Joachim Kalka: Die Katze, der Regen, das Totenreich

Joachim Kalkas literarische Sentenzen führen uns zur Kontemplation
© Photo: DANDY-CLUB 2009

 

 

Joachim Kalka, Die Katze, der Regen, das Totenreich. Ehrfurchtsnotizen. Berenberg Verlag, Berlin 2012, 120 Seiten, gebunden in Halbleinen, Eoro 20.

 

Joachim Kalka stellt seinem neuen Essayband »Die Katze, der Regen, das Totenreich« unter anderen einen Satz von John Keats voran:

Die negative Fähigkeit – das heißt: wenn der Mensch fähig ist, sich im Ungewissen, Geheimnisvollen, Zweifelhaften zu befinden, ohne irritiert nach Tatsachen und Gründen zu haschen.

Er könnte stellvertretend als Motto für all die Themenfelder stehen, die der Berliner Autor und Übersetzer so nonchalant beackert: Ob der Teufel, das Kismet, der Regen oder der Halbschlaf, Kalka fügt sensible Sichtweisen, Reflexionen und Gedanken zusammen mit Bruchstücken aus seiner profunden Belesenheit. Der Essay über den Regen beginnt mit Allgemeinplätzen, mag manch Leser sagen. Doch bewusst sind sie einem nicht:

Der Regen heißt: unmittelbare Präsenz von Natur. Man wird naß. Das kann ärgerlich sein, aber es bietet auch Gelegenheit zur Einübung in den Stoizismus, und wenn man einmal richtig durchnäßt wird, bemerkt man auch die sinnliche Qualität dieser Berührung durch ein Element. Man empfindet einen gewissen Stolz, sich durchzuschlagen durch das vertikale Wasser; die Heimkehr aus dem Regen ist die Urform des gelungenen Abenteuers.

Joachim Kalkas Essays sind launige Flanierereien; Geltendwerdenlassen von Ideen verknüpft mit Fundstücken aus der Literatur:

Niemand, nicht einmal der Regen, hat so kleine Hände

zitiert der Autor aus einem Gedicht von E. E. Cummings und kommentiert lakonisch, es sei »hübsch, die Erotik des Regens so beiläufig beschworen zu sehen«. Der Leser folgt den geistigen Spaziergängen mit guter Laune, – ist er doch selten so angenehm und leicht unterhalten worden. Als Nebeneffekt stellt sich für den an der Literatur Interessierten ein, dass er durch die Zitate einen anderen Blick auf bereits gelesene Klassiker erhält. Die Sicht wird geschärft, wie ein Huysmans oder ein Goethe etwas beschrieben, in ihre Dramaturgie einbauten, was in uns sogleich die erwarteten Assoziationen weckt.

Als Leser von Joachim Kalkas Entspannungsübungen erwischt man sich häufig bei einem leichten Staunen ob der Selbstverständlichkeiten, die man da liest; – auf die man selbst aber nicht gekommen wäre:

Der Regen ist von schöner Gleichgültigkeit, er antwortet nicht. Nicht unserer Stimmung; diese muß vielmehr ihm zu antworten verstehen. Nicht unserer Lage, die muß versuchen, sich von ihm unabhängig zu gestalten.

Joachim Kalka ist Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Bayerischen Akademie der schönen Künste. Seine Übersetzungen fanden allgemeine Anerkennung; – so von Christopher Isherwood, John Maynard Keynes und A. J. Liebling.

So erklärt sich das internationale Air seiner Flanierstücke, die doch eher französisch anmuten als deutsch. Welch gedankenschwerer Deutsche kommt schon auf solch profane Sätze wie:

Der Regen läßt uns das Zimmer genießen.

 







L’Odyssée de Cartier

L’Odyssée de Cartier: Filmstill
© Cartier 2012

 

 

Werbung, die sich ein Dandy gefallen lässt: L’Odyssée de Cartier ist ein ästhetisches Märchen für Erwachsene…

 


Robert Musil und der genius loci

Nanao Hayasakas detailreiche Studie über die Lebensorte von Robert Musil: Buch-Cover

 

 

Zum 70. Todestag des österreichischen Schriftstellers Robert Musil (6. November 1880 –  15. April 1942) rezensieren wir eine umfangreiche Studie über die Wohnorte des Autoren des unvollendeten Der Mann ohne Eigenschaften.

