Ernst Jünger – 15. Todestag

Ernst Jünger: 15 Jahre nach seinem Tod eine europäische Ikone
© DANDY-CLUB 2013

 

 

Am 17. Februar 1998 starb der Schriftsteller Ernst Jünger nur wenige Wochen vor seinem 103. Geburtstag.

 

 

Jüngers Dandyismus trat wohl kaum jemals wieder so deutlich zutage wie in seiner Pariser Zeit der Jahre zwischen 1941 und 1944. Obwohl als Besatzungsoffizier in Frankreich, bat er darum, von der Pflicht, Uniform tragen zu müssen, befreit zu werden, was ihm bewilligt wurde. Seine Lieblingsbeschäftigung war es, bei den Antiquaren am Seineufer zu stöbern und mit den Buchhändlern über bestimmte, besonders rare und bibliophile Bücher zu sinnieren.  „Während der Mittagspause bei Berès, dort in den Büchern gewühlt. Erstand die ‚Monographie Du Thé’ von J. G. Houssaye, Paris 1843, mit schönen Gravüren, leider am Einband etwas wurmstichig. Dann ‚La Ville et la République de Venise’ von St. Didier, Paris 1660 bei De Luyne. Der Einband sehr schön und unverwüstlich, ganz Pergament mit eingekniffenen Ecken und Pergamentbünden. Endlich Lautréamont: ‚Préface à un livre futur’, erschienen 1932, auch in der großen Bücherstadt Paris.“

 

Jünger sucht die Photographin Florence Henri auf, um sich porträtieren zu lassen (13. Juli 1942) oder verschwendet ausgiebig Gedanken an ein Ex Libris, das er sich anfertigen lassen möchte (12. Oktober 1941): „Oben ein Stern als Sinnbild des Unveränderlichen, Führenden, darunter ein Spruchband oder eine Wolke nach der Devise: ‚In Stürmen reife ich’. Jünger sieht sich in Paris wie auf einem Schiff, das in starkem Unwetter segelt.

 

Besonders instruktiv für Jüngers Anspruch, die nationalsozialistische Periode moralisch integer zu überstehen, ist die Eintragung vom 15. Oktober 1941, in der er von einem Besuch bei dem französischen Schriftsteller Sacha Guitry berichtet. Der Leutnant ist dort als Privatmann und vereinigt sich mit dem Gastgeber im Raum des Ästhetischen. „Mittags mit Speidel bei Sacha Guitry, in der Avenue Elysées Reclus. Vor dem Hause, auf städtischem Boden, steht die Büste des Vaters, des Schauspielers Lucien Guitry, und im Garten ein weiblicher Torso von Rodin, aufgewirbelt von höchster Lust.“

 

Ein Dandy besucht einen Dandy. „Zur Begrüßung überreichte Guitry mir eine Mappe mit je einem Briefe von Octave Mirbeau, Léon Bloy und Debussy – drei der Autoren, über die wir bei unserer ersten Begegnung gesprochen hatten. Und bat mich, diese Stücke in meine Sammlung einzureihen. Besonders das Blättchen von Bloy ist schön, mit persönlichen Bemerkungen und einer eigenen, monumentalen Schrift.“

 

Eine sehenswerte Dokumentation des ORF über Ernst Jünger:

 

Nick Cave – Push The Sky Away

Ab heute erhältlich: Die neue Platte von Nick Cave

 

 

Nick Caves neue Platte Push The Sky Away ist ab 15. Februar 2013 erhältlich: Ruhige, sinnliche Balladen, die zum Nachdenken – und Genießen einladen.

Die Musik kann in den verschiedenen Varianten – auch als Vinyl – auf der Website von Nick Cave geordert werden.

Hier ein offizielles Video vom Making-Off:



Stefan George – Tage und Taten

Stefan George (1868-1933)

 

 

Stefan George, Tage und Taten. Aufzeichnungen und Skizzen. Sämtliche Werke Band XVII. Klett-Cotta 1998, 133 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, 25 Euro.

