Ausstellung Am I Dandy?

Starpostkarte der Herrenimitatorin Vesta Tilley im hellen Gehrock;
handkoloriert, Ph. Brown, Barnes & Bell, Liverpool ca. 1900 © Schwules Museum*

 

 

 

Am I Dandy?
Ausstellung Schwules Museum Berlin
24. Juni – 20. November 2016

 

 

Am I Dandy? fragt das Schwule Museum in Berlin-Schöneberg in seiner Ausstellung. In mehreren kleinen Räumen wird versucht, die Sozialfigur den Besuchern näher zu bringen. Die Räume sind betitelt mit Straße, Ankleidezimmer, Club/Salon und Laufsteg, um die wesentlichen Lebensräume des Dandys zu thematisieren.

 

Es sind insgesamt nur 100 Ausstellungsstücke. Sie genügen jedoch, um uns diesen Typus ein wenig deutlich werden zu lassen.

 

Natürlich bringt das kleine Museum die historischen entwürfe von Beau Brummell und Oskar Wilde keinesfalls »erstmals« »mit aktuellen Erscheinungsformen des Dantytums zusammen«, wie in der Ankündigung zu lesen.

 

Was in der Ausstellung leider völlig fehlt, ist ein Hinweis auf die Geisteshaltung des Dandys. Was macht denn einen Dandy essentiell aus? Seine Kleidung ist eben allenfalls ein erstes Erkennungsmerkmal. Und die in der Schau integrierte Möglichkeit, sich zu verkleiden und auf einem verspiegelten Laufsteg zu präsentieren, täuscht darüber hinweg, dass Beau Brummell gerade durch seine Zurückhaltung in der Kleidung zum arbiter elegentiarum wurde.

 

Das interessante Begleitprogramm verspricht hier eine inhaltliche Vertiefung.

www.schwulesmuseum.de

Markus Lüpertz – Arkadien oder Die Abstraktion hat noch nicht begonnen

© Markus Lüpertz, Seite aus dem Buch
VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 

 

 

Markus Lüpertz, Arkadien oder Die Abstraktion hat noch nicht begonnen.
272 Seiten auf 150g Munken Fly 02, gebunden mit Leseband und Schutzumschlag, Hirmer Verlag, München 2016, 24,90 Euro (D).

 

 

 

Arkadien oder die Abstraktion hat noch nicht begonnen heißt das neueste Buch von Markus Lüpertz. Es enthält die poetische Auseinandersetzung mit ‚Arkadien‘ des vor allem als Maler und Bildhauer bekannten Künstlers.


Aber wofür steht der Begriff ‚Arkadien‘ überhaupt? Arkadien bezeichnet eine recht karge Landschaft in Griechenland, ein von Bergen umschlossenes Hochland in der Mitte des Peloponnes. Doch heute verbinden wir damit die Vorstellung einer blühenden Landschaft, wo die Menschen glücklich und in Einklang mit der Natur leben. Vergil ist schuld. Um 42 v. Chr. schrieb er seine Hirtengedichte. Seine Hirten waren schöne Menschen, die sich zeitloser Jugend erfreuten. Als Sehnsuchtsfiguren der Poesie harrten sie dem verlorenen Paradies. Sie waren Vergils Antwort auf die tiefe geistig-moralische Krise, in die das Römische Reich auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung fiel und die letztlich zu dessen Untergang führen sollte.

 

Was will uns Markus Lüpertz sagen, wenn er einerseits den Namen Arkadiens wählt und andererseits hinzufügt, die Abstraktion habe noch nicht begonnen? Denselben Untertitel trug die Ausstellung im Bode Museum im vergangenen Jahr, wo Zeichnungen und Bronzeplastiken zu sehen waren, die Lüpertz geschaffen hatte inspiriert von Ludwig Münstermanns Apollo aus dem frühen 17. Jahrhundert.

 

Markus Lüpertz weigert sich, seine Kunst zu kommentieren, zu erläutern oder zu erklären. Er geht eben nicht unter sein Niveau, wie Ernst Jünger gesagt hätte. Einem Interviewer sagte er nur, er habe sich »immer mit der Antike auseinandergesetzt, die ja zum Bildungsstandard in der bildenden Kunst gehört; unsere ganze Kultur hat dort ihre Wurzeln«.