Nanao Hayasaka, Robert Musil und der genius loci. Die Lebensumstände des ‚Mannes ohne Eigenschaften‘. 415 Seiten, Paperback, Wilhelm Fink Verlag, München 2011, Euro 49,90.

 

Robert Musils (1880-1942) ungeheure Schrift Der Mann ohne Eigenschaften teilt das Schicksal anderer, vielleicht ähnlicher Romane, wie Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit oder Fernando Pessoas Buch der Unruhe: Sie gehören zum weltweiten so genannten Kanon der Literatur. Bücher, die man gelesen haben sollte. Romane, deren Titel beinahe jeder kennt; – und die keiner gelesen hat. (Bis auf Roger Willemsen.)

Robert Musils Roman-Versuch ist unvollendet geblieben. Er musste unvollendet bleiben, weil sein Autor in eine einzige Erzählung viel zu viel hereinpacken wollte: Eine stringente Rahmenhandlung, die Ansprüche, die das Leben an unterschiedliche Charaktere stellt… Musils Anspruch war kein geringerer, als eine in Romanform gegossene Philosophie über die Welt und das menschliche Leben zu verfassen. Deshalb schrieb er immer wieder um, ergänzte, verwarf, schrieb Teile komplett neu und konnte bis zu seinem Tod, mit den er nicht gerechnet hatte, nicht fertig werden.

Der Tokyoter Hochschullehrer Nanao Hayasaka beschäftigt sich seit etwa dreißig Jahren mit Robert Musil. Nun hat er ein unglaubliches Buch vorgelegt, dass dem Interessierten die Welt des Robert Musil näher bringen soll. Es handelt sich um keine klassische Biographie, die ja auch nicht nötig ist seit den grundlegenden Forschungen unter anderen von Karl Corino, der 1988 eine Bildbiographie vorlegte, und seine klassische Biographie dann 2003 folgen ließ. Bei Hayasakas 400-Seiten-Buch handelt es sich um eine Art Handbuch der Wohn- und Wirkungsstätten Musils. Es ist eine wirklich universelle Beschreibung der diversen Wohnungen Musils einschließlich der sozialen Heimat seiner Vorfahren.

Der Japaner beschränkte sich dabei nicht auf die Wohnverhältnisse, sondern bezog im Weiteren die jeweilige Lebenssituation des großen Romanciers mit ein. Und insbesondere hierbei handelt es sich um eine unglaublich umfangreiche und im Detail akribische Forschungsarbeit, die allerhöchste Anerkennung verdient. So beginnt der Wissenschaftler mit einer weitläufigen Darstellung der Lebenswelt des Großvaters väterlicherseits und dessen Ehefrau. Hayasak findet das Tagebuch von Aloisia Musil und kann so den Alltag der Großfamilie auf dem Plachelhof rekonstruieren (6. Nov. Heute erhielten wir die frohe Nachricht daß Alfreds Frau ihn mit einem Buberl beglückt; Gott gebe dem neuen Enkel Gedeihen.)

Durch diverse Gespräche mit Verwandten und Bekannten von Vermietern, ehemaligen Bekannten und Freunden Musils erschafft Hayasaka ein Handbuch der Lebensumstände Musils, wie es seinesgleichen sucht. In gewisser Hinsicht folgt der Biograph damit seinem Studienobjekt: War es Musils Anspruch, das bürgerliche Leben zu Beginn des 20. Jahrhunderts möglichst vollständig in Worte zu fassen und bis in die kleinsten Verästelungen von Seelenzuständen festzuhalten, so ist Hayasaka bemüht, jedweden Aufenthaltsort des von ihm bewunderten Schriftstellers möglichst vollständig zu rekonstruieren.

