Marcel Duchamp – Le mystère de Munich

Rudolf Herz, Marcel Duchamp – Le mystère de Munich vor der Alten Pinakothek München, 2012, Aufbau
© Horst Moser

 

 

Marcel Duchamp – Le mystère de Munich
22.06.2012 – 30.09.2012
Vor der Alten Pinakothek

Künstlerbuch zur Ausstellung:
Rudolf Herz, Marcel Duchamp – Le mystère de Munich, Moser Verlag, München 2012, 332 Seiten, Fadenheftung, Euro 59.

 

Marcel Duchamp (1887-1968) gilt heute nicht nur als einer der wichtigsten Avantgarde-Künstler des 20. Jahrhunderts, sondern gar als einer der bedeutendsten Erneuerer der Kunst im vergangenen Jahrhundert überhaupt.

Dazu beigetragen hat Duchamps Selbst-Stilisierung, zu der auch gehörte, über die eigene Biographie keine Angaben zu machen und die Biographen auf falsche Fährten zu schicken. Duchamp war davon überzeugt, weder Metaphysik noch Religion oder Philosophie könnten eindeutige Antworten geben. So könne auch die Kunst keine eindeutigen Aussagen treffen, weil erst der Betrachter das Kunstwerk durch seine Interpretation »mache«, also vollende.

Duchamps München-Aufenthalt vor genau 100 Jahren wird in der Kunstwissenschaft eine große Bedeutung beigemessen, hat doch der später berühmt Gewordene danach dem Kubismus abgeschworen und seine Haltung zur Kunst geändert. Er hatte fortan einen generelleren Ansatz und war der Meinung, es genüge nicht, wenn die Kunst in der klassischen Tradition etwas abbilde. Aus seinem mehrmonatigen Aufenthalt in München von Ende Juni bis Anfang Oktober 1912 machte Duchamp stets ein Geheimnis, bis er 1964 bei einem Vortrag vom »Schauplatz meiner endgültigen Befreiung« sprach.

 

 

Barer Straße um 1910, rechts im Vordergrund Haus Nr. 65, Wohnung Marcel Duchamps in München 1912
© Stadtarchiv München

 

 

 

Nun widmet sich neben der Ausstellung Marcel Duchamp in München im Lenbachhaus (noch bis 15. Juli 2012) eine zweite Veranstaltungsreihe diesem Aufenthalt, der die moderne Kunst nachhaltig beeinflussen sollte. In aufwendiger Recherche und Rekonstruktion hat Rudolf Herz, der sich seit Jahren mit Kunst im öffentlichen Raum beschäftigt, versucht Näheres zu Duchamps Münchner Zeit zu rekonstruieren. Als eines der Ergebnisse präsentiert er eine Nachgestaltung der Wohnung, in der Duchamp in München lebte im Maßstab 1:1.  Das temporäre Denkmal ist um 90 Grad gekippt, sodass der Grundriss von der Seite einsehbar wird. Es ist ganze 17 Meter lang und 7 Meter hoch und steht auf der Südwiese der Alten Pinakothek. Nicht weit entfernt von hier, 25 Hausnummern weiter, in der Barer Straße 65, befand sich die ungünstig geschnittene Wohnung in einem Haus, das im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde. Sie war gemietet von einem jungen Ehepaar, einem Ingenieur und einer Schneiderin. Heute wird angenommen, dass die Beiden ihren zeitweiligen Untermieter nachhaltig beeinflussten, beschäftigte sich dieser doch fortan verstärkt mit Mechanik und Technik und ihren Bezügen zur menschlichen Wahrnehmung.

Die originalgetreue Skulptur soll Duchamp in das kulturelle Gedächtnis der Stadt München integrieren. »Marcel Duchamp. Le Mystère des Munich« steht noch bis zum 30. September 2012 und wird begleitet durch ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm.

Ein Highlight des ambitionierten Projektes ist das begleitende Künstlerbuch, dessen Titulierung als Katalog eine gelinde Untertreibung wäre: Auf über 300 Seiten präsentieren Rudolf Herz und der Moser Verlag nicht nur die Skulptur, sondern darüber hinaus Dutzende von Zeitzeugnissen, wie Werke von Duchamps Freunden aus der Zeit, Ansichten von München, dem Wohnhaus in der Barer Straße, süffisanten Photos aus dem Atelier des Freundes Max Bergmann und vieles andere. Rudolf Herz beschreibt detailliert den Forschungsstand zu Duchamps Werdegang und wie ihm viele sympathisierende Biographen auf den Leim gingen. Ein E-Mail-Gespräch mit Andreas Wutz bringt Hintergrund und Motivation von Spurensuche und Wohnungs-Skulptur näher.

Das bibliophile Buch weiß allein aufgrund seiner Materialfülle und Gestaltung zu gefallen und ergänzt die Sekundär-Literatur zu Duchamp prononciert, – ohne sich auf Fachkreise zu beschränken. Der Handbuch-ähnliche Bildband ist für alle, die sich für die Entwicklung der modernen Kunst interessieren, ein Ereignis.


Marcel Duchamp – Le mystère de Munich. Pinakothek der Moderne München