BSA Dandy

Original-Anzeige für die BSA Dandy 70 Light Scooter


Der Begriff  ‚Dandy‘ ist in zwei großen Wellen von der Werbung aufgenommen worden: In der Zwischenkriegszeit des vorigen Jahrhunderts und in den 1950er und 1960er Jahren. In diesen Zeiten war alles auf Wachstum und Entwicklung ausgerichtet; der Dandy galt als Synonym für Luxus und Unabhängigkeit. Auch die britische Motorradmarke BSA brachte ein Moped mit dieser Bezeichnung auf den Markt.

Die junge Dame fühlt sich sichtlich wohl – auf ihrem Dandy


Eine umfangreiche Photo-Gallerie aller BSA-Modelle findet sich hier:
http://www.vintagebike.co.uk/Bike%20Directories/BSA%20Bikes/BSA%20index.htm



Sodomie und Tod in Wien

Napoléon Sarony: Portrait  von Oscar Wilde, 1882 (Ausschnitt)



Das hat man in Deutschland seit Ende der 1970er Jahre kaum mehr gelesen:
Jugendlichen unter 14 Jahren ist der Zutritt nicht gestattet. Besonders sensiblen Personen wird abgeraten, in die Ausstellung zu gehen:
Kontroversen. Justiz, Ethik und Fotografie im Kunst Haus Wien (4. März – 20. Juni 2010)  ist eine Ausstellung, die etwa 90 Photographien zeigt. Sie alle haben einmal heftige Debatten ausgelöst, die zum Teil gar vor Gericht landeten. Manchmal wurde Sodomie unterstellt, in einem anderen Fall eine sittenwidrige Darstellung eines Toten.

Um das mittlerweile berühmte Portrait Oscar Wildes von Napoléon Sarony kam es um 1900 zur juristischen Auseinandersetzung, weil es ein anderer Photograph kopiert hatte. Das Urteil war maßgeblich für die Photgraphie-Geschichte: Das Gericht machte einen möglichen Anspruch auf Urheberrechtsschutz davon abhängig, dass Sarony es davon überzeugt, sein Werk habe einen künstlerischen Wert. Da ihm dies gelang, wurde die Photografie in den USA fortan rechtlich als Kunstform anerkannt.

Kunst Haus Wien
Untere Weißgerberstraße 13, 1030 Wien
Geöffnet täglich 10.00 – 19.00 Uhr.

 http://www.kunsthauswien.com/de/ausstellungen/index.html


Krachkultur 13

Die Bremer Literaturzeitschrift Krachkultur bringt ihre 13. Ausgabe


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Unter einem Photo einer Collage von Fabian Reimann in der neusten Ausgabe von Krachkultur steht:
»Ich fand heraus, daß die Gründe für die Vulgaritäten der Zivilisation viel tiefer lagen, als ich gedacht hatte. Schritt für Schritt wurde ich zu der Schlußfolgerung getrieben, daß sie der Ausdruck einer unserer Moral innewohnenden Schwäche sind, die uns durch die gegenwärtigen Gesellschaften aufgezwungen wird, und daß es nutzlos ist zu versuchen, lediglich von außen mit diesen Häßlichkeiten zu Rande zu kommen …«
Dies könnte als Motto über der neuesten Nummer der Bremer Literaturzeitschrift stehen. Dazu passt auch, dass Reimann als Autor zwar William Morris nennt, – jedoch hinzufügt: »Quelle verbummelt«. Es ist diese Grundehrlichkeit, die den Reiz der Kultzeitschrift ausmacht. Verzeihung. Dieser Begriff ist wahrlich abgelutscht. Dennoch gebrauchen wir ihn hier. Uns fällt kein besserer ein.
Und mutig sind sie auch noch, die beiden jungen Herausgeber Martin Brinkmann und Fabian Reimann. So ist quasi Starautor der Ausgabe 13 kein Geringerer als der sehr schillernde Edward Limonow. Von dem liest man mehrere zum erstenmal ins Deutsche übertragene Stücke, allesamt Auszüge aus bislang nicht übersetzten Büchern. Der Schriftsteller und Politiker, der »das Beste von Hitler und Stalin« zusammenbringen möchte, schreibt in einem autobiographischen Roman über seine Zeit in einem heruntergekommenen Hotel in New York: »Klar, theoretisch weiß man, dass das Leben auch in Auschwitz weitergeht. Nur wird man sich ja nie davon überzeugen können, ob man in Auschwitz überlebt hätte. Auch über das Thema ‚Wie kann man als einziger Weißer unter lauter Schwarzen in einem Hotel leben‘ hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht.«
Das Cover von Krachkultur 13 spiegelt seinen Leser

