Zerrissene Fäden – Die Zerstörung der jüdischen Modeindustrie in Deutschland

Roberta Kremers lesenswertes Buch über die Zerstörung der jüdischen Modeindustrie in Deutschland und Österreich mit einer Titelvignette von Karl Lagerfeld
© Steidl Verlag/ Karl Lagerfeld 2013

 

 

Roberta S. Kremer (Hg.), Zerrissene Fäde. Die Zerstörung der jüdischen Modeindustrie in Deutschland und Österreich, 198 Seiten, gebunden in Leinen, mit einer Titelvignette von Karl Lagerfeld, Steidl Verlag, Göttingen 2013, 18 Euro.

 

Die Nationalsozialisten machten kurzen Prozess: Aus heutiger Perspektive ist erstaunlich und gespenstisch zugleich, in welch rasender Geschwindigkeit die Beamtenschaft, Institutionen, Hochschulen und andere wichtige Teile der Gesellschaft von jüdischen Mitgliedern getrennt wurden. Vor kurzem erst erregte eine Studie für Aufsehen, die belegte wie radikal das Auswärtige Amt Juden aus seinen Reihen entfernte. Dass diese so genannte ‚Arisierung‘ auch in der deutschen und österreichischen Bekleidungsindustrie stattfand, ist heute nicht allgemein bekannt.

Das Buch Zerrissene Fäden geht zurück auf ein Ausstellungsprojekt, das im Jahr 1999 in Vancouver stattfand. »Broken Threads: From Aryanization to Cultural Loss – The Destruction of the Jewish Fashion Industry in Germany and Austria« versuchte einen neuen Ansatz, um Menschen zu erreichen: Der ästhetischen und teils luxuriösen Mode aus jüdischen Händen wurden Bilder der barbarischen Verfolgung und Zerstörung gegenübergestellt. Photos der Haute Couture aus den 1920er Jahren gegenüber breitbeinigen SA-Männern vor geplünderten und demolierten Geschäften.

In der deutschen Mode-Industrie zu Beginn des 20. Jahrhunderts trafen einige Faktoren zusammen, die sie für die Nazis mit ihren Minderwertigkeitskomplexen zum Dorn im Auge werden ließ: Jüdische Familien hatten sich über viele Generationen erhebliche Reputation erarbeitet. Die opulenten Kaufhäuser wie Tietz oder Wertheim zeugten von Stil und Geschmack. Die architektonischen Würfe von Erich Mendelsohn, der in den 1920er Jahren die großen Warenhäuser für die Schocken-Kette baute, sind noch heute Sinnbilder für eine gelungene Verbindung von Gewinnorientierung und Schönem. Als Vorwand der nationalsozialistischen Zerstörungen und Enteignungen diente das Bestreben, den kleinen Einzelhandel zu fördern und eine zunehmende Konzentration im Handel zu unterbinden.

Dabei war der Erfolg der jüdischen Kaufleute weder über Nacht entstanden noch zufällig. Beispielhaft ist der Werdegang der Berliner Familie Israel. Im Jahr 1741 erhielt Jacob Israel mit seiner Familie von Friedrich dem Großen das Recht verliehen, in Berlin zu leben. Ein Vierteljahrhundert lang verkaufte er in einer Art offenem Marktstand gebrauchte Kleidung. Irgendwann hatte er genug Geld zusammen, um ein Haus zu erwerben und sein Geschäft zu saturieren. 1815 konnte sich sein Enkel Nathan die liberalisierten Wirtschaftsgesetze zunutze machen und nun auch neue Kleidung und Stoffe offerieren. Zu Anfang der 1930er Jahre war Israel eines der größten Berliner Kaufhäuser mit Ladenverkauf und Versandhandel. Wie stark die Mode-Industrie jüdisch dominiert war, zeigen die folgenden Zahlen: 80 Prozent der Kaufhäuser und Filialbetriebe im Vorkriegs-Deutschland befanden sich in jüdischem Besitz, ebenso 40 Prozent der Großhandels-Textil-Unternehmen.

