Juni 07
Il Vittoriale III
Juni 01
40 Jahre Annäherungen
Aus Anlass des 40. Geburtstages von Ernst Jüngers Großessay Annäherungen – Drogen und Rausch rezensiert der DANDY-CLUB die Neuausgabe des Klett-Cotta Verlages.
Ernst Jünger: Annäherungen. Drogen und Rausch. Neuausgabe.
Klett-Cotta 2008, 456 S., Euro 24,90.
In seinem zuerst 1970 erschienen Buch, das der Verlag Klett-Cotta nun wieder veröffentlicht hat, nimmt Ernst Jünger den Leser mit auf seine intime, sehr persönliche Reise zum eigenen Ich, zu Grenzen des Erfahrbaren, des wissenschaftlich Greifbaren. Dabei geht es um wesentlich mehr, als Rauscherfahrungen. Leider wird das Vorwort dem grandiosen Buch nicht gerecht.
Im Frühjahr 1962 unternimmt Ernst Jünger mal wieder ein Drogenexperiment. Nachdem er bereits die verschiedensten Rauschmittel getestet hatte, ist nun der Pilz dran. Genauer: ein mexikanischer Wahrheitspilz, champignons hallucinogènes divinatoires. Zu viert saßen sie am Tisch in der Wilflinger Oberförsterei und kauten die braune, modrige Masse.
Die Wirkung ließ nicht lange auf sich warten. »Der Frühlinsstrauß glühte stärker«, vermerkt Jünger als erstes, »das war kein natürliches Licht. In den Ecken regten sich Schatten, als ob sie Gestalt suchten.« Dem zu dieser Zeit 67-jährigen Schriftsteller wurde »beklommen, auch fröstelig« und das »trotz der Hitze«, die von den Kacheln des Ofens ausströmte. Der hochdekorierte Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges macht aus seinen Rauscherfahrungen keine Mördergrube: »Alles war Haut und wurde angetastet, auch die Retina – dort wurde die Berührung Licht. Dieses Licht war vielfarbig; es ordnete sich zu Schnüren, die sanft hin- und herschwangen, zu Glasperlenschnüren orientalischer Eingänge. Sie bildeten Türen, wie man sie im Traum durchschreitet, Vorhänge der Lust und Gefahr. Der Wind bewegt sie wie ein Gewand. Sie fallen auch von den Gürteln der Tänzerinnen nieder, öffnen und schließen sich im Schwung der Hüften, und aus den Perlen weht ein Geriesel feinster Töne den geschärften Sinnen zu.«
Der große Doyen der deutschen Literatur im 20. Jahrhundert, leidet unter der Sensibilisierung seiner Sinne. Eigentlich hatte er geglaubt, gehofft, die seien durch die Stahlgewitter der Grabenkämpfe endlich abgestorben. Abgetötet. Doch nichts da. Das wahrgenommene »Klingen der Silberreifen an den Fesseln und Handgelenken« ist ihm schon zu laut. »Es riecht nach Schweiß, Blut, Tabak, gehackten Pferdehaaren, billigem Rosenöl.« Das treibt den Drogen-Dandy zu der Frage: »Wer weiß, was in den Ställen getrieben wird.«
DAS HATTE NIEMAND ERWARTET. In seinem zuerst 1970 erschienen Buch »Annäherungen. Drogen und Rausch«, das der Verlag Klett-Cotta 2008 wieder veröffentlicht hat, nimmt Ernst Jünger den Leser mit auf seine intime, sehr persönliche Reise zum eigenen Ich, zu Grenzen des Erfahrbaren, des wissenschaftlich Greifbaren. Annäherungen. Auch an Mythologisches. Die stimulierende Substanz des mexikanischen Pilzes geht ins Blut. Jünger beschreibt die Szenerie weiter.
»Es mußte ein riesiger Palast sein, mauretanisch, kein guter Ort. An diesen Tanzsaal schlossen sich Nebenräume, Fluchten bis in den Untergrund. Und überall die Vorhänge mit ihrem Glitzern, ihrem Funkeln – radioaktives Gegleiß. Dazu das Geriesel gläserner Instrumente mit ihrem Locken, ihrem buhlenden Werben: ‚Willst, feiner Knabe, du mit mir gehen?’ Bald hörte es auf, bald kam es wieder, zudringlicher, eindringlicher, des Einverständnisses fast schon gewiß.
