Wolfgang Doebeling – Pleased To Meet You

Interviews mit Rock-Stars vom Feinsten: Wolfgang Doebelings Gespräche in Buchform

 

 

Wolfgang Doebeling, Pleased To Meet You. Interviews mit Musikern.
Wilhelm Fink Verlag, München 2013, 255 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, 24,90 Euro.

 

Seine Musiksendung ist die beste nicht nur in Berlin und Brandenburg. Das abendliche Special Roots ist vielleicht sogar die niveauvollste im ganzen deutschsprachigen Raum. Jeden Sonntag um elf Uhr versammeln sich Rock- und Pop-Fans vor ihren Lautsprechern, um einem der gebildetsten Musik-Journalisten zu lauschen: Wolfgang Doebeling, geboren 1950, fuhr am vergangenen Sonntag die – sage und schreibe – eintausendzweihundertneunundfünfzigste Sendung.

Doch damit ist nur ein Teil des Œuvres des freischaffenden Musikjournalisten beschrieben. Ein anderer Teil sind die mehr als 1000 Interviews, die der in Stuttgart Geborene in den vergangenen 35 Jahren geführt hat. Allein die schiere Quantität mag einen erschlagen. Doch auch die Qualität von Doebelings Frage- und Antwort-Spiel hat es in sich. Nun ist ein Buch erschienen, das von dieser unüberschaubaren Menge einige besondere präsentiert: Pleased To Meet You versammelt Gespräche mit Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Bill Wyman, Paul McCartney, Ringo Starr, Ray Davis, Pete Townshend, Graham Nash, David Bowie, Elvis Costello, und Joe Strummer. Es sind mithin in diesem ersten Band, dem wohl weitere folgen sollen, die bekanntesten Rockstars vertreten. Die meisten erschienen zum ersten Mal im deutschen Rolling Stone und im Berliner Tip – jedoch nur gekürzt.

Das konsequent in schwarz eingebundene Buch, das in einem bedeutenden Münchner Philosophie-Verlag erschien, ist nicht nur für Rockfans interessant. Doebelings Gesprächstechnik ist von hoher Geschicklichkeit – ja man möchte beinahe von Kunstfertigkeit sprechen. Er versteht es, auf sein Gegenüber einzugehen, ihm Raum zu geben. Er belästigt seinen Gesprächspartner nicht mit den üblichen oberflächlichen Floskelfragen, die der schon dutzendmal abfertigen musste. Doebeling outed sich zuweilen als Fan, – und fliegt dabei voll auf die Schnauze, wie er selbstironisch schildert: Als er Mick Jagger im September 2001 damit imponieren will, dass er ihm erzählt, er hätte die Stones bereits 72 Mal live gesehen, steht Jagger auf, klatscht in die Hände und ruft »Bravo! Bravo!«.

Wolfgang Doebeling schildert, wie er die Interviews führt:
»Keine zwei Interviews verlaufen gleich, es entwickelt sich stets eine eigene Dynamik. Und da ich mir vorab nie Fragen notierte, geschweige denn mit einem Fragenkatalog hausieren ging, ergab sich der Verlauf von Gesprächen naturwüchsig, abhängig von der jeweils dialogisch sich ergebenden Fragestellung natürlich und von der Mitteilungsbereitschaft des Befragten, von dessen Temperament auch, indes von keinem Masterplan. Zettel und Stift brauchte ich nicht, der Einstieg ins eigentliche Interview ergab sich entweder aus zwanglosem Geplauder oder aus situativen Gegebenheiten.«