Von all dem ist heute nichts mehr übrig. Von dieser vernichteten Kultur ahnen die wenigsten überhaupt. Zuerst wurden die Besitzer enteignet, verfolgt und ermordet. Dann kamen die alliierten Bomber und zerstörten die Warenhäuser. Mit einem halben Dutzend Aufsätzen erinnert der Band an eine untergegangene Epoche. Mitten im Herzen von Europa.  Eine Plünderung und Zerstörung von ungeheurem Ausmaß. Von Menschen Menschen angetan, weil sie Juden waren. Und die meisten schauten zu.

Ein Manko des bibliophil gestalteten Bandes ist das Lektorat: Die Übersetzung wirkt teils amerikanisch, Worte sind falsch und manches hätte für den deutschen Sprachraum angepasst werden müssen. Darüber hinweg trösten die vielen optischen Zugaben, die ein Bild vermitteln der Noblesse der Modewelt vor dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und Österreich.




Akt-Photographie um 1900

Otto Skowranek, Olga Desmond – Schwertertanz, 1908
© Kunstbibliothek, Staatliche Museen zu Berlin

 

 

Abbilder des nackten menschlichen Körpers verraten ungeheuer viel über ihre Zeit: Eine Ausstellung von Akt-Photographie um 1900 lässt uns heute erheitern – und verwundern zugleich.

Vor über 100 Jahren waren Photographien von unbekleideten Menschen plötzlich allgegenwärtig: Es gab sie als Postkarten, Sammelbilder, ja sogar schon in der Werbung. Einige der 250 im Museum für Fotografie in Berlin ausgestellten Exponate wirken heute skurril, komisch. Andere zeugen von einer verlogenen Öffentlichkeit, wenn beispielsweise exotische Frauen aus vorgeblich ethnologischer Forschung splitternackt abgebildet und herumgereicht wurden.

Neben den sehr sehenswerten und aufschlussreichen Photos präsentiert die Schau vom 3. Mai bis 25. August 2013 Bücher, Zeitschriften und einige Filme. Über ein Jahrhundert später ist nicht mehr allgemein bekannt, wie freizügig man damals in manchen Bereichen schon war. So wurden Kranke zur Kur geschickt mit der ausdrücklichen Aufforderung, sich dort nackt der Sonne und der Natur hinzugeben.

 

Kunstbibliothek im Museum für Fotografie
Staatliche Museen zu Berlin
Jebensstr. 2, 10623 Berlin
Tel: +49 (0)30 3186 4825
www.smb.museum/mf
www.facebook.com/staatlichemuseenzuberlin
Di-So 10-18 Uhr, Do 10-20 Uhr.

 


Ulrich Mack – Kennedy in Berlin

© Ulrich Mack, John F. Kennedy, Berlin 1963

 

 

Ulrich Mack – Kennedy in Berlin
Ausstellung im Willy-Brandt-Haus Berlin 2. Mai bis 6. Juni 2013
Katalogbuch im Hirmer Verlag, hrsg. von Hans-Michael Koetzle, 144 Seiten mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, 29,90 Euro.

 

 

Es sind die wohl berühmtesten Worte eines Politikers der Nachkriegszeit: »Ich bin ein Berliner«, sagte der junge US-Präsident John F. Kennedy in Berlin vor dem Rathaus Schöneberg. Doch welch ungeheure Wirkung dieser Deutschlandbesuch für die folgenden Jahrzehnte haben sollte, konnte damals niemand ahnen.

Kennedy besuchte vom 23. bis 26. Juni 1963 Deutschland. Vorher mochte er die Deutschen nicht. Danach hatte er sich in die Mauerstadt und ihre Bewohner verliebt. Euphorisiert sagte er seinem Nachfolger, der solle, wenn er einmal in eine schwierige Lage komme, nach Deutschland reisen: »Go to Germany, go to Berlin!«

Ulrich Mack war damals Photo-Reporter der Illustrierten Quick und begleitete als einer von wenigen Journalisten die gesamte Deutschland-Reise von J.F.K. – Köln, Bonn, Wiesbaden, Frankfurt am Main und Berlin(-West) waren die Stationen. Heute nicht allgemein bekannt ist, wie sich vieles auf dieser Reise intuitiv ergeben hat, nicht geplant war. Anders, als es Präsidenten heute tun. So wäre Kennedys mehrfacher sehr naher Kontakt zu den Deutschen heute für die Sicherheitsleute wohl kaum vorstellbar. Macks Aufnahmen bezeugen auch, wie sehr es dieser US-Präsident, der in diesem Amt der erste Pop-Star war, den Kontakt zu den Menschen genießt. Er sucht den Kontakt, er will kennenlernen. Und er selbst will wahrgenommen und bewundert werden.

