Die Chanel-Show im Grand Palais in Paris
Wieder einmal verzauberte Karl Lagerfeld das Grand Palais in Paris mit einer Chanel-Show: Spring Summer 2012. Sehen sie selbst.
Okt. 04
Von Karl Lagerfeld gestaltete Cola-Flaschen
© DANDY-CLUB 2011
Arbiter elegantiarum Karl Lagerfeld gab der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Kurz-Interview, in dem er auch zur politischen Entwicklung in Europa befragt wurde.
Hier der süffisante Auszug:
FAZ: Ist Europa eigentlich noch zu retten?
KL: Das große Drama von Europa ist Europa. Die Leute reden von mehr Steuern. Aber dann gibt ja niemand mehr was aus. Die Leute müssten gezwungen werden, Produkte aus ihrem Land zu kaufen. Dann gäbe es Produktion und Arbeit. Ich bin sehr für Europa, aber mehr im Sinne von eighteenth century enlightenment, et pour le commercial, il y a des freins partout. Ach, entschuldigen Sie, ich höre den Unterschied zwischen Deutsch und Französisch nicht mehr. Im Konsum also gibt es viele Bremsen. Und dann gibt es noch diese Skandale – man geniert sich ja fast für die Leute.
FAZ: Was uns wieder zu Italien führt.
KL: Ja, in Mailand haben alle fürs Frühjahr Badeanzüge mit Strass und solche Sachen entworfen. Das entspricht vielleicht Berlusconi, aber nicht der Realität. Ich habe dagegen etwas fürs tägliche Leben der italienischen Frau gemacht. Die anderen machen ja nur Bling-Bling. Das braucht ja keiner.
Das gesamte Interwiev finden Sie hier: „Ich will das so, dann geht da so!“
Okt. 04
Anton Corbijn
Johnny Cash, Memphis, 1994
FAME ist eine Ausstellung von Photographien berühmter Persönlichkeiten im ART FOYER der DZ BANK Kunstsammlung benannt. Sie eröffnet heute, 4. Oktober 2011, 17.30 Uhr.
Das Art Foyer der DZ Bank Kunstsammlung in Frankfurt am Main gruppierte ihre Schau von siebzehn namhaften Photographen um das Thema Ruhm mit all seinen Konsequenzen.
Joseph Beuys, Chuck Close, Anton Corbijn, Gisèle Freund, Gottfried Helnwein, Barbara Klemm, Will McBride, Angelika Platen, Richard Prince, Wilhelm W. Reinke, Ulrike Rosenbach, Dennis Stock, Wolfgang Tillmans, Piotr Uklanski, Andy Warhol und Sascha Weidner lauten die Namen der Photokünstler, die in ihrer Bedeutung den von ihnen portraitierten Stars nicht unbedingt nachstanden oder nachstehen.
„Der ‚Walk of Fame’ durch unsere Bestände an Fotografien“, erläutert Dr. Christina Leber, Leiterin der DZ BANK Kunstsammlung, „hat uns immer wieder auf Kreuzungen geführt. Zahlreich sind deshalb in dieser Ausstellung die Querverbindungen zwischen den berühmten Namen, wie Joseph Beuys als Politiker und als Künstler, um nur ein Beispiel zu nennen.“
Joseph Beuys etwa findet man im Selbstbildnis mit Andy Warhol ebenso wie auf Aufnahmen von Barbara Klemm und Angelika Platen. Andy Warhol wiederum ist unter anderem mit den Werken Salvador Dali & Ultra Violet und Henry Kissinger & Elisabeth Taylor vertreten.
Gisèle Freunds Erinnerungen an James Joyce, Jean Cocteau, Virginia Woolf oder Simone de Beauvoir sind ebenso zu sehen wie die Gesichtslandschaften der legendären Photografin selbst, die der 1963 in Braunschweig geborene Künstler Wilhelm W. Reinke wenige Jahre vor deren Tod verewigte.