Den Interviews ist allerdings deutlich anzumerken, dass hier jeweils zwei auf Augenhöhe parlieren. Es wäre wohl kaum zu solch gelungenen Gesprächen gekommen, wäre nicht der Interviewer in der Musikgeschichte derart bewandert. So macht es Spaß zu lesen, wie sich hier zwei die Bälle zuwerfen und dabei in der Regel gegenseitig Freude am intellektuellen Spiel haben. Doebeling geht dabei teils an die Grenzen. So kommt es schon mal vor, dass der Interviewte aufspringt (s.o.) und kurz irritiert bis sauer reagiert. Oder ihn fragt, ob er diese Frage jetzt wirklich ernst meine. Dennoch ist die Atmosphäre immer von gegenseitigem Respekt getragen. Und was beileibe nicht selbstverständlich ist: Bei den Interviews von Wolfgang Doebeling hat nicht nur der Interviewer Interesse an der Person des Rockstars. Der Journalist hat sich einen Ruf als brillanter Fragesteller erarbeitet, der dazu beiträgt, dass auch die Befragten ihm mit Interesse begegnen. Davon zeugt pars pro toto das Vorwort des Travis-Frontmanns Fran Healy. Und davon partizipieren die Leser.

Schön, dass es solch niveauvolle Interviews noch gibt!

Art déco-Architektur in London

Hoover Factory, Wallis Gilbert & Partners, 1935
© Niels Lehmann/Hirmer Verlag 2012

 

 

Modernism London Style – Die Bauten des Art déco.
Niels Lehmann, hrsg. von Christoph Rauhut. 216 Seiten mit über 300 Schwarz-Weiß-Photos, davon 130 in Duplex, gedruckt auf 150g-Papier, gebunden, 39,90 Euro.

 

Die heutige Architektur scheint durch zwei wesentliche Eigenschaften geprägt: Ihr fehlt der Mut zur Komposition. Und sie ist häufig motiviert primär durch das Interesse an Gewinnmaximierung.

 

Es sind immer nur einzelne, die als Rufer in der Wüste gegen eine unmenschliche und ästhetischen Prinzipien widersprechende Architektur protestieren. Denken wir nur an Wolf Jobst Siedler, der mit seinem Buch Die gemordete Stadt in den 1960er Jahren die Frage stellte, ob nicht die alten Hinterhöfe mehr Lebensqualität beherbergen als Satellitenstädte wie die Gropiusstadt oder das Märkische Viertel in Berlin. Damals war er praktisch völlig isoliert – und verließ sämtliche Gremien, da man ihn nicht hören wollte. Heute ist es Common Sense, dass beispielsweise das Kulturforum aus den 1970er Jahren architektonisch misslungen ist.

 

Orientierung tut also dringend not. »Der zeitgenössische architektonische Diskurs«, schreibt Adam Caruso in der Einführung zu Modern London Style – Die Bauten des Art déco, »versenkt sich weiterhin in abstrakten und nicht-architektonischen Themen wie Globalisierung und Technologie«. Stattdessen empfiehlt er, dem Beispiel der Architekten des 19. Jahrhunderts zu folgen und zu »schauen, was uns die Geschichte unserer Disziplin für das Hier und jetzt lehren kann«. Autoren und Herausgeben des Buches empfehlen, Gebäude aus der Epoche des Art déco zu betrachten, um Anregungen und Orientierung für die Bedürfnisse einer Architektur der Gegenwart zu erhalten.

 

So unternimmt das Photobuch den Versuch, den Blick zu lenken »auf die hohe Qualität eines großartigen Erbes, das Produkt einer architektonischen Haltung war«, wie es der Herausgeber Christoph Rauhut beschreibt.

 