 

Lüpertz kritische Haltung zum Staat und zu der Zeit, in der er lebt, ist bekannt. In Interviews sagte der Maler, wir lebten in einer »bildungsmäßig langsam verblödenden Zeit«. Er sieht unsere aktuellen Gesellschaften als »verwalteten Kriegs-Frieden«, in welchem die Politik versuche, »die Menschen in einem Zustand der Angst und Verzweiflung zu halten«, um ihre individuellen Rechte und Freiheiten immer weiter zu beschneiden.

 

So kann Markus Lüpertz Auseinandersetzung mit dem Mythos Arkadien nicht nur gelesen werden als Kritik am Kunstbetrieb. In einem Bild des Buches im Schlußkapitel Manifest heißt es:

 

Ein ganz bescheidenes Verlangen ist Arkadien
Verlangen nach Hoffnung

 

 

 

 


Billy Sullivan – Still, Looking. Works 1969 – 2016

© Billy Sullivan, Still, Looking. Works 1969 – 2016, Edition Patrick Frey, 2016

 

 

 

Billy Sullivan – Still, Looking. Works 1969 – 2016.
Gebunden, 296 Seiten mit 396 Farbabbildungen, Englisch, Edition Patrick Frey, 2016, 70 Euro.

 

 

Seit 1969 portraitiert der New Yorker Künstler Billy Sullivan seine Freunde, Bekannten und Partys. Seine Szene ist das, was man in den 1970er Jahren als underground bezeichnete. Die kleine und feine Schweizer Edition Patrick Frey legt nun einen Band mit Bildern von damals bis heute vor.



Billy Sullivan treibt sich in der New Yorker Bohème herum: In der Underground-, Künstler- und Mode-Szene. Er photographiert seine Bekannten oder Situationen auf den ausschweifenden Partys und verwendet diese vor allem als Vorlage für Ölbilder, Pastellzeichnungen oder aufwendige, mehrteilige Diainstallationen.

 

 

Seine Bilder zeigen dabei auch ungeschönt die Kehrseite des Sich-dem-Mainstreams-Entziehens. Wer nicht zu den Normalos gehören will, die vom alles beherrschenden Materialismus komplett korrumpiert sind, zahlt bisweilen einen hohen Preis. Drogenkonsum, lange Nächte und ausschweifender Sex zollen ihren Tribut.

 

 

Beeindruckend an Billy Sullivans Bilder-Tagebuch ist die Auflösung der chronologisch dahinschreitenden Zeit. Dadurch, dass der Künstler zum einen die Stile, nämlich Ölbild, Pastell und Photographie respektlos mischt, zum anderen genauso das Entstehungsdatum ignoriert, wird jedwede Chronologie negiert. Was bleibt, sind die für den Schaffenden bedeutenden Momente.

 

 

Billy Sullivans Bilder sind wahrhaft intim, weil die Portraitierten ihm offensichtlich vertrauen. Und dennoch hat die manchmal vorgeführte Schamlosigkeit nichts von der heute so üblich gewordenen Selbstdarstellung. Die Intimität der Bilder reicht bisweilen bis zum Exhibitionismus. So entsteht ein Existentialismus des 21. Jahrhunderts.

 

www.editionpatrickfrey.com

Markus Lüpertz – Arkadien – Sammlereditionen

Seite aus der SammlerEdition II
© Markus Lüpertz. VG Bild-Kunst, Bonn 2016

 

 

Markus Lüpertz, Arkadien.
SammlerEdition II und III.
Von Markus Lüpertz signiert, limitiert auf je 19 Exx. Hirmer Verlag, München 2016.

 

Markus Lüpertz ist nicht nur Maler, sondern verfasst auch Gedichte und veröffentlicht Tagebuchbände. Außerdem gibt er die Zeitschrift für kursives Denken mit dem Titel Frau und Hund heraus.