Joseph Beuys | Chuck Close | Anton Corbijn | Arno Fischer | Gisèle Freund | Gottfried Helnwein | Barbara Klemm | Will McBride | Angelika Platen | Richard Prince | Wilhelm W. Reinke | Ulrike Rosenbach | Dennis Stock | Wolfgang Tillmans | Piotr Uklanski | Andy Warhol | Sascha Weidner
5. Oktober bis 17. Dezember 2011
Eröffnung: Dienstag, 4. Oktober 2011, 17:30 Uhr
ART FOYER DZ BANK
Eingang: Cityhaus I, Friedrich-Ebert-Anlage
Platz der Republik, 60265 Frankfurt (Main)
+49 (0)69 7447 2386
kunst@dzbank.de
www.dzbank-kunstsammlung.de
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 11 bis 19 Uhr.
Sep. 30
Prince Charming: Die britische Zeitschrift ES Magazine hob Rupert Everett auf ihren Titel
Wie die Frankfurter Buchmesse meldet, wird der britische Schauspieler Rupert Everett tritt auf der Konferenz StoryDrive auftreten. Der Hollywood-Star wird demnach am 13. Oktober 2011 über die Veränderungen in der Filmbranche sprechen und Einblicke in sein nächstes Projekt The Happy Prince über die letzten Lebensjahre des irischen Schriftstellers Oscar Wilde geben. Auch der Produzent des Films, Jörg Schulze von Cine Plus, habe sich für diesen Termin angekündigt.
Rupert Everett ist Oscar Wilde-Verehrer. 2002 spielte er mit in der Verfilmung des Oscar Wilde-Stückes Ernst sein ist alles.
Die zweitägige Konferenz StoryDrive widmet sich den Geschäften zwischen den Branchen Buch, Film, Videospiele und Internet. Die angemeldeten Teilnehmer treffen sich am 12. und 13. Oktober.
Sep. 23
Der US-amerikanische Publizist Eliot Weinberger
© Nina Subin
Eliot Weinberger ist einer der brillantesten US-amerikanischen Essayisten. Der DANDY-CLUB rezensiert sein gerade in Deutsch erschienenes Buch Orangen! Erdnüsse! und weist auf die Lesereise in Deutschland hin.
DANDY-CLUB-Empfehlung!
Vor zwei Jahren wurde der US-amerikanische Publizist Eliot Weinberger 60 Jahre alt. Zu diesem Anlass würdigte ihn Die Zeit und schrieb, Weinbergers Essays seien »zum Staunen schön«. Doch leider seien sie in Deutschland kaum bekannt.
Dass sich daran etwas ändert, scheint sich die kleine Berliner Verlagsedelschmiede Berenberg zum Ziel gesetzt zu haben. 2008 veröffentlichte sie Eliot Weinbergers Essayband »Das Wesentliche«. Nun den zweiten Essayband »Orangen! Erdnüsse!«.
Weinbergers Essays sind Miniaturen, Künststückchen, Artefakte. Erster Ausweis ihrer Qualität ist ihre Sprache. Die Sätze sitzen. Die Aussagen treffen. Man versteht sie, ohne Nachdenken zu müssen. Das kann man dann an anderer Stelle tun. Eliot Weinbergers Texten ist anzumerken, dass ihr Schöpfer in seinem Leben einige Bücher gelesen hat, einige Länder bereist hat. Und mehr als das, hat er sogar eine ganze Reihe von Büchern unterschiedlicher Sprachen übersetzt. Darunter auch Octavio Paz, dessen Gedicht-Zyklus Sonnenstein er als 18-Jähriger in einer High-School-Bibliothek in einem Buch eingeklebt fand.