Art déco folgte als Architektur- und Kunststil in der Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise direkt dem Jugendstil. Heute sind die Möbel und der Schmuck des Art Déco begehrte Sammler-Objekte. Das liegt vor allem an der ästhetischen Qualität aber auch an der Kürze der Stilrichtung, die mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise nicht mehr angesagt war. Nun war es nicht mehr ratsam,  mit diesem »Industriellen Design« gestalterisch Eleganz und Form miteinander zu verbinden und dabei kostbare Materialien zu verwenden. Ist  Art déco heute auch sehr begehrt, so war es letztlich gar keine echte eigene Stilrichtung. Es fehlen eindeutige Stilmerkmale oder eine  gestalterische Verbindung, die eine eindeutige Zuordnung ermöglichen würden. Christoph Rauhut legt dezidiert dar, dass die im Buch gezeigten Häuser nach gewissen Kriterien einer Zugehörigkeit ausgewählt wurden, – dass diese Auswahl jedoch letztlich subjektiv sein muss. Ziel des Werkes sei, Interessierte an »den formalen Reichtum, die gestalterische Idee und die physische Präsenz« der Gebäude teilhaben zu lassen. In der Tat sind es Häuser wie die hier präsentierten, die heute den Innenstädten Leben einhauchen. Sie werden betrachtet, lassen die Blicke des Publikums für einen Augenblick auf sich ruhen und machen neugierig.

 

Das wohlfeil gestaltete Buch dokumentiert etwa 230 Gebäude im Art déco-Stil in London in ganzseitigen Schwarz-Weiß-Photographien, die eigens gemacht wurden. Ein Verzeichnis gibt Auskunft über Namen, Bauzeit und Architekten – soweit diese Daten bekannt sind. Angefügte Karten ermöglichen Spaziergänge durch London, um die Art-déco-Häuser gezielt aufzusuchen.

 

Erstaunt ist man über die Menge von Art déco-Architektur in der britischen Hauptstadt. Interessant ist, dass zwar die meisten Häuser in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gebaut wurden. Dennoch entstanden einige noch nach dem Zweiten Weltkrieg, wie der St. Georg‘s Court (1948-50) oder der Milkmaid Pavillon in den 1950er Jahren. Ein äußerst gelungenes und ästhetisches Buch, dessen Publikation einer erfolgreichen Crowdfunding-Initiative zu verdanken ist. Seinem Anliegen der Schärfung des Interesses für eine herausragende Architektur-Periode ist größte Aufmerksamkeit zu wünschen.

 

 

Offices One Prescot Street, L.G. Ekins, 1933
© Niels Lehmann/Hirmer Verlag 2012

 

 

Simmonds Aerocessories Factory, Wallis Gilbert & Partners, 1942
© Niels Lehmann/Hirmer Verlag 2012

 

Modernism London Style unterstützen

 

 

Konrad Rufus Müller – Schattenwelten

Martina Gedeck, Barcelona 1997
© Konrad Rufus Müller

 

 

Die Galerie Pinter & Milch in Berlin-Mitte zeigt noch bis zum 16. März 2013 bisher weniger bekannte Photos von Konrad Rufus Müller. Die Arbeiten des 1940 geborenen Photographen sind außergewöhnlich, weil er ausschließlich analog photographiert – und sich die Zeit nimmt, auf den jeweils richtigen Moment zu warten.

So sind seine Portraits Ikonen der Portraitkunst – wie das hier gezeigte Bild der Schauspielerin Martina Gedeck. Die Ausstellung Schattenwelten präsentiert neben Stilleben auch in ihrer ruhigen Präsenz beeindruckende Stadt- und Berglandschaften. Ergänzt werden sie durch neun stilprägende Portraits. Den Ausgangspunkt bildet das berühmte Portrait des ersten Bundeskanzlers Konrad Adenauer. – Dessen Persönlichkeit fängt Müller außerhalb der Öffentlichkeit ein.

Müller arbeitet ausschließlich mit einer einzigen Kamara: bis 1975 entstehen seine Schwarz-Weiß-Photos mit der alten Rolleiflex seines Vaters und seitdem mit einem Folgemodell. Für sein Bild nutzt er nur das vorhandene Licht. Er entwickelt alle Photos selbst in einem aufwendigen Prozess im eigenen Labor. So entstanden in 50 Jahren nur 3.000 Bilder.

 

Pinter & Milch
Auguststr. 49 . 10119 Berlin
Telephon  +49 (0)30 63969089
www.pinter-milch.com
Geöffnet Mi-Sa 14-18 Uhr und nach Vereinbarung.