 

Der Münchner Hirmer Verlag publiziert nach der ersten – schnell vergriffenen – SammlerEdition nun noch zwei weitere dieser sehr bibliophilen Bücher. Die Verlagsbeschreibung:
»Et in Arcadia ego« – unter diesem Sehnsuchtsmotto haben Künstler seit Jahrhunderten Idyllen des Einklangs von Mensch und Natur geschaffen. Auch Markus Lüpertz begibt sich seit Jahrzehnten auf die Suche. Der Band spiegelt seine Auseinandersetzung mit der Antike in eindringlichen Formulierungen und kraftvollen Zeichnungen.


Jede der beiden Editionen hat acht in das Buch eingebundene, mehrfarbige nicht signierte Originallithografien, gedruckt auf Zerkall Alt Bern 150 g/qm, sowie eine in das Buch eingelegte, signierte und nummerierte Originallithografie, gedruckt auf Zerkall Alt Bern 150 g/qm. Die Bücher sind  limitiert auf nur 19 Exemplare, signiert und nummeriert.



Markus Lüpertz
© VG Bild-Kunst, Bonn 2016 

 

www.hirmerverlag.de

 

 

Magnum – Große Radrennen im Visier berühmter Magnum-Fotografen

© 2016 Robert Capa/Magnum Photos
Aus: Magnum. Große Radrennen im Visier berühmter Magnum-Fotografen,
Sieveking Verlag 2016

 

 

Magnum. Große Radrennen im Visier berühmter Magnum-Fotografen.
224 Seiten mit ca. 200 Abbildungen, Sieveking Verlag 2016, 49,90 Euro (D).

 

 

Robert Capa war vor dem Zweiten Weltkrieg noch kein bekannter Photograph. Im Dezember 1938 veröffentlichte das britische Wochenmagazin Picture Post eine Reportage vom spanischen Bürgerkrieg mit 26 Photos des Photoreporters und untertitelte: »Der größte Kriegsfotograf der Welt.«


Das war Capa zu diesem Zeitpunkt vielleicht noch nicht. Aber der Artikel in dieser auflagenstarken Zeitschrift verhalf ihm dazu, tatsächlich sehr erfolgreich zu werden. So schickte ihn die Zeitschrift Match anschließend nach Frankreich, um die Tour de France photographisch zu dokumentieren.

 

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Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne – Katalog

Das Katalogbuch zur Ausstellung im Liebermann Haus
© Nicolai Verlag 2016

 

 

Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne.
Katalog zur Ausstellung im Liebermann Haus.
248 Seiten mit 48 Abbildungen, gebunden in Halbleinen, Nicolai Verlag 2016, 24,95 Euro.

 

 

»Er ist wieder da«, schreibt Christoph Stölzl im Ausstellungs-Katalog der feinen kleinen Kabinett-Ausstellung Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne im Liebermann-Haus am Pariser Platz im Zentrum Berlins. Dass der adlige Mäzen, Kunst-Sammler, Verleger, Museumsdirektor und was er noch alles war, nun »zurückgekehrt« ist, wie Stölzl, Kurator der Schau behauptet, ist natürlich nicht wahr. Aber es ist ein schönes Bild.

 

Denn hier am Brandenburger Tor waren viele der wichtigsten Wirkungsorte Kesslers. Im Wohnhaus der Liebermanns fand er den ersten Ansprechpartner für Fragen der Kunst, Qualität und Ästhetik, nachdem er nach Berlin gekommen war. Und mit dem Maler Max Liebermann war er sich in vielen Ansichten einig.

 

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Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne

Harry Graf Kessler
Portrait am Schreibtisch seiner Wohnung Köthenerstraße 28, Berlin, 1919 (Ausschnitt)
© Ullstein Bild

 

 

Harry Graf Kessler. Flaneur durch die Moderne

Ausstellung im Max Liebermann Haus am Brandenburger Tor
21. Mai bis 21. August 2016

 

Das Liebermann-Haus am Brandenburger Tor zeigt die Ausstellung Harry Graf Kessler – Flaneur durch die Moderne. Harry Graf Kessler (1868-1937) wurde in prädestinierte Verhältnisse geboren – und machte etwas daraus.