 

»Dies sind jahre monate und stunden die in regelmässigen reihen sich ansammeln um mit festlichen worten für alle zeiten zeugnis zu geben von unserem erdenwandel. Uns führte von einem wegesend zum andern ein unscheinbarer stern und dieses sternes name ist betrachtung«, schreibt Stefan George als »Einleitung der Gesamtausgabe«. Weiter: »Eben am andern ende stehen bleibend lenken wir unsre augen zurück nach den gefilden durch die wir gezogen sind. Dieselbe sonne des herbstes welche uns einst auf reisen entsandte drückt auf unsere stirnen den abschiedskuss […] Wenn wir es nicht erreicht haben mehr gutes zu vollbringen so war es das eine: Gott versah uns nicht mit grösseren kräften gutes zu vollbringen …«


Diese Einleitung ist zusammen mit anderen kurzen Prosa-Stücken enthalten in Band XVII der auf 18 Bände angelegten Ausgabe der Sämtlichen Werke von Stefan George. Nun wird sie mit Erscheinen des letzten Bandes, gleichzeitig des Schlussbandes, Ende Februar abgeschlossen werden. Die Neuedition folgt sowohl in Wortlaut wie in der Bandaufteilung der 18-bändigen »Gesamtausgabe der Werke endgültige Fassung«, die vom Dichter noch selbst angestrengt worden war. Die Erstausgabe ist heute eine antiquarische Rarität und eine Wertanlage. Der Abschluss der Neuausgabe zum 80. Todestag von George am 4. Dezember 2013 ist ein Ereignis. Endlich kann Deutschland wieder einem seiner großen literarisch huldigen!

 

Wie bei den anderen Bänden dieser Ausgabe auch, so enthält Band XVII, Tage und Taten – Aufzeichnungen und Skizzen einen ausführlichen Anmerkungsapparat. Ute Oelmann erläutert hierin die Entstehungsgeschichte des schmalen Bandes, der auf den Prosaband »Tage und Taten« aus dem Jahr 1903 zurückgeht. Er erschien als Privatdruck im Verlag »Blätter für die Kunst« und versammelte kurze Texte, die zuvor in der gleichnamigen Zeitschrift veröffentlicht worden waren – allerdings ohne Angabe des Verfassers. Ute Oelmann schreibt: »Angesichts dieser Zurückhaltung, die auch im Untertitel noch mitklingen mag, erstaunt der Haupttitel TAGE UND TATEN, verweist er doch auf Hesiods großes Lehrgedicht ‚Erga kai hemerai‘, das der Zyklus TAGE UND TATEN im Erstdruck der »Blätter für die Kunst« auch explizit als Motto zitiert.« Ute Oelmann konzediert, George hätte auf die Antike zurückgegriffen »angesichts der Okkupation der Prosa durch Roman und Feuilleton«.

 

Dieser schmale 18. Band enthält Georges sinnliche »Sonntage auf meinem Land«, die unter dem Titel »Tage und Taten« zusammengefügten Prosa-Skizzen, »Träume«, die »Lobreden« über unter anderen Mallarmé, Verlaine, Jean Paul und Hölderlin und einige andere skizzenhafte Stücke, die das Gesamtwerk vervollständigen.

 

»Du liebst das alles · und das ist der grund weswegen ich bei dir leben mag«, schreibt George in »Winter-Schauer«. Wir lesen es mit Gefallen, lassen das Buch auf unseren Bauch sinken und schauen aus dem Winterfenster.

 

 


Berlin, Fruchtstraße am 27. März 1952

Berlin, Fruchtstraße photographiert am 27. März 1952
© Arwed Messmer, photographiert von Fritz Tiedemann, rekonstruiert und interpretiert von Arwed Messmer

 

 

Der DANDY-CLUB gratuliert dem Hatje Cantz Verlag, Herausgebern und Autoren zum Deutschen Fotobuchpreis in Silber:


Berlin, Fruchtstraße am 27.März 1952.
Historische Aufnahmen von Fritz Tiedemann.
Rekonstruiert und interpretiert von Arwed Messmer (Bild) und Annett Gröschner (Text).
Gestaltung von Carsten Eisfeld. Hatje Cantz Verlag 2012, Deutsch/ Englisch, 142 Seiten, 67 Abbildungen 8 Klapptafeln, 38 Euro.

