Thomas Bernhard – 25. Todestag

20 Jahre nach dem Tod noch eine Erstausgabe: Bei Thomas Bernhard ist alles möglich
© Suhrkamp Verlag

 

Zum 25. Todestag des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard am 12. Februar 2014 präsentieren wir Erzählungen, die in dieser Form erstmalig erst nach seinem Tod erschienen.


Nachdem sich der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard und sein Verleger, Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld am 17. Januar 1985 in Wien getroffen hatten, notierte Unseld, es sei »blendende Stimmung« gewesen. Bernhard war nicht nur begnadeter Provokateur, sondern im Persönlichen nicht ganz unproblematisch. Manche nennen solche Menschen Choleriker, was Unselds zufriedenen Stoßseufzer verständlich macht.

 

Bernhard arbeitete gerade an seinem Roman Alte Meister, den er in wenigen Wochen abschließen wollte. Der Verleger hielt einen Publikations-Wunsch seines Star-Autoren fest: »Dann läge ihm doch sehr an einem Band ‚Goethe schtirbt‘ . Er enthielte die Texte ‚Goethe schtirbt‘. – ‚Wiedersehen‘. – ‚Montaigne‘. – Und zwei Stücke, die noch keinen Titel haben.Zu Lebzeiten ist es nichts geworden mit der Publikation dieses Buches. Viel zu sehr war Bernhard eingespannt. Das lag auch an dem öffentlichen Skandal, zu dem sich sein Theaterstück Heldenplatz bereits vor dessen Uraufführung 1988 entwickelt hatte. Insbesondere sogenannte konservative Kreise wollten massiv die Aufführung verhindern, weil das Stück das Ansehen Österreichs beschmutze. Etwa vier Wochen vor der Uraufführung  veröffentlichten die Neue Kronen Zeitung und die Wochenpresse unautorisierte Auszüge aus dem Stück. Doch damit nicht genug. Es war wohl eine Kampagne gegen Bernhards Stück. Denn die Zeitungen druckten Dialoge der Protagonisten ab, ohne dies kenntlich zu machen. So wurden die Zitate Bernhard selbst zugeschrieben. In einer riesigen Protestwelle wurde die Absetzung des Stückes verlangt; unter anderen von Wiens Bürgermeister Helmut Zilk, dem ehemaligen Bundeskanzler Bruno Kreisky und dem Vizekanzler Alois Mock.


Dieses von Bernhard gewünschte Buch ist jetzt erschienen und beendet den Zustand der schweren Zugänglichkeit dieser Stücke. Goethe schtirbt und Montaigne waren 1982 in der deutschen Wochenzeitung Die Zeit erschienen. Wiedersehen schrieb Bernhard für den Katalog zur Internationalen Kunstausstellung Berlin 1982, und In Flammen aufgegangen. Reisebericht an einen einstigen Freund wurde vom Schauspielhaus Bochum publiziert.



Bernhard zeigt sich in diesen Texten in seiner ganzen sprachlichen Spielfreude. Die Anfangssätze der Texte brauchen meist eine ganze Seite. Der Leser wird hineingerissen in das atemberaubende, – ja atemraubende Stakkatotempo von Bernhards fulminanten Hasstiraden. Goethe schtirbt beginnt mit folgendem ersten Satz:


»Am Vormittag des Zweiundzwanzigsten ermahnte mich Riemer, bei meinem für halbzwei angesetzten Besuch Goethes einerseits leise, andererseits doch nicht zu leise mit dem Manne zu sprechen, von welchem jetzt nunmehr noch gesagt wurde, daß er der Größte der Nation und gleichzeitig auch der allergrößte unter allen Deutschen bis heute sei, denn einerseits höre er jetzt das eine geradezu erschreckend deutlich, das andere aber beinahe überhaupt nicht mehr und man wisse nicht, was er höre und was nicht und obwohl es das Schwierigste sei in der Unterhaltung mit dem auf seinem Sterbebett liegenden, die ganze Zeit mehr oder weniger bewegungslos in die Richtung auf das Fenster schauenden Genius, die angemessene Lautstärke in der eigenen Rede zu finden, sei es doch möglich, vor allem durch die allerhöchste Aufmerksamkeit der Sinne, in dieser nun tatsächlich nurmehr noch traurig machenden Unterhaltung genau jene Mitte zu finden, die dem jetzt für alle sichtbar an seinen Endpunkt angekommenen Geist entspreche.«


Bernhard entlässt seinen Leser auch in diesem posthumen Werk nicht ohne eine gehörige Österreich-Beschimpfung: »Ich träumte von Österreich mit solcher Intensität, weil ich daraus geflohen bin, von Österreich als von dem häßlichsten und lächerlichsten Land der Welt. Alles, das die Menschen in diesem Land immer als schön und bewundernswert empfunden haben, war nur mehr noch häßlich und lächerlich, ja immer nur abstoßend und ich fand nicht einen einzigen Punkt in diesem Österreich, der überhaupt akzeptabel gewesen wäre (…) Nur grauenhaft verstümmelte Städte, eine nichts als abschreckende Landschaft und in diesen verstümmelten Städten und in dieser abschreckenden Landschaft gemeine und verlogene und niederträchtige Menschen.«


Thomas Bernhard, Goethe schtirbt. Erzählungen. Suhrkamp Verlag Berlin 2010, 103 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, Euro 19,90.

 

http://www.thomasbernhard.at/