Ernst Jünger – Carl Schmitt – Briefwechsel

Ernst Jünger und Carl Schmitt auf dem Lac Rambouillet am 19. Oktober 1941
© DLA Marbach

 

 

Ernst Jünger – Carl Schmitt, Briefe 1930 – 1983. Neuausgabe 2012. Herausgegeben, kommentiert und mit einem Nachwort von Helmut Kiesel, Verlag Klett-Cotta, Stuttgart, 940 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag und Leseband, Euro 62.

 

Als im Jahr 1999 der Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Carl Schmitt erschien, war das eine literarische Sensation. Auch wenn viele große Medien noch im ideologischen Denken verharrten, wie der Spiegel, der vom »Duell der Orakel« spottete, wurde das 900-seitige Buch von Intellektuellen begierig aufgenommen. Zu aufschlussreich sind die geistigen Bälle, die sich die beiden Denker und Schriftsteller gegenseitig zuwerfen. Sie geben sich Hinweise auf Bücher, tauschen hintersinnig Zitate aus und erweitern zeitweise in emphatischen Empfehlungen ihre Bekanntenkreise.

Aber der vom Heidelberger Literatur-Professor Helmuth Kiesel herausgegebene Korrespondenz-Band hatte eine profunde Schwäche: Der Kommentar-Teil umfasste zwar in der ersten Auflage bereits knapp 400 Seiten, war jedoch inhaltlich an vielen Stellen unsauber und sogar fehlerhaft. Zudem hat sich aufgrund von einer ganzen Reihe von Forschungsarbeiten und anderen Veröffentlichungen die Quellenlage innerhalb der vergangenen 13 Jahre deutlich verändert. War zu Lebzeiten Ernst Jüngers noch der Briefwechsel zwischen ihm und dem Maler Rudolf Schlichter erschienen (1997), so wurde seit dem Tod Ernst Jüngers am 17. Februar 1998 über ein halbes Dutzend Korrespondenzen publiziert. Ebenfalls an die tausend Seiten stark ist der Briefwechsel mit Gerhard Nebel (2003). 2006 erschien der Briefwechsel mit Gottfried Benn, 2007 die Korrespondenz zwischen Ernst Jünger und Stefan Andres, 2008 die mit Martin Heidegger. Waren sie alle in Jüngers Verlag Klett-Cotta erschienen, so folgten in den nächsten Jahren Briefwechsel mit Personen, die dem großen Solitär nicht so nahe standen in anderen Verlagen. 2008 publizierte ein kleiner Berliner Verlag die Korrespondenz mit der Publizistin Margret Boveri, 2010 erschien diejenige mit dem lange unterschätzten Photographen Albert Renger-Patzsch. Für Furore sorgte wiederum die Veröffentlichung des Austausches zwischen Jünger und Dolf Sternberger in Sinn und Form vor einem Jahr.

Doch zurück zu EJ und CS, wie beide von Eingeweihten genannt werden. Sie lernten sich auf Anregung eines gemeinsamen Freundes, des Philosophen Hugo Fischer 1930 in Berlin kennen. Jünger hatte den zwei Jahre jüngeren Fischer 1925 kennengelernt und sich mit ihm angefreundet: Fischer, der 1926 über Hegels Methode habilitierte, wurde nicht nur Jüngers philosophischer Anreger, sondern auch zum bevorzugten Reisebegleiter. In den 1930er Jahren entwickelte sich dann schnell eine intensive Beziehung zwischen dem Kriegsschriftsteller Ernst Jünger und dem Staatsrechtler Schmitt. Ähnlich war ihre politisch-philosophische Sichtweise auf die Zeit-Verhältnisse. Ihr unterschiedlicher Erfahrungshintergrund führte zu einer gegenseitigen intellektuellen Befruchtung, an der der Leser nun teilhaben kann. Der intensive geistige Austausch hatte auch eine private Annäherung zu Folge: Man traf sich mit den Frauen, die sich ebenfalls anfreundeten; Carl Schmitt wurde Patenonkel von dem zweiten Sohn der Jüngers, Alexander.