Limonow ist aufgewachsen in einer ukrainischen Kleinstadt, siedelte als Jugendlicher nach Moskau über, wo er sich zunächst als Arbeiter durchschlug. Da er sein Leben lang schrieb, suchte er Kontakt zum literarischen Untergrund.  1974 wurde er als Dissident aus der Sowjetunion ausgewiesen. Limonow ging in die USA. Hier bewahrte er sich seinen kritischen Geist. Er sah die Zustände als nicht besser als in seiner Heimat an, doch sei die Manipulation perfektioniert. So hatte er Schwierigkeiten, seine Texte in den USA zu publizieren. Seinen in Deutschland unter dem Titel Fuck Off, Amerika bekannten Roman schrieb er 1976 und fand erst 1979 einen Verleger in Frankreich. 1994 gründete er die Nationalbolschewistische Partei Russlands (NBP). Diese agierte massiv antiamerikanisch und antikapitalistisch und wurde 2005 vom russischen Innenministerium verboten.

Limonow schildert seine Erfahrungen in dem Hotel ungefiltert: »Die Schwarzen sehen noch das Tier in dir, das haben sie noch drauf. Sie checken deine Bewegungen, das Muskelspiel auf deinem Gesicht. Die kriegen die kleinste Angst in dir mit. Da kannst du schauspielern, wie du willst Whitey, mein kleiner Weißer. Die geringste Unsicherheit, Unterwürfigkeit, Unruhe wird erkannt.«


Barbara Lehmann schreibt in ihrer »Nachbemerkung zu Edward Limonow«, der sei »rebellisch, degoutant, aggressiv, zärtlich, egoman, genial«. Ihre knapp zwei Seiten lesen sich wie ein Satz. Vielleicht ist es auch nur einer. Worte wie aus einem Maschinengewehr abgefeuert. Schnell, stakkatoartig. Ohne Pause. Ohne Unterlass.

Erwähnenswert wäre noch so einiges in dieser neuen
Krachkultur. Zum Beispiel Denton Welchs »Als ich Kunst studierte« (»… die Angst vor meinen eigenen Gedanken und die Angst vor der Leere und die Angst davor, keinen Kontakt zu anderen Menschen zu haben …«). Oder Ragnar Hovland: »Er hatte eine Weile nachgedacht über all die hübschen Mädchen, die schließlich bei den übelsten Arschlöchern endeten, sie heirateten, ihnen Kinder gebaren, geschlagen wurden, Alkohol tranken und schon nach wenigen Jahren alt und verbraucht aussahen.«

Erwähnen wir noch – last but not least – das schöne Stück von Wolf Reiser über Wondratschek, in dem der Autor über seine Treffen mit dem schon damals berühmten Schriftsteller in dessen Stammbar, dem Schumanns in München berichtet.

Krachkultur Ausgabe 13: gewagt, berührend & totaly incorrect.

Krachkultur 13/ 2010.
Hrsg. von Martin Brinkmann und Fabian Reimann.
184 Seiten. Paperback.
Bilder: © Krachkultur. All rights reserved.