Er selbst schreibt in seiner Einleitung bescheiden, ein positivistisches Verfahren allein führe zu keinem Ergebnis. »Durch die minutiöse Betrachtung des Gegenstandes wird man zu einer bestimmten Hypothese hingeleitet, die durch Assoziation und Phantasie bestätigt wird und zu weiteren Recherche führt. Der Zusammenhang von Akribie, freier Assoziation und analytischen Entwurf ermöglicht eine fundierte Interpretation und somit substantielle Erkenntnisse.«

Hayasakas Forschungsleistung ist ein grandioser Meilenstein, der die Musilforschung nicht nur deutlich voranbringt, sondern über viele Jahre viele Ansatzpunkte zu weiterer Recherche bietet.




Robert Doisneau – 100. Geburtstag




Zum 100. Geburtstag erinnert der DANDY-CLUB an den französischen Photographen Robert Doisneau (14. April 1912 – 1. April 1994), der mit seinen Schwarz-Weiß-Photos die wohl berühmtesten Ikonographien von Paris schuf.

Das junge Paar, das vor dem Pariser Rathaus kurz anhält, um sich zu küssen, gilt als eine der bekanntesten Paris-Aufnahmen überhaupt. Sie entstand im Auftrag des US-Magazins Life, das eine Photostrecke von Verliebten in Paris bestellte. Will man heute wissen, dass das Bild gestellt war?!

Doisneau war zwischen 1934 und 1939 Werkphotograph bei Renault. Er gab diese Stellung auf, um selbstständig zu arbeiten.

Als Flaneur durch Paris ist er bekannt geworden, weil er mit seinem aufmerksamen Blick Bilder einfing, die das damalige, unwiederbringliche Paris dokumentierten und meist spontan entstanden.




Wim Wenders – Places, strange and quiet – in den Hamburger Deichtorhallen

Wim Wnders, Street Corner in Butte , Montana, 2003
© Wenders Images

 


Wim Wenders, Places, strange and quiet.

Ausstellung:
14. April − 5. August 2012 in der Sammlung Falckenberg, Hamburg-Harburg.

Katalog-Buch:
Gestaltet von Matt Watkins. 124 Seiten, 37 farbige Abbildungen und acht Klapptafeln, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011, 24,80 Euro.

Fernsehbeitrag:
Arte, 16. April 2012, 23.50 Uhr Metropolis: Seltsame Orte. Wim Wenders fotografiert.



Nur einen Augenblick vorher
stand hier noch ein Mann mit einem Cowboyhut
und lehnte verloren
an der Straßenlaterne.
Wochen später traf ich in der Stadt einen Typen, der behauptete,
mit seinem Pick-up-Truck
eben diese Laterne gerammt zu haben.
Deswegen stünde sie seitdem schief …

 

Wim Wenders ist nicht nur einer der erfolgreichsten zeitgenössischen Filmemacher. – Er ist darüber hinaus Maler, Schriftsteller, Schauspieler und Photograph. Der 1946 in Düsseldorf geborene Multi-Künstler reist neugierig in der Welt herum, um für seine Filme zu recherchieren. Dabei sucht er stets die unbekannten Orte, die Plätze, die in keinem Reiseführer stehen. Die Plätze, die keiner mehr sehen will. Wim Wenders will gerade die verlassenen Orte sehen. Er will dorthin, wo das Leben vorüber gezogen ist. Dort, wo Vergangenes sich materialisiert.

Als Künstler nimmt Wim Wenders wahr. Er spielt bewusst den Gegenpart zum Touristen, der nicht anwesend ist, sondern nur dagewesen sein will. Dem Touristen ist nicht das Er-Spüren des jeweilgen Ortes wichtig. Er will nur daheim seinen Bekannten den photographischen Beweis seines Dagewesenseins präsentieren können. Der moderne Fachbegriff dafür lautet: Handy-Upload.

Dieser schön gestaltete kleine Photoband hat eine Ausstellung von Photographien Wim Wenders‘ in London begleitet. Die Photos sind im Original großformatig. Sie stammen aus dem Zeitraum zwischen 1983 und heute. Angereichert werden die beeindruckenden Werke durch kurze Gedichte vom Photo-Künstler. Sie unterstreichen das Schräge des Ortes, seine Verlebtheit oder auch die Dubiosität, dass sich hier überhaupt Menschen aufhalten.