„[…] wann sind wir, was wir sind, in Wahrheit, wirklich?
einzeln sind wir, genau betrachtet, niemals
was anderes als Taumel, Schwindel, Leere,
Spiegelfratzen, Entsetzen und Erbrechen,
nie ist das Leben unser, stets von andern, […]
um selbst zu sein, muss ich ein andrer werden,
mich selbst verlassen und mich suchen unter
den andern, die nicht sind, wenn ich nicht da bin,
den andern, die mir volles Dasein geben,
ich bin nicht, Ich gibt es nicht, immer sind wir
als wir, das Leben ist ein andres, immer
jenseits von dir, von mir, nur Horizont stets,
Leben, das uns verlebt und uns entfremdet,
uns ein Gesicht erfindet, es verwittert,
Hunger nach Sein, o Tod, das Brot von allen […].“
Weinberger beschloss spontan, er wolle Schriftsteller werden. Aber erstmal hat er – wie gesagt – mit 19 Jahren Octavio Paz übersetzt. Danach brach er sein Studium ab. Ein feiner und freier Geist kann sich nicht mit Lehrplänen herumschlagen. Anschließend reiste und las er viel. Muss man etwas anderes tun? Dann lebte er vier Jahre in London. Diese (ehemalige) Hauptstadt des Commonwealth sprach zu ihm und erzählte ihm die europäische Geschichte: Die besten Schreiber der alten Kolonien waren längst da. Sie waren zum Teil besser als die Einheimischen. So lernte der Wissbegierige viel über die Vermengung von Kulturen und dass eine höhere Gattung nur aus gegenseitiger Befruchtung entsteht.
Man merkt seinen Texten an, dass sie gereift sind, – im besten Sinne des Wortes. Sie sind die geistige Frucht einer Sprache, die Seiendes durchdrungen hat. Und stets ist sie ihrem Subjekt angemessen. Weinberger wahrt eine gewisse Distanz. Auch wenn er zu dem Beschriebenen großen Respekt hegt, webt er kritische Töne mit ein. Das tut er zum Beispiel bei seinem Essay über die großartige Susan Sontag. Weinberger macht aus seiner Bewunderung keinen Hehl und kommt doch zum Ergebnis, letztlich seien von ihr nur drei Bücher heute wirklich noch lesenswert.
Nur einer war in der Lage, Eliot Weinbergers Contenance zu brechen: Der US-amerikanische Präsident George W. Bush. In seinem wunderbaren Stück, das er für The London Review of Books schrieb, stellt er den damals mächtigsten Mann der Welt einen französischen Intellektuellen gegenüber:
Ende der sechziger Jahre war George Bush jr. in Yale und verpasste Studenten, die in die Verbindung Delta Kappa Epsilon aufgenommen werden wollten, mit einem heißen Kleiderbügel ein Brandzeichen auf das Gesäß. Michel Foucault saß in der Societé française de philosophie und überdachte die Frage: ‚Was ist ein Autor?‘
Eliot Weinberger rezensiert das Buch »Decision Points«, das unter dem Namen des Präsidenten erschien, allerdings von seinen Mitarbeitern zusammengelogen worden ist. Weinberger geht die wesentlichen Stationen von Juniors ‚Karriere‘ durch: Vom Versagen an der Uni, über das Versagen beim Sport bis zum Versenken ungeheurer Summen von Geld bei der Suche nach Erdölvorkommen – wo keine waren. Man lacht sich beim Lesen kaputt – obwohl es sich um eine verdammt erste Angelegenheit handelt.
Nach einer Predigt über Moses und wie er die Israeliten aus Ägypten führte, fasste er den Entschluss, sich als Präsidentschaftskandidat aufstellen zu lassen. Und als ein Mann, der gern früh zu Bett geht, klagte Präsident George W. Bush am 11. September 2001 gegen 22 Uhr, er müsse nun schlafen gehen.
Lesenswert sind die Essays von Eliot Weinberger letztlich auch deshalb, weil der Leser nie weiß, wo die Reise hingehen wird. Die Texte sind nicht nur unterschiedlich lang, auch verrät die Überschrift nicht sogleich, womit sich der kluge Kolumnist beschäftigen wird. Bei der Beschreibung einer Photographie von Anton Bruehl, die dem Band den Titel gegeben hat, beschreibt er die Kulturgeschichte der abgebildeten Früchte.
Mehr sei nicht verraten.