 

Geboren in Paris als Sohn eines Bankiers und einer irischen Adligen, wuchs er auf in Frankreich, England und Deutschland. Er war kunstinteressiert, Mäzen, diplomatisch aktiv. Er reiste viel und setzte seine poliglotte Bildung, Vielsprachigkeit und Grandezza von europäischem Format ein, um Europa zu einigen. Im nächsten Jahr soll der letzte Band seines ungeheuren Tagebuches erscheinen. Nach der Entdeckung von verschollen geglaubten Bänden in einem Banksafe auf Mallorca und der Veröffentlichung durch das Deutsche Literaturarchiv in Marbach gilt es als eines der bedeutendsten Zeugnisse der Zeit vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis zu Kesslers tragischem Tod 1937.

 

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Pierre Drieu la Rochelle – Die Komödie von Charleroi

Pierre Drieu la Rochelle (1893-1945)

 

 

Pierre Drieu la Rochelle, Die Komödie von Charleroi. Erzählungen.
275 Seiten, geb. mit Schutzumschlag und Leseband, Manesse Verlag, Zürich 2016, 24,95 Euro.

 

Eine literarische Sensation: Die erste deutsche Erstveröffentlichung von Pierre Drieu la Rochelle nach exakt 30 Jahren: Nach den wahrlich ungeheuren Tagebuchauszügen Geheimer Bericht im Jahr 1986 bei Matthes & Seitz erscheint im Manesse Verlag nun Die Komödie von Charleroi. Es sind sechs Erzählungen des französischen Dandys über seine Teilnahme am Ersten Weltkrieg.


Drieu la Rochelle (1893-1945) ist in Deutschland nur Eingeweihten ein Begriff. Am bekanntesten ist noch die Verfilmung seines Romans Das Irrlicht (Originaltitel: Le feu follet) von Louis Malle aus dem Jahr 1963. Der herausragende Schwarzweißfilm zeigt den bedrückenden Abschied eines Suizidärs von Freunden und der Gesellschaft, wo ihn niemand vermissen wird.

 

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Nick Brandt – Inherit the Dust

© Nick Brandt, Road with Elephant, 2014

 

 

 

Die neueste Photoserie von Nick Brandt Inherit the Dust wird in der Berliner Galerie Camera Work gezeigt. Der englische Photokünstler, der in den USA lebt, startete im Jahr 2000 sein ambitioniertes Photoprojekt. Seine beeindruckenden Tieraufnahmen ebenso wie die epischen Landschafts-Photos sind mitlerweile weltbekannt.

 

In seiner aktuellen Serie stellte der 1965 Geborene majestätische Tieraufnahmen dorthin, wo diese Tiere bis vor kurzem leben konnte. Nun befinden sich hier Müllberge oder Straßenbrücken.

 

Die Opposition zwischen den photographierten Tieren und der Umgebung, in der die riesigen Photos stehen, lädt ein zum Nachdenken über Fortschritt und Zerstörung.

 

Nick Brandt – Inherit the Dust

Ausstellung vom 14. Mai bis 9. Juli 2016
CAMERA WORK
Kantstraße 149, 10623 Berlin
www.camerawork.de
Öffnungszeiten: Di–Sa, 11–18 Uhr.

 

 






Felix Philipp Ingold – Das russische Duell

Adrian Vokov, Duell zwischen Puschkin und d’Anthès, 1869

 

 

 

Felix Philipp Ingold, Das russische Duell.
Kultur- und Sozialgeschichte eines alten Rutuals.
Gebunden mit Schutzumschlag, 438 Seiten mit Abbildungen, Konstanz University Press 2016, 39,90 Euro.

 

 

Das Duell war über Jahrhunderte das standesgemäße Ritual für Adlige, seine Ehre wieder herzustellen. In Rußland hatte das Duell stets eine eigene Ausprägung. Felix Philipp Ingold untersucht in der ersten deutschen Monographie das Duell in Rußland.


Charles Baudelaire wußte um den Mythos des Duells, jenen Ehrenhandel, der für Adlige in Europa über die Jahrhunderte oft die einzige Möglichkeit schien, ihre Ehre zurückzugewinnen. In seiner bedeutenden Studie über das Dandytum schrieb der französische Schriftsteller, der Dandyismus sei eine »schwer bestimmbare Einrichtung, ebenso absonderlich wie das Duell«.