Vogue-Photos in Halle

Horst P. Horst: Marlene Dietrich, New York 1942




Eine Photo-Ausstellung bringt die große Welt in das sachsen-anhaltinische  Halle. Ab morgen, 4.März bis zum 25. April 2010 zeigt die Galerie des Kunstvereins Talstraße Photos von Horst P. Horst (1906-1999). Darunter auch die Aufnahme von Marlene Dietrich in New York 1942. Der Photograph hieß eigentlich Horst Paul Albert Bohrmann, war Sohn eines Kaufmanns und wanderte 1935 in die USA aus. Bereits ab 1931 arbeitete er für Vogue. Und er bekam die Prominenz vor die Linse: Gertrude Stein, Marlene Dietrich, Coco Chanel, Karl Lagerfeld.

Der im sachsen-anhaltischen Weißenfels geborene spätere Star-Photograf schenkte dem Schloss Weißenfels ein Konvolut von Photos, von denen nun 21 zu sehen sind. Dazu kommen 12 weitere aus seinem US-Nachlass.

http://www.kunstverein-talstrasse.de/


Weißer Maßanzug

 
Der US-amerikanische Dandy-Schriftsteller Tom Wolfe auf dem Titel des Time-Magazins



Zum heutigen Geburtstag von Tom Wolfe (2. März 1931 in Richmond, Virginia) empfiehlt der DANDY-CLUB die Lektüre der Rezension seines großen Romans Ich bin Charlotte Simmons in der Süddeutschen Zeitung. Beide Texte haben fünf Jahre auf dem Buckel – sind aber nach wie vor lesenswert.

Tom Wolfes Roman passe dem Autoren „so genau wie einer seiner berühmten weißen Maßanzüge“, schreibt die SZ. Die Zeitung ist des Lobes voll:  
“ Es handelt sich um ein in jeder Hinsicht grandioses Werk: ein knallbuntes Melodram voll donnernder Thesen, über weite Strecken schreiend langweilig, immer wieder von Anfällen meisterhafter Groß-Schlachtbeschreibung unterbrochen, dem Heldischen verfallen, dem ewig Weiblichen ergeben, um den Roman eines Moralisten mit einem Hang zur saftigen Pornographie, um einen hysterischen Anfall und gleichzeitig einen mechanisch nach Schema F konstruierten Spannungsroman …“


Die gesamte Rezension finden Sie hier:
http://www.sueddeutsche.de/kultur/157/405934/text/

Sehenwert: Das Time Magazine interviewt Tom Wolfe zu Haus:




Ein idealer Ehemann in Frankfurt


„Ein idealer Ehemann“ am English Theatre in Frankfurt am Main
Bild: Copyright English Theatre Frankfurt. All rights reserved.



Die Frankfurter Rundschau online bespricht die Aufführung des English Theatre Frankfurt von Oscar Wildes Sittenkomödie An Ideal Husband (Ein idealer Ehemann). Ob des Lobes für Vorlage und Inszenierung ist man an Charles Baudelaires Diktum erinnert, der Dandyismus sei ein „Phänomen in Übergangszeiten“.

Das Stück werde mit den Jahren immer moderner, schreibt FR online. Ein Auszug:

„Es ist ja nicht nur ein Aphorismen-Feuerwerk, in dessen Mitte der fabelhafte Lord Goring (Kinogängern besser bekannt als Rupert Everett) eine Wortwitz-Rakete nach der anderen zündet, während auch in seiner Umgebung immerhin Wunderkerzen flappern beziehungsweise wenigstens das nächste Streichholz angereicht wird. Sondern auch die gelegentlich als sentimental abgetane Handlung beweist mit jedem Politikerskandal mehr ihren aktuellen, trockenen Realismus. Dem Politik-und-Gesellschaft-sind-halt-so steht entgegen, dass der Einzelne sich trotzdem dafür oder dagegen entscheiden kann. Selbstverständlich entscheidet er sich dafür. Wahren Anstand, führt Wilde zwei Stunden lang aus, hat nur der Dandy (…)“

Den vollständigen Bericht finden Sie hier:

http://www.fr-online.de/in_und_ausland/kultur_und_medien/theater/2366726_Dandys-Glueck.html

Die Heimatseite des Theaters:
http://www.english-theatre.org/


Nackte Distanz

Das Katalog-Buch zur Giacometti-Ausstellung in Duisburg


Die bedeutende Ausstellung Alberto Giacometti – Die Frau auf dem Wagen im Duisburger Wilhelm Lehmbruck Museum läuft noch bis zum 18. April 2010.