Nach 1933 distanzierte sich Jünger zunehmend von Schmitt, der sich den Nationalsozialisten bedingungslos zur Verfügung stellte. Dennoch riss der Kontakt während des gesamten Zweiten Weltkriegs nicht ab. Jünger war stets intellektueller Gentleman. Zum offenen Disput kam es 1950, als ihm Jünger schrieb:

»Sie verweisen meine Warnung vom 28. 11. in den taktischen Bereich und mögen damit Recht haben. Ich bin aber auch berechtigt, Ihnen in der Sache Rat zu erteilen; ich habe das angesichts der folgenschwersten Entscheidung Ihres Lebens nachgewiesen (…) Wären Sie aber in der Sache meinem Rat und Beispiel gefolgt, so würden Sie heute vielleicht nicht mehr am Leben sein, aber berechtigt zum Urteil in letzter Instanz über mich. Wäre ich damals Ihrem Rat und Beispiel gefolgt, so würde ich heute gewiss nicht mehr am Leben sein, weder physisch, noch sonst.«

Diese deutliche Distanzierung von Ernst Jünger gegenüber Carl Schmitts Fehlverhalten im Dritten Reich und seinen ausweichenden Ausreden brachten den Angesprochenen noch weiter in Rage. War er sowieso schon neidisch auf den Erfolg, den Jünger nach dem Krieg rasch hatte, so platzte ihm jetzt endgültig der Kragen: »Ist das nicht die Rabulistik eines Ich-verrückten Rechthabers? Nachwirkung seines Mescalin-Experiments?« Doch Carl Schmitt schrieb das nicht dem Gemeinten, sondern hinterließ solche Injurien nur in seinen privaten Notizbüchern, die vor einigen Jahren unter dem Titel »Glossarium« erschienen.

An seinen alten Weggefährten schrieb er nur:

»Capisco et obmutesco« (»Ich begreife und verstumme«).

Die Neuausgabe des Briefwechsels ist umfangreich korrigiert, durch einige Briefe und ein umfangreiches Register von Tobias Wimbauer ergänzt.

 

 


In memoriam Sacha Guitry

Das Grab von Sacha Guitry auf dem Pariser Friedhof Montmartre
© DANDY-CLUB 2009

 

 

Der DANDY-CLUB erinnert an den französischen Schauspieler, Filmregisseur, Drehbuchautor und Dandy Sacha Guitry, der heute vor 55 Jahren starb.

 

Ernst Jünger schildert in seinem Tagebuch Strahlungen einen Besuch am 15. Oktober 1941:

 

„Mittags mit Speidel bei Sacha Guitry, in der Avenue Elysées Reclus. Vor dem Hause, auf städtischem Boden, steht die Büste des Vaters, des Schauspielers Lucien Guitry, und im Garten ein weiblicher Torso von Rodin, aufgewirbelt von höchster Lust. Zur Begrüßung überreichte Guitry mir eine Mappe mit je einem Briefe von Octave Mirbeau, Léon Bloy und Debussy – drei der Autoren, über die wir bei unserer ersten Begegnung gesprochen hatten. Und bat mich, diese Stücke in meine Sammlung einzureihen. Besonders das Blättchen von Bloy ist schön, mit persönlichen Bemerkungen und einer eigenen, monumentalen Schrift (…)

 

Bei Tisch. Der Salat wurde auf einem silbernen, das Eis auf massiv goldenem Geschirr serviert, das der Sarah Bernhardt gehört hatte. Wieder erstaunte mich die tropische Individualität, die sich vor allem in der Erzählung von Anekdoten, in denen seine Begegnungen mit Königen eine besondere Rolle spielten, entfaltete (…)“

 

Le Feu Follet – Das Irrlicht

Alain (Maurice Ronet) versucht seinen Freund beim Spaziergang von der Belanglosigkeit beider Leben zu überzeugen

 

 

Der 23. Juli ist der Tag, an dem Alain sterben will…

Le Feu Follet (Das Irrlicht) von Pierre Drieu la Rochelle schildert die letzten 48 Stunden im Leben von Alain. Der junge Dandy sieht in seinem Leben keinen Sinn, – obwohl er materiell alles besitzen kann. Als Vorbild diente Drieu sein zeitweiser Freund Jacques Rigaut. Der Roman wurde 1963 von Louis Malle mit Maurice Ronet in der Hauptrolle gelungen verfilmt. Auch heute ist der Schwarz-weiß-Film sehenswert.