 

Das Wort stammt vom lateinischen duellum. Definiert wird es allgemein als freiwilliger Zweikampf zwischen grundsätzlich gleich starken Personen. Die Mittel sind gleiche Waffen, die potenziell tödlich sind. Sein Zweck ist die Wiedererlangung der Ehre.

 

In seiner umfangreichen Studie spannt Felix Philipp Ingold einen weiten Bogen über die russische Geschichte. In der Einleitung schreibt Ingold, der lange als Diplomat in Rußland war: »Rezeption und Entwicklung des Duellwesens in Russland werden nachfolgend erstmals in deutscher Sprache monographisch dargestellt«. Ähnelt dieser Ehrenhandel dem in anderen – europäischen – Staaten grundsätzlich, so sieht der Autor, emeritierter Professor für Kultur- und Sozialgeschichte Rußlands an der Universität St. Gallen, doch in dem Reich im Osten erhebliche Unterschiede. So ist der Titel des Buches mißverständlich: Besser wäre gewesen Das Duell in Rußland.

 

Ein wesentliches Charakteristikum des Duells in Rußland ist nach Auffassung Ingolds dessen Grausamkeit. In vielen der 37 Kapitel geht er wiederholt auf verschiedene Facetten dieser Grausamkeit ein, sei es im Umgang der Bürger untereinander, der Behandlung durch den herrschenden Adel, bei Bestrafungen oder im Militär. Ingold bringt viele Beispiele von besonderer Grausamkeit in der Geschichte und Schilderungen in der Literatur. Als einzige mögliche Erklärung  sieht er die »ohnehin hohe Gewaltbereitschaft« in Rußland. Im Gegensatz zu anderen europäischen Kulturen wurde in Rußland die Distanz beim Pistolenduell im 19. Jahrhundert extrem verkürzt: auf eine Mindestdistanz von drei Schritten, wobei meist acht bis zehn Schritte gewählt wurden. Außerdem wurden großkalibrige Pistolen zugelassen, sodaß ein tödlicher Ausgang für mindestens einen der beiden Duellanten sehr wahrscheinlich wurde.

 

Eine weitere Eigenheit in Rußland war, daß die Regularien bis etwa 1900 nicht schriftlich festgelegt, sondern lediglich mündlich überliefert worden waren. So fehlte in Rußland dieses Regulativ, um eine Ausartung des Duells in schlimmere Grausamkeit zu verhindern.

 

Eine Stärke der ausführlichen Monographie ist die Verwebung mit Zeitzeugenberichten und literarischen Schilderungen, was die Anschaulichkeit erhöht. Wiederholungen erschweren hingegen die Lesbarkeit, wie die bereits oben genannten Erläuterungen zur russischen Grausamkeit. Hier hätte ein tieferes Lektorat den Text straffen und klarer gliedern können.

 

Aleksandr Bestushew schildert in seinem Roman in sieben Briefen von 1823, wie sich innerhalb des Ehrenhandels eine Eigengesetzlichkeit entwickeln kann, die noch während des Ablaufs die Handelnden zweifeln läßt:

 

»Wir gingen im Abstand von zwanzig Schritten aufeinander zu, ich rückte entschieden vor, doch ohne irgendeinen Gedanken, ohne irgendeine Absicht: Die in der Tiefe meiner Seele verborgenen Gefühle verdunkelten meinen Verstand. Beim sechsten Schritt zog ich den fatalen Hahn, ich weiß nicht wozu, ich weiß nicht wie – und der Schuß erschallte in meinem Herzen! […] Ich sah, wie Erast zusammenzuckte […] Als der Rauch verflogen war, lag er bereits am Boden, und das aus der Wunde schießende Blut gefror leise zischend im Schnee.« Und zu spät kam die Erkenntnis: »Welches Recht konnte ich haben, um über Leben und Tod zu entscheiden?«


Ergänzt wird die verdienstvolle große Studie über das Duell in Rußland durch zwei Dutzend Quellen: Schilderungen von Duellszenen bei Puschkin, Turgenew, Tolstoj, Dostojewskij und anderen, Zeitzeugnisse und Regularien. Wahrlich ein Standardwerk.

© Matthias Pierre Lubinsky 2016