Aus ihrem Anlass besprechen wir das bibliophile Katalog-Buch aus dem Münchner Hirmer Verlag.

Die Bedeutung der Werke von Alberto Giacometti scheint ungeheuer groß. Dies wird immer stärker bewusst. Kaum ein Künstler vermochte es, Präsenz und Distanz so eindringlich und dabei so gleichzeitig darzustellen, zu er-schaffen.
Die Präsenz ist Präsenz nur in der Distanz. Und die vom Betrachter wahrgenommene Distanz scheint absolut. Unüberwindbar. Maurice Blanchot schrieb: »Giacomettis Gabe, an der er uns teilhaben lässt, besteht darin, im Raum der Welt ein unendliches Intervall zu öffnen, von dem aus sich Präsenz ereignet – für uns, aber gleichsam ohne uns.
Die Crux, in die der Betrachter im logischen Moment seiner Begegnung gezogen wird: Distanz und Präsenz unterscheiden sich in nichts. Sie sind vollkommen identisch – und verweisen somit sogleich auf ein höheres Anderes. Welche Nähe kann ICH zu dem Ding erreichen? Welche Nähe haben wir zu anderen Menschen!
Die Distanz ist ohne Vergangenheit.
Die Frau auf dem Wagen (Femme au chariot), die Giacometti in verschiedenen Variationen schuf, scheint ein Gipfelpunkt dieser Sublimierung. Die Skulptur von 1942/ 43 ist eine annähernd lebensgroße, nackte Gipsfigur. Die statuarische Frontalität – mit angelegten Armen und eng verbundenen Beinen – verleiht ihr das Antlitz eines Kultbildes. Dabei hat sie Göttliches, zugleich Verletzliches. Ihr Gesicht bricht auch dies wiederum und scheint eher von zeitloser Immanenz zu zeugen. Der massige Würfel hebt sie ab, gibt ihr Stand, distanziert vom Beobachter und gibt ihr selbst zugleich Grazie aufgrund des Massenunterschiedes zu ihrer Grazilität. Paradox: Der massige Würfelsockel bettet in einem flachen, fast fragil wirkenden Holzwagen. Er widerspricht einem festen Standpunkt, den der Massewürfel doch bevorzugt. Ironie? Wird unser Interpretieren- und Wissenwollen hier ironisch gebrochen? Giacometti selbst hat auf Nachfragen von Galeristen nicht blicken lassen. Er berief sich auf einen Medikamentenwagen im Krankenhaus, der ihn dazu inspiriert hätte. Heute weiß man, dass es zu der Zeit, als er im betreffenden Hospital war, dort keinen solchen Medikamentenwagen mit Rädern gegeben hat.
Eine Ausstellung im Stiftung Wilhelm Lehmbruck Museum in Duisburg (31.01. bis 18.04.2010) zeigt nicht nur dieses Meisterwerk, das für den Künstler den Durchbruch darstellte, sondern darüber hinaus weitere Skulpturen, ergänzende Studien, Skizzen, Zeichnungen und Photos. Aufgrund ihrer Zusammenschau eine außergewöhnliche Ausstellung.

Ermöglicht worden ist sie durch eine ganze Reihe von – für das kleine Museum – glücklichen Fügungen. Die erste war nach Aussage von Christoph Brockhaus, dem Direktor der Stiftung, im Nachhinein, dass Lothar Günther Buchheim 1986 seine Zusage zurückzog, seine umfangreiche Expressionismus-Sammlung als Dauerleihgabe zur Verfügung zu stellen. Jedoch hatte die Stadt eigens dafür das Museum architektonisch verdoppelt. Zu dem nun vorhandenen Raum kam noch eine Spende der Peter-Klöckner-Stiftung in Höhe von zwei Millionen Mark. Die dritte Fügung war, dass Giacomettis lebensgroße Femme au chariot aus der Privatsammlung des Arztes ihres Schöpfers auf den freien Kunstmarkt gekommen war und somit vom Museum erworben werden konnte.