 

Max Ernst – Retrospektive

Max Ernst, Die Versuchung des heiligen Antonius, 1945
© VBK, Wien 2013/Lehmbruck Museum, Duisburg,
Photo: Achim Bednorz, Ullmann Verlag, Potsdam

 

 

Max Ernst – Retrospektive.
Ausstellung in der Albertina, Wien noch bis 5. Mai 2013.
Katalog im Hatje Cantz Verlag, 2013, 352 Seiten, 343 farbige Abbildungen, 49,80 Euro.

 

Frage: »Was halten Sie von Kant?«
Antwort: »Die Nacktheit der Frau ist weiser als die Lehre des Philosophen.«

Diese Interviewfrage ist fiktiv. Sie wurde verfasst von Max Ernst für einen kleinen Bildband mit Werken von ihm, der 1959 mit einem Vorwort von Georges Bataille in Paris erschien. Der Text hat mittlerweile Kunstgeschichte geschrieben. Er wurde mehrmals von Max Ernst überarbeitet und erschien in verschiedenen Versionen bis 1970. In Form eines Frage- und Antwortspiels gibt Max Ernst hier viel von sich preis. Man versteht sein Getriebensein – seine lebenslange Suche nach sich selbst und einem Ziel seiner Kunst. Der Schlüsseltext enthält auch sein berühmtes Diktum:

Mein Vagabundieren, meine Unruhe, meine Ungeduld, meine Zweifel, meine Glauben, meine Halluzinationen, meine Lieben, meine Zornausbrüche, meine Revolten, meine Widersprüche, meine Weigerung, mich einer Disziplin zu unterwerfen, und sei es meiner eigenen, die sporadischen Besuche von perturbation, ma soeur (Störung, meine Schwester), la femme 100 têtes (Die hundertköpfige Frau) haben kein Klima geschaffen, das einem ruhigen, heiteren Werk günstig wäre.

Eine groß angelegte Retrospektive in der Albertina, Wien (noch bis 5. Mai 2013) und anschließend in der Fondation Beyeler, Basel – die erste seit 14 Jahren im deutschsprachigen Raum – bringt ihn uns näher. So nah wie noch nie. Dazu tragen bei die 190 ausgestellten Werke aus allen Lebensabschnitten Max Ernsts und ein begleitendes Katalogbuch, das neben allen Ausstellungsstücken zwölf kürzere Texte enthält, die in verschiedene Aspekte des Œuvres einführen. Doch das Anliegen der Retrospektive geht weit über eine reine Präsentation hinaus. Gerade um die Brüchigkeit dieses außergewöhnlichen Werkes besser verstehen zu können, werden Verbindungslinien nachgezeichnet: Sieben bedeutende Essays beleuchten im Katalog biographische Aspekte. Werner Spies, einer der Herausgeber des zweieinhalb Kilogramm schweren Bandes, schildert die Bedeutung, die die Emigration für Max Ernst hatte. Weitere Essays befassen sich mit Tristan Tzaras Dadaglobe, den Körperbildern oder seiner Stellung in der modernen Malerei.

 

Max Ernst, Die ganze Stadt, 1935/36
© VBK, Wien 2013/Kunsthaus Zürich

 

 

