Pawel Jaszczuk

Pawel Jaszczuk, from series High Fashion
© Pawel Jaszczuk/ courtesy Photo Edition Berlin




Die Galerie Photo Edition Berlin präsentiert von heute bis zum 26. Januar 2011 Photographien aus den Serien „Stay Still“, „Sleeping Train“ und „High Fashion“ des in Japan lebenden polnischen Photographen Pawel Jaszczuk.

Junge japanische Businessmen sind gut gekleidet und geben sich dennoch die Blöße: Sie schlafen in der Öffentlichkeit ein. Sie haben zuviel getrunken, und das schafft ihnen den Freiraum, eine gewisse Zeit nicht mehr funktionieren zu müssen. Ein kleiner Fleck auf der Hose oder ein von der Ferse gerutschter Schuh ändern nichts an der grazilen, nonchalanten Haltung der japanischen Männer, die Tag für Tag als angestellte Lohnsklven funktionieren.

Dem 1978 in Warschau geborenen Pawel Jaszczuk gelingt dabei die Balance, volltrunkene Männer zu photographieren, ohne ihnen die Würde zu nehmen. Pawel Jaszczuk schloss 2004 die School of Visual Arts in Sydney, Australien ab. Er lebt und arbeitet in Tokyo, Japan.

Photo Edition Berlin schreibt:
„Das westliche Auge vermutet sofort, dass diese Bilder von Balletttänzern oder genialen Schauspielern gestellt sind, so perfekt sind Haltung, Balance und Statik. Japaner mögen über die unbegreifliche Verlorenheit dieser Männer lachen, aber es ist ein Lachen nicht ohne Neid und Bewunderung zugleich, denn jeder weiss, dass in Japan 30000 Selbstmorde jährlich nicht von Schlafenden begangen werden.“



Pawel Jaszczuk, from series High Fashion
© Pawel Jaszczuk/ courtesy Photo Edition Berlin



Pawel Jaszczuk, from series High Fashion
© Pawel Jaszczuk/ courtesy Photo Edition Berlin



Pawel Jaszczuk, from series Stay Still
© Pawel Jaszczuk/ courtesy Photo Edition Berlin



Pawel Jaszczuk, from series Stay Still
© Pawel Jaszczuk/ courtesy Photo Edition Berlin




PHOTO EDITION BERLIN
Galerie und Verlag für Fotografie
Gunther Dietrich
Director

Ystaderstr.14a D – 10437 Berlin
Telephon: +49 (0) 30 41 71 78 31

E-Mail: contact(at)photo-edition-berlin.com

Dandy Magazine

Die neue Ausgabe des französischen Dandy Magazine



Die neue Ausgabe des französischen Dandy Magaziune ist erschienen. Leider ist sie nur in Frankreich erhältlich.

Schwerpunktthema diesmal ist die Londoner Savile Row. Die Savile Row ist eine Einkaufsstraße in Mayfair,  im Stadtbezirk City of Westminster. Die heute weltweites Ansehen genießende Straße wurde zwischen 1731 und 1735 erbaut. Bennant ist sie nach Lady Dorothy Savile, der Frau von Richard Boyle, 3. Earl von Burlington, 4. Earl von Cork.

Unter Gentlemen ist Savile Row bekannt für die hier ansässigen Herrenausstatter. Sie nehmen Maß vornehmlich nach Bespoke-Art. Der Begriff Bespoke hat seinen Ursprung in der Savile Row und bedeutet, dass jedes einzelne Kleidungsstück individuell mit dem Kunden besprochen wird. Zu den Kunden der traditionellen dort ansässigen Handwerksbetriebe gehören und gehörten Prince Charles, Winston Churchill, Lord Nelson und Napoléon III. Ian Fleming kaufte seine Anzüge dort und ließ nicht zufällig im Film seinen James-Bond bespoke bekleiden.

http://www.dandy-mag.com/

Josef Fenneker fürs Marmorhaus

Filmplakat von Josef Fenneker für Die Kreutzer Sonate



Josef Fenneker war einer der bedeutendsten Graphiker des Expressionismus. Der am 6. Dezember 1895 in Bocholt Geborene widmete sich anfänglich der Gebrauchsgraphik. Ab 1918 gestaltete er Filmplakate.

Die Arbeiten für diverse Berliner Uraufführungskinos machten ihn schnell bekannt, sodass der damalige Direktor des Lichtspielhauses Marmorhaus, Dr. Siegbert Goldschmitt, ihn an sein Haus am Berliner Kurfürstendamm holte. Im Alter von 30 Jahren hatte Fenneker insgesamt bereits über 250 Plakate geschaffen.



