Helga Paris – Photographie

Helga Paris, Selbst im Spiegel, 1971
© Helga Paris

 

 

Helga Paris – Fotografie.
Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig noch bis 27. Januar 2013.
Katalog im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012, Deutsch/Englisch, 207 Seiten mit 133 Abbildungen, gebunden mit Prägung, 39,80 Euro.

 

Der Betrachter steht lange vor dem tristen Schwarz-Weiß-Photo aus der Serie Berlin 1974-82 von Helga Paris und kann seinen Blick nicht wenden. Eindrücklich brennt sich die Ostberliner Winsstraße mit ihrer Reihe parkender Trabbis in sein Gedächtnis ein. Die Luft ist von den Ofenheizungen der Altbauwohnungen in Prenzlauer Berg und den anderen Innenstadtbezirken der Hauptstadt der DDR so vernebelt, dass drei Häuser weiter nichts mehr zu sehen ist.

Es sind wenigen Photographinnen und Photographen aus dem realexistierenden Sozialismus auf deutschem Boden, denen wir heute diese ungeheuer wertvollen Aufnahmen zu verdanken haben. Sie photographierten meist – wie die 1938 in Pommern Geborene – ohne Auftrag. Allerdings nicht nur, wie die Ausstellung »Helga Paris – Fotografie« des Instituts für Auslandsbeziehungen in Leipzig behauptet.

Helga Paris studierte von 1956 bis 1960 Modegestaltung an der Ingenieurschule für Bekleidungsindustrie Berlin. 1966 zog sie mit ihrem Mann Ronald als eines der ersten Künstlerpaare in den Arbeiterbezirk Prenzlauer Berg. Zusammen befanden sie sich in den Künstlerkreisen, in denen aufs Heftigste über den richtigen politischen Weg und die wahre Kunst debattiert wurde. Anfang der 1970er Jahre bestreitet Helga Paris ihren Lebensunterhalt mit photographischen Reproduktionen von Gemälden und von Auftragsportraits von Künstlern. Nicht untypisch für Photographen in der DDR dieser Zeit, dokumentiert sie das Leben in ihrem Mietshaus: Nachbarn, zu denen man engen Kontakt pflegt, werden bei Feiern oder auch ohne Anlass festgehalten. Für sie wird es selbstverständlich, dass sie Helga Paris photographiert. Ein junger Nachbar präsentiert stolz seinen Anzug zur Jugendweihe im Biedermeier-Schlafzimmer der Eltern. Und er könnte jeder Konfirmand auf der anderen Seite der Mauer sein.

 

 

Helga Paris, Einzelbild aus der Serie Häuser und Gesichter, Halle 1983-85
© Helga Paris

 

 

Als ihr ein Müllfahrer davon erzählt, wie abschätzig er oft behandelt wird, entschließt sich Helga Paris, der Zeitschrift Das Magazin eine Photoserie anzubieten. In der Folge produziert sie noch zwei weitere Serien – über Möbelträger und Berliner Kneipen. Immer entstehen die Aufnahmen in einem engen politisch-sozialen Kontext: Die DDR-Führung verschärfte seit den 1970er Jahren den Druck auf Selbstständige, zu denen auch die Kneipen-Wirte gehörten. Alles sollte staatseigen werden.

1980 reist Helga Paris nach Siebenbürgen, um für den ostdeutschen Brockhaus-Verlag Buch-Illustrationen zu photographieren. Hier treten ihr die Menschen ohne Scheu und falsche Ressentiments vor die Kamera. Später wird sie diese Reise als prägend für ihre weitere Arbeit bezeichnen. Es sind jeweils die einzelnen Werkgruppen, die sehr eindringlich und in sich geschlossen wirken. Gleichzeitig sind sie alle Teile eines beeindruckenden Gesamtwerkes einer bedeutenden DDR-Photographin, die nicht nur dies ist.

Anfang der 1980er Jahre sind ihre eigenen Kinder in einem Alter, wo sie und ihre Freunde nach gesellschaftlicher Orientierung suchen und einige in Konflikt geraten mit dem System. Die Portrait-Serie der Mutter, die Distanz zu wahren weiß, dokumentiert Jugendliche, die anders als die Gleichaltrigen im Westen zu dieser Zeit, bereits ihr eigenes Leben führen und substanziell auf der Suche sind.

Beeindruckend – nicht zuletzt – die in Ausstellung und Katalog präsentierte Serie von Selbstportraits, die zwischen 1981 und 1989 entstanden. Offene und subtile Zeugnisse einer unprätentiösen Selbstsuche.


Helga Paris – Fotografie
Galerie für zeitgenössische Kunst Leipzig – noch bsi 27. Januar 2013
Karl-Tauchnitz-Straße 9-11. D-04107 Leipzig
Büro (0341) 140 81 0. Kasse (0341) 140 81 26.