Es sind zum Teil skurrile Aufnahmen. Sie zeigen ein Riesenrad in Armenien auf einem völlig verlassenen riesigen Areal. Oder den Berliner Palast der Republik in der Abbruchphase, wo von diesem nur noch die Treppenhäuser stehen. Besonders interessiert sich Wenders für die Absurdität der heutigen Vergnügungssucht: Ob Disneyland oder Strandliegen eines Hotels auf Straßenbelag. Obwohl nur wenige Meter daneben der natürliche Sandstrand ist.

In Interviews erzählt Wenders, er habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen gar nichts daran fänden, sich an solchen Orten aufzuhalten oder sich in ihrer so genannten Freizeit von Animateuren beschäftigen zu lassen.

Aufgrund seines Formates mit siebzehn mal zwanzig Zentimetern und den bibliophilen Klapptafeln eignet sich der Band gut als Mitbringsel für Ästheten.

 

 

Wim Wenders, Open-Air Screen
© Wenders Images

 

 

Wim Wenders, Cemetery in the City, Tokyo 2008
© Wenders Images

 

 






Upon Paper

Magazine Cover Upon Paper #01
© Helder Suffenplan, Upon Paper

 

 

Mit Upon Paper startete das Traditionsunternehmen Hahnemühle FineArt im März 2012 in Berlin ein neuartiges Zeitschriften-Projekt, das auf drei Kanälen stattfindet:

Upon Paper magazine ist die gedruckte Zeitschrift, die bibliophil daherkommt. Auflage 5.000 Stück, Format 490 mal 690 mm, 60 bis 80 Seiten, verpackt in einer bedruckten Box.

Upon Paper space ist der Ausstellungsraum in der Mitte Berlins, in dem das jeweilige Thema des Heftes materiell inszeniert wird und einzelne Kunstwerke räumlich ausgestellt werden.

Upon Paper web ist der Internet-Auftritt www.uponpaper.com, der durch eigenständige Redaktionsarbeit und Social Network-Elemente ein Forum für die globale Creative Community werden soll.

Das Thema der ersten Ausgabe ist Los Angeles, das der zweiten im Herbst soll ‚Color‘ sein. Die Motivation der im Jahr 1584 gegründeten Hahnemühle FineArt ist, trotz neuer technischer Entwicklungen am Papier als sinnlichem Medium festzuhalten. Die erste Nummer entspricht hohen ästhetischen und inhaltlichen Ansprüchen. Das Unternehmen schreibt: »Das Projekt ist aus der engen Verbundenheit mit Kunst und Gestaltung entstanden und aus dem Wunsch, eine zeitgemäße und offene Plattform zum Austausch über jedwede Kunstform zu schaffen.«

 

 

James Reeve, Lightscape # 24 – Los Angeles, 2010, Photograph
© James Reeve

 

 

 

Jack Pierson, Road
Picture, 1991/2002 Iris print, Edition 5
© Jack Pierson
Photo: Alexander Hattwig, Berlin, Courtesy Aurel Scheibler Berlin

 

 

Upon Paper online

 

Marcel Duchamp in München 1912

Der exquisite Katalog zur hervorragenden Ausstellung
© Succession Marcel Duchamp, VG Bild-Kunst/courtesy Schirmer/Mosel

 

 

Marcel Duchamp in München 1912.
Ausstellung bis 15. Juli 2012.
Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau.

Katalog im Schirmer/Mosel Verlag, München 2012, Deutsch/Englisch, 336 Seiten, 113 Farbabbildungen, Euro 39,80.

 

Marcel Duchamp (1887-1968) wusste zu provozieren. Nicht zufällig wurde er zum radikalen Erneuerer der modernen Kunst, zum Anreger Andy Warhols.