Der Sträfling von Cayenne. Filmplakat von Josef Fenneker



Fenneker war darüber hinaus Bühnenbildner und Kostümbildner. Er stattete 1928 die große Revue Schön und Schick im Admiralspalast aus.

Josef Fenneker starb am 9. Januar 1956 in Frankfurt am Main.

Eine ganze Reihe von Original-Filmplakaten von ihm sind in der grandiosen Gesamtkunstwerk Expressionismus-Ausstellung auf der Mathildenhöhe Darmstadt zu sehen. Auch der üppige Katalog dokumentiert die heute sehr gesuchten und teuren Beispiele für die hohe Plakatkunst im deutschen Expressionismus.



Josef Fenneker, Filmplakat Der Teufel für das Kino Marmorhaus



Filmplakat für Der Januskopf von 1921 mit Conrad Veidt in der Hauptrolle



Die Lou vom Montmartre



Fasching



Filmplakat für Die Treibende Kraft



Filmplakat von Josef Fenneker von 1921 fürs Berliner Marmorhaus

Eugène Sue

Eugène Sue (1804-1857)



Ein wahrer Dandy ist nicht unpolitisch; – er gibt sich nur so. Dafür ist der französische Dandy Eugène Sue ein Beleg. Ernst Jünger schrieb 1977 in Eumeswil: „Ich bemühe mich, keine Gesinnung zu haben, und gelte daher […] als gesinnungslos. Gesinnungsfrei wäre natürlich das bessere Wort. Ich halte nicht auf Gesinnung, sondern auf freie Verfügungsgewalt.“

Der DANDY-CLUB erinnert an den zu Lebzeiten sehr erfolgreichen Schriftsteller. Sue wurde am 10. Dezember 1804 in Paris geboren und starb am 3. August 1857 in Annecy. Sues Vater war ein hochangesehener Chefarzt. Mit 16 Jahren verließ Eugène Sue die Schule, um – zunächst bei seinem Vater – eine Ausbildung zum Arzthelfer zu absolvieren. 1823 nahm er am Spanienfeldzug teil, 1827 an der Seeschlacht bei Navarino.

1830 starb Sues Vater, nachdem kurz zuvor sein Großvater mütterlicherseits gestorben war. Sie hinterließen ihm eine Erbschaft von 780.000 Francs, eine damals außergewöhnlich hohe Summe. Sue konnte mit dem Dandyleben beginnen: Er bezog eine Wohnung in der Rue de la Ferme-des-Mathurins, die er äußerst luxuriös einrichtete. Einige Räume im Renaissance-, andere im Louis-quinze-Stil. Sue verkehrte mit den Größen des feinen Lebens in Paris: Graf d’Orsey, Lady Blessington gehörten ebenso dazu wie die Dandy-Schriftsteller Bulwer-Lytton (Pelham oder die Abenteuer eines Gentleman) und William Thackerey (Jahrmarkt der Eitelkeit).

1837 war Sue finanziell ruiniert. Er zog sich aufs Land zurück und schrieb seinen Roman Arthur. Hatte Sue als junger Elegant das Leben in Paris in vollen Zügen genossen und durch beste englische Kleidung, hervorragende Manieren und ein süffisantes Gesellschaftsspiel geglänzt, so wandte er sich nun der Politik zu. Sue war einer der ersten erfolgreichen Autoren eines Fortsetzungsromans: 1843 erschienen Die Geheimnisse von Paris (Mystères de Paris) von Juni bis Oktober fast täglich in der Tageszeitung Le Journal des Débats. Der Roman war das literarische Ereignis des Jahres und machte Sue auf einen Schlag berühmt.  Sein Einsetzen für die Unterschicht und für soziale Gerechtigkeit versperrte Sue fortan den Zutritt in die meisten Pariser Salons. Sues Sozialismus war wohl Ausdruck seiner Revolte gegen Mittelmaß, Verlogenheit und die Korruption der Aristokratie.

Nach dem Putsch Napoléon-Bonapartes 1851 ging Sue ins Exil nach Annecy (Ostfrankreich), wo er sechs Jahre später starb.

Ernst Jünger – Drei Mal Rhodos

Ernst Jünger während seiner ersten Rhodos-Reise 1938.
Sein Bruder, Friedrich Georg dahinter in der Mitte.
Im 1948 veröffentlichten Reisetagebuch Ein Inselfrühling erwähnt Jünger
die Bekanntschaft mit einem Zahnarzt Krebs und dessen Frau.
© DLA Marbach




Zur Zeit läuft in Darmstadt eine Ausstellung, der etwas ungeheuer Großartiges gelingt: Sie heißt Gesamtkunstwerk Expressionismus, und sie vermag tatsächlich diese Kunstströmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts in ihrer Gesamtheit, sprich: Gänze zu erfassen. Denn es ist wenig sinnvoll, nur einzelne Bereiche wie das Theater, Film oder Tanz für sich zu betrachten, waren sie doch durchlässig und zogen Künstler aus anderen Sparten in ihren Bann.