 

J.F.K. am Checkpoint Charlie in Berlin
© Ulrich Mack, John F. Kennedy, Berlin 1963

 

Macks Aufnahmen sollen keine Kunstwerke sein – und sind dennoch welche. Die Schwarz-Weiß-Photographien sind subtile Dokumente, die das Große zeigen und gleichzeitig die kleinen Augenblicke, das scheinbar Abseitige nicht übersehen. Ein kleines Mädchen, das gerade laufen kann, vor der Absperrung, Bewegungen, Gesichter. Aus all diesen Details ergibt sich auch für den heutigen Betrachter ein Verstehen-Können dieses außergewöhnlichen, so nicht geplanten und für alle Beteiligten einflussreichen Deutschland-Besuchs des ersten Mannes der westlichen Welt.

Der 1934 geborene Ulrich Mack, von Freunden und Familie nur »Mack« genannt, bewarb sich als junger Mann bei der aufstrebenden Illustrierten Quick und wurde sogleich um die Welt geschickt. Seine Photo-Reportagen sind Zeugnisse einer Zeit, als die Deutschen an den Lifestyle des Westens anschließen wollten und ihre Vergangenheit verdrängten. Mack sieht den Photographen der Neuen Sachlichkeit Albert Renger-Patzsch als sein Vorbild. Macks Stil orientiert sich an einem Festhalten-Wollen, das dokumentarisch ist, ohne den Blick dahinter auszulassen. Macks Photo-Serie über die Insel Pellworm, die über viele Jahre entstand, hat auch international Beachtung gefunden und zeugt von der großen Geduld und Neugier des Photographen. Er selbst sagt, es sei wesentlich, »dass wir aufzeichnen und behalten, was noch da ist, bevor es für immer verschwunden ist. Das ist mein Geschenk an die Inselmenschen. Das ist mein Geschenk an die Geschichte.« Dasselbe ließe sich über den bedeutenden Kennedy-Besuch sagen.

Die Ausstellung der Photos im Willy-Brandt-Haus läuft vom 2. Mai bis 6. Juni 2013.

Das Katalogbuch zur Ausstellung präsentiert bedeutende Bilder der Photo-Reportage. Egon Bahr, damals hautnah in Berlin dabei, gibt in seinem Vorwort den historischen Rahmen. Der Herausgeber und Kurator der Ausstellung, Hans-Michael Koetzle, schildert in seinem Essay den Werdegang von Mack und die Umstände dieses sagenhaften dreitägigen Besuches.

Die Ausstellungs-Eröffnung im Willy-Brandt-Haus war der Bedeutung des Kennedy-Besuchs würdig: S. E. Philip D. Murphy, Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, gab in seiner launigen Rede einen Einblick in Kennedys damalige Schwierigkeiten, in Berlin einige Sätze in Deutsch sagen zu wollen. Und er erzählte dem interessierten Publikum, wie seine Deutsch-Lehrerin, – so wie die Kennedys – an ihm zuweilen verzweifle.

 

© Ulrich Mack, John F. Kennedy, Berlin 1963

 

 

Freundeskreis Willy-Brandt-Haus e.V.
Willy-Brandt-Haus
Stresemannstraße 28, 10963 Berlin
Diestangs bis sonntags 12 bis 18 Uhr. Ausweis erforderlich.

 





Michael Peppiatt – In Giacomettis Atelier

Einer der größten Giacometti-Kenner schildert einfühlsam seinen Weg zu dem Künstler
© Deutscher Kunstverlag 2013

 

 

Michael Peppiat, In Giacomettis Atelier. 207 Seiten mit zahlreichen Schwarz-Weiß-Abbildungen, Deutscher Kunstverlag 2013, 48 Euro.

 

Alberto Giacomettis Atelier gilt wie kaum ein anderes in der Kunst der jüngsten Moderne als Brutstätte, als magisches Refugium des Künstlers. Heute − 45 Jahre nach dem Tod des manischen Schöpfers − interpretiert man Giacomettis Œuvre wie sein Leben durch den Blick in dieses winzige, heruntergekommene Atelier in der Rue Hippolyte-Maindron 46 außerhalb von Montparnasse.


