Zehn Gründe, Proust zu lesen

Marcel Proust (1871-1922). Schöpfer der Recherche






Aus Anlass des 100. Todestages von Marcel Proust hier zehn Gründe, warum jeder halbwegs intelligente Mensch Prousts Hauptwerk, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (À la recherche du temps perdu) gelesen haben sollte.




  1. Die Recherche, wie der Roman von seinen Liebhabern genannt wird, verändert Ihr Leben. Tatsächlich. Am Anfang merkt man das noch nicht. Hat man aber einige hundert Seiten absolviert oder vielleicht sogar die ersten der insgesamt sieben Teile gelesen, so wird einem allmählich gewahr, dass man die Reflexionen des Autors einerseits schätzt und andererseits mit eigenen Wahrnehmungen beginnt abzugleichen. Dann sagt man sich als Leser: Verdammt, die Erfahrung habe ich auch gemacht. Nur hätte ich es nicht so formulieren können.


  2. Aus diesem und vielen vielen anderen Gründen empfehlen wir, tatsächlich zu versuchen, den GESAMTEN Roman zu lesen. Um auf den Geschmack zu kommen, kann man sich durchaus zuvor ein wenig Lust holen, indem man in einem beliebigen Band blättert und einfach ersteinmal drauf los liest. Der Gewinn der Gesamtlektüre liegt aber gerade darin, dass Proust ein zeitlich-philosophisches Epos entwirft. Über hunderte von Seiten wird der Leser in ihren Bann gezogen und sinkt in die Welt Prousts ein…Es ist wie ein poetischer Traum.



    Ein Leben ohne Proust ist ein Leben des Mangels. (Jean Améry)



  3. Umso weiter Sie als Leser im Text kommen, desto stärker werden Sie alsbald feststellen, dass Sie beginnen, Ihren Alltag, Begegnungen, Gespräche, aber auch Ihre Vergangenheit anders zu reflektieren. Wir versprechen: Diese Lektüre erhöht Ihre Aufmerksamkeit und lenkt Ihre Gedanken auf Wesentlicheres.


  4. Haben Sie erst einmal mit der Lektüre dieses bedeutenden Werkes begonnen, so werden Sie sobald nicht mehr aufhören können. – Siehe 2. Sie werden das Buch möglichst überall hin mitnehmen. Sie wollen die Lektüre nicht unterbrechen. Irgendwann erwischen Sie sich, dass Sie sich für einige Tage krank melden, um die Recherche weiterlesen zu können.


  5. Proust infiziert. Bald werden Sie Ihren Freunden, Bekannten oder Kollegen mit groß aufgerissenen begeisterten Augen von Ihrer Leseerfahrung berichten – nein vorschwärmen. Und das ist auch gut so. So werden die Proust-Leser immer mehr.



    Manche Menschen verbringen ihr Leben mit nichts anderem, als Proust zu lesen. Das ist kein schlechtes Leben.
    (Michelle Houellebecq)




  6. Das Lesen von ungeheuren Bandwurmsätzen ist anfänglich wirklich anstrengend. Aber: Übung macht den Meister. Nach einiger Zeit merken Sie, dass Sie ein wenig müde sein können oder dass Ihre Kinder Lärm machen. Nur das stört Sie irgendwann nicht mehr. So schult die Recherche Konzentration und Sprachbewusstsein.


  7. Proust gibt uns die Gelegenheit, unser oberflächliches Leben im Mäuserad hinter uns zu lassen. Verlassen Sie die Spaßgesellschaft und widmen Sie sich einer Lektüre, die hilft zu sich zu kommen. Proust lesen heißt, bewusster zu werden.


  8. Liest man die Recherche konzentriert, so wird man zum Ergebnis kommen, dass es hier nicht um eine wie auch immer geartete Trauer wegen der Vergänglichkeit geht. Proust erschafft nicht eine dichterische Verdichtung von Wirklichkeit – sondern deren Auflösung!


  9. Nicht zu vernachlässigen ist, welcher Übersetzung man sich widmet. Es werden besonders günstige E-Books angeboten, deren Crux ist, dass deren Übersetzer nur wenige Bände ins Deutsche transferiert haben. Man sollte unbedingt zu einer Übersetzung greifen, die KOMPLETT vorliegt. Wir empfehlen diejenige von Eva Rechel-Mertens. Noch besser in der Revision von Luzius Keller (Frankfurter Ausgabe).


  10. So. Nun los!

© Matthias Pierre Lubinsky 2022