Das die Ausstellung begleitende Katalog-Buch erfüllt seine Aufgabe kongenial: Es präsentiert nicht nur sämtliche Werke der Ausstellung, sondern dokumentiert zum ersten Mal die Entstehungsgeschichte der Skulptur. Dazu gehören bislang unveröffentlichte Werkgruppen und Erläuterungstexte von internationalen Kunstwissenschaftlern. Zwei Klapptafeln, 150 Farbabbildungen und 80 in Schwarz-Weiß lassen das sehr ästhetische Buch schon jetzt zu einem Sammlerobjekt werden.

Alberto Giacometti: Die Frau auf dem Wagen. Triumph und Tod. Hg. von Gottlieb Leinz und Véronique Wiesinger, Katalog zur Ausstellung im Wilhelm Lehmbruck Museum Duisburg.  224 Seiten, inklusive einer CD mit englischen Übersetzungen der Texte, München, Hirmer Verlag, 2010.


©  Matthias Pierre Lubinsky. All rights reserved.



Stilvoll vorgefahren

 
Jaguar E-Type vor dem Theater Gloria in Köln


Wie man stilvoll vorfährt, weiß der Jaguar-Club. Ein Jaguar E-Type vor dem Gloria Theater in Köln während der Jerry Cotton Nacht 2004.

Verschiedene Jaguar E-Types kann man dort auch ausleihen:
http://www.jaguar-club.de/geschenk.htm


Mehr Bilder von der Jerry Cotton Nacht:
http://www.jaguar-club.de/koeln/jerry-cotton+Jaguar-Forum/page_01.htm

Dank an Jagman!

Die Frauen warten auf den smarten Jaguar-Lenker

Photos: Copyright Thomas Stromski/ Jaguar-Club. All rights reserved.


Form und Substanz

Der Münchner Wilhelm Fink Verlag veröffentlicht den Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und dem Photographen der Neuen Sachlichkeit Albert Renger-Patzsch:
Der DANDY-CLUB rezensiert die Korrespondenz als erstes Medium.

Soeben ausgeliefert: Der Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Albert Renger-Patzsch



Kurt Tucholsky nannte ihn seinen »Lieblingsfotografen«. Thomas Mann sah in ihm schlicht einen »Kamera-Virtuosen«. Albert Renger-Patzsch (1897-1966) wehrte sich vehement gegen den Anspruch, die Photographie sei Kunst. Sie dahin heben zu wollen, konnte seiner Auffassung nach nur misslingen. Stattdessen solle man sie nutzen, um zu dokumentieren. »Überlassen wir die Kunst den Künstlern«, sagte der Mann, der später zu einem der bedeutendsten deutschen Photographen werden sollte.