Was in Darmstadt gelingt, ist bei einem der bedeutendsten Beobachter des vorigen Jahrhunderts noch Wunschdenken. Über Ernst Jünger erscheint seit seinem Tod 1998 eine Flut von Literatur. Vieles davon ist intelligent und niveauvoll. Gerade in den vergangenen Jahren wurde bislang Ungedachtes, Unerforschtes geschrieben. Doch haben die Veröffentlichungen eines gemeinsam: Sie sind nicht in der Lage, das Œvre Ernst Jüngers als Einheit darzustellen. Es als Ganzes zu sehen.

Darum bemüht sich nun ein kleines Bändchen des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Scheinbar veröffentlicht es (nur) die ursprünglichen Notate Jüngers von seinen drei Rhodos-Reisen, die er während seiner Expeditionen anfertigte. Doch in Wahrheit versuchen die Herausgeber Lutz Hagestedt und Luise Michaelsen viel mehr: Sie versuchen ein Plädoyer für die Thesen

1.       Ernst Jüngers Werk ist eine Einheit, hat einen tiefen inneren Zusammenhang. Und:

2.       Jüngers Reisetagebücher sind bei der bisherigen Perzeption zu kurz gekommen.

Beide Thesen sind richtig.

In ihrem ausführlichen Nachwort widersprechen die Herausgeber der Ansicht von Martin Meyer, Jüngers Reisetagebücher verbänden sich mit dem work of progress der späten Autorschaft. Meyer ist Feuilletonchef der Neuen Züricher Zeitung und hat 1990 nach achtjähriger Arbeit eine umfangreiche und verdienstvolle Werkbiographie zu Ernst Jünger vorgelegt. Hagestedt betont dagegen seine Sicht der Reisetagebücher als einer Gattung sui generis: »Sie stellen ein bemerkenswertes Korpus innerhalb des Werkganzen dar und erschöpfen sich nicht darin, Werkentwicklungen zu begleiten.« Vielleicht wird Martin Meyer hier ein wenig pedantisch interpretiert. Der Ansatz von Hagestedt und Luise Machaelsen jedoch ist nur konsequent.


Der Umschlag des zweiten Rhodos-Tagebuchs von 1938
© DLA Marbach




Bereits in dem von Hagestedt 2004 herausgegebenen großen Sammelband über Ernst Jünger, Politik, Mythos, Kunst finden sich Hinweise auf Nietzsches Lehre von der Ewigen Wiederkunft (des Gleichen). Steffen Martus zitiert in dem Band in einer Fußnote Pannwitz zur Nietzeanischen Ewigen Widerkehr:

»Einem großen Menschen geht es ohnedies schon im engsten Leben nicht darum, als Ich zu leben, sondern das, wofür er lebt, zu einer unvergänglichen Macht zu steigern und [zu] festigen. Dies nannte man in der Antike, über alle Eitelkeit hinaus, Ruhm.«

Daher ist es kein Zufall, dass Jünger an für ihn magische Orte in seinem Leben zurückkehrte. So, – wie es ihm gelang, über die Spanne fast seines gesamten Lebens zweimal den Halley’schen Kometen zu sehen: Nach der ersten Begegnung als Junge in Rehburg 1910, mit Eltern und Geschwistern, reiste er 76 Jahre später, 1986, als 91-jähriger eigens nach Kuala Lumpur  für ein zweites Rendezvous mit dem Planeten.

Ernst Jünger hat sich sein langes Leben lang intensiv eingelassen. Und das bedeutete auch, die Begegnung zu wiederholen, um vom späteren, reiferen Blickwinkel jeweils anderes zu verstehen. Dazu zählen Jüngers Lektüren. Ihm wichtige Bücher las er mehrmals, – häufig in besonderen Lebensphasen. Das war das Alte Testament, und es war Huysmans Gegen den Strich, um nur zwei Beispiele zu nennen.  Dazu zählten die wiederholten Begegnungen mit besonderen Menschen, -teilweise in großen Abständen. Und dazu gehören wiederkehrende Reiseziele.