Eliot Weinberger, Orangen! Erdnüsse! Aus dem Englischen von Peter Torberg. 200 Seiten, halbleinen, fadengeheftet, Berenberg Verlag, Berlin 2011, 20 Euro.
Eliot Weinberger liest aus Orangen! Erdnüsse!
Montag, 26. September, 19 Uhr, München
Amerika Haus, Karolinenplatz 3, 80333 München
In der Reihe »Beyond 9/11 – Ein Tag und seine Folgen«
Lesung des deutschen Texts: Beatrice Faßbender
www.amerikahaus.de
Dienstag, 27. September, 20 Uhr, Leipzig
Literaturhaus Leipzig, Gerichtsweg 28, Leipzig
Ingo Schulze im Gespräch mit Eliot Weinberger
Karten 4 / 3 €
Veranstaltet von der Literaturzeitschrift Edit und dem Kuratorium Haus des Buches e. V.
www.haus-des-buches-leipzig.de
www.editonline.de
Mittwoch, 28. September, 20 Uhr, Köln
Buchhandlung Bittner, Albertusstraße 6, 50667 Köln
Moderation und deutscher Text: Beatrice Faßbender
Karten 8 / 6 €
www.bittner-buch.de
Donnerstag, 29. September, 20 Uhr, Berlin
Literarisches Colloquium, Am Sandwerder 5, 14109 Berlin
Moderation und deutscher Text: Bernhard Robben
Karten 6 / 4 €
www.lcb.de
Sep. 22
Sep. 22
Zum heutigen Geburtstag erinnert der DANDY-CLUB an den österreichischen Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller Erich von Stroheim (22. September 1885-12. Mai 1957).
Mehr über den verrückten Dandy: Erich von Stroheim.
Sep. 20
Patti Smith photographiert von Judy Linn
Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Rocksängerin Patti Smith ihre Memoiren unter dem Titel »Just Kids«. Unprätentiös und gefühlvoll beschreibt die Punk-Ikone darin die Anfänge ihrer Karriere. Der Leser erhält einen intimen Einblick in die New Yorker Szene der 1970er-Jahre. Zeit und Ort hatten ein spezifisches Air: Der Vietnamkrieg und Andy Warhol sind heute Embleme jener Zeit, die an sich selbst erbrach.
Pattis Buch erhielt den National Book Award; es war die literarische Sensation in Amerika. Im Zusammenhang damit stimmte die Musikerin auch der Veröffentlichung von sehr persönlichen Photos zu. Sie stammen von Judy Linn, die Patti 1968 kennenlernte. Sie war eine Freundin eines Freundes. Beide waren Teil der New Yorker Bohème, die in ihrer Mittellosigkeit zugleich neue Ausdrucksformen herbeisehnte.
Patti Smith wollte sich gern photographieren lassen. Und Judy Linn, mit der sie sich schnell anfreundete, hatte Spaß daran, sie zu photographieren. In einem kurzen Nachwort zu dem berührenden Bildband »Patti Smith 1969-1976« schreibt Judy Linn, die erst später professionelle Photographin wurde und am Vassar College Photographie unterrichtet:
»Als ich begann, sie zu fotografieren, war es kinderleicht. Patti mochte es, fotografiert zu werden. Unsere Aufnahmen waren so einfach wie die sorgfältig gezeichneten Profile hübscher Mädchen in Highschool-Notizbüchern. Begeistert stürzten wir uns in unsere gemeinsam entworfenen Geschichten, und ich machte Fotos, für die all die Jahre der Verkleidungsspiele und szenischen Fantasien wohl die Vorbereitung gewesen waren.«
So entstanden ungeheuer verletzliche Portraits, in denen das gegenseitige Vertrauen, – Harmonie und Kongenialität dokumentiert sind. Die Aufnahmen sind aesthetische (Selbst-)Versuche, deren Reiz auch darin liegt, wohl niemals zu einer Veröffentlichung bestimmt gewesen zu sein.
Die 1946 in Chicago geborene Patti Smith gilt heute als »Godmother des Punk«. Sie hatte starken Einfluss auf die gesamten Bewegungen von Punk und New Wave. Das 1975 erschienene Album Horses war das erste der späteren Patti Smith Group und gilt als Meilenstein der Rockgeschichte.