Bei jeder seiner Provokationen war die Re-Aktion der Adressaten Teil des Gesamtkunstwerks, und seine eigene Antwort auf die Intoleranz und das Unvermögen der anderen musste von ihm wohlberechnet mit einkalkuliert werden. Aber das war ein Lernprozess. 1912 stellte Marcel Duchamp dem Pariser Salon Indépendants sein Gemälde Akt eine Treppe herabsteigend, Nr. 2 zur Verfügung. Die Ablehnung der Jury war barsch. Und mit ihr hatte der 24-jährige Maler nicht gerechnet: Er habe mit dem Akt die Prinzipien des Kubismus verletzt. Und heute glaubt man es kaum: Ein Akt habe darüber hinaus nicht eine Treppe herabzusteigen, sondern zu liegen, begründeten die Kubisten ihre Zurückweisung des revolutionären Bildes. Duchamp reagierte prompt und holte das Bild persönlich wieder ab.

Dieses Ereignis gilt als unmittelbarer Auslöser von Duchamps anschließender Reise nach München, wo er sich zwischen dem 21. Juni und der ersten Oktoberwoche 1912 aufhielt. Er selbst beschrieb am Ende seines Lebens die Motivation für die Reise – wie stets stilisiert – so:

»Damals wäre ich irgendwo hingegangen. Wenn ich ausgerechnet nach München ging, so deshalb, weil ich in Paris einem Kuhmaler begegnet war – ich meine einen Deutschen, der Kühe malte, die besten Kühe natürlich, einem Bewunderer von Lovis Corinth und all den Leuten -, und als dieser Kuhmaler sagte: ‚Geh‘ nach München‘, stand ich auf und ging dorthin und lebte dort während Monaten in einem kleinen möblierten Zimmer. Es gab zwei Cafés, wo die Künstler hinzugehen pflegten, Kandinskys Buch war in allen Läden und man konnte Gemälde von Picasso sehen in der Galerie am Odeonsplatz. Ich sprach nie mit einer Menschenseele, aber ich hatte eine großartige Zeit.«

 

 

Marcel Duchamp, Akt eine Treppe herabsteigend Nr. 2
1912, Öl auf Leinwand
© Succession Marcel Duchamp, VG Bild-Kunst/ courtesy Schirmer/Mosel

 

 

Diese knapp drei Monate beeinflussten Duchamp nachhaltig. Verschiedene heute berühmte Werke wurden von ihm in dieser Zeit an der Isar entwickelt oder vorbereitet, so das Große Glas. Aber was beeinflusste Duchamp tatsächlich? Und: Verkehrte er wirklich mit niemandem, wie er kokettiert? Eine aufwendig vorbereitete Ausstellung in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, begleitet von einem fulminant-gelungenen Katalog aus dem Schirmer/Mosel-Verlag widmet sich zum hundertjährigen Jubiläum von Duchamps München-Aufenthalt diesen Fragen.

Die hochkarätige Schau ist reich an Premieren: Es ist nicht nur die erste Duchamp-Einzelausstellung in München, sondern zugleich die erstmalige Präsentation des Gemäldes Akt eine Treppe herabsteigend, Nr. 2 in Deutschland. Ausstellung und Begleitband stellen Bezüge her zu Personen, Vorläufern und Themenfeldern, die auf den jungen Künstler einwirkten, – die ihn anzogen. Im Jahre 1912 war München ein bedeutendes Zentrum für Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst. Bekannt ist, dass Duchamp immer wieder in die Alte Pinakothek ging. Unzählige Galerien, Museen und Kunstsammlungen mögen auf den neugierigen Franzosen gewirkt haben. Die Sezession zeigte ihre Internationale Kunstausstellung, wo Franz von Stucks Bildnis von Adam und Eva große Aufmerksamkeit auf sich zog.

 

Die Visitenkarte Marcel Duchamps, 1910 (Vorder- und Rückseite)
© Succession Marcel Duchamp, VG Bild-Kunst/ courtesy Schirmer/Mosel

 


 

Die Beiträge im Katalog vermitteln nun ein weitergehendes Bild davon, dass auch das Deutsche Museum und die Bayerische Gewerbeschau die Sicht des jungen Künstlers nachhaltig prägten. Neueste wissenschaftliche Forschungsergebnisse standen in Duchamps Fokus. So beschäftigt er sich in seinen Bildern aus der Münchner Zeit mit weiblicher Sexualpsychologie, der Institution der Ehe und der Psychologie des Junggesellendaseins.