 

Am Vormittag des 27. März 1952 photographiert Fritz Tiedemann die Häuserfront der Fruchtstraße in Berlin-Friedrichshain. Er hatte den Auftrag dazu vom Magistrat von Ost-Berlin erhalten. Man wollte wohl die alte Bebauung noch einmal begutachten, bevor sie endgültig abgerissen wird und modernen Zweckbauten Platz macht. Die Stadt war schon getrennt. Die endgültige Teilung durch die Mauer kam erst zehn Jahre später. Den Osten verwaltete der Magistrat unter Aufsicht der Sowjets. In den drei westlichen Bezirken hatten die Stadtkommandanten von Amerikanern, Engländern und Franzosen das Sagen.

Fritz Tiedemann arbeitete technisch präzise. 31 Mal stellte er seine riesige Plattenkamera auf das Stativ, um die 22 Häuser der Straße, die heute Straße der Pariser Kommune heißt, zu dokumentieren. Auf der anderen Straßenseite, jeweils vor dem Haus, stand sein Assistent mit einer etwa vier Meter hohen Messlatte, die er an die Fassade zu halten hatte. Die Verwaltung wollte wohl ungefähr wissen, wie hoch die Häuser sind.

2006 entdeckt der Künstler Arwed Messmer bei Recherchen zu einem Buch zahlreiche Photos in der Architekturabteilung der Berlinischen Galerie. Schnell wurde ihm bewusst, dass es sich hierbei um eines der ganz wenigen noch erhaltenen Konvolute topographischer Architekturphotographie Berlins in der frühen Nachkriegszeit handelt. Zwei Jahre später ist der Name des Photographen bekannt. Arwed Messmer digitalisiert die Aufnahmen und macht aus ihnen ein großformatiges Panorama der Fruchtstraße. Dies wird in der Berlinischen Galerie mit großem Erfolg ausgestellt.

 

Die Fruchtstraße in Berlin-Friedrichshain 1952 – vor ihrem Abriss
© Arwed Messmer, photographiert von Fritz Tiedemann, rekonstruiert und interpretiert von Arwed Messmer

 

 

Die Autorin Annett Gröschner machte mit Messmer nun ein Buch aus dem ungeheuren Material. Berlin, Fruchtstraße am 27. März 1952 zeigt ganzseitig die Aufnahmen Tiedemanns. Blätternd kann der Betrachter nun zu Hause die damalige Arbeiterstraße an einem hellen Vormittag abschreiten. Einzelne Passanten hetzen an den Fassaden vorbei. Die jüngeren sind arbeiten oder gehen anderen Geschäften nach, die meisten Kinder sind in der Schule. Einzelne stehen mit ihren Schulranzen vor Hauseingängen. Ist die Schule schon zuende? Die, die vorbei laufen, hetzen. Ihnen ist die Geschwindigkeit anzumerken, in der sie ihre Einkäufe und Erledigungen tun müssen. Flaniert wird hier und jetzt nicht. Der Assistent des Photographen ist mit seiner Messlatte auf jedem einzelnen Photo und löst so beim Betrachter unwillkürlich ein Schmunzeln aus. Nach einigen Hausnummern ist es ihm zu blöd: Er hält die Messlatte nicht mehr in der Hand; er hat sie an die Häuserwand gelehnt – und seine Hände tief in seine Taschen gebohrt. Es scheint also Ende März noch recht kalt gewesen zu sein, – auch dies lässt sich so rekonstruieren.

Nicht nur die einzelnen Bilder und die den Gesamteindruck der Straße vertiefenden Klapptafeln des sehr ästhetischen Buches geben ein Gefühl für diese uralte Arbeiterstraße. Nicht minder Qualitätsvoll sind die Texte – alle Texte – des Querformats. Die Beiträge ergänzen den Band in hervorragender Weise und lassen einen in die Zeit, ja beinahe in diese Umgebung, eintauchen. Hier waren Künstler und Autoren am Werk, die dies wirklich machen wollten, spürt der Leser. Florian Ebner gibt in seinem Beitrag Einblicke in »Arwed Messmers und Annett Gröschners Methode einer dokumentarischen Empathie«. Annett Gröschner geht mit dem Leser durch jedes Haus; manchmal sogar durch die Wohnungen. Sie erzählt Geschichte und Geschichten.  Spannend, faszinierend und mitnehmend.  Kostprobe:

