Bogen vom Schulden-Exil des gealterten Dandys in Caen auf der französischen Seite des Kanals. Hierhin mußte der völlig abgebrannte Lebemann flüchten, drohte ihm doch zu Hause das Schuldengefängnis. Woolf beginnt ihre kurze Biographie in der kleinen Stadt, die nur etwa 150 Kilometer vom gegenüberliegenden Brighton entfernt ist, und läßt sie auch hier enden. Ohne Häme schildert Woolf, die später zu einer der bedeutendsten Schriftstellerinnen der englischen Moderne werden sollte, wie der gebrochene Brummell zur Tür seiner möblierten Wohnung ging, weil der Diener ihm »Die Duchess of Davonshire« gemeldet hatte.

»Nur leider war da niemand. Nur ein kalter Luftzug wehte die Treppe des Gasthofs empor. Die Duchess war lange tot, und Beau Brummell, gealtert und senil geworden, träumte nur, er sei wieder in London und gebe eine Gesellschaft.«

 


Trotz ihrer Kürze enthält die Studie über den Ur-Dandy die wichtigsten Anekdoten. Will man das Leben Brummells genauer kennenlernen, muß man auf eine der großen Biographien zurückgreifen: Als Standardwerk gilt heute noch immer die zweibändige von Captain Jesse (1884), die allerdings nur in zwei kleinen Auflagen in England und Amerika erschien. Die Biographie von Lewis Melville (1924) ist nicht ganz so apologetisch. Die Lebensbeschreibungen von Kathleen Campbell (1948) und Hubert Cole (1977) spüren Brummell nicht nur zeitlich aus größerer Distanz nach. Vielleicht bringen Lagerfeld/ Steidl das umfangreiche Werk von Jesse, der Brummell noch persönlich begegnen konnte, eines Tages in Deutsch.

 

 

Der Mini-Essay von Virginia Woolf ist eine der wenigen Quellen über Brummell, die seit Jahrzehnten in Deutsch verfügbar sind. In der Literaturwissenschaft konnte man außerdem nur noch auf Barbey d’Aurevillys Über das Dandytum und über George Brummell, das ebenfalls in einer hervorragenden Neuübersetzung vorliegt, zurückgreifen.

 

 

Virginia Woolfs Beau Brummell ist eine weitere wunderbare Wieder-Entdeckung von Karl Lagerfeld für den von ihm und Gerhard Steidl gegründeten L.S.D.-Verlag. Die hochwertige Gestaltung mit Leinenbindung und Titelvignette sowie der Druck auf hochwertigem Papier machen das Bändchen zum idealen Geschenk – für Connaisseure als Mitbringsel oder für sich selbst.

 

© Matthias Pierre Lubinsky 2015