Hier zog Alberto Giacometti 1927 ein. Der in der Schweiz geborene Giacometti (1901-1966) war 1922 nach Paris gekommen. Nachdem er die erste Zeit in billigen Hotels gewohnt hatte, bezog er 1924 sein erstes eigenes Atelier. Das in der Rue Hippolyte-Maindron  war sein drittes – und sollte für den Rest seines Lebens sein letztes werden.


Anlässlich der drei Ausstellungen im Bucerius Kunst Forum (noch bis 19. Mai 2013), der Hamburger Kunsthalle (noch bis 20. Mai 2013) und der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München (bis 30.Mai 2013) mit Werken Giacomettis veröffentlicht der Deutsche Kunstverlag In Giacomettis Atelier von Michael Peppiatt nun in Deutsch. Der Autor, in London lebender Kunstkenner, -Autor und -Kurator, begab sich 1965 auf die Spuren Giacomettis. Spannend schildert Peppiatt, wie sein Mentor Francis Bacon ihm aus London ein ‚Empfehlungsschreiben‘ für dessen Freund Giacometti nach Paris mitgab. Denn der junge, aufstrebende Kunst-Journalist kannte in Paris niemanden. Bacon nahm spontan eine mit Farbe verschmierte Ausgabe von Paris Match und riss eine Doppelseite mit Kriegs-Photos heraus. Dann schrieb er, wie Peppiatt berichtet, mit grünem Filzstift sorgfältig in seiner geschwungenen Handschrift quer über die Bilder: »Mon cher Alberto je voudrais introduire mon grand ami Michael Peppiatt qui arrive maintenant à Paris j’espère de vous voir bientôt Francis Bacon.«





Peppiatt erzählt anschaulich, wie er in Paris um das Haus Giacomettis herumschlich, nachdem er es entdeckt hatte. Immer wieder ging er mit der beschriebenen Zeitung dorthin. Doch zu stören, traute er sich nicht. Kurze Zeit darauf berichteten ihm seine Kollegen bei der Zeitschrift, wo er nun arbeitete, Giacometti sei gerade nach schwerer Krankheit verstorben.


Dies ließ bei dem Kunst-Kritiker das Interesse an dem nicht mehr Angetroffenen erst richtig entflammen. Eindringlich schildert er in seinem Buch, wie er keine Gelegenheit ausließ, eine Giacometti-Ausstellung zu besuchen oder ehemalige Bekannte nach dem Künstler auszufragen, dem etwas Geheimnisvolles umgeben haben musste. So kann er nun − ein halbes Jahrhundert später − einen Menschen anschaulicher werden lassen, der heute ob des immensen Wertes seiner Werke beinahe entrückt scheint. So erfährt der Leser von den häufigen Spaziergängen Giacomettis mit dem engen Freund Samuel Beckett, die meistens schweigend verliefen.


Das winzige Atelier war für Giacometti der kleine, geschützte Raum, in dem er sich den Menschen, die er portraitierte, nähern konnte. Hier konnte er ihnen tief in die Augen schauen. In dieser Umhüllung ließen sich Entwürfe wagen – und die allermeisten wieder vernichten. Fast genau 40 Jahre lebte und arbeitete er hier. Unterbrochen durch ritualisierte Flaniergänge über den Montparnasse oder auf der Suche nach einer Frau für die Nacht. Selbst für einen so hoch angesehenen Künstler wie Giacometti ist der Nimbus dieses kleinen, staubigen und vermüllten Refugiums ungewöhnlich. Dies liegt aus heutiger Sicht auch daran, dass dieser Ort ein Magnet für befreundete Künstler war: Picasso und Braque gingen ein und aus. André Breton und Jean-Paul Sartre waren häufig Gast und konnten mit ihren literarischen Schilderungen früh eine Magie dieses Ortes schaffen.