Jünger kam dreimal nach Rhodos. Er nahm jedesmal andere Menschen aus seiner engsten Umgebung mit. Die erste Reise machte er 1938 mit seinem Bruder Friedrich Georg, die zweite 1964 mit seiner zweiten Frau Liselotte, die dritte 1981 mit dem Verleger Ernst Klett. So wird jeder Aufenthalt zu einem Déjà-vu und einer neuer Erfahrung zugleich. Jünger kennt die Insel, – und ist entsetzt über ihre Veränderungen zum Nachteil. Der Massentourismus verlangt seinen Tribut. Betonhotels säumen bislang unverstellte Aussichten. Jünger sieht sich als idiosynkratrischer Einzelgänger in seiner Moderneskepsis bestätigt. Bei den neuerlichen Besuchen kann er seiner Frau, resp. seinem Verleger, die Insel zeigen. Er weiht Vertraute in einen mythischen Ort mit ein.

Die hier erstmalig in ihrer ursprünglichen Form vollständig veröffentlichten Aufzeichnungen Jüngers von seinen Rhodos-Aufenthalten stehen pars pro toto für sein gesamtes Reise-Tagebuch-Werk.  Sie sind hilfreich, einer ganzheitlichen Wahrnehmung von Jüngers Werk den Weg zu ebnen.


Ernst Jüngers erstes Rhodos-Tagebuch
© DLA Marbach



Ernst Jünger, Drei Mal Rhodos. Die Reisen 1938, 1964 und 1981. Herausgegeben von Lutz Hagestedt und Luise Michaelsen. Mit einem Nachwort der Herausgeber. 108 Seiten, 4 Abbildungen, fadengeheftete Klappbroschur, 14 Euro.

Gesamtkunstwerk Expressionismus

Das Plakat der Ausstellung Gesamtkunstwerk Expressionismus in Darmstadt




Geschichte wiederholt sich nicht. Oder doch?

Zu Anfang des 20. Jahrhunderts schuf der revolutionäre Veränderungswille verbunden mit dem künstlerischen Ausdruck die Bewegung des Expressionismus. Ihr widmet sich eine große Ausstellung auf der Mathildenhöhe in Darmstadt (noch bis zum 13.02.2011): »Kunst, Film, Literatur, Theater, Tanz und Architektur 1905 bis 1925« ist ihr Untertitel. Begleitet wird die Schau von dem Katalog aus dem Hatje Cantz Verlag (etwa 500 Seiten, 3,3 Kilogramm).


»Du musst Caligari werden« schrie Anfang 1920 ein Plakat von den Litfaßsäulen der deutschen Großstädte. Ein schwarz gekleideter Mann rang im Sturm der gezackten Buchstaben scheinbar ums Überleben. Die Werbung für den Stummfilm Das Cabinet des Dr. Caligari von Robert Wiene verfehlte ihre Wirkung nicht. In einer Zeit, die dem Untergang geweiht schien, schürte sie untergründige Angst und füllte die Kinosäle. Es war der erste expressionistische Film überhaupt. Er hatte ein ungewöhnliches Bühnenbild aus gemalten und gebauten, grotesk verzerrten Kulissen. Seine Handlung rührte an die Ängste der Menschen. Die Handlung: Dr. Caligari stellt auf dem Jahrmarkt ein somnambules Wesen aus, ein Medium namens Cesare, das angeblich wahrsagen kann. Zwei Freunde besuchen gemeinsam die Vorstellung. Einem sagt Cesare den baldigen Tod voraus. Und tatsächlich wird er in der folgenden Nacht ermordet. Nach weiteren Morden stellt sich Caligari als Wahnsinniger heraus, der die Prophezeiungen von Cesare wahr macht, um aus ihnen Profit zu schlagen. Als der ermittelnde Kommissar Caligari auf die Spur kommt, macht der Film einen unerwarteten Schwenk: Die bisherige Filmhandlung scheint nur eine Wahnvorstellung des Kommissars zu sein. Denn der ist plötzlich in einer Irrenanstalt inhaftiert. Caligari dagegen ist der Direktor dieser Anstalt – und vollkommen bei Verstand.



Das Cabinet des Dr. Calibari, Filplakat von 1920



Der Film war außerordentlich erfolgreich. Er wurde nicht nur in Deutschland monatelang vor ausverkauften Kinosälen gespielt, sondern auch nach Amerika exportiert und begründete dort den Ruf des modernen und künstlerisch kreativen deutschen Films. Das Cabinet des Dr. Caligari ist ein Beispiel für ein expressionistisches Gesamtkunstwerk, waren es doch Künstler aus den verschiedensten Bereichen, die hier nun in einer völlig neuartigen Form zusammenarbeiteten. Das Medium wurde in seinen vollen Möglichkeiten genutzt – und gleichzeitig sahen die Maler, Architekten, Bühnenbildner, die ihn schufen, dessen Grenzen. Sie alle sahen im Film die Möglichkeit, ihre phantastische und revolutionäre Idee transformierend zu vermitteln. Gleichzeitig trauten sie dem Film kaum zu, ‚seelische‘ oder ‚geistige‘ Vorgänge  darzustellen. Carlo Mierendorff formulierte 1920: »[Das] Bild brennt sich unentrinnbar ein und das ist seine Überlegenheit über die Schaubühne.«