Obwohl Patti Smith alles andere als exhibitionistisch ist, hat sie vor Judys Kamera keine Scheu, sich nur im schwarzen Slip zu präsentieren. Es sind immer Posen. Doch diese Posen sind derart authentisch, dass sie heute – vier Jahrzehnte später – nicht als solche wirken.
Neben der heute überhohen Ikone hat Judy Linn auch die Freunde abgelichtet: Vor allem ist es Pattis damaliger Partner Robert Mapplethorpe, der dem Œuvre der Aufnahmen ihren Zusammenhang zum Freundeskreis und der Zeit verleiht. Patti mit Zigarette, Patti mit angezogenen Beinen auf der Couch in sich selbst versunken – oder nur scheinbar?-, Patti beim Schminken. Nicht weniger intim wirken die Photos, auf denen sie mit ihrem Freund in New York umarmt die gefüllte Straße entlanggeht. Und dies, obwohl beide von hinten photographiert worden sind.
Der Band gibt in der eigenen Schwarz-Weiß-Aesthetik von Judy Linn einen berührenden Einblick in die New Yorker Bohème der Prä-Punk-Ära. Die Stärke der Aufnahmen liegt auch darin, dass sie nicht perfekt sein wollen.
Judy Linn, Patty Smith 1969-1976. Knesebeck Verlag München 2011, Gebunden mit Schutzumschlag, 144 Seiten, mit 100 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 24,95 Euro.
Zur Ausstellung der Photos in Hamburg
Sep. 19
Erscheint am 25. November 2011: Lagerfeld Cofidential mit Bildband und Poster
© Koch Media 2011
Unglaubliche zwei Jahre lang hat Regisseur Rodolphe Marconi Karl Lagerfeld begleitet. Aus mehrerern hundert Stunden Filmmaterial entstand sein Dokumentarfilm Lagerfeld Confidential. Es ist ein filmisches Portrait, ungewöhnlich nah am Meister, ungewöhnlich wenig kommentierend. Eigetlich tatsächlich nur zeigend. So ist man als Zuschauer fast live dabei, wenn Lagerfeld die Models instruiert, sich beim Zeichnen über die Schulter gucken lässt oder sogar Einblick in seine intimen Wohnräume gestattet.
Der Zuschauer bekommt ein Gefühl für das Dandy-Dasein: Ein Leben unprätentiös umgeben von Schönem; eine unablässige Gier nach Aesthetic.
Der außergewöhnliche Film wurde 1999 bei den Filmfestspilen in Cannes ausgezeichnet.
Am 25. November wird der Film auf DVD im Rahmen einer De Luxe-Edition bei Koch Media neuveröffentlicht werden. Zu der DVD gehört ein etwa 100-seitiger Bildband und das Film-Plakat.
Sep. 19
Das Zeughaus in Berlin um 1900
Der DANDY-CLUB rezensiert
Benjamin-Studien 2, herausgegeben von Daniel Weidner und Sigrid Weigel, 352 Seiten, Paperback, 39,90 Euro, Wilhelm Fink Verlag, München 2011.
»Benjamins Flaschenpost explodierte eine Generation später nach der Katastrophe, seiner eigenen wie der europäischen«, schreibt Burkhardt Lindner im neuen Sammelband der »Benjamin-Studien«. Er beschreibt damit den Sachverhalt, dass Benjamins Werk über sechzig Jahre nach dessen Tod noch unvermindert weiterwirkt und die Debatten um seine Texte teilweise sogar noch an Heftigkeit gewinnen.