Albert Renger-Patzsch machte sich einen Namen durch herausragende Industriephotos. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg bekam er Aufträge von Unternehmen wie Krupp und Pelikan, die es ihm ermöglichten, die Industrialisierung auf seine Art festzuhalten. Später nannte man diesen Stil Neue Sachlichkeit. Doch auch die andere Seite der Welt interessierte ihn: In den 1920er Jahren hat er in Hamburger Parks Landschaftspanoramen und Einzelnes wie Bäume und Blüten aufgenommen.
Der Schriftsteller Ernst Jünger näherte sich der Welt scheinbar von anderem Blickwinkel. Sah Renger-Patzsch seine Aufgabe darin, die Form als ein an der Oberfläche der Dinge vorhandenes Gesetz sichtbar werden zu lassen, so suchte Jünger nach dem Gesetz dahinter: Was soll uns die Erscheinung sagen?
Dennoch realisierten die beiden Ausnahmepersönlichkeiten zusammen zwei absolut außergewöhnliche Buchprojekte: Bäume und Gestein. Beide Bücher wurden ermöglicht durch den Unternehmer Ernst Boehringer. Er war Mitinhaber der Firma C. H. Boehringer Sohn Ingelheim und war Renger-Patzsch freundschaftlich zugetan.
Die Herausgeber von Ernst Jünger – Albert Renger-Patzsch Briefwechsel 1943-1966 übersehen allerdings ein entscheidendes Faktum: In ihrer Erläuterung zu Ernst Boehringer schreiben sie, Boehringer sei mit Jünger »auch über den gemeinsamen Freund Hans Speidel indirekt verbunden«. Jünger und Boehringer waren wesentlich mehr als das. Es ist bekannt, dass Jünger in seinem sehr ausführlichen Tagebuchwerk zurückhaltend ist mit Äußerungen über Freundschaften und persönliche Beziehungen. Wen er jedoch als Freund bezeichnet, der war auch einer. Ernst Boehringer nennt Jünger in Siebzig verweht I einen »großen Freund«. Außerdem erfährt der Leser der Tagebücher, dass Jünger an dessen Grab stand. Und immerhin hat Boehringer dem Schriftsteller eine »strahlblaue Iris« geschenkt (16. Juni 1966). Hier wäre weitere Forschung interessant. Auch im Nachwort des Bandes erfährt man nur, dass Boehringer Jünger anlässlich eines Buchvorhabens besuchte.
Gedruckt wurden die realisierten Photobände von der Officina Bodini des Giovanni Mardersteig in Verona, die sich auf bibliophile Drucke mittels Handpresse spezialisiert hatte. 1927 gewann Mardersteig die Ausschreibung für Gestaltung und Druck der Gesamtausgabe Gabriele d’Annunzios. Heute sind die beiden als Privatdrucke bei C. H. Boehringer erschienen Bücher gesuchte Sammlerstücke und erzielen dreistellige Preise.
Ein wenig enttäuschend ist, dass der Briefwechsel tatsächlich ausschließlich um die beiden Buchprojekte kreist. Es entsteht keinerlei darüber hinausgehende Diskussion, beispielsweise über kunsttheoretische oder philosophische Aspekte. Offensichtlich wird, dass der Photograph den zwei Jahre älteren Dichter bewundert. Eine Annäherung findet jedoch nicht statt. An Helene Henze schreibt Renger-Patzsch, Jünger stecke in einer Rüstung. »Aber ich hatte von Anfang an keine Schwierigkeit, mit ihm in Kontakt zu kommen. Aber die Kühle bleibt natürlich immer, das ist eben seine Natur.« Das führt bei dem Photographen zu einer leichten Verunsicherung: »Ich weiss nicht recht, ob er von meinen Fotos sehr beeindruckt ist, er braucht wohl keinen Helfer zum Sehen, denn er sieht genauer als alle Leute, die ich kenne. Einen winzigen Plattenfehler auf einem Foto 30/40 von einer Steinfaltung mit 1000 Einzelheiten sah er sofort.« Jüngers Distanz zum seinem Briefpartner wird deutlich durch seine wiederholte falsche Schreibweise von dessen Namen (»Paatsch«).
Dass das Buch mehr etwas für Jünger oder Renger-Patzsch-Fans ist, wird wettgemacht durch die gelungene und anspruchsvolle Gestaltung. Neben dem kompletten Schriftwechsel enthält der Band die beiden von Jünger für die gemeinsamen Bücher geschriebenen Essays Der Baum und Steine, Portraitphotographien Sabine Renger-Patzschs von Ernst Jünger, die bei einem Besuch 1969 entstanden und Ergänzendes.
©  Matthias Pierre Lubinsky. All rights reserved.
Ernst Jünger – Albert Renger-Patzsch Briefwechsel 1943-1966, Wilhelm Fink Verlag, München 2010, 217 Seiten, bibliophiles Paperback mit Abbildungen.