Giacometti selbst gestand gegen Ende seines Lebens einem US-amerikanischen Journalisten, was diese Künstler-Höhle ihm bedeutete: »Seltsam, als ich 1927 dieses Atelier mietete, dachte ich, es sei winzig. Es war die erste Gelegenheit, die sich bot, ich hatte keine Wahl. Ich wollte so bald als möglich wieder ausziehen, da es so eng war – nicht mehr als ein Loch. Aber je länger ich blieb, desto größer wurde es. Hier habe ich alles machen können. Hier habe ich auch die großen stehenden Figuren gemacht, die zum ‚Schreitenden Mann‘ gehören. Einmal [1959] hatte ich drei sehr hohe Figuren […] zur gleichen Zeit da drin. Und es blieb noch Platz zum Malen neben ihnen.«


Das beschreibt sehr intim die Möglichkeiten, die sich für Giacometti über die Jahre in diesem speziellen Raum entwickelten. Das ästhetisch gestaltete Buch ist für jeden, der in einer der Ausstellungen gewesen ist und nun von Giacometti infiziert wurde, ein absoluter Gewinn. Neben der einfühlsamen Schilderung von Michael Peppiatt gefallen die diversen Schwarz-Weiß-Photos aus dem Atelier. Sie sind von keinen Geringeren als beispielsweise Henri Cartier-Bresson, Robert Doisneau oder Picassos Frau Dora Maar oder Ernst Scheidegger.




Heinrich Heidersberger – Kleid aus Licht

© Heinrich Heidersberger, aus der Serie Kleid aus Licht, 1949

 

 

»Der stern« veröffentlichte 1949 fünf Photos aus der Serie Kleid aus Licht von Heinrich Heidersberger – und sorgte für den erwarteten Skandal. Da half es auch nichts, dass der Redakteur die Lichtpunkte der künstlerisch ambitionierten Aufnahmen als geldsparende Kleidungsmode für die Nachkriegsfrau anpreisen wollte.

Heinrich Heidersberger (1906-2006), bekannt für seine Architektur-Photographie, interessierte sich für die technischen Möglichkeiten des Mediums. Er montierte vor die Kamera Loch-Schablonen und experimentierte mit dem Verlauf der Lichtpunkte auf dem weiblichen Körper.

Die Petra Rietz Salon Galerie zeigt noch bis 20. Juli 2013 erstmals eine Auswahl aus der Aktphotographie-Serie aus dem Jahr 1949, die in der Geschichte der deutschen Nachkriegs-Photographie ihren Platz hat.

 

Der Scheinwerfer mit Einschub für Schablonen, den Heinrich Heidersberger selbst baute, ist in der Galerie zu sehen.
© Photo: DANDY-CLUB 2013

 

 

 

Heinrich Heidersberger – Kleid aus Licht
Petra Rietz Salon Galerie
Koppenplatz 11a . 10115 Berlin
T +49 (0)172 6491599
salon@petrarietz.com
>www.petrarietz.com
Mi-Sa 14-18:30 Uhr und nach Vereinbarung





Ernst Jünger – Letzte Worte

Ernst Jünger, Letzte Worte ist bibliophil gestaltet:
Bauchbinde, Goldprägung und Kopfgoldschnitt
© Klett-Cotta 2013

 

 

Ernst Jünger, Letzte Worte. Hrsg. von Jörg Magenau. 243 Seiten, Leinen-Einband mit Goldprägung und Kopfgoldschnitt, Klett-Cotta 2013, 22,95 Euro.

 

Oscar Wilde – unverbesserlicher Ästhet selbst im Sterben – soll kurz vor seinem Tode zu den Anwesenden in seinem Pariser Hotelzimmer gesagt haben: »Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich.« Dabei soll er auf die Zimmerwand gedeutet haben. Diese überlieferten letzten Worte haben es zwar nicht in die Sammlung von Ernst Jünger geschafft, aber heute immerhin in den Wikipedia-Eintrag zu Oscar Wilde.

Jünger hingegangen war von dem irischen Schriftsteller-Kollegen ein anderer Ausspruch als ‚Letztes Wort‘ zugetragen worden. Dieses geht so: »Es entgeht ihm nicht, daß einer der beiden Ärzte, die zu dem Sterbenden gerufen werden, angesichts der Armseligkeit des Sterbezimmers sich Sorgen um das Honorar macht. Er sagt zu ihnen: ‚Entschuldigen Sie mich, meine Herren!  Ich sterbe über meine Verhältnisse.‘ « Diese Sätze finden sich auf einer Karteikarte Jüngers mit dem Zusatz: »Aus dem Gedächtnis von Hermann Lange«.