Da sich seit der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe Benjamins viele weitere Texte des Berliners fanden, wurde eine neue Werkausgabe notwendig. Ein weiterer Grund für den anschwellenden Bocksgesang ist, dass Benjamins Freund und Mentor, Theodor W. Adorno, der sich posthum des Œuvres Benjamins annahm, in der von ihm herausgegebenen ersten Werkausgabe so manches unter den Tisch fallen ließ, was ihm ideologisch nicht passte. Dazu gehört ein devoter Brief Benjamins an den Staatsrechtler und politischen Philosophen Carl Schmitt, der hier nun nach Auskunft der Herausgeber erstmalig faksimiliert wird. Benjamin schrieb dem Juristen 1930, verkürzt gesagt, das was Schmitt staatsphilosophisch entwickelt habe, fände sich parallel bei ihm – kunstphilosophisch.
Ein wesentlicher Gewinn der seit Mai 2008 erscheinenden »Kritischen Gesamtausgabe« ist die sinnvolle Zusammenfügung von Texten, die im selben zeitlichen Zusammenhang erschienen sind, so sich das überhaupt noch rekonstruieren ließ. Zuvor waren beispielsweise als Fragmente angesehene, unfertige Texte in einem Band zusammengefasst worden, ohne auf deren Inhalt Rücksicht zu nehmen.
Der nun erschienene Studienband beruht in seinem größten Teil auf einer Tagung, die im September 2009 in Antwerpen stattfand. Sie stellte in ironischer und polemischer Weise die Frage nach Benjamins ‚Treue‘. Das intendierte das Faktum, dass seine Texte weitergelesen und – weitergeschrieben werden. Denn wohl kaum ein Werk dient derart als intellektueller Steinbruch wie das Benjamins.
In dem umfangreichen Band finden sich eine Reihe sehr lohnenswerter Beiträge, die von der ambitionierten Forschung zu Benjamins Werk und dessen Nachbeben zeugen. Kathrin Yacavone untersucht die Rezeption von Benjamins »Kleine Geschichte der Photographie« durch Roland Barthes. Philipp Ekardt schreibt über »Licht und Graphie bei Walter Benjamin« und vermittelt interessante Hinweise über dessen Bild-Denken. Was hat es mit Benjamins Versuch, die Bilder-Welt zu literarisieren auf sich und welche Begrifflichkeiten nahm er sich dabei zu Hilfe?
Der zweite Teil des Bandes widmet sich den ‚Buchstaben‘. Besonders erhellend in bezug auf die Arbeitsweise Benjamins ist der Aufsatz von Malte Kleinwort über die »Desorientierung im Trauerspielbuch«. Der Wissenschaftler geht den Einschüben im Manuskript nach wie in einem archivarischen Labyrinth. Dabei wird deutlich, dass Benjamin kein strukturierter Denker war, wie par excellence Heidegger, sondern meist spontan weiter-schrieb. Beeindruckend sind die abgebildeten Manuskriptseiten Benjamins mit ihren unzähligen Ergänzungen und Einschüben. Sie erinnern an die Schreib-Manie eines Marcel Proust – was nicht die einzige Gemeinsamkeit beider ist. Kleinwort kommt bei einem Beispiel der Einschübe zum Ergebnis, dass Benjamin mit einer eingefügten Folgerung der früher im Text gemachten Aussage diametral widerspreche. Hierbei sollte allerdings berücksichtigt werden, dass Benjamin alles was er schrieb, quasi dem Leben abringen musste. Er war nicht durch akademischen Lehrbetrieb finanziell abgesichert und musste letztlich emigrieren.
Die weiteren Abschnitte des Buches sind betitelt mit Buchstaben, Setzungen, Figuren, Lektüren und Aphorismen. Bisher kaum erforscht ist die Beeinflussung Benjamins durch konservative Denker. Erhellend ist der Beitrag von Reinhard Mehring über die Anmerkungen, die oben erwähnter Carl Schmitt bei Schriften Benjamins gemacht hat. Schmitt kritzelte sein Exemplar von Benjamins Trauerspielbuch mit unzähligen Anmerkungen voll. Es war quasi Schmitts Manie, sich auf diese Weise an der Philosophie von anderen Autoren zu reiben. Schmitt bezog Stellung – für sich selbst – und rezipiert nicht nur, sondern sieht sich augenscheinlich gezwungen, seine Meinung kundzutun.