Andy Warhol – The Early Sixties

Andy Warhol, Silver Liz, Juni/ Juli 1963
© Andy Warhol Foundation




Vier Jahre genügten, um die Kunst zu revolutionieren. Zwischen 1961 und 1964 hat Andy Warhol ein Konzept für seine Arbeit entwickelt, das die Kunst verändern sollte und ihn zum bedeutendsten Künstler der zweiten Hälfte des 20-sten Jahrhunderts machte. Andy Warhol schuf sich die Idee für seine Karriere, für sein Bild in der Öffentlichkeit und die Aura seines Werkes.

Das radikale Ersetzen der bisherigen individualistischen, gestisch bestimmten Bildsprache durch die von ihm verwandten massenbekannten, hochkapitalistischen und bereits vollständig benutzten Bilder stellte jedwede Kategorie von Kunstschaffen infrage. Die Ausstellung Andy Warhol – The Early Sixties. Gemälde und Zeichnungen 1961 – 1964 im Kunstmuseum Basel widmet sich der vielleicht bedeutendsten Periode der Kunst-Ikone: Neben 70 Gemälden und Zeichnungen ist auch Arbeitsmaterial aus seinem Atelier zu sehen. Das fulminante Katalog-Buch aus dem Hatje Cantz Verlag dokumentiert die ausgestellten Werke. Drei äußerst lohnenswerte Essays beleuchten diesen besonderen Umbruchsmoment in der modernen Kunstgeschichte.

Arthur Danto wählt in seinem Beitrag als Werkexempel Andy Warhols Before and After, um das Ausmaß der Veränderung zu illustrieren. Und diese Veränderung betraf längst nicht nur Warhols Kunst. Sie betraf sein gesamtes Schaffen, seine Ansichten, sein Leben und in deren Folge den gesamten Kunstbetrieb.

1961 entdeckte er in einer Zeitung die Anzeige eines Schönheitschirurgen. Mit zwei Schwarz-Weiß-Zeichnungen warb der für Nasenkorrekturen: links sah der amerikanische Zeitungsleser eine hässliche lange Hakennase, rechts die korrigierte kleine, süße Stupsnase – ähnlich zweier Scherenschnitte. Warhol vergrößerte das Bild mittels Projektor um ein Hundertfaches und malte es ab auf Leinwand.

Warhol war bis dahin ein äußerst erfolgreicher Werbegraphiker, dessen Arbeit ihm nicht nur Wohlstand brachte, sondern auch Anerkennung. Hauptsächlich zeichnete er für eine Schuhfirma High-Heels in kitschigen Bonbon-Farben. Ende der 50-er Jahre wollte er mehr. Warhol wollte mit aller Gewalt als Künstler berühmt werden.

Arthur Danto schreibt zu Before and After: »Der Grund dafür, dass Warhol zu der Kultfigur wurde, die er am Ende war, hängt teilweise damit zusammen, dass zunächst fast niemand eine Differenz zwischen den beiden Bildern erkannt hätte. Warhol hat nicht einfach eine banale Werbegrafik reproduziert. Er machte den Unterschied zwischen einer banalen Grafik und einem Kunstwerk mit einem Schlag unsichtbar und bedeutsam. Damit veränderte er jedoch weniger die Art, wie wir Kunst betrachten, als die herkömmliche Auffassung von Kunst überhaupt. Mit andern Worten, zwischen 1959 und 1961 wurde der Keim zu einer visuellen und letztlich auch kulturellen Revolution gelegt.«

Die bedeutende Ausstellung beweist, dass zu Andy Warhol noch längst nicht alles gesagt ist. In ihrer Idee und in ihrem Gesamtkonzept ist sie herausragend, weil sie eine Geschichte erzählt. Es ist die Geschichte von Warhols Häutung, von der hochmotivierten Erfindung seines Bildkonzeptes, bei dem er das Bild nicht selbst erfindet, sich vielmehr vorhandener Bildvorlagen bedient. Die Steigerung des Gesellschaftsspiegels lag darin, dass er häufig noch nicht einmal die Vorlagen selbst fand. Er war angewiesen auf Ideen von anderen, die ihm sagten, warum nimmst Du nicht mal eine Suppendose. Warhol praktizierte dies offensiv, indem er Besucher unvermittelt nach Ideen für Vorlagen fragte.