Nun kam Geformtes – historische Collagen, die Vox humana, der Kuckucksruf. War es die Hure von Santa Lucia, die aus dem Fenster die Brüste vorstreckte? Dann war die Heuer futsch. Salome tanzte; die Bernsteinkette sprühte Funken und steilte im Schwingen die Brustwarzen auf. Was tut man nicht für seinen Johannes? – verdammt, das war eine üble Zote, das kam nicht von mir, war durch den Vorhang geraunt.«
Selten hat man Jünger so leicht gelesen, so fließend und selbstironisch. Die »Annäherungen«, seit vielen Jahren vergriffen, sind zuletzt nur noch erhältlich gewesen als Band der Gesamtausgabe. Die Erstausgabe taucht antiquarisch kaum auf. Die alten 68er wollen es nicht herausrücken. Verständlich. Für den zigsten Taschenbuchnachdruck werden unverschämte Preise verlangt, so in Berlin 35 Euro. Dabei ist das Buch nicht primär – wie oft kolportiert – eine Schilderung der verschiedenen Drogen und ihren Wirkungen. Es ist ein kulturhistorischer Großessay, in dem Jünger seine eigenen Rauscherfahrungen einbettet. Der bei Erscheinen des Buches 75-jährige spannt einen vexierbildartigen Bogen, vordergründig gegliedert nach den Kontinenten, von denen die verschiedenen Drogen stammen: Bier, Wein, Nikotin, Äther, Laudanum, Kokain, Canabis, Meskalin und LSD werden behandelt aber auch Bücher und Städte, das Glücksspiel und andere Süchte. Jünger geht es um die Annäherung an das große Ganze, an den kosmischen Plan. In den einleitenden Seiten befasst er sich mit der Todesstunde. Der Tod sei schließlich, aus der Perspektive des hiesigen Lebens betrachtet, die ungeheuerste Annäherung.
Es geht Jünger nicht um eine lexikalische Abhandlung aller möglichen Drogen. Vielmehr versucht er zu ergründen, welche Annäherungsmöglichkeiten dem Bewusst-Suchenden zur Verfügung stehen. Dabei bilden die Rauschmittel eine Art von Rahmen, sie sind Kulturträger ihrer Epochen und Kontinente. Sie verfeinern das Leben, lassen Kontakt zu anderen Regionen der Wahrnehmung zu. Jünger verknüpft seine eigenen, lebenslangen Rauscherfahrungen retrospektiv mit ihren jeweiligen biographischen Situationen. Streiflichter aus Literatur, Mythologie und Philosophie dienen als ästhetische Trüffelung, als geistige Einbettung des Erfahrenen. Und ohne Mythologie keine Erweiterung des Hiesigen.
So haben die »Annäherungen« starken autobiographischen Charakter. Schade nur, dass das Vorwort von Volker Weidermann Geist und Niveau des Buches nicht gerecht wird. Der Literaturchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung beschränkt sich darauf, einige Schilderungen von Jüngers Rauscherfahrungen aus dem Buch zu rezitieren. Der Leser erfährt nichts von der Wirkungsgeschichte des Buches, das so anders ist als viele andere Veröffentlichungen von Ernst Jünger. Wer weiß heute noch, dass ein CDU-Abgeordneter des Baden-Württembergischen Landtags das Verbot des Buches forderte, weil es jugendgefährdend sei. Oder dass Jünger kurz nach Publikation Besuch von einem Staatsanwalt aus Riedlingen bekam, der ihn nach seinem Drogenkonsum befragte?
EIN LUSTLOSES VORWORT. Wie lustlos das Vorwort geschrieben worden ist, wird an der fehlerhaften Zitierung deutlich. So macht Weidermann aus der »Hure von Santa Lucia« die »Hure Santa Lucia« (S. 11). Jünger war gern auf Sizilien und reiste gerade in den 1960er Jahren – also einige Jahre vor Entstehen der »Annäherungen« mehrmals auf die Insel. Hier gibt es ein traditionelles Fest, das der Nacht der Heiligen Lucia gewidmet ist. Diese Nacht wurde lange als die längste angesehen; danach nähmen die Tage wieder zu. Das Fest symbolisiert dies noch heute. Für Jünger typisch wäre die »Hure von Santa Lucia« also als Allegorie: Dieser heftige Pilztraum zog ihn in die dunkelste Tiefe. Danach konnte es nur noch heller werden. Schließlich betont Jünger in dem Buch an mehreren Stellen das hohe Ausmaß an Gefahr, in die er sich mit seinen Rauschexperimenten begab.
© Matthias Pierre Lubinsky/ DANDY-CLUB. All rights reserved.
Mai 31
Ernst Jünger Org.
Das englisch-sprachige Blog Ernst Juenger.org von Simon Friedrich beschäftigt sich anspruchsvoll mit Jüngers Philosophie des Anarchen: Wie ästhetisch leben im technischen Zeitalter?
In der Beschreibung des Blogs heißt es:
„Ernst Jünger – ANARCH
The works of Ernst Jünger provide an incomparable road map for contemporary seekers of freedom and happiness. Paramount is his figure of the inwardly-free Anarch.
