Ernst Jünger – Letzte Worte

Ernst Jünger, Letzte Worte ist bibliophil gestaltet:
Bauchbinde, Goldprägung und Kopfgoldschnitt
© Klett-Cotta 2013

 

 

Ernst Jünger, Letzte Worte. Hrsg. von Jörg Magenau. 243 Seiten, Leinen-Einband mit Goldprägung und Kopfgoldschnitt, Klett-Cotta 2013, 22,95 Euro.

 

Oscar Wilde – unverbesserlicher Ästhet selbst im Sterben – soll kurz vor seinem Tode zu den Anwesenden in seinem Pariser Hotelzimmer gesagt haben: »Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich.« Dabei soll er auf die Zimmerwand gedeutet haben. Diese überlieferten letzten Worte haben es zwar nicht in die Sammlung von Ernst Jünger geschafft, aber heute immerhin in den Wikipedia-Eintrag zu Oscar Wilde.

Jünger hingegangen war von dem irischen Schriftsteller-Kollegen ein anderer Ausspruch als ‚Letztes Wort‘ zugetragen worden. Dieses geht so: »Es entgeht ihm nicht, daß einer der beiden Ärzte, die zu dem Sterbenden gerufen werden, angesichts der Armseligkeit des Sterbezimmers sich Sorgen um das Honorar macht. Er sagt zu ihnen: ‚Entschuldigen Sie mich, meine Herren!  Ich sterbe über meine Verhältnisse.‘ « Diese Sätze finden sich auf einer Karteikarte Jüngers mit dem Zusatz: »Aus dem Gedächtnis von Hermann Lange«.

So ist es mit den letzten Worten Sterbender: Ihr Wahrheitsgehalt ist so eine Sache. Das Problem stellt sich bei hochgestellten Persönlichkeiten in der Geschichte noch mehr. Denn früher war es durchaus üblich, Königen und Heerführern noch im Sterben große, weise Worte zuzuschreiben, – auch wenn sie die nie gesagt hatten. Ihr Ruhm sollte durch kein seniles Gestammel im Sterben für die Nachwelt getrübt werden. Jünger war diese Problematik der Überlieferung durchaus bewusst: »Als Quelle im Sinne historischer Genauigkeit bleibt das Letzte Wort immer suspekt. Man tut gut, wenn man sich weder auf seine Originalität noch auf seine Authentizität verläßt. Es ist weder gewiß, ob der Verstorbene es wirklich gesprochen hat, noch ob es wirklich sein Letztes Wort gewesen ist.«

Dies schrieb Ernst Jünger am 8. Februar 1961 in einem Fragment gebliebenen Text mit der Überschrift »Letzte Worte«. Er ist nun der Ausgabe der Auswahl vorangestellt, die in einer bibliophilen Ausgabe bei Klett-Cotta erschienen ist. Das Format des Buches orientiert sich an der Größe der Karten. Gebunden in schwarzes Leinen, mit edler Goldprägung und sogar einem heute unüblichen Kopfgoldschnitt erweist es dem Autoren und Sammler und dem Thema die angemessene Würde.



Jünger interessierte sich viele Jahrzehnte für das, was Menschen im Sterben von sich geben, sah er darin doch mögliche Hinweise auf das, was hinter dem Vorhang ist. Der Schriftsteller war zutiefst davon überzeugt, dass nach dem irdischen Tod sich eine andere, eine höhere Daseinsform eröffne. Dennoch gibt es eine Zeit, als Jüngers Sammelleidenschaft dieser Aussprüche auf einem Höhepunkt war. So erfahren wir im Nachwort von Jörg Magenau, dass Jünger im Jahr 1949 Postkarten drucken ließ, die er anschließend an Freunde und Bekannte verteilte. Zugleich dienten sie ihm als Karteikarten für seine Sammlung der ‚Letzten Worte‘. Auf der Vorderseite waren drei Spalten gedruckt: »Autor«, »Letztes Wort« und »Quelle«. Auf der Rückseite stand sein Name mit seiner Anschrift »14b Ravensburg, Wilhelm-Hauff-Straße 18«. Die meisten der vorhandenen Karten füllte Jünger allerdings selbst aus. Der akribische Sammler tippte dann mit seiner Olympia-Reiseschreibmaschine als Absender »E. Jünger«.

Magenau, ehemaliger taz-Redakteur, hat sich für die Herausgabe empfohlen durch seine hervorragende Doppelbiographie »Brüder unterm Sternenzelt – Friedrich Georg und Ernst Jünger« (Klett-Cotta 2012), in der es ihm gelingt, mittels scheinbarer Imagination Substanzielles der beiden Ausnahme-Schriftsteller und Zeit-Diagnostiker zu greifen. Einige der Postkarten hat der DANDY-CLUB während seiner Vorveröffentlichung von »Letzte Worte« präsentiert.

Das Buch gliedert die Letzten Worte in die vier Ober-Kapitel Rückschau, Gewalttaten, Todesarten und Vorschau und entgeht damit der Versuchung einer rein alphabetischen Gliederung. Sie war das Ordnungsprinzip der Karten, wie sie dem Marbacher Literaturarchiv in Karteikästen übergeben worden sind. Doch ist Jünger mit diesem Projekt eben nicht fertig geworden. Diverse Ideen zu Einteilungen der »Letzten Worte« lassen die Entscheidung des Herausgebers daher als sinnvoll erscheinen. »Allgemeines: Tod wird vorausgesehen bei […]« oder »Allgemein: Der bewußte Tod […]« als Karteikarten zeugen von dem Bestreben Jüngers, auch hierin eine Ordnung zu finden. So, wie er sie bei den Käfern fand.

Hat er sie gefunden? Am 18. August 1945, also nach dem Zusammenbruch der nationalsozialistischen Herrschaft und 17 Jahre vor der Niederschrift seines Versuchs über die letzten Worte notierte Ernst Jünger in sein Tagebuch:

»Lektüre: Schopenhauer, ‚Transzendentale Spekulation über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen‘. Hier ist besonders schön der letzte Absatz, in dem er von dem ‚hochernsten, wichtigen, feierlichen und furchtbaren Charakter der Todesstunde‘ spricht. ‚Sie ist eine Krisis im stärksten Sinn des Wortes – ein Weltgericht.‘
Das tut gut in einer Zeit, in der der Tod nicht mehr ernstgenommen wird. An solchen Stellen betritt Schopenhauer das eigentliche Feld seiner Stärke, auf dem er sich über Kant erhebt, der erkenntniskritisch sein Meister bleibt. Er nähert sich der besten Stoa im absoluten, götterleeren Raum und im Verständnis seiner Harmonie […]«

Das sagt viel über Jüngers Verhältnis zu diesen letzten Worten. Sie waren für ihn ein Fenster zum Jenseits.

© Matthias Pierre Lubinsky 2013