Zwei Seiten des fulminanten Katalog-Buches von Hatje Cantz
© Hatje Cantz Verlag




Sebastian Egenhofer fragt in seinem Katalog-Beitrag nach »Subjektivität und Bedeutungsproduktion beim frühen Warhol«. Er sieht die Bedeutung von Warhols Frühwerk insbesondere in der Entäußerung der Bedeutung: Warhol habe den Sinn an die Oberfläche des Werkes verlagert.

Stefan Neuner untersucht Warhols Schaffen in den frühen 1960-er Jahren mittels der Komödientheorie dieser Zeit. Warhol habe die Kunst wie kein anderer Maler relativiert. Neuner sieht Warhol daher eher als Wegbereiter einer Kunst nach der Malerei.

Das Katalog-Buch wird an diese herausragende Ausstellung im Kunstmuseum Basel auch nach deren Ende erinnern und weitere Forschungen animieren.

http://www.kunstmuseumbasel.ch/de/home/
http://www.hatjecantz.de/controller.php?cmd=detail&titzif=00002650

Andy Warhol – The Early Sixties.
Ausstellung im Kunstmuseum Basel noch bis zum 23. Januar 2011.
Katalog zur Ausstellung:
Hatje Cantz Verlag 2010, 240 Seiten mit 170 Abbildungen, gebunden mit Schutzumschlag, 39,80 Euro.


Plädoyer für eine geistige Elite


Der DANDY-CLUB rezensiert die kleine Studie von Peter Trawny über Martin Heideggers Philosophie:

Peter Trawny, Adyton. Heideggers esoterische Philosophie. Matthes & Seitz Berlin Verlag 2010, 138 Seiten, 12,80 Euro.

»Jeder ist der Andere und Keiner er selbst«, schrieb Martin Heidegger in Sein und Zeit und meinte damit die Eigenschaft des Menschen, sich in der Masse zu verstecken. Das Tier in der Herde macht es den anderen Tieren nach und geht damit auf Nummer sicher. Das Gleichtun hat vielerlei Motive und Gründe. Wir kennen es ja schon von unseren Eltern: Verlangten wir für einen Befehl eine Erklärung, so hieß es oft: ‚Das macht man eben so!‘

In der Zeit der Globalisierung hat das Gleichschalten noch an Geschwindigkeit gewonnen. Wer nicht bei Facebook ist, existiert nicht. Peter Trawny sieht in seinem Buch Adyton. Heideggers esoterische Philosophie die globalisierte Welt gleichsam als glatte Kugel, in der Innigkeit als Störfaktor angesehen wird. Trawny plädiert für eine neue Sichtweise auf die Philosophie Heideggers, wobei allerdings die Begrifflichkeit des Esoterischen missverständlich aufgenommen werden kann.

Ein zentraler Aspekt von Trawnys Versuch ist das Verhältnis Heideggers zur Öffentlichkeit. Der Philosoph lehnte sie kategorisch ab. Er akzeptierte die Tatsache ihres Bestehens, bestritt jedoch vehement, dass in ihr eine philosophische Dialektik überhaupt möglich sei. »Bei Heidegger erscheint die Öffentlichkeit als Ver- und Entstellung der Sprache, die demnach auf eine ihr zugängliche Wahrheit bezogen bleibt. Die Öffentlichkeit ist das Falsche, in dem es kein Wahres geben könne«, schreibt Trawny, der auch Mitherausgeber der Martin Heidegger-Gesamtausgabe ist.

Im Laufe seiner kleinen Untersuchung schält Trawny das Bestreben Heideggers heraus, die Philosophie vor der Öffentlichkeit zu schützen, ihr einen eigenen geschützten Raum, quasi ein esoterisches Refugium, zu geben. Heidegger sah die Philosophie nicht als eine gleichberechtigte Wissenschaft an. Vielmehr sah er wie Platon in ihr eine Königsdisziplin, die die Führung zu übernehmen habe und der sich alle anderen Bereiche – auch die Politik – unterzuordnen hätten.

Deutlich wird in dem Büchlein, wie sehr sich Heidegger ein Leben lang mit der Frage der Möglichkeit des Philosophierens beschäftigt hat. Dazu gehört die Sprache ebenso wie die Vermittlung oder der geistige Austausch. Ist das Buch überhaupt eine geeignete Form, wird sich Heidegger bei den Niederschriften permanent gefragt haben.