»Herbert F., der mit seinen Eltern in der Großen Frankfurter Straße ausgebombt wurde, bekam mit Eltern und Schwester im Juni 1945 eine Zuweisung für eine geteilte Wohnung im Vorderhaus der Fruchstraße 61, dessen linke Hälfte nur noch eine Ruine war. Sieben Familien teilten sich die fünf noch intakten Wohnungen. Bis 1950 lebte Familie F. zu viert in einem Zimmer der unzerstörten Wohnung in der 3. Etage, in den anderen beiden Zimmern hauste eine fünfköpfige Familie. Zwar hatte jede Familie eine Küche, aber neun Personen mussten sich eine Toilette teilen. In der ruinösen Wohnung nebenan hielten die Familien Kaninchen und zeitweise auch Hühner. Das Grünfutter musste aufwendig aus den Außenbezirken geholt werden.«

Bereits kurz nach Erscheinen erhielt das gestalterisch und inhaltlich sehr ansprechende Buch den Deutschen Fotobuchpreis 2013 in Silber und den DAM Architectural Book Award 2012.

Chapeau!

 

 

Ein Einzel-Photo mit dem Gehilfen und seiner Messlatte
© Arwed Messmer, photographiert von Fritz Tiedemann, rekonstruiert und interpretiert von Arwed Messmer

 

 

 



Harold Edgerton – Seeing the Unseen

Harold Edgerton, Fanning the cards, 1940
© Harold Edgerton, 2013, courtesy of Palm Press, Inc.

 

 

Der US- amerikanische Wissenschaftler und Photo-Pionier Dr. Harold Edgerton (1903-1990) wird noch bis zum 8. März 2013 in der Bonner Feroz Galerie präsentiert. Durch seine technischen Entwicklungen trug Edgerton dazu bei, Bewegungsabläufe anzubilden, die für das bloße Auge nicht sichtbar sind. Zu sehen sind Photographien von nächtlicher Luftaufklärung, Atombombenexplosionen, Geschosse in ihrer Flugbahn und das oben gezeigte Bild eines Kartenkünstlers.

 

Feroz Galerie

Prinz-Albert-Str. 12, D-53113 Bonn
T +49 (0)228-28 63 44 11
www.feroz.tv
Di-Fr 14-19 Uhr

Friedrich Nietzsche – Lernt mich gut lesen!

Du sollst der werden, der Du bist. – Friedrich Nietzsche

 

 

Friedrich Nietzsche, Lernt mich gut lesen! – Hrsg. von Rüdiger Schmidt-Grépály. L.S.D. Verlag 2012, 213 Seiten, geb. in Leinen mit Leseband, 16 Euro.

 

Wir beginnen unsere Buchvorstellung einmal anders. Mit einem Rätsel. Von wem sind die folgenden  frechen Sätze?

 

– Und warum sollte ich nicht bis ans Ende gehen? Ich liebe es, reinen Tisch zu machen. Es gehört selbst zu meinem Ehrgeiz, als Verächter der Deutschen par excellence zu gelten. Mein M i s s t r a u e n  gegen den deutschen Charakter habe ich schon mit sechsundzwanzig Jahren ausgedrückt (…) – die Deutschen sind für mich unmöglich. Wenn ich mir eine Art Mensch ausdenke, die allen meinen Instinkten zuwiderläuft, so wird immer ein Deutscher daraus. Das Erste, worauf hin ich mir einen Menschen ‚nierenprüfe‘, ist, ob er ein Gefühl für Distanz am Leibe hat, ob er überall Rang, Grad, Ordnung zwischen Mensch und Mensch sieht, ob er  d i s t i n g u i r t  : damit ist man gentilhomme (…)