Max Ernst wurde 1891 im rheinischen Brühl geboren. Als revoltierender Künstler zieht er 1922 von Köln nach Paris. Hier agiert er im Kreis der Surrealisten; André Breton wird später über seinen Einfluss sagen, ohne Max Ernst hätte es keine surrealistische Malerei gegeben. Während des Zweiten Weltkrieges wird er von der französischen Regierung zwei Mal als feindlicher Ausländer interniert. Durch Interventionen seines Freundes, des Schriftstellers Paul Éluard, kommt er frei. 1941 gelingt ihm die Flucht in die USA. Doch auch hier – nach dem Kriegseintritt Amerikas – gilt er als feindlicher Ausländer und wäre abgeschoben worden, hätte er nicht die wohlhabende Kunstsammlerin Peggy Guggenheim geheiratet. Ab 1942 gibt Max Ernst zusammen mit anderen Exilanten, unter ihnen André Breton und Marcel Duchamp, die Zeitschrift VVV heraus und bringt damit den Surrealismus nach Amerika. 1953 kehrt er nach Frankreich zurück. Er lebt zunächst in Paris und zieht zwei Jahre später nach Huismes bei Tours. 1958 wird Max Ernst französischer Staatsbürger und die Berliner Akademie der Künste nimmt ihn auf. Max Ernst stirbt am m 1. April 1976, in der Nacht vor seinem 85. Geburtstag, in Paris. Seine Urne wird auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris bestattet.

Die Retrospektive hat drei Schwerpunkte: Max Ernsts frühe Schaffenszeit des Dada in Köln, die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen in Paris und die 1940er Jahre im US-Exil.

Wer hätte das Werk von Max Ernst besser beschreiben können als Max Ernst? »Aufrührerisch, ungleichmäßig, widersprüchlich, ist es für die Spezialisten der Kunst, der Kultur, des Benehmens, der Logik, der Moral unannehmbar. Es hat dafür die Gabe, meine Komplizen zu bezaubern, die Dichter, die Pataphysiker und ein paar Analphabeten.«

Retrospektive und Katalogbuch bieten wunderbare Gelegenheiten, zu Komplizen zu werden.

© Matthias Pierre Lubinsky 2013

 

 

Max Ernst, Der große Wald, 1927
© VBK, Wien 2013/Kunstmuseum Basel,
Photo: Kunstmuseum Basel, Martin P. Bühler

 

 




Louis de Funès

Louis de Funès als Balduin der Sonntagsfahrer

 

 

Barbey d’Aurevilly schrieb in seiner brillanten Studie Über das Dandytum und über George Brummell zur Ironie des Dandys:
»Die Ironie ist eine Begabung, die alle anderen entbehrlich macht. Sie verleiht dem Menschen die Züge der Sphinx, die die anderen wie ein Geheimnis immer in Atem halten und wie eine beständige Gefahr beunruhigen. Nun, Brummell besaß diese Gabe, und er bediente sich ihrer derart, daß er die Eigenliebe eines jeden, auch indem er ihr schmeichelte, zu Eis gerinnen ließ und die tausend Interessen eines Gesprächs, das die ängstliche Achtsamkeit der Eitlen aus den Niederungen gewöhnlicher Plauderei emporhebt, noch zu verdoppeln vermochte; denn kann diese Angst auch nicht Geist verleihen, wo es daran gebricht, so belebt sie ihn doch bei den Geistvollen und läßt in den Adern der Geistlosen das Blut zumindest schneller kreisen. Das Genie der Ironie hat Brummell zum größten Mystifikator gemacht, den England jemals besaß.«


Am 27. Januar 2013 jährt sich der Todestag von Louis de Funès zum 30. Mal. Aus diesem Anlass erinnert der DANDY-CLUB an den großartigen Humoristen – aus einer Zeit, bevor es ‚Stand-up-Comidians‘ gab.

Hier ist der gesamte Film zu sehen Balduin – Der Sonntagsfahrer. In Deutsch und in verbesserter Qualität.

 



Manfred Paul – Berlin Nordost

Manfred Paul, Wäsche im Hinterhof, Berlin 1973
© Manfred Paul 1973

 

 

Drei bedeutende Werkzyklen des Berliner Photo-Künstlers Manfred Paul werden ab dem 25. Januar 2013 in der Collection Regard gezeigt. Sie stammen aus den Jahren 1970 bis 2006 und zeigen Ostberliner Straßen, Hinterhöfe und abseitige Stellen im Prenzlauer Berg und Berlin-Nordost. Außerdem sind Portraits von Freunden aus der Zeit zu sehen.