Anita Berber, Tanz ‚Kokain‘, 1922




Die große Leistung von Ausstellung und Katalog liegen darin, zum erstenmal die künstlerischen Entwürfe des deutschen Expressionismus fachübergreifend zu interpretieren. Das ist schon deshalb geboten, weil praktisch alle Künstler sogenannte Mehrfachbegabungen hatten. Damit schufen sie auch eine Durchdringung  von Malerei, Skulptur, Theater, Architektur und anderen Feldern. Sie sorgten für Durchlässigkeit, die wiederum das politisch-engagierte Pathos verstärkte.  Bruno Taut schuf ein ‚Architekturschauspiel‘:  Der Weltbaumeister sollte ein künstlerischer Kurzfilm werden mit abgefilmtem Tanz und Pantomime ohne Figuren, – dafür mit Kaleidoskop-Effekten und animierter abstrakter Malerei. Wie für diese Zeit üblich, produzierte Taut auch gleich die Graphiken für das Programmheft.


Die expressionistischen Filme der damaligen Zeit beschäftigten sich mit politischen und sozialen Fragen wie Sexualität und Prostitution oder psychologischen wie dem Hass. Die künstlerischen Zeitschriften und Buchverlage wurden politisch. Die politischen Zeitschriften hatten ein hohes künstlerisches Niveau. Theater, Kino und Tanz waren kaum noch voneinander zu trennen. Der Maler Ernst Ludwig Kirchner photographierte in seinem Atelier in Berlin-Friedenau nackte Tanz-Sessions oder portraitierte sich selbst in Uniform. Der Architektur wurde eine soziale Funktion abverlangt. Kunst hatte der gesellschaftlichen Veränderung zu dienen.


So sind es die verschiedenen Kunstrichtungen, die zu dieser Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg einen Höhepunkt erlebten. Herauszuheben ist die deutsche Plakatkunst. Für das Berliner Lichtspielhaus Marmorhaus gestaltete Josef Fenneker Filmplakate von ungeheurer Anschaulichkeit.


Walter Gropius formulierte den Gesamtkunstwerksgedanken unter dem Primat der Architektur in seinem Bauhaus-Programm:

»Ziele: Die Sammlung allen künstlerischen Schaffens zur Einheit, die Wiedervereinigung aller künstlerischen Disziplinen – Bildhauerei, Malerei, Kunstgewerbe und Handwerk – zu einer neuen Baukunst als deren unablössliche Bestandteile.  Das letzte, wenn auch ferne Ziel ist das Einheitskunstwerk – der große Bau – in dem es keine Grenze gibt zwischen monumentaler und dekorativer Kunst.«


Ausstellung und Katalogbuch bemühen sich, das Expressionistische Gesamtkunstwerk als synästhetische Realität erfahrbar zu machen. Das Resultat ist in beiden Fällen mehr als gelungen: Die Schau in Darmstadt und das beinahe verschwenderisch-bibliophile Buch sind dabei selbst zu synästhetischen Gesamtkunstwerken geworden.


Der offizielle Film zur Ausstellung der Mathildenhöhe Darmstadt



Institut Mathildenhöhe
Olbrichweg 13
64287 Darmstadt
Telefon: +49 6151 – 132778
Telefax: +49 6151 – 133739
E-Mail: mathildenhoehe@darmstadt.de

Der Katalog zur Ausstellung:

Gesamtkunstwerk Expressionismus. Kunst, Film, Literatur, Theater, Tanz und Architektur 1905 bis 1925,
Herausgegeben von Ralf Beil und Claudia Dillmann, Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2010. 512 Seiten,
467 Abbildungen, 58 Euro.

Chanel – von Jean Leymarie

Das Chanel-Buch von Jean Leymarie in der Wohnung von Coco Chanel



Das Buch über das Leben von Coco Chanel von Jean Leymarie kam zerst im November 1987 heraus. Inzwischen ist es zum begehrten Sammlerstück avanciert und schon lange nicht mehr lieferbar. Daher gibt es jetzt von dem opulenten Bild- und Textband eine Neuausgabe. Die französiche Ausgabe erscheint bei Éditions de la Martinière, die englische bei Thames & Hudson und die US-Edition bei Abrams.