Noch ein paar Hinweise: Der Autor schätzt Stendhal, den er als »tiefen Psychologen« rühmt. Richtig, das tun Marcel Proust und Ernst Jünger auch. Hier jedoch geht’s um Friedrich Nietzsche, den alten Pulverkopp (Ernst Jünger). Der bedeutende Philosoph, wohl der wichtigste des 19. Jahrhunderts überhaupt, ist seinen Lesern allerdings leider bekannt durch Schriften, die niemals in seinem Sinne erschienen. Elisabeth-Förster Nietzsche, seine Schwester und Nachlassverwalterin, fühlte sich berufen, das Gesamtwerk nach eigenem Gutdünken zu publizieren. Da wurde gestrichen, zensiert und die Reihenfolge verändert, wie sie es für richtig hielt. Nachfolgende Werkausgaben, insbesondere die vielgerühmte der beiden Italiener Colli und Montinari, suchten diese Fehler zu korrigieren. Doch ein Manko haben auch die bisher besten Ausgaben: Sie alle entsprechen nicht dem Willen Nietzsches, der klar ein Werk letzter Hand hinterlassen hat. Keinem Geringeren als Karl Lagerfeld ist es nun zu verdanken, dass demnächst eben diese Ausgabe erscheinen wird. Und nicht nur wird sie die von Nietzsche zur Veröffentlichung bestimmten Texte in ihren jeweiligen, letzten Fassungen enthalten und in der entsprechenden Reihenfolge. Darüber hinaus wird sie die Original-Manuskripte jedem Band in einer Kassette beifügen.

 

Als Apetizer ist nun Friedrich Nietzsche – Lernt mich gut lesen!, herausgegeben vom Leiter des Kollegs Friedrich Nietzsche der Klassik Stiftung Weimar, Rüdiger Schmidt-Grépály, erschienen. Der bibliophile Band enthält Aphorismen, Essays, Selbstkritik und Entstehungsschilderungen von Nietzsche, die seinem Denkweg folgen, wie der Herausgeber in seiner Vorbemerkung schreibt. Er betont, dass diese Texte, wie alle der demnächst erscheinenden Werke Nietzsches letzter Hand vom Autoren selbst entweder zu Lebzeiten publiziert worden sind oder in Turin, seiner letzten bewussten Lebensstation, für druckfertig erklärt. Dies Buch ist also quasi eine Art Reader; es eignet sich als Einführung ins Werk und Denken des radikalen Philosophen ebenso wie auch für jemanden, der sich vor vielen Jahren mit ihm befasst hat – als eine profunde Wieder-Begegnung. Besser, als viele Einführungen, die auf dem Markt sind. Geeignet ist das Buch auch für alle, die ihre Scheu vor Nietzsche oder der Philosophie allgemein verlieren wollen. Nietzsche schreibt absolut verständlich über den Autor, über gute und schlechte Bücher, über die Leser, die er sich wünscht und die, welche fernbleiben können. Der Band zeigt auch, dass der Denker Humor hatte und stets mit einem Augenzwinkern schrieb. Das ist heute nicht mehr allgemein bekannt. Und nicht zuletzt dies macht ihn so lesenswert. Doch was nützt die beste Rezension. Nietzsche selbst wusste es am treffendsten zu formulieren:

 

Ohr und Herz und Unterkunft!
Glaubt mir, Freunde, nicht zum Fluche
Ward mir meine Unvernunft!
Was i c h  finde, was i c h  suche -,
Stand das je in einem Buche?
Ehrt in mir die Narren-Zunft!
Lernt aus diesem Narrenbuche,
Wie Vernunft kommt – „zur Vernunft“!
Also, Freunde, soll’s geschehn? –
Amen! Und auf Wiedersehn!

 

Friedrich Nietzsche (1844 – 1900)

Mark Shaw

Mark Shaw, Pablo Picasso in Studio #5,  Cannes, France, 1955
© (2011) Mark Shaw/mptvimages.com
Courtesy Andrew Wilder Gallery

 

 

Mark Shaw gehörte zu den angesehensten Portrait- und Mode-Photographen in den 1950er und 1960er Jahren. Shaw, der eigentlich Mark Schlossmann hieß und 1921 geboren wurde, dokumentierte das Privatleben von John F. Kennedy und dessen Familie in Bildern, die stilprägend waren.

Wie kaum einem anderen gewährten die großen Modemacher Shaw Zutritt – auch hinter die Kulissen der Schauen: Dior, Chanel und Balenciaga. Berühmt sind Shaws Photographien der Schickeria in Manhattan und des europäischen Adels. Innerhalb von weniger als zehn Jahren gaben seine Photos 27 Mal das Titelbild des LIFE Magazine.

Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, mit 47 Jahren, setzte ein Herzinfarkt seinem Leben ein jähes Ende. Sein gesamtes Archiv wurde eilig in ein Lager gebracht, wo es 40 Jahre später von seinem Erben geborgen wurde: Zehntausende Filmrollen bargen ungeheure Schätze. Es dauerte fast zehn Jahre, ehe der Galerist Andrew Wilder die Aufarbeitung des Bestandes abschließen konnte. Nun zeigt seine Galerie, die im Herzen des Galerienviertels La Brea in Los Angeles liegt, eine Auswahl der bedeutendsten Arbeiten Shaws, die zu kaufen sind.

 

 

Mark Shaw, Henrietta Tiarks at Palais Royale, Paris, 1959
© (2011) Mark Shaw/mptvimages.com
Courtesy Andrew Wilder

 

 

Mark Shaw, Nico with Dachshunde in the apartment of Henri Samuel, Paris, 1960
© (2011) Mark Shawmptvimages.com
Courtesy Andrew Wilder

 

 

 

Andrew Wilder Gallery
Andrew Wilder
154 North La Brea Avenue, Los Angeles, CA 90036
phone: + 323-934-4452
email: info@andrewwildergallery.com
www.andrewwildergallery.com

 

 

 

Martin Walser – Der Leser hat das Wort

Der Verleger W. Georg Olms

 

 

Am 13. Juli 2012 lud die Stiftung Universität Hildesheim zu einer Festveranstaltung zum 85. Geburtstag von W. Georg Olms. Der Ehrensenator der Universität ist Gründungsverleger des Georg Olms Verlags.

Höhepunkt des Festprogramms war eine Rede vom Martin Walser. In einer kurzen Eloge würdigte der Schriftsteller den Verleger aus seiner Generation mit launigen Einblicken in sein eigenes Leben als Leser. Martin Walser schildert seine ersten Leseerfahrungen ebenso wie Lektüren, die ihn besonders geprägt haben.

Walser beschreibt süffisant, wie er selbst sein Menschsein als – Leser wahrnimmt:

»Mögen andere sich im Spiegel erleben oder an Konferenztischen oder am Steuer eines Autos, der Leser erlebt sich, entdeckt sich in Büchern. Ein Leser ist nie allein. Leser erkennen einander. Auf jeden Fall spüren sie, wenn einer ein Nicht-Leser ist. Lesen, das kennen alle Leser, lesen ist nicht wie Musikhören, sondern wie Musizieren. Was beim Musizieren in uns passiert, das passiert in uns beim Lesen. Wir werden etwas, was wir sonst nicht sind …«

Die elegante kleine Rede mit dem Titel Der Leser hat das Wort – Eine Liebeserklärung ist nun im Buchhandel erhältlich.

Martin Walser, Der Leser hat das Wort. Eine Liebeserklärung. Georg Olms Verlag, Hildesheim 2012, 23 Seiten, 7,80 Euro.





Alberto Giacometti – Begegnungen

Alberto Giacometti mit Skulpturen. Photographie von Gordon Parks, 1951
© The Gordon Parks Foundation/ Succession Alberto Giacometti, 2013

 

 

Alberto Giacometti – Begegnungen.
Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, Hamburg noch bis 20. Mai 2013.
Katalog: Hirmer Verlag, München 2013, 204 Seiten, geb. mit Schutzumschlag, 39,90 Euro.

 

»An der Schönheit ist nur die Wunde ursprünglich, die jeder Mensch in sich hütet«, schrieb der französische Schriftsteller Jean Genet 1957 in seinem berühmten Essay über seinen Freund Alberto Giacometti. Und weiter »… einzigartig, für jeden verschieden, sichtbar oder versteckt – die er wahrt und zu der er sich zurückzieht, wenn er die Welt für eine vorübergehende, aber tiefe Einsamkeit verlassen will.« Dieser Kunst liege fern, was man ‚Miserabilismus‘ nenne; Giacomettis Kunst scheine ihm »diese geheime Wunde jedes Wesens und selbst jedes Dinges aufdecken zu wollen«.

 

Alberto Giacomettis (1901-1966) Portraits stehen in seinem Gesamtwerk in zentraler Position. Bereits seine ersten Portraits in den 1920er und frühen 1930er Jahren zeigen, dass er sich als Schöpfer des Abbildes für den Blick seines Gegenübers interessiert. Ihm gilt dieser Blick als Ausdruck von Lebensenergie. Giacometti suchte, den individuellen Ausdruck des Menschen in möglichst radikale geometrische Abstraktion zu transformieren.  Eine Ausstellung im Bucerius Kunst Forum, Hamburg widmet sich nun zum ersten Mal konsequent der Portraitkunst Giacomettis. Diese offenbare seine Persönlichkeit und seine Weltauffassung wie kein anderes Genre seines Schaffens, argumentieren die Ausstellungsmacher.