Der zweisprachige Katalog ist der stilechte Begleiter der herausragenden Duchamp-Ausstellung:  Neben der gelungenen graphischen Gestaltung sind die Text-Beiträge hervorzuheben, die die bisherige Forschung nicht nur rezitieren, sondern fortschreiben. Und sämtliche Autoren beweisen, dass wissenschaftliches Schreiben auch in einer spannenden Sprache geschehen kann. Aufgrund der zahlreichen Abbildungen und Querverweise liegt hier beinahe ein Marcel Duchamp-Handbuch vor.

Ausstellung und Katalogbuch sind Meilensteine in Sachen Marcel Duchamp.

DANDY-CLUB Empfehlung!

 

 

 

 

Städtische Galerie im Lenbachhaus

Luisenstraße 33
80333 München
Telefon +49 89 233 32 00 0
Fax + 49 89 233 32 00 3/4
lenbachhaus(at)muenchen.de
Telefonische Ansage +49 89 233 32 00




Ida Gerhardi

Ida Gerhardi, Selbstbildnis, 1904
Öl auf Leinwand, 43 x 30 cm, Privatbesitz,
Photo: Steffen Schulte-Lippern

 

 

Ida Gerhardi. Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900. Ausstellung der Städtischen Galerie Lüdenscheid noch bis 15. Juli 2012.
Katalog: Hirmer Verlag, München, 240 Seiten mit 150 Abbildungen, gebunden, Euro 39,90.

 

Die Künstlerinnen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts werden wiederentdeckt. Die Stadt Lüdenscheid ehrt ihre Tochter Ida Gerhardi (1862-1927) mit der ersten umfassenden Ausstellung zu ihren Pariser Werken.

Die Malerin steht damit in einer illustren Reihe von Künstlerinnen, die ihr Leben konsequent der Kunst verschrieben hatten und einen eigenen Stil entwickelten. Sehenswerte Ausstellungen der jüngsten Vergangenheit widmeten sich Trude Fleischmann, Eva Besnyö oder Dodo. All diesen Frauen gemein war ein außerordentliches Talent und der ungestüme Wille, ihre Werke einem schwierigen Leben voller teils gesundheitlicher Komplikationen und gesellschaftlicher Umbrüche abzutrotzen.

1890 geht die 18-jährige Ida nach München, um dort die Damenakademie des Künstlerinnen-Vereins zu besuchen. Bereits im Jahr darauf zieht sie nach Paris. Hier nimmt sie ein Studium an der Académie Colarossi auf. Zu der europäischen Kulturmetropole soll sie dann ein Leben lang eine problematische Liebe verbinden. Immer wieder verlässt sie die Stadt – und kehrt doch für begrenzte Zeit immer wieder zurück. Auch nach Berlin entwickelt die couragierte junge Malerin vielfältige Bande: Im Jahr 1900 nimmt sie erstmals an der Ausstellung der Berliner Secession teil. Insbesondere in den folgenden Jahren erhält sie verschiedene Portrait-Aufträge. Diese sind für Ida Gerhardi, die sehr auf ihre künstlerische Unabhängigkeit bedacht ist, zwieschneidig: Einerseits kann sie sich über die Aufträge freuen. Sie sichern für eine gewisse Zeit ihre materielle Existenz und bringen meist Folgeaufträge aus dem vermögenden Bürgertum. Andererseits waren die Auftraggeber nicht immer zufrieden mit dem Ergebnis.

Für ihre weitere Entwicklung von Bedeutung war der Auftrag von Eduard Arnhold, einem reichen Berliner Unternehmer und Mäzen, die Olympia von Eduard Manet zu kopieren. Die 1908 fertiggestellte Kopie löste heftige Reaktionen aus und spaltete die Berliner Kunst-Landschaft in zwei Lager. Hatte sich der Streit in Frankreich um das Original gelegt, so fachte er – wenn auch nur für kurze Zeit – in Berlin noch einmal auf.