Jean Leymarie ist Kunsthistoriker und hat daher einen besonderen Blick auf Coco Chanels Beziehung zu Künstlern wie  Jean Cocteau, Modigliani, Matisse, Renoir, Iribe, Doisneau und Marie Laurencin. Gegen Ende der 1910er Jahre wurde  Gabrielle Chanel, die sich später ‚Coco‘ nannte, in den Kreis der Pariser Avantgarde-Künstler eingeführt.

Bekannte von Picasso bis Dali übten auf sie Einfluss aus.



Buch-Cover




Warten bis alles vorbei ist – Botho Strauß zum 66. Geburtstag

Theater-Plakat aus Würzburg: Wissen wir was Nähe ist?
© Theater Ensemble 2010



Der DANDY-CLUB gratuliert dem Schriftsteller und Dramatiker Botho Strauß zum 66. Geburtstag. Strauß wurde am 2. Dezember 1944 in Naumburg/ Saale geboren. Manche halten ihn für einen  letzten Fels in der Brandung eines alles umspülenden Nihilismus. Einen Geist-Dandy.


Botho Strauß hat uns durchschaut. Uns grenzdebile Masse zwischen Konsumismus und Wirtschaftskrise. Er hält der Gesellschaft, an deren Rand er in der Uckermark lebt, den Spiegel vor. Manches, was er schreibt, ist schwer verständlich. Durchwoben vom allenthalben besungenen Bildungskanon, – den keiner kennt.

Zwischen den mythologisch-schweren Büchern scheint er sich regelmäßig selbst zu erholen durch ein leichtes Theaterstück. Leicht allerdings nicht im Inhalt, sondern lediglich in der Form. Medium und Transportmittel. Mit seinem Stück »Leichtes Spiel. Neun Personen einer Frau« von 2009 hat er wiederum ins Schwarze getroffen. Hier geht es um verschiedene Frauen, deren Vornamen alle mit K beginnen. Oder ist es etwa immer dieselbe Frau? Herrlich ist es, mitzuerleben, wie sie in ihren Taschen wühlen. Ohne fündig zu werden.

»Ich finde mein Pillendöschen nicht. Das silberne mit der Achatnuß auf dem Deckel. Das ständige Suchen nach Schlüsseln, Handys, Kreditkarten.
Das ständige Abklopfen aller Taschen in sämtlichen Kleidungsstücken.
Und wiederum das Suchen nach Schlüsseln, Pillen, Handys und Kreditkarten.«


Die Agonie der Sprache als Ausweis der Abwesenheit von Geist. Worthülsen werden senil hin- und hergeworfen. Dem anderen wird nicht zugehört. Man selbst kennt sich nicht. Kein Kontakt zu nichts. Die einzige Perzeptionsbasis und Selbstdefinition läuft über Mobiltelephon, Kreditkarte, Porsche Cayen. Botho Strauß’ Bücher und Theaterstücke sind Seismographen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung schrieb, seine Dramen seien keine Tragödien, sondern Gesellschaftskomödien, – »die einzigen, die wir haben«. Kaum ein anderer kann uns so lakonisch beschreiben, wie es Strauß gelingt: »Kathinka trägt ein langes T-Shirt, unruhig gemustert mit lauter kleinen Orchesterinstrumenten; sie sieht eher aus wie ein streunendes Mädchen als eine Expertin für innovative Prothesentechnologie«. Vor 25 Jahren las sich seine Beschreibung der herrschenden Philisterklasse so (»Paare Passanten«):

»Schwangerenrat trifft sich dienstags bei Helen, nur der Hausmeister bleibt ein alter mürrischer Einsiedel. Aufgeklärt, blaß, gerade das Rauchen aufgegeben, etwas fettiges Haar, Jeans und T-Shirt und darüber eine folkloristische Strickware, nach immer mehr Aufklärung dürstend (‚Literatur’ nennen sie’s kurz und umfassend), am liebsten die permanente Diskussion, um sich vor Glück, Unglück und anderen Unbegreiflichkeiten zu schützen. Helens Mann, Jurist, blond, stark gelichtetes Kopfhaar, Kinnbart, ist im vierten Monat ihrer Schwangerschaft in die SPD eingetreten. Seine Neigung zu skandinavischen Abholmöbeln hat sich bei der Einrichtung ihrer Dreieinhalbzimmer-Wohnung durchgesetzt.«

Nun sind sie alt geworden, die Post-68er. Sie können sich zwar alles leisten, aber ihr Sex ist fade. Zur Partei kann man sich im Bekanntenkreis nicht mehr bekennen. Der Lehrerberuf stresst. Die eigenen Kinder hören nicht. Das Leben zieht vorüber. So könnte über seinem Werk als Motto stehen ein Satz aus dem Stück:

»Warte hier. Bis alles vorbei ist.«

Pirelli Kalender 2011 by Karl Lagerfeld

Daria Werbowy als Artemis
© Pirelli Kalender 2011/ Karl Lagerfeld



Der Pirelli Kalender ist mittlerweile legendär. Er existiert seit 1963, ist aber erst bekannt seit 1964, weil der erste nicht veröffentlicht wurde. Seit jeher werden die weltweit besten Photographen beauftragt. Der große Wandkalender ist nicht zu kaufen. Er wird vom italienischen Reifenhersteller an VIPs vergeben.