 

Giacomettis Portraitbüsten sind wie kaum andere Kunstwerke Embleme der Distanz zwischen Portraitiertem und Künstler. Diese Distanz hielt Giacometti für unüberwindbar. Im Paris der Zwischenkriegszeit bekam er Kontakt zu den Surrealisten: 1928 macht ihn André Masson mit Hans Arp, Joan Miró und Max Ernst bekannt. 1930 zeigt sich André Breton von der Skulptur Schwebende Kugel begeistert, die er in einer Galerie sieht, und nimmt Giacometti in seinen Kreis auf. Vier Jahre später verabschiedet sich der Geehrte aus dem dogmatischen und auf Bretons Diktatur ausgerichteten Zirkel mit einem Federstreich: Während eines Treffens setzt er sich der Vereinnahmung zu wehr und ruft aus, alles Bisherige, was er geschaffen hat, wäre nur Masturbation gewesen. 1939 lernt er Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir kennen; der Existentialismus prägt fortan sein weiteres Schaffen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wird Giacometti allmählich bekannt und erfolgreich – zuerst in Paris, dann im übrigen Europa und in den Vereinigten Staaten. 1966 stirbt er in Chur im schweizerischen Kanton Graubünden.

 

Alberto Giacometti, Annette stehend, um 1954, Privatsammlung, Schweiz
© Succession Alberto Giacometti

 

 

Giacomettis Œuvre beschränkt sich eben nicht auf die Skulpturen, deren Bedeutung in der Kunstgeschichte fast ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod immer gewichtiger wird. Neben den gemalten und gezeichneten Portraits und anderen Objekten war er – was nicht hinlänglich bewusst ist – auch ein Autor von Rang. Giacometti schrieb Gedichte, Essays, Kunstkritik und eine Vielzahl von Briefen. Michael Peppiatt stellt ihn als Autor in seinem Beitrag im ästhetisch gestalteten Katalog auf die Stufe von Delacroix oder van Gogh.

 

In Giacomettis Atelier war der Boden stets übersäht mit Gipsstücken, verworfenen Skulpturteilen  und Zetteln. Der Künstler hatte die Eigenschaft, alles Mögliche, was ihm einfiel, zu notieren. Einiges floss in später publizierte Texte ein. Vieles wurde verworfen. Überhaupt ist Giacometti ohne die Photos aus seinem Atelier nicht wirklich zu verstehen. Wer sich für sein Werk interessiert und wer die Ausstellung besucht, sollte sich Zeit nehmen zur Betrachtung gerade dieser ungeheuren Atelier-Photos. Sie zeigen das Innere, die Brutstätte, das Refugium eines permanent mit seiner Darstellung des Wahrgenommenen Beschäftigten. Sein kleines Atelier in der Nähe von Montmartre mietete er 1927 an – und nutzte es bis zu seinem Tod. Es war für ihn Schöpfungs-Höhle und Um-Gebung zugleich.

 

Der Katalog aus dem Münchner Hirmer Verlag dokumentiert alle ausgestellten Objekte in großzügigem Format. Angereichert ist der gelungene Band durch Beiträge, die im Juni 2012 auf dem international besetzten Bucerius Kunst Forum gehalten worden sind.

 

Alberto Giacometti, Annette, sitzend, 1954,
© Succession Alberto Giacometti

 

 

 



Paul Klee – Leben und Werk

Photographien aus dem Leben Paul Klees. Doppelseite aus der Werk-Biographie
© Hatje Cantz/ Zentrum Paul Klee 2012

 

 

Paul Klee – Leben und Werk.
Hrsg. vom Zentrum Paul Klee Bern. Hatje Cantz Verlag 2012, 343 Seiten, ca. 500 Abbildungen. 49,80 Euro.