Peter Trawny kommt zu einer erstaunlichen Forderung. Er gibt dem »auserlesenen Zirkel« (Friedrich Schiller) eine »esoterische Bevorzugung«: »die Chance zu einer Gemeinschaft, in der intensiver realisiert werden kann, was in der Massen- und Mediengesellschaft notwendig entstellt werden oder verloren gehen muss. Die Philosophie hat die Verantwortung zu einer Gemeinschaft, die das Recht hat, sich als solche bezeichnen zu können«.

DANDY-CLUB-Empfehlung!

Charles Baudelaire in memoriam

Felix Nadar, Charles Baudelaire, 1860
 
 
 
Zum heutigen Todestag von Charles Baudelaire (9. April 1821 – 31. August 1867), dem ersten Theoretiker des Dandytums, erinnert der DANDY-CLUB mit einem Auszug aus seinem Essay über den Maler Constantin Guys: Der Dandy
 
Der Mann des Reichtums und des Müßiggangs, der, bei aller Blasiertheit, keine andere Beschäftigung hat, als dem Glück nachzujagen; der Mann, der im Luxus aufgewachsen und seit seiner Jugend an den Gehorsam anderer Menschen gewöhnt ist; derjenige endlich, dessen einziger Beruf die Eleganz ist, wird sich stets, zu allen Zeiten, einer ausgeprägten, einer von allen anderen unterschiedenen Physiognomie erfreuen. Der Dandyismus ist eine schwer zu erklärende Sache, ebenso merkwürdig wie das Duell,; eine sehr alte Sache, denn schon Cäsar, Catilina, Alkibiades, liefern uns auffällige Exempel; sie ist allgemein verbreitet, denn Chateaubriand hat sie in den Wäldern und an den Seegestaden der Neuen Welt entdeckt. Der Dandyismus, der als Sache außerhalb der Gesetze steht, hat seine eigenen strengen Gesetze, denen all seine Untertanen unerbittlich unterworfen sind, ihr Charakter mag noch so ungestüm und auf Unabhängigkeit bedacht sein (…)
Doch der Dandy trachtet nicht nach Geld als nach etwas Wesentlichem; ein unbeschränkter Kredit würde ihm genügen; diese grobe Besitzgier überlässt er den gewöhnlichen Sterblichen. Der Dandyismus besteht nicht einmal, wie viele Personen von geringerem Scharfsinn zu glauben scheinen, in einer maßlosen Vorliebe für gutes Aussehen und äußerliche Eleganz. Dergleichen ist dem vollkommenen Dandy lediglich ein symbolischer Ausdruck für die aristokratische Überlegenheit seines Geistes…

Berlin im 20er Jahre-Fieber

Der Sänger Henry de Winter mit Berlinern im 20er Jahre-Stil



Historiale – das Geschichtsfestival versetzte am vergangenen Wochenende Berlin in die Atmosphäre der 1920er Jahre: Im Nicolaiviertel erklang Musik aus der Zeit, wurden Prominente von damals ‚interviewt‘, und ein Markt und Geschäfte boten passende Accessoires an.
Höhepunkte an den drei Tagen waren die Modenschauen, bei denen die Kleidung aus den sogenannten ‚Goldenen Zwanzigern‘ vorgeführt wurde. Hunderte von Berlinern und Gästen ließen sich das Spektakel nicht entgehen.


Die Modenschauen von Charming Styles wurden von den Berlinern begeistert aufgenommen


Damals waren die Schutzpolizisten noch Respektspersonen




La Galana Zigarrenmanufaktur Köln

Annette Meisl verkauft im Ladengeschäft selbst produzierte Zigarren



Die Kölnerin Annette Meisl erfüllte sich einen Lebenstraum – und zugleich bereichert sie Deutschland um ein authentisches Stück Kuba: Im Herbst 2005 eröffnete sie die erste und einzige Zigarrenmanufaktur in Köln. Der Name La Galana erinnert an die Figur der „Galana“ – einer eleganten Dame vergangener Zeiten, die das Leben zu geniessen wusste. Im vergangenen Jahr kam das Ladengeschäft in der Kölner Innenstadt dazu.

Das Konzept: Longfillerzigarren bester Qualität aus importierten Spitzentabaken werden nach deutschen Qualitätsstandards von kubanischen Torcedoras handgerollt. Der Clou: Auf Wunsch werden sie sogar mit einem persönlichen Label versehen.

