Ernst Jünger – Krieg als inneres Erlebnis

Ernst Jünger (1895-1998)
Photo von 1921 aus der 3. Auflage von In Stahlgewittern

 

 

Ernst Jünger, Krieg als inneres Erlebnis
Schriften zum Ersten Weltkrieg.
Gebunden, im Schuber, 693 Seiten, Klett-Cotta 2016, 39,95 Euro (D.)

 

 

Ernst Jüngers Kriegsbuch In Stahlgewittern gilt als eine der bedeutendsten Schilderungen der Frontgreuel des Ersten Weltkriegs. Nun erscheinen Jüngers Komplementärschriften in einem einzigen Band mit umfangreichen Anmerkungen.

 


»Dieser Krieg wird uns verinnerlichen«, schrieb Jünger in den 1920 erschienenen Stahlgewittern. »Auch er ist Werkzeug zu letzten Zielen. Wir stehen an einer Weltenwende, vielleicht der ungeheuersten, die je hereinbrach. Wenn ich im Unterstande Hefte der jüngsten Kunst durchblättere, finde ich vieles, das auch mich bewegt. Noch ist es ein Stammeln, wenigen verständlich und doch ein fernes Wetterleuchten. Das ist auch so ein Rätsel, daß sich zuzeiten über die Welt, über viele zugleich ein Geist ergießt, von dem niemand weiß, woher er kommt«, versucht der Frontoffizier seiner existentiellen Erfahrung Sinn abzugewinnen.

 

 

Dies schrieb er in seinem zweiten Buch Der Kampf als inneres Erlebnis.  Es machte zwei Jahre nach Erscheinen der Stahlgewitter den Anfang einer Reihe von Büchern, in denen Jünger sich nach der stilisierten Beschreibung des Schlacht-Wahnsinns bemühte, dieses gegenseitige Massenmorden mit Sinn und Bedeutung aufzuladen. Dazu gehören auch die Bücher Das Wäldchen 125 (1925) und Feuer und Blut (1925).

 

 

Während die Stahlgewitter noch den Kriegsverlauf aus Jüngers Sicht chronologisch schildern, sind die folgenden Bücher Versuche einer Generalisierung seiner Fronterfahrung. Jüngers Motiv ist eine Sinndeutung seines Kriegserlebnisses. Seine beiden Lehrmeister sind der Philosoph der griechischen Antike, Heraklit, nach dem der Krieg der Vater aller Dinge ist. Und auch Friedrich Nietzsche entlehnt der junge Autor wichtige Thesen, so die, daß dem neuen Menschen eine umfassende Barbarei vorausgehen müsse, die reinen Tisch macht.

 

 

Die Neuausgabe dieser drei Schriften Jüngers editiert diese in ihrer jeweiligen ersten Fassung. Passagen, die der Autor später strich, sind in hellerer Schrift gesetzt. Dies ist zum Verständnis des Autors und seiner Revisionen an den Texten sehr nützlich, kann der Leser sich nun selbst ein Bild davon machen, wie Jünger seine Bücher Veränderungen unterzog. Die Revisionen betreffen vor allem die Jahre 1926 und 1935. Hier hat Jünger viele nationalistische Stellen getilgt, weil er den neuen Machthabern nicht in die Hände spielen wollte.

 

 

Seine Abwendung vom primär politischen Autoren hin zum philosophischen, der sich von den Künsten inspirieren läßt, machte Jünger deutlich mit der ersten Fassung von Das abenteuerliche Herz. Es erschien 1929 und wendete die traumatische Kriegserfahrung hin zum Surrealismus: »Man muß die Messer des Schmerzes am eigenen Leibe fühlen, wenn man mit ihnen sicher und kaltblütig operieren will«, konzedierte er nun.

 

 

Der 700 Seiten starke Band schließt nun die Neuausgabe der Bücher Ernst Jüngers zum Ersten Weltkrieg durch Klett-Cotta ab. Den Anfang machte 2010 das Kriegstagebuch 1914-1918, Jüngers Original-Aufzeichnungen in den Kladden, die er im Schützengraben führte und die dann die Grundlage der Stahlgewitter bilden sollten. Wie groß das allgemeine Interesse an Autor und Texten nach wie vor ist, zeigt, daß das Kriegstagebuch mittlerweile in der fünften Auflage vorliegt. 2013 erschein die Historisch-kritische Ausgabe der Stahlgewitter, die wegen ihrer Gegenüberstellung der verschiedenen Textvarianten als literarische Sensation gefeiert worden ist. Nun legt Helmuth Kiesel, der bei allen Bänden als Herausgeber fungiert Krieg als inneres Erlebnis vor.

 

 

Abgerundet wird das schwere Buch durch mehrere kurze Texte, in denen Ernst Jünger im Laufe seines langen Lebens zum Ersten Weltkrieg Stellung bezog. Erwähnenswert vor allem seine Ansprache zu Verdun am 24. Juni 1979, in der er sein persönliches Fazit zog: »Die Zeit der Feindschaft zwischen unseren beiden Völkern, einer Feindschaft, zu der wir von früh auf erzogen wurden, ist vorbei. Ich habe sie nie akzeptiert.«

 

© Matthias Pierre Lubinsky 2016