 

»Wir leben heute nicht in einer Zeit, in der die Kunst die Helferin des Lebens ist«, schrieb Herwarth Walden im Vorwort des Katalogs zum Ersten deutschen Herbstsalon, Berlin 1913. »Echte Kunst« sei »die Gleichung, die abstrakt gesinnte Geister aus dem Leben ziehen, wunschlos, zwecklos und ohne Hader. In anderen Zeiten ist die Kunst die Hefe, die den Teig der Welt durchsäuert,- solche Zeiten sind heute fern. Bis sie erfüllt sind, muß sich der Künstler in gleicher Ferne vom offiziellen Leben halten.«


Diese pessimistische Einschätzung ist nun genau 100 Jahre alt. Sie mag uns heute an das, was gesellschaftlich geschieht, gemahnen. Und daran, welches Verhältnis Kunst dazu hat. Paul Klee (1879-1940) war einer der Teilnehmer des Berliner Herbstsalons. Und obwohl er heute als einer der bedeutendsten Künstler der Moderne gilt, war sein Verhältnis zu bedeutenden avantgardistischen Strömungen wie dem Kubismus durchaus ambivalent. Eine umfassende Monographie Paul Klee – Leben und Werk gewährt nun zum ersten Mal in diesem Umfang einen Einblick in die Biographie dieses außergewöhnlichen Mannes und sein Œuvre. Paul Klees Auseinandersetzung mit dem Kubismus sollte für ihn selbst wegweisend werden und für die moderne Kunst folgenreich. Kandinsky und Robert Delaunay waren radikale Erneuer und angetreten, um abgestumpfte Sehgewohnheiten zu zerstören. Klee beeindruckte die Kühnheit, mit der die Kubisten über die lediglich äußerliche Erscheinung des Sichtbaren hinaus nun zu einer Analyse der inneren Struktur vordrangen. In einem Brief aus Paris an den Künstlerkollegen Alfred Kubin erklärte Klee, dass er »die neuesten Bestrebungen […] schätzen lernte«. Dennoch habe für ihn »die Ausarbeitung des Persönlichen« Vorrang.

 

 

Paul Klee in seinem Atelier in Weimar, 1923
Photo: Felix Klee

 

 

Wie kaum eine Publikation zuvor, lässt die opulente Werk-Biographie das Entstehen von Klees Werk innerhalb seines Lebens anschaulich werden. Dazu tragen nicht nur die profunden Texte von einem halben Dutzend Klee-Kennern bei. Man bekommt einen Eindruck, wie der 1879 geborene Schweizer durch politische Ereignisse beeinflusst wurde. Die so genannte Machtergreifung Hitlers kommentierte er mit der ihm eigenen ironischen Distanz: »Vorläufig drückt ein unangenehmes Gefühl auf den Magen, als ob dem neuen Jahr des geeinigten nationalen Deutschland eine allzu zackelfugige Schaumweinorgie zum Anbruch verholfen hätte.« Gelungen ist auch die Gewichtung der inhaltlichen Schwerpunkte, die die Lektüre des schweren Folio-Bandes trotz ihres wissenschaftlichen Niveaus spannend sein lässt. Was weiter gefällt: Einige Themen wie »Die Tagebücher« oder »Ölpausen« sind in Kästen aus dem übrigen Text herausgehoben und lassen sich so bei erneuter Lektüre schnell finden.

 

Dies Handbuch zu Paul Klee präsentiert neben einem Groß der 366 Werke, die Klee in seinem eigenen Œuvrekatalog kurz vor seinem Tod 1940 aufgelistet hat, auch vielfältige Photos von Ateliers, Wohnungen und Ausstellungen, die den Text anschaulich vertiefen.

 

Peter Fischer, der Direktor des Paul Klee Zentrums in Bern, betont als Herausgeber dieses Meilensteins zu Klee in seinem Vorwort: »Dass sich ein solch erweiterter Kontext nun erstmals öffnet, wurde dank der Schenkung des umfangreichen Klee-Familienarchivs durch Alexander Klee an das Zentrum Paul Klee möglich.« Ein besonderes Verdienst des 350-seitigen Buches ist die gelungene Verbindung der biographischen Aspekte von Paul Klee mit den werkgenetischen, wie der Begriff in der heutigen Kunstgeschichte lautet.

 

Aktuelles Standardwerk zu Paul Klee. Cover der Werk-Biographie