Ernst Jünger – Gespräche im Weltstaat

Das Buch versammelt bedeutende Interviews mit Ernst Jünger





Ernst Jünger: Gespräche im Weltstaat
Interviews und Dialoge 1929-1997
Hrsg. von Rainer Barbey und Thomas Petraschka
575 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
Klett-Cotta 2019, 45 €.





Der deutsche Jahrhundertautor Ernst Jünger (1895-1998) wollte eher durch seine veröffentlichten Erzählungen, Tagebücher und Essays wirken als durch Auftritte oder Interviews. Ein nun veröffentlichter Band faßt beinahe die Hälfte aller jemals gedruckten Gespräche mit dem großen Doyen der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts zusammen. Ein Ereignis nicht nur für bisherige Jünger-Leser!





Ernst Jünger schrieb in einem Zeitraum von etwa 75 Jahren etwa 80 Bücher. Er suchte nach den großen Zusammenhängen in der Geschichte und hoffte, Leser jenseits der flüchtigen Tagesereignisse zu erreichen. Stilistisch lag ihm eher das Tagebuch als der Roman. Die Strahlungen gelten heute als ein Standardwerk zum Zweiten Weltkrieg und als Lehrstück des aufrechten Ganges in düsteren Zeiten. Jünger flankierte sein umfangreiches Diarium und seine nicht immer leicht konsumierbaren Erzählungen mit einer großen Anzahl von schmaleren Essay-Bänden, die insbesondere nach dem Krieg zu einzelnen Fassetten der planetarischen Ordnung Stellung bezogen (Über die Linie, Der Waldgang, Der gordische Knoten).





Nach schlechten Erfahrungen mit entstellten und negativ gedrehten Interviews zog er sich zunehmend zurück und empfing nur noch einzelne, ausgewählte Besucher. Dennoch führte Jünger immer wieder im Anschluß veröffentlichte Gespräche. Diese hatten häufig in den Medien keinen großen Wiederhall, fanden dagegen bei intellektuell Interessierten über alle Jahrzehnte erhebliche Resonanz. Antworten von Gegnern und Befürwortern fanden weniger in den Massenmedien statt als in abgelegenen Zeitschriften.





Der Band Ernst Jünger – Gespräche im Weltstaat versammelt stattliche 43 solcher zuvor gedruckten Interviews. Die Herausgeber Rainer Barbey und Thomas Petraschka recherchierten insgesamt 105 mit dem Schriftsteller geführte und gedruckte Gespräche. Sie fanden zwischen 1929 und 1997 statt. Das 575 Seiten umfassende Buch sortiert sie chronologisch nach ihrem Veröffentlichungszeitpunkt. Ein großer Gewinn ist, daß das Buch bedeutende Interviews enthält, die bislang nicht in Deutsch publiziert worden sind. Dies ist umso erstaunlicher, als alle Gespräche in deutscher Sprache geführt worden sind.





Der Sammelband bringt auch Dialoge, die schon publiziert sind, was aber seinen Wert nicht mindert. So kann sich der Leser ein tiefgreifendes Bild vom Autoren machen und einen Überblick über seine Ansichten verschaffen. Die Herausgeber versuchten, wie sie in der Einführung mitteilen, mit ihrer Auswahl Redundanzen zu verhindern, da Jünger naturgemäß häufig dieselben Fragen gestellt worden sind. Süffisant ist, daß Jünger sich manchmal völlig widersprach. Die Herausgeber gehen darauf genauer ein und nennen als Beispiel, daß Jünger 1956 auf die Frage nach Autoren, die er sehr schätze, Rilke, Hofmannsthal und George nennt. Dreizehn Jahre später sagt er. »Weder Stefan George, noch Hofmannsthal, noch Rilke haben mich begeistert.« Ein dandyesker Streich?





Das stattliche Buch ist sowohl für Jünger-Kenner zu empfehlen, wie für Leser, die vom Autoren von In Stahlgewittern noch nicht eine Zeile gelesen haben. Denn erstaunlich ist, wie Jünger, der sonst bei politischen Stellungnahmen oder direkten Aussagen eher zurückhaltend war, in einigen Gesprächen recht deutlich wird. So eignet sich Gespräche im Weltstaat als Einstieg in das geistige und literarische Universum Jüngers ebenso wie für echte Jüngerianer, die sich schon durch ein Gros des Werkes gelesen haben. Auch sie werden durchaus noch Interessantes entdecken.





Dankenswerterweise haben die Herausgeber in einer Bibliographie sämtliche Interviews und Gespräche chronologisch gelistet. Eine ungeheure Fundgrube für jeden, der weiterforschen will. Der Lesbarkeit förderlich wäre es jedoch gewesen, wenn vor jedem Gespräch in einer kurzen Einleitung Person, Medium und eventuell Kontext erläutert worden wären. So ist man gezwungen, ständig in die Bibliographie zu blättern, will man das erfahren.





Dies ist aber nur ein kleiner Wehrmutstropfen eines ansonsten bedeutsamen Buches, bei dem ein umfangreicher Kommentar und ein Namensregister nicht fehlen. Es macht Lust, Ernst Jünger wieder zu lesen!



© Matthias Pierre Lubinsky 2019