Die Städtische Galerie Lüdenscheid zeigt noch bis zum 15. Juli 2012 in Paris entstandene Arbeiten Ida Gerhardis zusammen mit anderen deutschen Malerinnen, die zur Jahrhundertwende in Paris ihr Glück versuchten. Als erste zu nennen ist Käthe Kollwitz, mit der die Lüdenscheiderin befreundet war, und die Künstlerinnen und Künstler im Umkreis des Café du Dôme.

Das begleitende Katalogbuch aus dem Hirmer Verlag dokumentiert in großzügiger Gestaltung die ausgestellten Werke. Ein Schwerpunkt sind die Beziehungen der Malerin zu ihren Künstlerfreundinnen und zu Förderern. So ergibt sich ein anschauliches Panorama einer Künstler-Szene zur Jahrhundertwende. Ein Dutzend Aufsätze vertieft das Verständnis einer engagierten Künstlerin, die als Frau und Malerin ihrer Zeit voraus war.

 

Ida Gerhardi, Tanzbild X (Tanz-Szene bei Bullier, Paris), 1905
Öl auf Pappe, 45,5 x 49 cm, Städtische Galerie Lüdenscheid,
Photo: Steffen Schulte-Lippern © Städtische Galerie Lüdenscheid

 

 

 

Ida Gerhardi, Apachenkneipe, um 1906
Öl auf Leinwand, 49 x 55 cm, Privatbesitz,
Photo: Steffen Schulte-Lippern





August Sander in New York

August Sander, Junge Bauern (Young Farmers), 1914
© SK-Stiftung Kultur – August Sander Archiv/VG-Bild Kunst, Bonn

 

 

 

Die New Yorker Edwynn Houk Gallery präsentiert noch bis zum 12. Mai 2012 eine Ausstellung von mehr als 40 Bildern des Photographen August Sander. Anlass ist die Repräsentation der August Sander-Familien-Sammlung durch die Galerie.

Alle Photos stammen aus der Serie Die Bürger des zwanzigsten Jahrhunderts, einem ehrgeizig angelegten Projekt, in dem August Sander Menschen in der Weimarer Republik portraitieren wollte – quer durch alle sozialen Schichten,  Regionen, Altersstufen.

Bauern, Studenten, Arbeiter, Geschäftsleute, Bankiers, Künstler, Kinder, Behinderte und Arbeitslose interessierten ihn gleichermaßen.

1934 beschlagnahmten die Nazis alle Kopien von Sanders Büchern und Drucken, die sie finden konnten und verbannten diese. Ihn daran zu hindern, weiter Portraits zu machen, ist ihnen nicht gelungen.

 

 

August Sander

Till May 12, 2012

Edwynn Houk

745 Fifth Avenue, 4th Floor
New York, NY 10151
Tel 212 750 7070
Fax 212 688 4848
Hours: Tues-Sat 11-6
info@houkgallery.com

 

 

 



Helmut Newton – Retrospektive – Grand Palais

Affiches de l’exposition
© Affiche Réunion des musées nationaux – Grand Palais

 

 

 

 

 

Die erste Retrospektive Helmut Newtons (1920 – 2004) seit seinem Tod in Frankreich: Das gern von Karl Lagerfeld gebuchte Grand Palais zeigt noch bis zum 17. Juni 2012 eine große Werk-Ausstellung zu dem Photographen, der mitten in der Welt des materiellen Reichtums, von Maske und Fassade lebte – und diese sensibel portraitierte.

 

Die Ausstellung umfasst mehr als zweihundert Bilder. Es handelt sich beinahe ausschließlich um Original-, respektive Vintage-Abzüge, die unter Helmut Newtons Aufsicht hergestellt worden sind.

 

Die großen Themen von Helmut Newton sind die Zentren der Ausstellung: Mode, Akt, Portrait, Sex, Humor. Das Werk des Künstlers entstand an den Pfründen der westlichen Gesellschaft und deren Sicht auf den weiblichen Körper.

 

 

Affiches de l’exposition
© Affiche Réunion des musées nationaux – Grand Palais

 

 

 

 

 

Helmut Newton – Grand Palais, Southeast gallery
24 March 2012 – 17 June 2012

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