We hope here to promote understanding of Jünger´s methods for individual growth in a collectivized world. Sincere seekers of self-knowledge and self-determination are encouraged to participate.“
Mai 27
Adolf Loos – Eine Einführung
Wer war Adolf Loos (1870 – 1933)? Er gilt heute als einer der berühmtesten österreichischen Architekten. Obwohl er das Architekturstudium niemals abgeschlossen hat. Er schrieb brillante Kolumnen, die seinen Landsleuten Stil beibringen sollten. Er richtete über 50 Wohnungen ein. Er verglich die Kulturen der Welt aus einer ironisch-gebildeten Sicht, obwohl er weder ein Examen in Kunstgeschichte oder einer vergleichbaren Fachrichtung besaß.
All das war der Dandy Adolf Loos, dem sich in lockerer Manier nun ein Bändchen aus dem Wiener Metroverlag nähern möchte. Der Verlag publizierte in den vergangenen Jahren bereits in gleicher Aufmachung drei Bände, die jeweils Artikel von Loos über die Bereiche Kleidung, Wohnungseinrichtung und Architektur zusammenfassen. Insoweit ist dieser vierte Band eine gelungene, ästhetisch eingepasste Ergänzung.
Loos war ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Mann. Er vermochte jede Fachgrenze, in der er sich bewegte, zu sprengen. Loos akzeptierte die erwarteten Ausbildungswege nicht. Er argumentierte, um gute Häuser zu bauen, müsse man kein Architekt sein. Sein Kulturbegriff orientierte sich an Friedrich Nietzsche, was an sich schon einen gewissen Tiefgang seines Denkens erahnen lässt. Eine Kostprobe Loos’scher Ironie auf den Spuren Nietzsches: »Bedenken wir doch recht: Eigentlich brauchen wir gar keine Kunst. Wir haben ja noch nicht einmal eine Kultur. Hier könnte der Staat rettend eingreifen (…) Neben Akademien baue man auch Badeanstalten und nebst Professoren stelle man auch Bademeister ein.« Der Provokateur wendet sich gegen den gängigen Kulturbegriff. Seiner Auffassung nach konnte eine lebendige, eine gelebte Kultur nur dann entstehen, wenn endlich die starren Ansichten und Verhaltensweisen von vorgestern über Bord geworfen werden.
Auch wenn der Wiener Kultur-Dandy aufgrund seiner Zeitungs-Kolumnen viele Schmähungen erfahren hat, war er sehr erfolgreich. Die Großbürger, Adligen und Geschäftsleute, die sich von ihm ihre Wohnräume gestalten ließen, waren wohl durchwegs sehr zufrieden bis begeistert. Überliefert ist, dass kaum einer das Ergebnis Loos’scher Innenarchitektur nach nur wenigen Jahren umgestalten ließ. Die meisten lebten darin gar Jahrzehnte ohne jedwede Veränderung. In dem Buch von Peter Stuiber, »Maßgeschneidert modern – Adolf Loos«, erfahren wir, dass der Lebensmittelfabrikant Paul Khuner sogar 20 Jahre nach Gestaltung seiner Wohnung Loos ein zweites Honorar überwies, weil er so zufrieden war. Khuner schrieb ‚seinem‘ Innenarchitekten euphorisch: »Alle meine Fremde, die sich zu gleicher Zeit wie ich einrichten ließen, haben jetzt schon die dritte oder vierte Einrichtung, während ich mit meiner Wohnung (…) so zufrieden und glücklich bin, dass ich hoffe, weitere fünfzig Jahre darin zu verbringen. Eigentlich haben Sie mir eine Menge Geld erspart (…) Ich bitte Sie daher sehr, den Betrag von 25.000 Kronen, anzunehmen, da ich mich so sehr in Ihrer Schuld fühle.«
Diese und andere süffisante Anekdoten spürt Autor Stuiber auf, um uns seinen Landsmann näher zu bringen. Das kann insgesamt als gelungen gelten. Zuweilen schleichen sich dabei allerdings zu starke Vereinfachungen ein. So, wenn Stuiber schreibt, Loos sei ein »Amerikaner« gewesen, was heißen soll, dass er nach seiner Rückkehr aus den USA alles bewunderte, was er dort sah. Wir kennen auch andere Texte, in denen sich der Heimkehrer lustig macht über die unzähligen Autos, die auf endlosen Highways langsam dahinrollen und ihren Insassen nichts anders sehen lassen als die immer gleichen weißen Bungalows in toten Vorstädten.