Die Werke Manfred Pauls befinden sich in bedeutenden Sammlungen, unter anderen in der Berlinischen Galerie.

Der besondere Reiz seiner Photos liegt in der stillen Melancholie verfallener Hausfassaden, die häufig dokumentiert sind zusammen mit Blumen oder Bäumen, die der Betrachter interpretieren kann als Embleme von Hoffnung und Wachstum.

Das Buch mit Schwarz-Weiß-Photographien in der Edition Braus ist in der Galerie Collection Regard erhältlich.

 

Manfred Paul – Berlin Nordost
25. Januar bis 4. Mai 2013
Collection Regard
Marc Barbey
Steinstraße 12
10119 Berlin
Geöffnet freitags 14.00 bis 18.00 Uhr.

 

 

Stendhal – vor 230 Jahren geboren

Stendhal (1783-1842)

 

 

Die großen Dandys gehörten zu seinen eifrigsten Lesern: Marcel Proust schwärmte von seinem Stil ebenso wie Charles Baudelaire. Ernst Jünger setzte sich ein Leben lang mit ihm auseinander.

Am 23. Januar 1783 wurde der französische Schriftsteller, Einzelgänger und Dandy Marie-Henry Beyle geboren. Er benannte sich nach dem Ort in Deutschland. Hier einige Dandy-Sprüche von Stendhal:

Anders zu sein, erzeugt Hass.
Die Schönheit ist nichts anderes, als das Versprechen von Glück.
Nichts ist den Mittelmäßigen so verhasst, wie geistige Überlegenheit.

Der DANDY-CLUB empfiehlt die Neuübersetzngen seiner beiden großen Romane bei Hanser.

Hier ein Ausschnitt aus einer gelungenen Verfilmung von Rot und Schwarz, dem dandyistischen Entwicklungsroman (Hiltrud Gnüg):

 



Lord Byron wurde vor 225 Jahren geboren

Lord Byron (1788-1824)

 

George Gordon Noel Byron, 6. Baron Byron of Rochdale, wurde heute vor 225 Jahren geboren: am 22. januar 1788. Wir erinnern an den Schriftsteller, Abenteurer und Dandy, dessen Werke heute kaum noch gelesen werden aber in denen von Oscar Wilde und anderen Verehrern weiterleben. Der berühmte Ausspruch Eines Tges wachte ich auf und fand mich berühmt stammt von ihm.


Auf den Grabstein seines Hundes ließ Byron die folgenden Sätze schreiben:
Einst hatte ich der Freunde sieben, sechs liessen mich zu böser Stund;
ein einziger ist mir geblieben – und dieser eine ist mein Hund.
Der jetzt hier ruht, er war ein Freund von mir;
ich kannte einen nur, und der liegt hier.


Hier ist eine fünfteilige Biographie des History-Channels (in Englisch mit russischen Untertiteln) zu sehen:

 



Helga Paris – Photographie

Helga Paris, Selbst im Spiegel, 1971
© Helga Paris

 

 

Helga Paris – Fotografie.
Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig noch bis 27. Januar 2013.
Katalog im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012, Deutsch/Englisch, 207 Seiten mit 133 Abbildungen, gebunden mit Prägung, 39,80 Euro.

 

Der Betrachter steht lange vor dem tristen Schwarz-Weiß-Photo aus der Serie Berlin 1974-82 von Helga Paris und kann seinen Blick nicht wenden. Eindrücklich brennt sich die Ostberliner Winsstraße mit ihrer Reihe parkender Trabbis in sein Gedächtnis ein. Die Luft ist von den Ofenheizungen der Altbauwohnungen in Prenzlauer Berg und den anderen Innenstadtbezirken der Hauptstadt der DDR so vernebelt, dass drei Häuser weiter nichts mehr zu sehen ist.

