Walter Benjamin zum 120. Geburtstag

Walter Benjamin. Passphoto um 1928

 

 

 

 

 

Aus Anlass des 120. Geburtstages von Walter Benjamin (15. Juli 1892-26. September 1940) erinnert der DANDY-CLUB an den jüdischen Intelektuellen mit der Rezension der jüngsten Benjamin-Studien.

 

 

 

Benjamin-Studien 2, herausgegeben von Daniel Weidner und Sigrid Weigel, Wilhelm Fink Verlag, München 2011, 352 Seiten, Paperback, 39,90 Euro.

 

 

 

»Benjamins Flaschenpost explodierte eine Generation später nach der Katastrophe, seiner eigenen wie der europäischen«, schreibt Burkhardt Lindner im neuen Band der Benjamin-Studien. Er beschreibt damit den Sachverhalt, dass Benjamins Werk über sechzig Jahre nach dessen Tod noch unvermindert weiterwirkt und die Debatten um seine Texte sogar noch an Heftigkeit gewinnen.

 

 

Da sich seit der Herausgabe der ersten Gesamtausgabe viele weitere Texte des Berliners fanden, wurde eine neue Werkausgabe notwendig. Ein weiterer Grund ist, dass Benjamins Freund und Mentor, Theodor W. Adorno, der sich posthum des Œuvres Benjamins annahm, in der von ihm herausgegebenen ersten Werkausgabe so manches unter den Tisch fallen ließ, was ihm ideologisch nicht passte. Dazu gehört ein devoter Brief Benjamins an den Staatsrechtler und politischen Philosophen Carl Schmitt, der hier nun nach Auskunft der Herausgeber erstmalig faksimiliert wird. Benjamin schrieb dem Juristen 1930, verkürzt gesagt, dass was Schmitt staatsphilosophisch entwickelt habe, fände sich parallel bei ihm – kunstphilosophisch.

 

 

Ein wesentlicher Gewinn der seit Mai 2008 erscheinenden Kritischen Gesamtausgabe ist die sinnvolle Zusammenfügung von Texten, die im selben zeitlichen Zusammenhang erschienen sind, so sich das überhaupt noch rekonstruieren ließ. Zuvor waren beispielsweise als Fragmente angesehene, unfertige Texte in einem Band zusammengefasst worden, ohne auf deren Inhalt Rücksicht zu nehmen.

 

 

Der nun erschienene Studienband beruht in seinem größten Teil auf einer Tagung, die im September 2009 in Antwerpen stattfand. Sie stellte in ironischer und polemischer Weise die Frage nach Benjamins ‚Treue‘. Das intendierte das Faktum, dass seine Texte weitergelesen und – weitergeschrieben werden. Denn wohl kaum ein Werk dient derart als intellektueller Steinbruch wie das Benjamins.

 

 

In dem umfangreichen Band finden sich eine Reihe sehr lohnenswerter Beiträge, die von der ambitionierten Forschung zu Benjamins Werk und dessen Nachbeben zeugen. Kathrin Yacavone untersucht die Rezeption von Benjamins Kleine Geschichte der Photographie durch Roland Barthes. Philipp Ekardt schreibt über »Licht und Graphie bei Walter Benjamin« und vermittelt interessante Hinweise über dessen Bild-Denken. Was hat es mit Benjamins Versuch, die Bilder-Welt zu literarisieren auf sich und welche Begrifflichkeiten nahm er sich dabei zu Hilfe?

 

 

Der zweite Teil des Bandes widmet sich den ‚Buchstaben‘. Besonders erhellend in bezug auf die Arbeitsweise Benjamins ist der Aufsatz von Malte Kleinwort über die »Desorientierung im Trauerspielbuch«. Der Wissenschaftler geht den Einschüben im Manuskript nach wie in einem archivarischen Labyrinth. Dabei wird deutlich, dass Benjamin kein strukturierter Denker war, wie par excellence Heidegger, sondern meist spontan weiter-schrieb. Beeindruckend sind die abgebildeten Manuskriptseiten Benjamins mit ihren unzähligen Ergänzungen und Einschüben. Sie erinnern an die Schreib-Manie eines Marcel Proust – was nicht die einzige Gemeinsamkeit beider ist. Kleinwort kommt bei einem Beispiel der Einschübe zum Ergebnis, dass Benjamin mit einer eingefügten Folgerung der früher im Text gemachten Aussage diametral widerspreche.

 

 

Die weiteren Abschnitte des Buches sind betitelt mit Buchstaben, Setzungen, Figuren, Lektüren und Aphorismen. Bisher kaum erforscht ist die Beeinflussung Benjamins durch konservative Denker. Erhellend ist der Beitrag von Reinhard Mehring über die Anmerkungen, die oben erwähnter Carl Schmitt bei Schriften Benjamins gemacht hat. Schmitt kritzelte sein Exemplar von Benjamins Trauerspielbuch mit unzähligen Anmerkungen voll. Es war quasi Schmitts Manie, sich auf diese Weise an der Philosophie von anderen Autoren zu reiben. Schmitt bezog Stellung – für sich selbst – und rezipiert nicht nur, sondern sieht sich augenscheinlich gezwungen, Stellung zu beziehen.

 

 

Schmitt widerspricht Benjamin teils heftig. Und dennoch wird durch beider aphoristische Denk- und Generierungsweise auch ihre Nähe in bestimmten Regionen sichtbar.