So ist es mit den letzten Worten Sterbender: Ihr Wahrheitsgehalt ist so eine Sache. Das Problem stellt sich bei hochgestellten Persönlichkeiten in der Geschichte noch mehr. Denn früher war es durchaus üblich, Königen und Heerführern noch im Sterben große, weise Worte zuzuschreiben, – auch wenn sie die nie gesagt hatten. Ihr Ruhm sollte durch kein seniles Gestammel im Sterben für die Nachwelt getrübt werden. Jünger war diese Problematik der Überlieferung durchaus bewusst: »Als Quelle im Sinne historischer Genauigkeit bleibt das Letzte Wort immer suspekt. Man tut gut, wenn man sich weder auf seine Originalität noch auf seine Authentizität verläßt. Es ist weder gewiß, ob der Verstorbene es wirklich gesprochen hat, noch ob es wirklich sein Letztes Wort gewesen ist.«

Dies schrieb Ernst Jünger am 8. Februar 1961 in einem Fragment gebliebenen Text mit der Überschrift »Letzte Worte«. Er ist nun der Ausgabe der Auswahl vorangestellt, die in einer bibliophilen Ausgabe bei Klett-Cotta erschienen ist. Das Format des Buches orientiert sich an der Größe der Karten. Gebunden in schwarzes Leinen, mit edler Goldprägung und sogar einem heute unüblichen Kopfgoldschnitt erweist es dem Autoren und Sammler und dem Thema die angemessene Würde.



Jünger interessierte sich viele Jahrzehnte für das, was Menschen im Sterben von sich geben, sah er darin doch mögliche Hinweise auf das, was hinter dem Vorhang ist. Der Schriftsteller war zutiefst davon überzeugt, dass nach dem irdischen Tod sich eine andere, eine höhere Daseinsform eröffne. Dennoch gibt es eine Zeit, als Jüngers Sammelleidenschaft dieser Aussprüche auf einem Höhepunkt war. So erfahren wir im Nachwort von Jörg Magenau, dass Jünger im Jahr 1949 Postkarten drucken ließ, die er anschließend an Freunde und Bekannte verteilte. Zugleich dienten sie ihm als Karteikarten für seine Sammlung der ‚Letzten Worte‘. Auf der Vorderseite waren drei Spalten gedruckt: »Autor«, »Letztes Wort« und »Quelle«. Auf der Rückseite stand sein Name mit seiner Anschrift »14b Ravensburg, Wilhelm-Hauff-Straße 18«. Die meisten der vorhandenen Karten füllte Jünger allerdings selbst aus. Der akribische Sammler tippte dann mit seiner Olympia-Reiseschreibmaschine als Absender »E. Jünger«.

Magenau, ehemaliger taz-Redakteur, hat sich für die Herausgabe empfohlen durch seine hervorragende Doppelbiographie »Brüder unterm Sternenzelt – Friedrich Georg und Ernst Jünger« (Klett-Cotta 2012), in der es ihm gelingt, mittels scheinbarer Imagination Substanzielles der beiden Ausnahme-Schriftsteller und Zeit-Diagnostiker zu greifen. Einige der Postkarten hat der DANDY-CLUB während seiner Vorveröffentlichung von »Letzte Worte« präsentiert.

Das Buch gliedert die Letzten Worte in die vier Ober-Kapitel Rückschau, Gewalttaten, Todesarten und Vorschau und entgeht damit der Versuchung einer rein alphabetischen Gliederung. Sie war das Ordnungsprinzip der Karten, wie sie dem Marbacher Literaturarchiv in Karteikästen übergeben worden sind. Doch ist Jünger mit diesem Projekt eben nicht fertig geworden. Diverse Ideen zu Einteilungen der »Letzten Worte« lassen die Entscheidung des Herausgebers daher als sinnvoll erscheinen. »Allgemeines: Tod wird vorausgesehen bei […]« oder »Allgemein: Der bewußte Tod […]« als Karteikarten zeugen von dem Bestreben Jüngers, auch hierin eine Ordnung zu finden. So, wie er sie bei den Käfern fand.