Annette Meisl, bekennender Kuba-Fan, bietet auch Zgarrenabende und Zigarrenseminare an. Beim Seminar lernen die Teilnehmer die Zigarre en detail kennen. Sie erfahren vieles über Herkunft, Anbau, Ernte, Fermentation, Lagerung, Formate, das fachgerechte Anzünden und die Unterschiede der verschiedenen Tabaksorten.


Annette Meisl gründete die erste und einzige Zigarrenmanufaktur in Köln



http://www.zigarren-manufaktur.de/

LA GALANA Zigarrenladen und Café del Tabaco
Venloerstraße 213 – 215
50823 Köln
Geöffnet: Mittwochs bis freitags 16.00 bis 20.00 Uhr,
samstags 12.00 bis 16.00 Uhr oder nach Vereinbarung.
Telephon: (0221) 8000 923
info@zigarren-manufaktur.de.


Friedrich Nietzsche – 110. Todestag

Friedrich Nietzsche (15. Oktober 1844 – 25. August 1900)



Zum 110. Todestag von Friedrich Nietzsche erinnert der DANDY-CLUB an den deutschen Ausnahme-Philosophen mit seinem Text 
Was ist vornehm ?  (Aus den Aufzeichnungen der 1880er Jahre.)

– Die Sorgfalt im Äußerlichsten, insofern diese Sorgfalt abgrenzt, fernhält, vor Verwechslung schützt.

– Der frivole Anschein in Wort, Kleidung, Haltung, mit dem eine stoische Härte und Selbstbezwingung sich vor aller unbescheidenen Neugierde schützt.

– Die langsame Gebärde, auch der langsame Blick. Es gibt nicht zu viel wertvolle Dinge: und diese kommen und wollen von selbst zu dem Wertvollen. Wir bewundern schwer.

– Das Ertragen der Armut und der Dürftigkeit, auch der Krankheit.

– Das Ausweichen vor kleinen Ehren, und Mißtrauen gegen jeden, welcher leicht lobt: denn der Lobende glaubt daran, daß er verstehe, was er lobe: verstehen aber – Balzac hat es verraten, dieser typisch Ehrgeizige – comprendre c’est égaler.

– Unser Zweifel an der Mitteilbarkeit des Herzens geht in die Tiefe; die Einsamkeit nicht als gewählt, sondern als gegeben.

– Die Überzeugung, daß man nur gegen seinesgleichen Pflichten hat, gegen die andern sich nach Gutdünken verhält: daß nur inter pares auf Gerechtigkeit zu hoffen (leider noch lange nicht zu rechnen) ist.

– Die Ironie gegen die „Begabten“, der Glaube an den Geburtsadel auch im Sittlichen.

– Immer sich als den fühlen, der Ehren zu vergeben hat: während nicht häufig sich jemand findet, der ihn ehren dürfte.

– Immer verkleidet: je höherer Art, um so mehr bedarf der Mensch des Inkognitos. Gott, wenn es einen gäbe, dürfte, schon aus Anstandsgründen, sich nur als Mensch in der Welt bezeigen.

– Die Fähigkeit zum otium, der unbedingten Überzeugung, daß ein Handwerk in jedem Sinne zwar nicht schändet, aber sicherlich entadelt. Nicht „Fleiß“ im bürgerlichen Sinne, wie hoch wir ihn auch zu ehren und zu Geltung zu bringen wissen, oder wie jene unersättlich gackernden Künstler, die es wie Hühner machen, gackern und Eier legen und wieder gackern.

– Wir beschützen die Künstler und Dichter und wer irgendworin Meister ist: aber als Wesen, die höherer Art sind als diese, welche nur etwas können, als die bloß „produktiven Menschen“, verwechseln wir uns nicht mit ihnen.

– Die Lust an den Formen; das In-Schutz-nehmen alles Förmlichen, die Überzeugung, daß Höflichkeit eine der großen Tugenden ist; das Mißtrauen gegen alle Arten des Sich-gehen-lassens, eingerechnet die Preß- und Denkfreiheit, weil unter ihnen der Geist bequem und tölpelhaft wird und die Glieder streckt.
– Das Wohlgefallen an den Frauen als an einer vielleicht kleineren, aber feineren und leichteren Art von Wesen. Welches Glück, Wesen zu begegnen, die immer Tanz und Torheit und Putz im Kopfe haben! Sie sind das Entzücken aller sehr gespannten und tiefen Mannsseelen gewesen, deren Leben mit großer Verantwortlichkeit beschwert ist.