Hier als Ausschnitt der Spaziergang (in der Original-Sprache mit Untertiteln):



Art Drive – Die BMW Art Car Collection in London

Jeff Koons, BMW Art Car, 2010 (BMW M3 GT2)
© BMW AG

 

 

Das Institute of Contemporary Art (ICA) bespielt in Partnerschaft mit BMW und dem Büro des Oberbürgermeisters von London für zwei Wochen ein Parkhaus im zentralen Londoner stadtteil Shoreditch. In der Zeit vom 21. Juli bis zum 4. August 2012 werden im Rahmen des London Festivals zum ersten Mal im Vereinigten Königreich die Autos der BMW Art Collection gezeigt – und zwar vollständig.

Die BMW Art Collection wurde vor über 35 Jahren begonnen, als der französische Rennfahrer und Kunstauktionator Hervé Poulain seinen Freund, Alexander Calder bat, ein Objekt zu kreieren, bei dem sich künstlerische Spitzenleistung mit einem aus seiner Sicht ohnehin schon perfekten Objekt verbanden. Das Ergebnis war ein Rennwagen, der dann im Jahr 1975 das 24-Stunden-Rennen von Le Mans bestritt.

Auf sechs Etagen des Parkhauses NCP Car Park an der Great Eastern Street werden alle 16 bisher von renommierten Künstlern gestalteten BMW-Fahrzeuge präsentiert. Die Künstler sind: Alexander Calder, Frank Stella, Roy Lichtenstein, Andy Warhol, Ernst Fuchs, Robert Rauschenberg, M. J. Nelson, Ken Done, Matazo Kayama, Jeff Koons, A. R. Penck und andere.

ART DRIVE! Die BMW Art Car Collection
21. Juli – 4. August 2012
im Parkhaus NCP Great Eastern Street, 35 Great Eastern Street
Shoreditch, London, EC2A 3ER.

Eintritt frei.

Die BMW Art Car Collection

 

 

Karl Lagerfeld for Shu Uemura

Karl Lagerfeld hat sich ein weiteres Mal selbst portraitiert:
Filmstill aus Mon Shu girl birth Story
© Karl Lagerfeld 2012

 

Karl Lagerfeld hat für das japanische Make Up-Label Shu Uemura eine Make Up-Serie kreiert, die ab November 2012 im Handel erhältlich sein wird. Die Serie unter dem Namen Karl Lagerfeld for Shu Uemura soll insgesamt 17 verschiedene Produkte umfassen.

Sie wird in den über 400 Shu Uemura-Shops weltweit erhältlich sein. Natürlich hat Karl Lagerfeld die Photos für die Kampage gemacht. Und quasi nebenbei schuf er noch das Maskottchen – siehe Werbeclip:

 




Roland Barthes – Das Licht des Südwestens

Das Licht des Südwestens – an einem Sonntag-Nachmittag in Brandenburg
© DANDY-CLUB 2010

 

 

Heute, 17. Juli, ist strahlend schönes Wetter. Ich sitze auf der Bank, zwinkere mit den Augen, aus Spaß, wie inder es tun, und sehe – wobei sämtliche Proportionen durcheinander geraten -, wie sich eine Margerite aus dem Garten flach auf die gegenüberliegende Wiese legt, auf die andere Seite der Straße.
Diese Straße bewegt sich wie ein ruhiger Fluß. Hin und wieder von einem Moped oder Traktor befahren (das sind heutzutage die echten Geräusche auf dem Lande, letztlich nicht weniger poetisch als Vogelgesang: Da sie selten sind, betonen sie die Stille der Natur und verleihen ihr das unaufdringliche Gepräge menschlichen Tuns), wird die Straße dann zur Lebensader für einen ganzen, entlegenen Teil des Dorfes. Denn dieses Dorf hat ungeachtet seiner bescheidenen Größe »Außenbezirke«. Ist das französische Dorf nicht stets ein widersprüchlicher Raum? Obschon eng begrenzt und auf einen Mittelpunkt bezogen, reicht es dennoch weit; das meine, klassische, hat nur einen Platz, eine Kirche, eine Bäckerei, eine Apotheke und zwei Lebensmittelläden (zwei Self-Services solte ich heute wohl eher sagen); aberes hat auch aus einer Art Laune, welche die offensichtlichen Gesetze der Kulturgeographie unterläuft, , zwei Friseure und zwei Ärzte. Frankreich – Land des rechten Maßes? Sagen wie lieber – und das auf allen Stufen des öffentlichen Lebens – Land der komplexen Proportionen.

