Marcel Proust und die Korrespondenz

Marcel Proust (10. Juli 1871 – 18. November 1922)




Marcel Proust (10. Juli 1871 – 18. November 1922), der genialische Autor von Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, ist heute vor 88 Jahren gestorben.


Aus diesem Anlass rezensiert der DANDY-CLUB die neueste Publikation der Marcel Proust Gesellschaft, Köln, die sich um den französischen Dandy große Verdinste erworben hat:

Marcel Proust und die Korrespondenz, herausgegeben von Karin Westerwelle. Insel Verlag Berlin 2010, 237 Seiten, 27 Euro.

»Ich bin äußerst krank, ich bin mit 800 Briefen im Rückstand«, schrieb Marcel Proust im Januar 1920 an Louis-Martin Chauffier. Diese Zahl mag ungeheuer klingen, – aber sie ist glaubwürdig.

Der US-amerikanische Forscher Philip Kolb gab zwischen 1970 und 1993 im Pariser Verlagshaus Plon die 21 Bände umfassende Correspondance générale von Marcel Proust heraus. Diese stattliche Sammlung umfasst etwa 5.000 Briefe von dem Autoren der La recherche du temps perdu (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit). Nach Schätzung von Kolb, der inzwischen gestorben ist, enthält die von ihm mühevoll recherchierte Sammlung nur etwa ein Zwanzigstel aller von Proust geschriebenen Briefe. Das bedeutet, Proust hat sage und schreibe 100.000 Briefe geschrieben.

Viele der Briefe haben jedoch nicht überlebt. Die meisten sind wohl von den Erben der Empfänger vernichtet worden oder durch andere Umstände verloren gegangen. Die 14. Publikation der Marcel Proust Gesellschaft widmet sich dem Thema Marcel Proust und die Korrespondenz. Sie enthält die Beiträge des Symposions der Marcel Proust Gesellschaft in Münster im Juni 2007.

Karin Westerwelle erläutert in ihrer Einleitung, dass der Künstler Proust strikt zwischen seinem eigentlichen Werk und der Korrespondenz getrennt wissen wollte. Essays, Erzählungen und vor allem die Romane waren für die Öffentlichkeit bestimmt. Sie sollten die Leser erreichen. Waren geschrieben für sein Ansehen und seinen Nachruhm. Ganz im Gegenteil zu seinen Briefen. Sie sah Proust als lästiges Übel an. Er maß ihnen keinerlei literarische Bedeutung zu. Proust betonte die Flüchtigkeit des Brieflichen durch das Weglassen des Datums, was die Forschung massiv erschwert. Proust beschränkte sich auf Wochentag und Uhrzeit.

Der Veröffentlichung gelingt es zu verdeutlichen, dass Proust seinen Briefen keine Wahrhaftigkeit aufbürdete. Er sah die Korrespondenz als ein gesellschaftliches Spiel an und war der Auffassung, wahrhaftig müssten seine Romane sein. So trennte er strikt zwischen zwei eigenen Personen, – oder besser: Erscheinungen. Die private habe gesellschaftliche Gepflogenheiten einzuhalten und die öffentliche – der Schriftsteller – müsse wahrhaftig sein. Bettina Full bringt in ihrem Beitrag mehrere Beispiele dazu. Proust wendet sich Anfang 1914 brieflich an André Gide, damals beherrschende Figur der NRF (La Nouvelle Revue Française), einer bedeutenden und später maßgeblichen Literaturzeitschrift. Darin war zuvor ein vollständiger Verriss eines Romans von Proust erschienen. Bereits mit seiner Anrede nimmt Proust ein Vexierspiel auf und lässt Aufrichtigkeit und Motivation ineinander verschwimmen:

»Lieber Freund (Sie erlauben mir doch, nicht wahr, Ihnen gegenüber diesen Ausdruck zu verwenden, der für mich wirklich unerlässlich ist, diesen porösen Ausdruck, der für gewöhnlich dahinsiecht, von uns jeder Bedeutung entleert, der sich jedoch auf wundersame Weise aufbläht, wenn ich ihn an Sie richte, angefüllt mit allem, was mein Herz so lebhaft fühlt).«

Proust macht seinem Adressaten eine Schmeichelei, erklärt sie zugleich für gesellschaftlich üblich und damit verkommen, – und entschuldigt sich für sie.

Rainer Warning stellt in seinem Aufsatz die These auf, Proust habe so immens viel Korrespondenz verfasst – die er eigentlich hasste – um gesellschaftlich zu überleben. »Es geht bei diesen Briefen primär nicht um ihre Inhalte, sondern um die mit ihnen verfolgten pragmatischen Zwecke«, schreibt der Münchner Literaturwissenschaftler.

Vincent Kaufmann befasst sich in seinem Beitrag mit der Bedeutung  von Prousts Schmerz in dessen Korrespondenz und meint, das Teilen dessen sei eine essentielle Funktion der Briefe gewesen.

Last but not least sei auf einen besonderen Beitrag hingewiesen, ohne dass die hier nicht erwähnten Vorträge in irgendeiner Weise weniger interessant wären. Jocelyne Kolb, Tochter von Philip Kolb, dem detektivischen Aufspürer der veröffentlichten Briefe, gibt einen Einblick in die Arbeit ihres Vaters, die man sich so nicht unbedingt vorgestellt hätte. So haben die Kolbs sich viele Jahre regelmäßig über Monate in Paris aufgehalten, um über Kontakte und Gespräche an weitere Briefe Prousts zu gelangen. Jocelyne Kolb erzählt, dass nicht der Schreibtisch der Arbeitsort ihres Vaters gewesen ist. Es war der Esstisch, »denn meine Eltern wurden nicht selten an einem Tag bis zu dreimal eingeladen und luden selber Freunde und Bekannte ein«, um so etwas zu erfahren.

Der anspruchsvolle Band macht deutlich, warum Proust ein Dandy war: Das lag nicht an seiner Herkunft, dem Vermögen der Familie oder seinem Umgang mit altem Adel und reicher Bourgeoisie.  Er beherrschte das Gesellschaftsspiel auf der ganzen Klaviatur der Ironie, Schmeichelei und erwarteten Gepflogenheiten, ohne seine spirituelle Wahrhaftigkeit aufzugeben.

2 Kommentare

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