– Das Wohlgefallen an den Fürsten und Priestern, weil sie den Glauben an eine Verschiedenheit der menschlichen Werte selbst noch in der Abschätzung der Vergangenheit zum mindesten symbolisch und im ganzen und großen sogar tatsächlich aufrechterhalten.

– Das Schweigen-können: aber darüber kein Wort vor Hörern.

– Das Ertragen langer Feindschaften: der Mangel an der leichten Versöhnlichkeit.

– Der Ekel am Demagogischen, an der „Aufklärung“, an der „Gemütlichkeit“, an der pöbelhaften Vertraulichkeit.

– Das Sammeln kostbarer Dinge, die Bedürfnisse einer hohen und wählerischen Seele; nichts gemein haben wollen. Seine Bücher, seine Landschaften.

– Wir lehnen uns gegen schlimme und gute Erfahrungen auf und verallgemeinern nicht so schnell. Der einzelne Fall: wie ironisch sind wir gegen den einzelnen Fall, wenn er den schlechten Geschmack hat, sich als Regel zu gebärden!

– Wir lieben das Naive und die Naiven, aber als Zuschauer und höhere Wesen; wir finden Faust ebenso naiv als sein Gretchen.

– Wir schätzen die Guten gering, als Herdentiere: wir wissen, wie unter den schlimmsten, bösartigsten, härtesten Menschen oft ein unschätzbarer Goldtropfen von Güte sich verborgen hält, welcher alle bloße Gutartigkeit der Milchseelen überwiegt.

– Wir halten einen Menschen unserer Art nicht widerlegt durch seine Laster noch durch seine Torheiten. Wir wissen, daß wir schwer erkennbar sind und daß wir alle Gründe haben, uns Vordergründe zu geben.



Max Marek

Max Marek, Terra Incognita. 30.5 x 25 Zentimeter,
Buch in weissem Tuch gebunden, mit Schuber,
Papierschnitte auf Blättern bedruckt mit Brailleschrift.
Auflage: Elf  individuell hangeschnittene Exx., 2008.
Preis 1.500 Euro.
Das Buch befindet sich unter anderem in der
Sammlung der Bibliothèque Nationale in Paris
und in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar.
Photo: ©  Martin Oppermann. All rights reserved.



Max Marek, in Berlin ansässiger Künstler, macht etwas Außergewöhnliches: Er produziert Bücher, bei denen nicht immer (nur) der gedruckte Text das Highlight ist. Vielmehr ist die Gestaltung so hochwertig wie individuell.
Max Marek beschäftigt sich seit über zehn Jahren mit der Technik des Papierschnitts. Er verwendet dafür Messer, Cutter und Skalpell, um Materialien wie Bütten, Pergament und Blindenschriftpapier zu bearbeiten. Max Marek produzierte inzwischen über einhundert Künstlerbücher; – jedes ist ein handgeschnittenes Unikat.

Bei diesen begehrten Sammlerstücken ist das Herausschneiden und Freilegen unterschiedlicher Ebenen innerhalb eines Buches von Bedeutung: Dadurch wird die dreidimensionale Tiefenwirkung erzielt. Max Mareks Intention ist, den Betrachter beim Durchblättern von Seite zu Seite immer weiter in einen Mikrokosmos hineinzuziehen.  


Max Marek, Ohren. Innen Papierschnitte aus Brailleschriftpapier, aussen weisses Tuch, 
15 x 30cm, 2008




Bei dem ganz oben abgebildeten Buch Terra Incognita wird durch die in das Papier geprägten Punkte der Blindenschrift ein Relief erzeugt, das für einen zusätzlichen Lichteinfall zwischen den Seiten sorgt. „Der skulpturale Aspekt wird dadurch verstärkt, und das Motiv gewinnt an Plastizität“, sagt Max Marek.

Max Mareks Erfolg kann sich sehen lassen. Seine bibliophilen Kostbarkeiten finden sich in mehreren Dutzend Sammlungen und Bibliotheken weltweit. So in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar, in der französischen Nationalbibliothek und in der Staatsbibliothek in Berlin.

Max Marek wurde 1957 in New York geboren. Seine Mutter war Bühnen- und Kostümbildnerin, der Vater Schriftsteller. 1970 zog die Familie nach Deutschland. 1979 begann Marek als Illustrator. Nach Plastiken, Lithographien und Siebdrucken beginnt er 2002 mit der Herstellung von aufwendigen Künstlerbüchern mit Papierschnitten.