Dies ist der Beginn von Roland Barthes – Das Licht des Südwestens, in Sinn und Form, drittes Heft 1996, S. 401-405. Aus dem Französischen von Helga Robenstein.


Walter Benjamin zum 120. Geburtstag

Walter Benjamin. Passphoto um 1928

 

 

 

 

 

Aus Anlass des 120. Geburtstages von Walter Benjamin (15. Juli 1892-26. September 1940) erinnert der DANDY-CLUB an den jüdischen Intelektuellen mit der Rezension der jüngsten Benjamin-Studien.

 

 

 

Benjamin-Studien 2, herausgegeben von Daniel Weidner und Sigrid Weigel, Wilhelm Fink Verlag, München 2011, 352 Seiten, Paperback, 39,90 Euro.

 

 

 

»Benjamins Flaschenpost explodierte eine Generation später nach der Katastrophe, seiner eigenen wie der europäischen«, schreibt Burkhardt Lindner im neuen Band der Benjamin-Studien. Er beschreibt damit den Sachverhalt, dass Benjamins Werk über sechzig Jahre nach dessen Tod noch unvermindert weiterwirkt und die Debatten um seine Texte sogar noch an Heftigkeit gewinnen.

 

 

Da sich seit der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe viele weitere Texte des Berliners fanden, wurde eine neue Werkausgabe notwendig. Ein weiterer Grund ist, dass Benjamins Freund und Mentor, Theodor W. Adorno, der sich posthum des Œuvres Benjamins annahm, in der von ihm herausgegebenen ersten Werkausgabe so manches unter den Tisch fallen ließ, was ihm ideologisch nicht passte. Dazu gehört ein devoter Brief Benjamins an den Staatsrechtler und politischen Philosophen Carl Schmitt, der hier nun nach Auskunft der Herausgeber erstmalig faksimiliert wird. Benjamin schrieb dem Juristen 1930, verkürzt gesagt, dass was Schmitt staatsphilosophisch entwickelt habe, fände sich parallel bei ihm – kunstphilosophisch.

 

 

Ein wesentlicher Gewinn der seit Mai 2008 erscheinenden Kritischen Gesamtausgabe ist die sinnvolle Zusammenfügung von Texten, die im selben zeitlichen Zusammenhang erschienen sind, so sich das überhaupt noch rekonstruieren ließ. Zuvor waren beispielsweise als Fragmente angesehene, unfertige Texte in einem Band zusammengefasst worden, ohne auf deren Inhalt Rücksicht zu nehmen.

 

 

Der nun erschienene Studienband beruht in seinem größten Teil auf einer Tagung, die im September 2009 in Antwerpen stattfand. Sie stellte in ironischer und polemischer Weise die Frage nach Benjamins ‚Treue‘. Das intendierte das Faktum, dass seine Texte weitergelesen und – weitergeschrieben werden. Denn wohl kaum ein Werk dient derart als intellektueller Steinbruch wie das Benjamins.

 

 

In dem umfangreichen Band finden sich eine Reihe sehr lohnenswerter Beiträge, die von der ambitionierten Forschung zu Benjamins Werk und dessen Nachbeben zeugen. Kathrin Yacavone untersucht die Rezeption von Benjamins Kleine Geschichte der Photographie durch Roland Barthes. Philipp Ekardt schreibt über »Licht und Graphie bei Walter Benjamin« und vermittelt interessante Hinweise über dessen Bild-Denken. Was hat es mit Benjamins Versuch, die Bilder-Welt zu literarisieren auf sich und welche Begrifflichkeiten nahm er sich dabei zu Hilfe?