Es sind wenigen Photographinnen und Photographen aus dem realexistierenden Sozialismus auf deutschem Boden, denen wir heute diese ungeheuer wertvollen Aufnahmen zu verdanken haben. Sie photographierten meist – wie die 1938 in Pommern Geborene – ohne Auftrag. Allerdings nicht nur, wie die Ausstellung »Helga Paris – Fotografie« des Instituts für Auslandsbeziehungen in Leipzig behauptet.

Helga Paris studierte von 1956 bis 1960 Modegestaltung an der Ingenieurschule für Bekleidungsindustrie Berlin. 1966 zog sie mit ihrem Mann Ronald als eines der ersten Künstlerpaare in den Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg. Zusammen befanden sie sich in den Künstlerkreisen, in denen aufs Heftigste über den richtigen politischen Weg und die wahre Kunst debattiert wurde. Anfang der 1970er Jahre bestreitet Helga Paris ihren Lebensunterhalt mit photographischen Reproduktionen von Gemälden und von Auftragsportraits von Künstlern. Nicht untypisch für Photographen in der DDR dieser Zeit, dokumentiert sie das Leben in ihrem Mietshaus: Nachbarn, zu denen man engen Kontakt pflegt, werden bei Feiern oder auch ohne Anlass festgehalten. Für sie wird es selbstverständlich, dass sie Helga Paris photographiert. Ein junger Nachbar präsentiert stolz seinen Anzug zur Jugendweihe im Biedermeier-Schlafzimmer der Eltern. Und er könnte jeder Konfirmand auf der anderen Seite der Mauer sein.

 

 

Helga Paris, Einzelbild aus der Serie Häuser und Gesichter, Halle 1983-85
© Helga Paris

 

 

Als ihr ein Müllfahrer davon erzählt, wie abschätzig er oft behandelt wird, entschließt sich Helga Paris, der Zeitschrift Das Magazin eine Photoserie anzubieten. In der Folge produziert sie noch zwei weitere Serien – über Möbelträger und Berliner Kneipen. Immer entstehen die Aufnahmen in einem engen politisch-sozialen Kontext: Die DDR-Führung verschärfte seit den 1970er Jahren den Druck auf Selbstständige, zu denen auch die Kneipen-Wirte gehörten. Alles sollte staatseigen werden.

1980 reist Helga Paris nach Siebenbürgen, um für den ostdeutschen Brockhaus-Verlag Buch-Illustrationen zu photographieren. Hier treten ihr die Menschen ohne Scheu und falsche Ressentiments vor die Kamera. Später wird sie diese Reise als prägend für ihre weitere Arbeit bezeichnen. Es sind jeweils die einzelnen Werkgruppen, die sehr eindringlich und in sich geschlossen wirken. Gleichzeitig sind sie alle Teile eines beeindruckenden Gesamtwerkes einer bedeutenden DDR-Photographin, die nicht nur dies ist.

Anfang der 1980er Jahre sind ihre eigenen Kinder in einem Alter, wo sie und ihre Freunde nach gesellschaftlicher Orientierung suchen und einige in Konflikt geraten mit dem System. Die Portrait-Serie der Mutter, die Distanz zu wahren weiß, dokumentiert Jugendliche, die anders als die Gleichaltrigen im Westen zu dieser Zeit, bereits ihr eigenes Leben führen und substanziell auf der Suche sind.

Beeindruckend – nicht zuletzt – die in Ausstellung und Katalog präsentierte Serie von Selbstportraits, die zwischen 1981 und 1989 entstanden. Offene und subtile Zeugnisse einer unprätentiösen Selbstsuche.


Helga Paris – Fotografie
Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig – noch bsi 27. Januar 2013
Karl-Tauchnitz-Straße 9-11. D-04107 Leipzig
Büro (0341) 140 81 0. Kasse (0341) 140 81 26.




Marcel Proust und die Musik

Hier hält er keine Gitarre in der Hand: Marcel Proust mit Freunden auf dem Tennisplatz

 

 

Marcel Proust und die Musik. Fünfzehnte Publikation der Marcel Proust Gesellschaft, Insel Verlag Berlin 2012, 305 Seiten, 27 Euro.