Elf kleine Dressuren. Elf Texte von Monika Rinck und elf Papierschnitte von Max Marek.
Handpressendruck, Fünfzehn individuell handgeschnittene Exx.,
erschienen in der edition sutstein, Berlin.
 
Preis: 670,00 Euro


1857 Charles Baudelaire verurteilt

Charles Baudelaire, Photographie von Felix Nadar


Am 20. August 1857 musste sich Charles Baudelaire vor dem französischen Strafgericht verantworten. Zu den Gedichten, die man ihm vorwarf, gehörte Lesbos:

Mutter latinischer spiele und griechischer wonnen ·
Lesbos wo küsse bald freudig bald schmachtend gelind
Frisch wie die reifen pasteken und heiss wie die sonnen
Zierde der ruhmvollen tage und nächte sind.

Mutter latinischer spiele und griechischer wonnen!


Lesbos wo küsse wie wasser des wildbaches schnellen
Der ohne bangen in grundlose schluchten lief ·
Dann sich windet in pochenden schluchzenden wellen
Stürmisch und heimlich emsig wimmelnd und tief ·

Lesbos wo küsse wie wasser des wildbaches schnellen.


Lesbos wo sich die Phrynen einander begehren ·
Wo noch kein seufzer der antwort entbehrend verrann ·
Du die nicht minder wie Paphos die sterne verehren ·
Wo die Venus die Sappho beneiden kann.

Lesbos wo sich die Phrynen einander begehren.


Lesbos du erde der heissen erschlaffenden nächte!
Mädchen vor ihren spiegeln – o heillose sucht –
Hohlen augen verleitet durch heimliche mächte
Spielen mit ihres frauentums reifender frucht ·

Lesbos du erde der heissen erschlaffenden nächte.

Möge des alten Plato strenge sich stossen!
Dir wird verziehn durch der küsse unendliche zahl ·
Herrin von milden gebieten von lieblichen grossen
Und von beständiger freuden verfeinerter wahl.

Möge des alten Plato strenge sich stossen!


Dir wird verzeihung auf grund deiner ewigen qualen
Fürder strebenden geistern als strafe geschickt ·
Ferne von uns verlocken sie lächelnde strahlen
Traumhaft am horizont anderer himmel erblickt.


Dir wird verzeihung auf grund deiner ewigen qualen. Wer von den göttern o Lesbos wagt dich zu richten
Und wer verurteilt dein mühegebleichtes gesicht
Eh er die sintflut erwogen mit goldnen gewichten
Die aus thränen bestehend zum meere bricht?

Wer von den göttern o Lesbos wagt dich zu richten?


Was bedeuten die sätze des guten und schlechten?
Hehre mädchen · ihr zierde der inselwelt ·
Euer glaube ist einer der grossen und echten ·
Liebe hat himmel und hölle in schatten gestellt.

Was bedeuten die sätze des guten und schlechten?


Um das geheimnis der knospenden mädchen zu singen
Hatte mich Lesbos auf erden vor allen bestimmt ·
Mich schon von kind auf bekannt mit den finsteren dingen
Heller gelächter drin schmerzliche thräne schwimmt –

Um das geheimnis der knospenden mädchen zu singen.


Seitdem seh ich hinaus am leukadischen riffe
Wie ein posten mit sichrer durchdringender schau
Täglich und nächtig auf böte und kähne und schiffe ·
Ihre gestalten erzittern von weitem im blau.


Seitdem seh ich hinaus am leukadischen riffe Um zu erfahren des meeres nachsicht und milde.
Und unter seufzern am dröhnenden klippenring
Landest du auf des vergebenden Lesbos gefilde ·
Angebetete leiche der Sappho die ging

Um zu erfahren des meeres nachsicht und milde!


Sappho · die männliche · liebende seele und dichter ·
Schöner als Venus durch tötlicher blässe schein ·
Blaues auge besiegten unheimliche lichter
In einem düsteren kreise gerieft von der pein

Sapphos · der männlichen · liebende seele und dichter.


Schöner als Venus sich über der erde erhebend
Hat sie mit heiteren sinnes schätzen beglückt ·
Mit ihrer blonden jugend strahlen belebend
Greisen Okeanos den seine tochter entzückt ·

Schöner als Venus sich über der erde erhebend.