Galerie Johannes Faber:
http://www.jmcfaber.at/artists/renger-patzsch.html



Der Medien-Dandy

 
Tractatus logico disiunctio



Der DANDY-CLUB rezensiert
Norbert Bolz‘ Diskurs über die Ungleichheit.
Wilhelm Fink Verlag, München 2009, 207 Seiten, Paperback.

Die Gleichmacherei der modernen Massendemokratie ist Thema von Norbert Bolz. Die Leugnung von naturgegebenen Unterschieden beschäftigt den ‚Dandy der Medientheorie‘ (Die Zeit) seit Jahren in Veröffentlichungen, Talk-Shows und Interviews. Nun legt Bolz nach mit einem provokanten, polemischen aber nicht unsachlichen Traktat, – frei nach Ludwig Wittgenstein einem Tractatus logico disiunctio.

Bolz, der als Professor an der Technischen Universität Berlin lehrt, sieht ein paradoxes Sich-Hochschaukeln in dem allumfassenden Gleichheitsversprechen des Staates. Massendemokratisch zu leben, heiße im vergleichenden Blick auf die anderen zu leben. Die Crux: Umso größer die Gleichheit, desto schärfer der Blick auf die immer geringeren Unterschiede: »Der Hass auf die Ungleichheit ist die demokratische Leidenschaft par excellence (…) Das Prinzip Gleichheit wirkt also paradox: Je mehr Gleichheit praktiziert, durchgesetzt wird, desto unerträglicher wird jede noch vorhandene Ungleichheit.« Bolz interpretiert als Folge dieses Mechanismusses: Die statistisch erwiesene Ungleichheit werde als Ungerechtigkeit ausgelegt und »als zentrales Beweismittel im ideologiekritischen Prozess gegen die bürgerliche Freiheit eingesetzt«.


Bolz‘ Traktat beginnt mit Alexis de Tocquevilles Betrachtungen über die Demokratie in Amerika. Diese kleine Schrift, die schon in den 1930er Jahren Ernst Jünger von Carl Schmitt empfohlen worden war, enthält essentielle Wahrheiten, die sich – nach Bolz‘ Auffassung – in den vergangenen 175 Jahren seit ihrer ersten Veröffentlichung noch verschlimmert haben. Nach Überzeugung des französischen Philosophen ist der Mensch unsicher und feige. Die meisten Menschen seien heilfroh, wenn ihnen die Entscheidungen abgenommen werden. Das führe im Resultat dazu, dass sie eine Tyrannei, die ihnen exakt vorschreibe, was sie zu tun haben, der Freiheit, über sich bestimmen zu können, vorziehen.


Bolz folgt Tocqueville auch in der Sicht über die Massenmedien: Massendemokratische Gesellschaften würden zusammengehalten durch die Furcht vor der Meinung der anderen. Tatsächlich kennt man es aus dem Privatleben. Unsichere Menschen orientieren sich an dem, von dem sie glauben, andere würden es über sie denken. Die öffentliche Meinung sieht Bolz als wichtiges Instrument der Zähmung. Mit einem schönen Satz bringt er es auf den Punkt: »Ich verstehe nicht, was los ist, nehme aber an, dass alle anderen verstehen, was los ist.«


Kein Wunder, dass Bolz in diesem Zusammenhang mit der Political Correctness abrechnet: In der Mediendemokratie der Gegenwart würden die Menschen durch eine Sprache versklavt, die als die unwiderrufliche der Mehrheit auftrete. Die öffentliche Meinung spreche jedoch nicht für die Majorität sondern für die Orthodoxie namens Politische Korrektheit. Fatal daran sei die weitere Folge: Da kein Mensch länger anders denken könne als reden, würden die meisten »auch schon politisch korrekt« denken. Bolz: »Heute dürfen die meisten Menschen sagen und schreiben, was sie wollen, weil sie ohnehin dasselbe denken.«

©  Matthias Pierre Lubinsky. All rights reserved.