Art déco-Architektur in London

Hoover Factory, Wallis Gilbert & Partners, 1935
© Niels Lehmann/Hirmer Verlag 2012

 

 

Modernism London Style – Die Bauten des Art déco.
Niels Lehmann, hrsg. von Christoph Rauhut. 216 Seiten mit über 300 Schwarz-Weiß-Photos, davon 130 in Duplex, gedruckt auf 150g-Papier, gebunden, 39,90 Euro.

 

Die heutige Architektur scheint durch zwei wesentliche Eigenschaften geprägt: Ihr fehlt der Mut zur Komposition. Und sie ist häufig motiviert primär durch das Interesse an Gewinnmaximierung.

 

Es sind immer nur einzelne, die als Rufer in der Wüste gegen eine unmenschliche und ästhetischen Prinzipien widersprechende Architektur protestieren. Denken wir nur an Wolf Jobst Siedler, der mit seinem Buch Die gemordete Stadt in den 1960er Jahren die Frage stellte, ob nicht die alten Hinterhöfe mehr Lebensqualität beherbergen als Satellitenstädte wie die Gropiusstadt oder das Märkische Viertel in Berlin. Damals war er praktisch völlig isoliert – und verließ sämtliche Gremien, da man ihn nicht hören wollte. Heute ist es Common Sense, dass beispielsweise das Kulturforum aus den 1970er Jahren architektonisch misslungen ist.

 

Orientierung tut also dringend not. »Der zeitgenössische architektonische Diskurs«, schreibt Adam Caruso in der Einführung zu Modern London Style – Die Bauten des Art déco, »versenkt sich weiterhin in abstrakten und nicht-architektonischen Themen wie Globalisierung und Technologie«. Stattdessen empfiehlt er, dem Beispiel der Architekten des 19. Jahrhunderts zu folgen und zu »schauen, was uns die Geschichte unserer Disziplin für das Hier und jetzt lehren kann«. Autoren und Herausgeben des Buches empfehlen, Gebäude aus der Epoche des Art déco zu betrachten, um Anregungen und Orientierung für die Bedürfnisse einer Architektur der Gegenwart zu erhalten.

 

So unternimmt das Photobuch den Versuch, den Blick zu lenken »auf die hohe Qualität eines großartigen Erbes, das Produkt einer architektonischen Haltung war«, wie es der Herausgeber Christoph Rauhut beschreibt.

 

Art déco folgte als Architektur- und Kunststil in der Zeit zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Weltwirtschaftskrise direkt dem Jugendstil. Heute sind die Möbel und der Schmuck des Art Déco begehrte Sammler-Objekte. Das liegt vor allem an der ästhetischen Qualität aber auch an der Kürze der Stilrichtung, die mit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise nicht mehr angesagt war. Nun war es nicht mehr ratsam,  mit diesem »Industriellen Design« gestalterisch Eleganz und Form miteinander zu verbinden und dabei kostbare Materialien zu verwenden. Ist  Art déco heute auch sehr begehrt, so war es letztlich gar keine echte eigene Stilrichtung. Es fehlen eindeutige Stilmerkmale oder eine  gestalterische Verbindung, die eine eindeutige Zuordnung ermöglichen würden. Christoph Rauhut legt dezidiert dar, dass die im Buch gezeigten Häuser nach gewissen Kriterien einer Zugehörigkeit ausgewählt wurden, – dass diese Auswahl jedoch letztlich subjektiv sein muss. Ziel des Werkes sei, Interessierte an »den formalen Reichtum, die gestalterische Idee und die physische Präsenz« der Gebäude teilhaben zu lassen. In der Tat sind es Häuser wie die hier präsentierten, die heute den Innenstädten Leben einhauchen. Sie werden betrachtet, lassen die Blicke des Publikums für einen Augenblick auf sich ruhen und machen neugierig.

 

Das wohlfeil gestaltete Buch dokumentiert etwa 230 Gebäude im Art déco-Stil in London in ganzseitigen Schwarz-Weiß-Photographien, die eigens gemacht wurden. Ein Verzeichnis gibt Auskunft über Namen, Bauzeit und Architekten – soweit diese Daten bekannt sind. Angefügte Karten ermöglichen Spaziergänge durch London, um die Art-déco-Häuser gezielt aufzusuchen.

 

Erstaunt ist man über die Menge von Art déco-Architektur in der britischen Hauptstadt. Interessant ist, dass zwar die meisten Häuser in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre gebaut wurden. Dennoch entstanden einige noch nach dem Zweiten Weltkrieg, wie der St. Georg‘s Court (1948-50) oder der Milkmaid Pavillon in den 1950er Jahren. Ein äußerst gelungenes und ästhetisches Buch, dessen Publikation einer erfolgreichen Crowdfunding-Initiative zu verdanken ist. Seinem Anliegen der Schärfung des Interesses für eine herausragende Architektur-Periode ist größte Aufmerksamkeit zu wünschen.

 

 

Offices One Prescot Street, L.G. Ekins, 1933
© Niels Lehmann/Hirmer Verlag 2012

 

 

Simmonds Aerocessories Factory, Wallis Gilbert & Partners, 1942
© Niels Lehmann/Hirmer Verlag 2012

 

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