 

 

Der zweite Teil des Bandes widmet sich den ‚Buchstaben‘. Besonders erhellend in bezug auf die Arbeitsweise Benjamins ist der Aufsatz von Malte Kleinwort über die »Desorientierung im Trauerspielbuch«. Der Wissenschaftler geht den Einschüben im Manuskript nach wie in einem archivarischen Labyrinth. Dabei wird deutlich, dass Benjamin kein strukturierter Denker war, wie par excellence Heidegger, sondern meist spontan weiter-schrieb. Beeindruckend sind die abgebildeten Manuskriptseiten Benjamins mit ihren unzähligen Ergänzungen und Einschüben. Sie erinnern an die Schreib-Manie eines Marcel Proust – was nicht die einzige Gemeinsamkeit beider ist. Kleinwort kommt bei einem Beispiel der Einschübe zum Ergebnis, dass Benjamin mit einer eingefügten Folgerung der früher im Text gemachten Aussage diametral widerspreche.

 

 

Die weiteren Abschnitte des Buches sind betitelt mit Buchstaben, Setzungen, Figuren, Lektüren und Aphorismen. Bisher kaum erforscht ist die Beeinflussung Benjamins durch konservative Denker. Erhellend ist der Beitrag von Reinhard Mehring über die Anmerkungen, die oben erwähnter Carl Schmitt bei Schriften Benjamins gemacht hat. Schmitt kritzelte sein Exemplar von Benjamins Trauerspielbuch mit unzähligen Anmerkungen voll. Es war quasi Schmitts Manie, sich auf diese Weise an der Philosophie von anderen Autoren zu reiben. Schmitt bezog Stellung – für sich selbst – und rezipiert nicht nur, sondern sieht sich augenscheinlich gezwungen, Stellung zu beziehen.

 

 

Schmitt widerspricht Benjamin teils heftig. Und dennoch wird durch beider aphoristische Denk- und Generierungsweise auch ihre Nähe in bestimmten Regionen sichtbar.

 

 

 

Andrew Bush – Vector Portraits

Andrew Bush, Rasende Frauen fahren Richtung Südwest bei 66 km/h auf der 26th Street in der Nähe des Riviera Country Clubs, Pacific Palisades, Kalifornien
Aus der Serie Vector Portraits
© Andrew Bush
Courtesy Yossi Milo Gallery, New York; Julie Saul Gallery, New York, und 3 Punts Galeria, Barcelona

 

 

 

Noch bis zum 31. Juli 2012 präsentiert die 3 Punts Galerie in Berlin die erste Einzelausstellung des US-amerikanischen Photographen Andrew Bush in Deutschland. Zu sehen 32 Arbeiten aus der Serie
Vector Portraits in verschiedenen Größen.

Der 1956 in St. Louis, Missouri geborene Photograph portraitierte Autoinsassen, die in besonderen Autos durch die Innenstadt von Los Angeles und Umgebung gefahren sind. Dafür benutzte Andrew Bush eine Mittelformatkamera, die er auf den Beifahrersitz seines Autos stellte. Dazu kam auch eine sehr starke Blitzanlage, um besser gezeichnete Negative zu erzielen.
Die Aufnahmen wurden aus der Seitenperspektive gemacht und immer aus seinem fahrenden Wagen.

Andrew Bushs Absicht ist, die Übergänge zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten zu zeigen. Der Innenraum des eigenen Autos ist sogleich Privatsphäre wie halb-öffentlicher Raum, in dem sich die Insassen darstellen können. Andrew Bush lebt und arbeitet in Los Angeles.

Andrew Bush – Vector Portraits
Ausstellung noch bis zum 31. Juli 2012

 

3Punts Galerie
Auguststr. 50b, 10119 Berlin
+49 (0)30 3064 6243
http://www.3punts.com
Öffnungszeiten: Di-Sa 12-18 Uhr

Hermann Burger zum 70. Geburtstag

Édouard Manet, Suizid, 1877

 

 

In ihrer herausragenden Biographie schreibt Claudia Storz über den Schweizer Schriftsteller Hermann Burger:

»Aus der chronologischen Abfolge von Burgers Buchtiteln läßt sich ein Ringen um Leben und Sterben ablesen: Mit den Rauchsignalen hat er zum ersten Mal auf sich aufmerksam gemacht, Schilten und Diabelli bauen den Ruf des melancholischen Wortmagiers auf. Die Künstliche Mutter offenbart Starrheit in seiner Kindheit und Künstlichkeit als selbstgefundenes Therapiekonzept. Mit dem Schuß auf die Kanzel bäumt er sich auf und schießt zurück. Mit dem Tractatus logico-suicidalis glaubte er noch, den Suizid durch Worte abwehren zu können. Für Die Scheintoten gibt es bereits keine Hoffnung mehr. Und in Brenner verglimmt Leben und Kraft.«

