Franz Hessel – Der Kramladen des Glücks

Melancholischer Abgesang auf die Vorkriegszeit: Franz Hessels Jugend-Roman Der Kramladen des Glücks
Photo: Abendstimmung in Berlin-Halensee
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Franz Hessel, Der Kramladen des Glücks. Roman mit einem Nachwort von Manfred Flügge. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2012, 320 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung, Leseband, Euro 21,90.

 

Die Fügung erzeugt manchmal ein süffisantes Zusammentreffen. Im Herbst 2010 erschien Stéphane Hessels Pamphlet Empört Euch! (französischer Originaltitel: Indignez-vous!). Es ist ein kurzer und heftiger Aufruf in der Tradition des französischen politischen Widerstands, der die Franzosen wachrütteln sollte, nicht zu vergessen, dass Frankreich ein Sozialstaat ist; ein vehementes Plädoyer gegen den heutigen Finanzkapitalismus und für den Pazifismus. Von dem Heft wurden in kurzer Zeit über eine Million Exemplare verkauft. In Deutschland avancierte der 1917 geborene Hessel quasi über Nacht zum Medienereignis.

Zur gleichen Zeit begann der kleine Düsseldorfer Lilienfeld Verlag mit der Herausgabe von Romanen des bis dato vergessenen Vaters, Franz Hessel. Der war nur wenigen Eingeweihten ein Begriff – insbesondere als Autor des berühmten Flaneur-Buches durch Berlin. Im Gegensatz zu den Romanen von Franz Hessel war diese Abschiedseloge an das vormoderne Berlin stets lieferbar – wenn auch in ständig wechselnden Verlagen und unter verschiedenen Titeln. Nun erscheint nach Heimliches Berlin der erste von Franz Hessel geschriebene Roman Der Kramladen des Glücks. Hierin beschreibt der Sohn eines vermögenden jüdischen Bankiers die Kindheit von Gustav, die in der Essenz wohl seiner eigenen entspricht: Ein kleiner sensibler Junge wächst in wohlbehüteten Verhältnissen – aber in unruhigen Zeiten auf. Manfred Flügge spricht in seinem profunden Nachwort von einem Entwicklungsroman, weil Autor Hessel erst »im Laufe der Kapitel seinen Ton findet«.

Der Text beginnt mit frühen Eindrücken des kleinen Gustav Behrendt, die Franz Hessel aus der Erinnerung zu beschreiben weiß: Der Autor hat sich – wie schon bei Heimliches Berlin – eine kindliche, reine Sprache behalten. Sie vermag es, dem Leser ein echtes Gefühl für die Wahrnehmung des kleinen Gustav zu vermitteln. Gustav kommt in Berlin in die Schule und studiert später in Freiburg und Berlin. Diese biographischen  Stationen sind für Gustav getragen von der jüdischen Kultur, die bis in die 1930er Jahre in Berlin existierte. Zugleich spürt der Leser die Schilderung einer Zeit, die vor einem Knall steht.

Wie der im vorigen Jahr bei Lilienfeld veröffentlichte Berlin-Roman, ist auch dies Buch kein Roman sui generis. Die Erzählung besteht letztlich aus aneinandergereihten Anekdoten, Erinnerungsstücken, die zwischen Wahrnehmung und der spezifischen Kultur der beschriebenen Epoche, in der sie spielen, oszillieren. Es sind die vielen kleinen Szenen, die ein Leben ausmachen – und die Franz Hessel in seiner wunderbaren Sprache schildert. – So, als würde ein poetischer Geist abends zu Bett gehen und den Tag Revue passieren lassen. Eingewoben in die Erzähldramaturgie sind Tagebuch-Einträge und Briefe.

Es ist doch süß, Asket zu sein. Wenn ich zum Beispiel irgend etwas lerne, was ich gar nicht besonders mag, dann still dabei sitzen bleiben, mit der Brust gegen die Tischplatte, unbewegt, bis die Brust schmerzt, und die Luft ist voll Lampendunst, und weiter lernen die fremden Worte und Zeichen, sich nicht regen, nur ganz wenig Atem holen, bis einem schwindlig wird. Dann, wenn man beinah umsinkt vor Schwäche, dann einmal tief atmen.

Franz Hessel war ein Sprach-Komponist, der seinen Stil verfeinern konnte durch seine Tätigkeit als Lektor für Rowohlt und sein Leben im Umkreis der Schwabinger Bohème mit Stefan George, Ludwig Klages, Alfred Schuler, Karl Wolfskehl und vielen anderen Malern, Dichtern und Intellektuellen. Nicht zuletzt seine ménage à trois inspirierte seine Dichtung und beflügelte seine Gedanken. Er sollte ein Leben lang ein Träumender durchs Leben bleiben – dem letztlich das Schicksal so übel mitspielte.

Er hatte recht früh gut geerbt – und lernte später die Armut kennen. Er konnte lieben – und er ging in den Krieg, um die Abgründe des Lebens zu schauen. Doch selbst im Internierungslager in Frankreich soll er die Contenance bewahrt haben. Manfred Flügge schreibt: »Das kann man auch Noblesse nennen.«