Die Ausgabe 2011 hat vollständig Karl Lagerfeld photographiert. Sein Thema ist die Mythologie: Baptiste Giabiconi als Apollo, Daria Werbowy als Artemis oder Iris Strubegger als Athena, – der arbiter elegantiarum setzte die Models in seinem New Yorker Atelier inmitten seiner tausenden Bildbände in Szene.



Baptiste Giabiconi als Apollo
© Pirelli Kalender 2011/ Karl Lagerfeld



Erin Wasson als Ajax
© Pirelli Kalender 2011/ Karl Lagerfeld



Iris Strubegger als Athena
© Pirelli Kalender 2011/ Karl Lagerfeld





Picasso Künstlerbücher

Douglas Cooper, Théatre, 1967, gestaltet von Pablo Picasso



Eine fulminante Ausstellung des Museums Brandhorst in München zeigt zwei Drittel aller von Picasso gestalteten oder illuustrierten Bücher:

Picasso Künstlerbücher
Museum Brandhorst, Bayerische Staatsgemäldesammlungen München
25.11.2010 bis 06.03.2011
Kupferstich-Kabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden
09.04.20011 bis 13.06.2011

Zur Ausstellung erschien gerade das kongeniale Katalogbuch vom Hirmer Verlag:

Picasso Künstlerbücher
Werke aus der Sammlung Udo und Anette Brandhorst.
Herausgegeben von Nina Schleif und Armin Zweite, Hirmer Verlag, München 2010, 300 Seiten mit 240 teils großformatigen Farbabbildungen, Kunstdruckpapier, gebunden mit
Binde, 45 Euro.



Pierre Reverdy, Le chant des morts, 1948, Titelseite gestaltet von Picasso



Picasso ist nun fast vier Jahrzehnte tot. – Doch der Krimi seines Lebens geht weiter. Soeben melden die Nachrichtenagenturen, dass in Frankreich 271 Gemälde und Zeichnungen des spanischen Künstlers aufgetaucht sind, von deren Existenz bisher niemand etwas wusste.

Der 71-jährige Pierre Le Guennec hatte sich im Januar erstmals an Claude Picasso gewandt, Sohn und  Nachlassverwalter von Pablo Picasso. Er schickte damals laut der französischen Tageszeitung Libération mehr als 20 Photos von bisher unbekannten Picasso-Werken an ihn und bat jeweils um ein Echtheitszertifikat. Später reiste das Rentner-Ehepaar Guennec mit einem Koffer voller Bilder nach Paris, damit Claude Picasso die Werke in Augenschein nehmen konnte. Der war geschockt, wie auf einmal ein derart umfangreiches Konvolut von Werken seines Vaters auftauchen kann. Er hält die Bilder für echt.

Doch kamen ihm sofort Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Besitzes. In der Tat ist der heikel. Le Guennec gibt an, in den letzten drei Lebensjahren Picassos für den als Elektriker tätig gewesen zu sein und Alarmanlagen installiert zu haben. Dem Zeitungsbericht zufolge begründet der Sohn seine Zweifel der Rechtmäßigkeit des Besitzes vor allem damit, dass die Werke  ohne Datum sind und in dieser unvollendeten Form nie regulär das Atelier seines Vaters verlassen hätten. Zwar sei Pablo Picasso sehr großzügig gewesen. Aber jede Schenkung habe er einzeln getätigt und signiert.

So wächst das schon bisher riesige Œvre des manischen Arbeiters aus Andalusien noch weiter an. Heute geht man davon aus, dass sein Werk mehr als 10.000 Gemälde umfasst, 3.200 Keramiken, 7.000 Zeichnungen und 1.200 Skulpturen. Die Vielfalt von Stilen und Materialien wird häufig als Indiz seiner Genialität interpretiert. Picasso nutzte die verschiedenen künstlerischen Formen zu unterschiedlichem, je spezifischem Ausdruck. Seine Gemälde werden als bewusst-flüchtig angesehen; seine Zeichnungen dagegen als pointiert perfektionistisch und genialisch-asketisch.

