Alexandra Harris – Virginia Woolf

Virginia Woolf – Portrait von George Charles Beresford

 

 

 

Alexandra Harris, Virginia Woolf.
231 Seiten, Leinen mit Leseband, L.S.D. im Steidl Verlag 2015, mit einer Titelvignette von Karl Lagerfeld, 24 Euro (D.).

 

 

Virginia Woolf (1882-1941) war eine herausragende Schriftstellerin. Ihr schweres Leben zwang sie dazu, genau zu beobachten und das Glück im Augenblick zu suchen. Das war es, war sie letztlich in ihren Texten festhielt. Der L.S.D. Verlag bringt die in England vielgelobte Biographie von Alexandra Harris jetzt erstmals in Deutsch.

 

 

Marcel Proust war wohl nicht zufällig eines ihrer großen literarischen Vorbilder. Auch der Autor von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit schuf sein genialisches und riesiges Werk vor der Drohung seines immer näher kommenden Todes und in kräftezehrendem Ringen mit seinem zerfallenden Körper.

 

 

Virginia Woolf ist als junge Frau wohl über längere Zeit von ihrem Stiefbruder missbraucht worden. Alexandra Harris sagt nichts Genaueres darüber, aber der Leser ahnt es aus ihren Sätzen. Das hatte ihr Leben lang starke gesundheitliche und nervliche Probleme nach sich gezogen. Auch war sie zwar lange verheiratet – und sehr glücklich, wie sie noch in ihrem Abschiedsbrief schrieb – doch fühlte sie sich sexuell zu Männern wohl weniger hingezogen.

 

 

Alexandra Harris schrieb eine Biographie, eine Skizze eigentlich, die ambivalent ist. Die 1981 in Sussex geborene Autorin rast förmlich durch das Leben der Schriftstellerin. Und eigentlich handelt es sich bei ihrem Buch eher um eine Werkbiographie, sind die Bücher und andere Texte von Virginia Woolf das zentrale Bindeglied ihrer Schilderung. Ambivalent ist ihre Lebensbeschreibung, weil sie vorgibt, Virginia Woolfs Leben zu schildern. In Wahrheit hangelt sich harris aber an den Büchern und vor allem Briefen ihres Subjektes entlang. Sie zitiert Schlüssel-Aussagen aus Briefen von Virginia Woolf, um diese dann – quasi in einem Umkehrschluss – auf ihr Leben zu projizieren.

 

 

Angenehm an der Skizze ist, dass die Autorin, die englische und amerikanische Literatur an der Universität von Liverpool lehrt, psychologisierende Interpretationen vermeidet, die noch in den 1980er Jahren üblich waren, wo die Biographen stets genau wussten, wie ihr Subjekt getickt hat und welche Ursachen aus der Kindheit das hatte.

 

 

Dennoch würde man sich mehr Griffigkeit in der Schilderung von Harris wünschen. Meist bleiben ihre Schilderungen ein wenig unpräzise; als Leser bekommt man Virginia Woolf nicht richtig zu fassen. Ein Beispiel:

 

 

»Um dem Gefühl, dass sie alt wurden und die Freunde ihnen wegstarben, zu begegnen, waren Virginia und Leonhard äußerst aktiv. Sie unternahmen lange Ausflüge mit ihrem neuen Wagen, es gab neue Freunde, beispielsweise Elizabeth Bowen, und auch die eigenartigen, einnehmenden Sitwells wuchsen Virginia zusehends ans Herz. Das Verhältnis zu T. S. Eliot war herzlicher geworden.«

 

Das Buch eignet sich als Einstieg zu Werk und Person von Virginia Wolf. Wer nach der Lektüre mehr Interesse hat, sollte unbedingt ihre Briefe lesen. Hier zeigt sich die große sensible Beobachterin von ihrer offensten Seite.