Hermann Burger, ein Leben lang Verzweifelter, Suchender, Sprach-Perfektionist, unterhielt auf der Frankfurter Buchmesse Helmut Kohl mit Zauberkunststückchen, schickte dem unerbärmlichen Literaturkritiker der Frankfurter Allgemeinen, Marcel Reich-Ranicki, ein goldgeprägtes Kistchen mit edlen Zigarren ins Haus und zeigte damit, welch PR-Talent in ihm steckt. Er liebte blonde Frauen wie rote Ferraris; war Lebenskünstler wie am Leben Verzweifelnder.

Heute vor 70 Jahren wurde das literarische Ausnahme-Genie im Schweizerischen Menziken geboren. Eine Würdigung.

Hermann Burger verbrachte seine Kindheit in  gutbürgerlichem Haus. Schon früh zeigte sich ein großes künstlerisches Talent im gesamten Musischen. Der Junge war nicht nur musikalisch begabt, sondern auch Im Malerischen. Burger studierte zunächst Architektur, später Germanistik, Kunstgeschichte und Pädagogik. Ab 1975 war er Privatdozent an der ETH Zürich.

Hermann Burgers Erzählungen sind getragen von besonders gewissenhaften Recherchen. Seine Figuren sind alter egos: Die synästhetischen Figuren suchen ihre Wahrnehmung des Lebens dem Leser mitzuteilen. Dies tun sie sprachlich liebevoll und virtuos. Dabei entsteht das Gefühl, sie könnten permanent am Leben scheitern. So hat sich Hermann Burger beim Schreiben literarisch vervielfacht: Seine Protagonisten teilen sein Schicksal des (verkannten) Einzelgänger(-Genies), das so talentiert wie sensibel von der Umwelt nicht wahrgenommen werden will.

Seinen 1988 erschienenen Diskurs über die Selbsttötung Tractatus logico-suicidales eröffnet der zum Suizid Hingezogene mit der Aussage

Es gibt keinen natürlichen Tod.

Das Buch enthält 1046 Nummern, die jeweils eine Aussage zum Kontext des Freitodes formulieren. Im Ausmaß seiner seelischen Sprengkraft ist es vergleichbar mit Jean Amérys Der Weg ins Freie. Burgers Leben ist ein Weg in die eigene Mystifizierung. Fiktion und Wirklichkeit verschwimmen. Ästhetizismus versus Depression.

1042 Der Mensch gehört niemandem als sich selbst, er hat jederzeit das Recht, sich selbst zu richten.

1043 Der Suizid ist eine zum Erbleichen exzessive Handlung.

1044 Ich sterbe, also bin ich.

1045 Was zu beweisen war.

1046 Finis.

Am 28.Februar 1989 setzte Hermann Burger seinem Leben ein Ende.

Eine schöne Geschichte über Hermann Burger oder
Warum es lohnt, sich das Kindliche zu erhalten.

 

Franz Hessel – Der Kramladen des Glücks

Melancholischer Abgesang auf die Vorkriegszeit: Franz Hessels Jugend-Roman Der Kramladen des Glücks
Photo: Abendstimmung in Berlin-Halensee
© DANDY-CLUB 2012

 

 

Franz Hessel, Der Kramladen des Glücks. Roman mit einem Nachwort von Manfred Flügge. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2012, 320 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung, Leseband, Euro 21,90.

 

Die Fügung erzeugt manchmal ein süffisantes Zusammentreffen. Im Herbst 2010 erschien Stéphane Hessels Pamphlet Empört Euch! (französischer Originaltitel: Indignez-vous!). Es ist ein kurzer und heftiger Aufruf in der Tradition des französischen politischen Widerstands, der die Franzosen wachrütteln sollte, nicht zu vergessen, dass Frankreich ein Sozialstaat ist; ein vehementes Plädoyer gegen den heutigen Finanzkapitalismus und für den Pazifismus. Von dem Heft wurden in kurzer Zeit über eine Million Exemplare verkauft. In Deutschland avancierte der 1917 geborene Hessel quasi über Nacht zum Medienereignis.