Eine bislang wenig beachtete Stilform sind Picassos Buchgestaltungen, denen sich nun eine große Ausstellung im Münchner Museum Brandhorst widmet. Die unglaubliche Sammlung von Udo und Anette Brandhorst umfasst gut zwei Drittel der im Werkverzeichnis aufgelisteten über 150 Bücher. Es ist die größte Sammlung von Künstlerbüchern Picassos überhaupt, die im Jahr 2003 dem Freistaat Bayern geschenkt wurde.


Georges Louis Leclerc, comte de Buffon, Histoire naturelle, 1942,
Illustrationen von Picasso




Einen Begriff für diese von Picasso gestalteten Bücher zu finden ist nicht leicht. Denn man weiß heute nicht, ob er die Texte, zu denen er Zeichnungen beisteuerte, überhaupt gelesen hat oder wenigstens teilweise kannte. Dies ist nur bei einigen Büchern überliefert, wo der Verleger ihm den Text schickte und der Leser Picasso sich erst nach der Lektüre zur Mitarbeit entschloss.  Künstlerisch herausragende Ergebnisse erbrachte die Zusammenarbeit mit Ilia Zdanevič, der sich selbst nur Iliazd nannte. In dem kongenialen Katalogbuch wird er zurecht als ‚Bucharchitekt‘ bezeichnet. Der Avantgardist georgischer Abstammung gilt als der forderndste und bestimmendste aller Verleger Picassos. Doch der sonst egomanische Picasso akzeptierte das und sah darin eine Freundschaft auf Augenhöhe. Aus ihr resultieren neun Bücher aus der Zeit zwischen 1940 und 1972. Die Auflagen von Iliazds Picasso-Büchern waren niedrig. Sie schwankten in der Regel zwischen 50 und 75 Exemplaren und sorgten schon daher für entsprechende Bibliophilität. Hinzu kam eine außergewöhnliche Gestaltung in einer Pergamenthülle. Text und Illustrationen korrespondieren in einer Art, die für den  Betrachter zum Erlebnis werden. Aus dem Akt des Lesens wird ein ästhetischer Gesamtakt. Der Betrachter/ Leser soll zum Seher im Rimbaud‘schen Sinne werden. Nina Schleif schreibt in ihrem Beitrag: »Er [der Leser] soll fühlen und sehen, soll sich des Objektes vor ihm und seines Umgangs mit ihm ganz bewusst werden, ja, der ganze schwelgerische Aufwand wird allein zu dem Zweck betrieben, des Lesers Begegnung mit dem Buch zu verlängern und zu zelebrieren.« Gern liest der Biblioman im Computerzeitalter, dass Iliazd bekannt dafür war, Wochen mit der Suche nach dem geeigneten Papier zuzubringen.

Über den Katalog aus dem Münchner Hirmer Verlag ist man geneigt, beinahe Ähnliches zu sagen. Das häufig benutzte Wort ‚kongenial‘ scheint hier recht am Platz. Das schwere Buch dokumentiert die ausgestellten Bücher in Photos voller Plastizität, die die Papierqualität der Objekte fühlbar werden lässt. Eine Reihe intelligenter und lehrreicher Texte kommt nonchalant daher und macht Freude beim Lesen. Nina Schleif, die Kuratorin der brillanten Ausstellung, gibt ein »Porträt des Autors«, einen Einblick in Picasso als Bücher-Macher. Armin Zweite, der Direktor der Sammlung Brandhorst, stellt Picassos Buchgraphik in den Zusammenhang seines Gesamtwerks. Der Leser bekommt ein Gefühl von Picassos Getriebensein spätetens seit den 1960-er Jahren. Der damals bereits sehr erfolgreiche Künstler hatte ein besonderes Interesse an den Büchern, obwohl sie doch von ihm höchste Präzision forderten: Radierung, Kaltnadel und Aquatinta brauchten hohe Konzentration. Picassos Spontanietät und Schnelligkeit waren hier eher hinderlich.

Ausstellung und Katalogbuch befassen sich mit einem Teil vom riesigen Gesamtwerk des angesehensten Künstlers des 20. Jahrhunderts, der bislang nicht die gebührende Aufmerksamkeit zugekommen ist. Eine große Lücke wurde so geschlossen. Das der Ausstellung und Sammlung kongeniale Katalogbuch ist für sich selbst eine kleine Kostbarkeit, die in Umfang, graphischer Gestaltung und Verarbeitung wohl zu den besten Kunstbüchern des Jahres 2010 zählt.


Die Ausstellung im Museum Brandhorst in München



Das Museum Brandhorst zelebriert die Künstlerbücher Picassos