 

Die Musik scheint eine Schlüsselrolle in Marcel Prousts großem Romanzyklus À la recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit) zu spielen. Bereits im ersten Buch In Swanns Welt wird der Dandy Swann in den Salon der Verdurins eingeführt, in dem auch mehrere Musiker und Komponisten Stammgäste sind. Bei entscheidenden Besuchen Swanns spielt auch die Musik eine tragende Rolle.

Viel ist in den vergangenen Jahrzehnten über die narrative Funktion der Musik in Proust Erzähl-Strategie geforscht worden. Im November 2009 hat sich ein großes Symposion unter dem Titel »Marcel Proust und die Musik« in Wien dem Thema gewidmet. Auf Einladung der renommierten Marcel Proust Gesellschaft fanden sich Proust-Forscher und -Kenner zusammen, um den Wissensstand zu debattieren und Anregungen für zukünftige Untersuchungen zu geben. Die Beiträge des hochkarätigen Symposions sind nun in Buchform erschienen.

Proust nutzte die Musik geschickt, um Themen in den Roman einzuführen. Darüber hinaus hilft sie dem Autoren als narratives Element, Verknüpfungen und Wiederholungen herzustellen. »Dadurch dass ein dominantes Thema variierend wiederholt werden kann«, schreibt Luc Fraisse in ihrem Beitrag, »erweist sich die Musik als befähigt, der thematischen Weite und der Komplexität der Fiktion Rechnung zu tragen. Hinter einem vordergründigen Thema – die unwillkürliche Erinnerung – ist kontrapunktisch ein anderes verborgen – die Geschichte einer Berufung.« Raffiniert nutzt Proust übrigens die Erwartungshaltung seiner Leser, um diese zu brechen. Dadurch erhöht er den Spannungsbogen. Er verbindet die Musik mit den Erinnerungen seiner Leser. Mit den Bildern, die in ihren individuellen Köpfen auftauchen. So zeigt der Autor Proust, dass jeder das Buch durch den Filter seiner eigenen Wahrnehmung liest.

Aber es gibt viele weitere Dimensionen. Durch die Verschmelzung des Romans mit der Musik beschreitet die Erzählung eine andere Dimension: die der Zeit. Musik provoziert Hören und Vergehen – und damit wiederum die Dimension der Zeitlichkeit. »Aber in erster Linie«, erläutert Luc Fraisse, »entspricht die Musik in ihrer Retardation dem zeitverzögerten Wissen des Romans«. Die Gäste des Salons vergessen ob der musikalischen Darbietung, sich über den Komponisten zu erkundigen. So kann Proust die Musik im Roman erklingen lassen, um dramaturgisch Tabula rasa zu machen. Louis Aragon beschrieb Prousts Vorgehen so: »In diesem Grad der Perfektion verfügt die Musik über die seltsame Macht, gänzliche Leere zu schaffen (…) Sie ist wie ein großes Gedächtnis, in dem sich die Gefilde der Umgebung verlieren. Sie bringt eine untergegangene Landschaft neu oder wieder zur Welt.«

Auch die anderen Beiträge sind profund: der zwischenzeitlich verstorbene Theo Hirsbrunner beschreibt den Wagnerismus in Frankreich zu Zeiten Prousts, Angelika Corbineau-Hoffmann erläutert Prousts Verhältnis zu Beethoven. Arne Stollberg diskutiert die so genannten Leitmotive bei Proust nun auch aus musikwissenschaftlicher Perspektive.

Weitere Aufsätze befassen sich mit der Musikauffassung von Andé Gide (der den ersten Abdruck der Recherche in der Nouvelle Revue Français ablehnte und dies später bitter bereute) im Vergleich zu der von Proust, oder mit der problematischen Wahrnehmung Prousts von Geräuschen. Das Thema wird wahrlich tiefschürfend behandelt.

© Matthias Pierre Lubinsky