Zur gleichen Zeit begann der kleine Düsseldorfer Lilienfeld Verlag mit der Herausgabe von Romanen des bis dato vergessenen Vaters, Franz Hessel. Der war nur wenigen Eingeweihten ein Begriff – insbesondere als Autor des berühmten Flaneur-Buches durch Berlin. Im Gegensatz zu den Romanen von Franz Hessel war diese Abschiedseloge an das vormoderne Berlin stets lieferbar – wenn auch in ständig wechselnden Verlagen und unter verschiedenen Titeln. Nun erscheint nach Heimliches Berlin der erste von Franz Hessel geschriebene Roman Der Kramladen des Glücks. Hierin beschreibt der Sohn eines vermögenden jüdischen Bankiers die Kindheit von Gustav, die in der Essenz wohl seiner eigenen entspricht: Ein kleiner sensibler Junge wächst in wohlbehüteten Verhältnissen – aber in unruhigen Zeiten auf. Manfred Flügge spricht in seinem profunden Nachwort von einem Entwicklungsroman, weil Autor Hessel erst »im Laufe der Kapitel seinen Ton findet«.

Der Text beginnt mit frühen Eindrücken des kleinen Gustav Behrendt, die Franz Hessel aus der Erinnerung zu beschreiben weiß: Der Autor hat sich – wie schon bei Heimliches Berlin – eine kindliche, reine Sprache behalten. Sie vermag es, dem Leser ein echtes Gefühl für die Wahrnehmung des kleinen Gustav zu vermitteln. Gustav kommt in Berlin in die Schule und studiert später in Freiburg und Berlin. Diese biographischen  Stationen sind für Gustav getragen von der jüdischen Kultur, die bis in die 1930er Jahre in Berlin existierte. Zugleich spürt der Leser die Schilderung einer Zeit, die vor einem Knall steht.

Wie der im vorigen Jahr bei Lilienfeld veröffentlichte Berlin-Roman, ist auch dies Buch kein Roman sui generis. Die Erzählung besteht letztlich aus aneinandergereihten Anekdoten, Erinnerungsstücken, die zwischen Wahrnehmung und der spezifischen Kultur der beschriebenen Epoche, in der sie spielen, oszillieren. Es sind die vielen kleinen Szenen, die ein Leben ausmachen – und die Franz Hessel in seiner wunderbaren Sprache schildert. – So, als würde ein poetischer Geist abends zu Bett gehen und den Tag Revue passieren lassen. Eingewoben in die Erzähldramaturgie sind Tagebuch-Einträge und Briefe.

Es ist doch süß, Asket zu sein. Wenn ich zum Beispiel irgend etwas lerne, was ich gar nicht besonders mag, dann still dabei sitzen bleiben, mit der Brust gegen die Tischplatte, unbewegt, bis die Brust schmerzt, und die Luft ist voll Lampendunst, und weiter lernen die fremden Worte und Zeichen, sich nicht regen, nur ganz wenig Atem holen, bis einem schwindlig wird. Dann, wenn man beinah umsinkt vor Schwäche, dann einmal tief atmen.

Franz Hessel war ein Sprach-Komponist, der seinen Stil verfeinern konnte durch seine Tätigkeit als Lektor für Rowohlt und sein Leben im Umkreis der Schwabinger Bohème mit Stefan George, Ludwig Klages, Alfred Schuler, Karl Wolfskehl und vielen anderen Malern, Dichtern und Intellektuellen. Nicht zuletzt seine ménage à trois inspirierte seine Dichtung und beflügelte seine Gedanken. Er sollte ein Leben lang ein Träumender durchs Leben bleiben – dem letztlich das Schicksal so übel mitspielte.

Er hatte recht früh gut geerbt – und lernte später die Armut kennen. Er konnte lieben – und er ging in den Krieg, um die Abgründe des Lebens zu schauen. Doch selbst im Internierungslager in Frankreich soll er die Contenance bewahrt haben. Manfred Flügge schreibt: »Das kann man auch Noblesse nennen.«