Süffisant auch die Freundschaft zwischen Loos und Oskar Kokoschka. Für Loos war Kokoschka die Künstlernatur schlechthin, quasi der Heilige Geist als Künstler. Er unterstützte den Maler, wo er nur konnte. Loos brachte seinem Freund Dutzende von Bekannten zum Portrait. Als das immer noch nicht reichte, gab er jeweils eine Garantie ab: Gefalle das Bild nicht, würde Loos es kaufen.
© Matthias Pierre Lubinsky/ DANDY-CLUB. All rights reserved.
Mai 25
Paul Weller
Der DANDY-CLUB gratuliert Paul Weller zum Geburtstag! Er wurde am 25. Mai 1958 in Woking, Surrey, England geboren und macht nicht nur durch gute Musik von sich aufmerksam.
Als sich Weller für ein neues Album im Dreiteiler ablichten ließ, wurde er sogleich von der britischen Presse als „bestangezogener Dandy seit Oscar Wilde“ betitelt. Bekannt wurde Paul Weller dem größeren Publikum als Sänger der britischen Band The Jam, die von 1976 bis 1982 bestand. Nach deren Auflösung gründete er mit Mick Talbot The Style Council, die bis 1989 existierten. Seit 1992 agiert er als Solomusiker.
Bei den Brit Awards 2006 wurde Paul Weller für seine „Outstanding Contribution to British Music“ geehrt. Der Preis gilt als die höchste Auszeichnung der britischen Plattenindustrie. 2009 erhielt er als „bester männlicher Solokünstler“ den zweiten Brit Award.
Unpolitisch ist Weller weiß Gott nicht. In den 1980er Jahren wetterte er massiv gegen die Fuchsjagd auf der Insel. Er hat deutliche Ansichten – und sagt diese auch. Er gilt als Radikalpazifist und äußert sich häufig sozialdemokratisch bis sozialistisch.
Dandyesk sind die von ihm entworfenen Polohemden der Marke Fred Perry. Eine Besinnung auf Shirts der 1970er, wie sie Weller selbst als Mitglied von The Jam trug. Sie waren limitiert und wurden hergestellt auf den Original-Webstühlen von damals.
Mai 19
Nicolás Gómez Dávila
Zum gestrigen Geburtstag eines der größten Geist-Dandys, des kolumbianischen Gelehrten Nicolás Gómez Dávila (18. Mai 1913 – 17. Mai 1994) erinnert der DANDY-CLUB an diesen Ausnahme-Philisophen.
Hier einige seiner provozierenden Aphorismen.
Eine Kultur stirbt, wenn niemand weiß, worauf sie beruht, oder wenn alles es zu wissen glauben.
Nur der Einsame rettet sich vor dem Provinzialismus.
Die Messe kann zelebriert werden in Palästen oder in Hütten, nicht aber in Villenvierteln.
Die ,Legitimität’ ist die politische Form des Heiligen.
Die griechische Tragödie und das christliche Dogma sind reife Meditationen über das menschliche Schicksal im Vergleich zum jugendlichen Sentimentalismus der modernen Philosophie.
Der Fortschrittler triumphiert immer und der Reaktionär hat immer recht. Recht haben heißt in der Politik nicht, die Szene zu beherrschen, sondern vom ersten Akt an die Leichen des fünften vorherzusagen.
Das Leben ist ein täglicher Kampf gegen die eigene Dummheit.
Nichts ist gefährlicher, als die Vorurteile desjenigen zu verletzen, der behauptet, er habe keine.
Die Idee der ,freien Entfaltung der Persönlichkeit’ scheint ausgezeichnet, solange man nicht auf Individuen stößt, deren Persönlichkeit sich frei entfaltet hat.
Von allen Despotismen ist derjenige der Wahrheit der grauenhafteste. Welche Vorwände kann man ersinnen, um ihn zurückzuweisen? Welche Rechtfertigung lässt sich für unseren Widerstand finden?
Eine Biographie von Till Kinzel findet sich hier:
http://www.aphorismus.net/beitrag17.html
Dávila ist – man glaubt es kaum – bei Myspace:
http://www.myspace.com/nicolasgomezdavila
Und hier noch einige unbedingt zu empfehlende Bücher:
Mai 17
Arengo
Mai 12
DANDY-CLUB – Die Site
www.dandy-club.de
portraitiert rund zwei Dutzend Dandys, bringt ständig aktuelle Nachrichten zum Dandytum und wird immer weiter ausgebaut. So wollen wir Buchempfehlungen aussprechen, werden zukünftig auch Veranstaltungshinweise geben und werden viele interessante Links hinzufügen.
Mai 12
Il Vittoriale II
Auf vielfachen Wunsch hier weitere Bilder vom Vittoriale des Gabriele d’Annunzio, der sich mit dieser 20.000 Quadratmeter großen Anlage sein eigenes – unbescheidenes – Denkmal gesetzt hat.