Hat er sie gefunden? Am 18. August 1945, also nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft und 17 Jahre vor der Niederschrift seines Versuchs über die letzten Worte notierte Ernst Jünger in sein Tagebuch:

»Lektüre: Schopenhauer, ‚Transzendentale Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen‘. Hier ist besonders schön der letzte Absatz, in dem er von dem ‚hochernsten, wichtigen, feierlichen und furchtbaren Charakter der Todesstunde‘ spricht. ‚Sie ist eine Krisis im stärksten Sinn des Wortes – ein Weltgericht.‘
Das tut gut in einer Zeit, in der der Tod nicht mehr ernstgenommen wird. An solchen Stellen betritt Schopenhauer das eigentliche Feld seiner Stärke, auf dem er sich über Kant erhebt, der erkenntniskritisch sein Meister bleibt. Er nähert sich der besten Stoa im absoluten, götterleeren Raum und im Verständnis seiner Harmonie […]«

Das sagt viel über Jüngers Verhältnis zu diesen letzten Worten. Sie waren für ihn ein Fenster zum Jenseits.

© Matthias Pierre Lubinsky 2013


Gregor von Rezzori – 15. Todestag

Gregor von Rezzori: Spiegel-Titel vom 1. Januar 1959

 

 

Zum 15. Todestag erinnert der DANDY-CLUB an Gregor von Rezzori (13. Mai 1914 – 23. April 1998).

Der deutschsprachige Schriftsteller, Filmschauspieler und Nonkonformist wurde in Österreich-Ungarn geboren und starb auf seinem Landsitz in der Toscana. Nach einem bewegten Vorleben kam er 1938 nach Berlin, wo er zu schreiben anfing. Zuvor war er Zeichner und Maler in Bukarest.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete er als Journalist und Hörfunkautor. Seine Maghrebinischen Geschichten begründeten Rezzoris Welterfolg als Schriftsteller. Nebenher blieb Rezzori als Drehbuchautor tätig und wirkte auch in rund einem Dutzend Filme als Gelegenheitsschauspieler mit.





Für den NDR produzierte er »Der Idiotenführer durch Deutschland«, eine siebenteilige Radiosendung, die später als Bücher erschien. Sie umfasst die Folgen: Hochadel, Adel, Schickeria, Prominenz, Intelligenzia, Spießer und Booffkes. Sie harrt bis heute einer Fortsetzung.

Rezzori hielt der Gesellschaft in gnadenlos-ironischer Weise einen Spiegel vor – politisch vollkommen inkorrekt.


Auf der Seite seines Freundes Volker Schlöndorff findet sich ein sehr persönliches Portrait.

Und bei der Deutschen Welle ein Audio mit einem Gespräch mit Gregor von Rezzori.


Gruß an Anonymus Philipp.

Albert Camus in Lourmarin

© Christian von Alvensleben, Albert Camus  – …und ein bisschen kalter Rauch

 

 

Der französische Schriftsteller Albert Camus (1913 – 1960) verbrachte die letzten Jahre seines Lebens in einem lieblichen Dorf in der Provence am Fuße des Lubéron: Lourmarin.

Der deutsche Photograph Christian von Alvensleben kam 1972 zum ersten Mal in das schöne Dorf. Er fand das Hotel Ollier, in dem der Nobelpreisträger so gerne speiste, wie unberührt vor.  Ob die nackten Räume oder die seit Jahrzehnten unveränderte Ausstattung: Es schien dem Photographen, als habe Camus erst gerade den Raum verlassen, als läge noch sein kalter Zigarettenrauch in der Luft.

Zwei Jahre nach dem ersten Besuch machte Alvensleben Photos, die das Institut Français Düsseldorf nun anlässlich des 100. Geburtstags von Albert Camus zeigt.


