Mario Bosincu über die Wandlung Ernst Jüngers

Bringt kaum Neues: Mario Bosincus Studie seziert Ernst Jüngers Weg noch einmal

 

 

Mario Bosincu, Autorschaft als Widerstand gegen die Moderne. Über die Wende Ernst Jüngers. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2013, 326 Seiten, Ppb., 39,80 Euro.

 

Eine neue Studie unter dem Titel Autorschaft als Widerstand gegen die Moderne – Über die Wende Ernst Jüngers sucht einen Bruch in dessen Werk nachzuwiesen. Mario Bosincu sieht Jünger dabei als »Mythenbildner« und dessen Großessay Der Arbeiter als »Plan, die Leser durch die in die Struktur des Arbeiters (1932) eingebauten politischen Mythologeme zu bloßen Funktionsrädchen des Staatsapparates zu verdinglichen«. Die Diskussion um die Einheit des Jüngerschen Werkes ist nun Jahrzehnte alt. Sein zeitweiser Sekretär Armin Mohler sah die Einheitlichkeit unter anderem dadurch verletzt, dass sein Mentor bereits veröffentlichte Bücher immer wieder umarbeitete. Jünger selbst erläuterte, dies gehöre für ihn zur Essenz der Autorschaft. Texte würden sich verändern wie Früchte und müssten manchmal an neue Gegebenheiten angepasst werden. Den Arbeiter hingegen schrieb er nie um. Er ließ ihn beinahe ein halbes Jahrhundert nicht mehr auflegen, nahm ihn aber in die Gesamtausgaben mit auf.

 

Bosincu sieht die Wende Jüngers in seinen Kriegstagebüchern, die unter dem Titel Strahlungen nach dem Zweiten Weltkrieg erschienen und die Zeit zwischen 1939 und 1948 umfassen. Seit diesem Buch  nun lasse sich, so der Autor in seiner Dissertation, das Werk Jüngers unter den Oberbegriff des geistigen Widerstandes gegen die Moderne subsumieren, »da sich Jünger von diesem Zeitpunkt an systematisch vornahm, die Rolle eines modernen Seelenführers zu spielen, der seine Leser lehren wollte, Zugang zu der den Zeitbedrängnissen gewachsenen Seinsweise zu gewinnen, indem er ihnen in seinen Schriften modernisierte geistige Übungen als Widerstandsmittel gegen die Übermacht der Technik, die Entsakralisierung der Natur und die durch den Nihilismus bewirkte moralische Entartung anbot«.

 

Hätte der Doktorand auch andere Texte des Untersuchten mit einbezogen, wäre er im Ergebnis wohl kaum zu diesem radikalen Bruch gekommen. Dass Jünger sich für seine kleine Schar in der Regel treuer Leser in der Pflicht sah, hat er mehrmals selbst geäußert. Diesbezüglich von einem Seelenführer zu sprechen, ist sicher nicht falsch. Liest man hingegen neben dem Arbeiter das fünf Jahre zuvor erschienene Das Abenteuerliche Herz (Erste Fassung), so bekommt man unweigerlich ein anderes Bild, als das eines dem Totalitarismus Tür und Tor öffnenden Autoren. Es gilt als das surrealistische Buch Jüngers und schildert Träume, spirituelle Traumlandschaften und geht gegen den Darwinismus und vielerlei bürgerliche Sichtweisen und Vorurteile an. Heute staunt man nicht schlecht, liest man dort:

 

»(…) Wir [die Deutschen] besitzen in der Welt den Ruf, daß wir Kathedralen zu zerstören imstande sind. Das will viel heißen zu einer Zeit, in der das Bewußtsein der Unfruchtbarkeit ein Museum neben dem anderen aus dem Boden treibt. Und wirklich, wenn man mit schärferen Gläsern schaut, wenn man sich durch die scheinbare Schmerzlosigkeit der Vorgänge nicht täuschen läßt, muß man erkennen, daß wir uns bemühen, eines hohen Grades der Schonungslosigkeit würdig zu werden. Man muß erkennen, daß wir uns bemühen, uns Schmerz zuzufügen, und daß wieder wie im 15. Jahrhundert der Rauch der Scheiterhaufen über der Landschaft steht.«


Bosincu hingegen sieht in den Strahlungen Jüngers Wende vom »modernistisch-reaktionären mythenbildenden ‚Ingenieur‘ der Seele« zum »nach-romantischen Kunst-Priester«.

 

Mario Bosincu liest viele der Quellen Jüngers nach und zeigt deren Wirkung im Werk auf. Doch das meiste ist nicht neu. Nietzsche, Dostojewski, Georg Simmel – wer sich mit Jünger ein wenig beschäftigt hat, kennt seine Wegbereiter. Der Studie mangelt es darüber hinaus an einer verbindenden Klammer. Die einzelnen Kapitel stehen für sich. Deutlich wird das durch die fehlende Zusammenfassung oder ein Resümee als letztes Kapitel, was unbedingt erforderlich gewesen wäre, um die Spurensuche auf knapp 300 Seiten als wissenschaftlich zu rechtfertigen. Erstaunlich, dass bei einer wissenschaftlichen Arbeit, die immerhin den Doktortitel verleiht, ein solches fundierendes Resümee nicht Standard ist.