Sappho · am tag ihrer lästerung beute der toten ·
Als sie durchbrach des erfundenen brauches gewalt
Und ihre schönheit zur äussersten ernte erboten
Rohem arm der mit hochmut das opfer vergalt

Sapphos · am tag ihrer lästerung beute der toten.


Seit jener stunde ergeht sich Lesbos in klagen ·
Trotz aller ehren die ihm nun das weltall erzeigt
Lauscht es bei tag und bei nacht dem getöse der plagen
Das von den öden gestaden den himmel ersteigt ·

Seit jener stunde ergeht sich Lesbos in klagen.


Baudelaire beklagt das Elend der unter der rasenden Modernisierung von Paris Leidenden. Diese Gedichte aus den Fleurs du mal (Die Blumen des Bösen) sind heute aktueller denn je: Man muss nur
Modernisierung durch Globalisierung ersetzen. Die Wahrheit auszusprechen, ist den Herrschenden ein Dorn im Auge. Charles Baudelaire wurde zu 300 Franken Geldstrafe verurteilt; seine beiden Verleger zu je 100 Franken. Zudem wurden sechs Gedichte verboten.

Ein kurzes Radio-Feature darüber hat der Bayrisxche Rundfunk gemacht:
http://www.br-online.de/bayern2/kalenderblatt/charles-baudelaire-kultur-franzoesische-lyrik-ID1279790520952.xml

Rehabilitiert wurde der Dichter erst über 90 Jahre später. Im Mai 1949 wurde das Urteil rechtsgültig aufgehoben.


Gustave Caillebotte

Gustave Caillebotte, Straße in Paris, Regenwetter (Rue de Paris, temps de pluie), 1877



Zum heutigen Geburtstag von Gustave Caillebotte (19. August 1848 bis 21. Februar 1894) erinnert der DANDY-CLUB an den französischen Maler des Impressionismus und Kunstsammler. Caillebotte verstand es, in einer Zeit der rasenden Modernisierung von Paris der aufkommenden Photographie Portraits von Alltagsszenen der Metropole entgegenzuhalten.
Das sehr gelungene Buch von Karin Sagner stellt fünfzig Bilder ausführlich in Darstellung und Analyse vor; ergänzt durch minutiöse Essays.
Karin Sagner: Gustave Caillebotte. Neue Perspektiven des Impressionismus. 
Hirmer Verlag, München 2009,200 Seiten, vielen, teils großformatige Farbabbildungen, 69 Euro.



Gustave Caillebotte, Selbstportrait, 1882


Eine ausführliche Rezension findet sich hier:


Hannes Keller zum Dandytum

Hannes Keller, Alice im Wunderland Manhattan 1, 2006, 
Öl auf Leinwand, 53 x 70 Zentimeter



Hannes Keller, in der Schweiz und in China tätiger Künstler, hat dem DANDY-CLUB exklusiv einen kurzen Text zur Verfügung gestellt zur Kunst und zum Dandytum:

Manchmal fragt mich jemand, wie man Bilder macht und Bilder sammelt?.

Ich sage das Wichtigste sei, dass man stantepede den Guten Geschmack vergessen muss. Wer das nicht tue, habe augenblicklich überhaupt keinen Geschmack mehr, weder ein guten noch einen schlechten.

Man könnte sagen, statt Geschmack brauche man eine gewisse ruchlose Kühnheit.

Hätte Leonardo da Vinci den Guten Geschmack gepflegt, hätte er niemals den herrllichen, allerbanalsten und völlig unnützen Schinken namens Mona Lisa gemalt.

Beethovens Start der 5. Sinfonie: Bä Bä Bä Pämm. Und gleich nochmals sozusagen ohne Tonart und mit einer vagen Dominante in den Wolken. Sodann wackelt alles ein paarmal ziellos hin und her. Wie das Grölen auf der Gasse.
Aber vor 70 Jahren wurde dies weltkriegs-entscheidend gegen das verirrte Heimatland des Komponisten.

Unüberbietbar grossartig ordinär ist natürlich unser Richard Wagner. Der hatte die désinvolture, die der Dandy Ernst Jünger zur höchsten aller Attittuden erhoben hatte.

http://www.hanneskeller.ch



 Hannes Keller, Selbstbildnis als aufrechter Schweizer, 2006, 
Öl auf Leinwand 25 x 38 Zentimeter



© Alle Bilder und Text: Hannes Keller. All rights reserved.