Christian von Alvensleben
ALBERT CAMUS – …UND EIN BISSCHEN KALTER RAUCH
Institut Français Düsseldorf
Bilker Straße 7-9, 40213 Düsseldorf
+49 (0)211-1306790
info.duesseldorf@institutfrancais.de
www.institutfrancais.de/duesseldorf
Mo 15-18 Uhr, Di-Fr 11-18:30 Uhr, Sa 11-14 Uhr

Institut Français Düsseldorf

 

 

Gilbert Garcin im Schloss Neuhardenberg

Gilbert Garcin, Le moulin de l’oubli (Die Mühle des Vergessens), 1999
© Gilbert Garcin 1999

 

 

Das Schloss Neuhardenberg nördlich von Berlin zeigt bis Ende des Jahres Photos von Gilbert Garcin. Sein alter ego Mr. G ist der Darsteller der kleinen Geschichten, die die Bilder erzählen. So stellt sich der 1929 in Marseille geborene Photo-Künstler selbst dar: Meist in einem dunklen Regenmantel gekleidet, manchmal von einer Dame begleitet (die echte Madame Garcin), versucht er die Unbill des Lebens zu meistern.

 

»Hinter meinen Bildern liegen aber keine zu Ende geschriebenen Geschichten«, sagt Gilbert Garcin. »Ich versuche lediglich, Räume zu schaffen, in die der Betrachter seine eigenen Vorstellungen projizieren und in deren er sein eigenes Abenteuer erfinden kann.«

 

Komisch, hintersinnig – zuweilen auch ironisch – wirken seine Szenarien. Dabei stets sehr französisch in ihrem existenzialistischen Zugang. Die kleine Auswahl seiner Photos, die die Stiftung Schloss Neuhardenberg über das ganze Jahr 2013 zeigt, hat der Künstler selbst getroffen.

 
Gilbert Garcin – Alles kann Geschehen.
Fotografien 1997 – 2011 bis 30. November 2013
Stiftung Schloss Neuhardenberg
Foyer Großer Saal und Orangerie
Schinkelplatz . 15320 Neuhardenberg
+49 (0)33476 600 750
info@schlossneuhardenberg.de
www.schlossneuhardenberg.de
Di-So 11-19 Uhr
 

Ernst Jünger – Letzte Worte – Vorveröffentlichung V

Karteikarte aus der Sammlung Letzter Worte von Ernst Jünger
© Klett-Cotta 2013

 

 

Wir schließen unsere Vorveröffentlichung ab aus dem Buch Ernst Jünger, Letzte Worte, das am 23. April 2013 erscheinen wird, herausgegeben von Jörg Magenau.

 

Vespasian 9 – 79, römischer Kaiser
»Ein Kaiser muß im Stehen sterben.«
Sauer, I/22


Lorenzo di Medici 1448 – 1492, italienischer Politiker, florentinischer Stadtherr
Zu Savonarola, der an seinem Sterbebett seines Amtes waltet und ihn ermahnt, den Tod mit Fassung zu ertragen: »Ich
sterbe mit Heiterkeit, wenn es Gottes Wille ist.«
Zielesch, S. 28


Francois de Malherbe 1555 – 1628, Hofpoet Heinrichs IV., Kritiker, Ästhet
Als ihm der Priester die Herrlichkeit des jenseitigen Lebens in abgedroschenen Wendungen schildert: »Schweigen Sie!
Ihr abgeschmacktes Pathos verdirbt mir das Vergnügen daran.«
Zielesch, S. 48

Johann Georg Zimmermann 1728 – 1795, Schweizer Naturforscher und Philosoph
»Laßt mich allein, ich sterbe.«
Le Comte


E.T.A. Hoffmann 1776 – 1822, deutscher Schriftsteller und Komponist
»Jetzt ist es Zeit, ein wenig über Gott nachzudenken.«
Aveline


Ferdinand Hardekopf 1876 – 1954
Der Bohemien, antimilitaristische Literat und Übersetzer. 1914-1918 in der Schweiz, ab 1922 in Frankreich. Ab 1946 in Zürich, dort im Spital gestorben. Höflich und geräuschlos, wie er gelebt hatte, starb H., einen verzweiflungs- und qualvollen Tod. Seine letzten Worte (an seinen treuen Freund Carl Seelig) waren: »Erlauben Sie, daß ich still bin.«
Ossip Kalenter in »TAT« vom 3.4.54


Madame de Staël 1776 – 1817, französische Schriftstellerin
Auf die Frage, ob sie glaube, daß sie schlafen könne: »Tief und gründlich.«
Le Comte

 

 

Ernst Jünger – Letzte Worte bei Klett-Cotta