Yukio Mishima: Der Goldene Pavillon
Roman.
Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe.
Kein & Aber 2019, 22,- €.
Im Jahr 2020 jährt sich zum 50. Mal eine der konsequentesten Taten der Literaturgeschichte: Der japanische Schriftsteller Yukio Mishima begeht 1970 einen rituellen Suizid. Der Schweizer Verlag Kein & Aber veröffentlicht seinen grandiosen Roman Der Goldene Pavillon in einer Neuübersetzung.
Es ist ein goldener Herbstvormittag um elf Uhr an diesem 25. November 1970, als Yukio Mishima mit vier Kampfgefährten seines paramilitärischen Schilderbundes das Hauptquartier der Selbstverteidigungsstreitkräfte betritt. Er ist mit dem befehlenden General verabredet. Der staunt nicht schlecht, als er unvermittelt von Mishimas Männern gefesselt wird. Mishima droht, General Mashita zu töten, wenn nicht sogleich die gesamten eintausend Mann der Selbstverteidigungsstreitkräfte antreten. Als dies nach einer Stunde geschehen ist, tritt der Samurai-Dichter auf den Balkon und hält eine flammende Rede, in der er dazu aufruft, die Souveränität des Kaiserreiches wiederherzustellen. Vor allem fordert er, den nach dem Zweiten Weltkrieg in die Verfassung geschriebenen Friedensartikel wieder zu streichen, wonach Japan Streitkräfte nur noch zur Selbstverteidigung besitzen darf.
Niemand kann Mishimas Rede verstehen. Viel zu groß ist der Lärm. Als er wieder ins Büro des Generals tritt, um sich nach alter Samurai-Tradition selbst zu erdolchen, mißlingt auch dies. Einer seiner Männer muß ihm den Kopf abschlagen, was auch erst beim vierten Anlauf gelingt.
Das also ist der Abgang eines der bedeutendsten Schriftsteller Japans des 20. Jahrhunderts. Daß er ein Patriot war, der sich für die Belange seiner japanischen Heimat einsetzte, hat seiner Perzeption in Deutschland nach dem Krieg geschadet. Aber auch in Japan selbst wollte man von ihm nichts mehr wissen. Zu groß war die Scham über den politisch konnotierten Freitod eines Homosexuellen.
Umso verdienstvoller ist die Neuübersetzung dieses grandiosen Romans Der Goldene Pavillon durch Ursula Gräfe. Beim Schweizer Verlag Kein & Aber erschien bereits im vergangenen Jahr Mishimas Debütroman Bekenntnisse einer Maske.
Der Goldene Pavillon ist der lebenslange Primär-Bezug des Protagonisten Mizoguchi, wichtiger als jeder andere Mensch oder sonst etwas. An ihm macht er seine Beziehung zum Leben aus, zur Geschichte, zu seiner Heimat. Der Roman hat verschiedene Ebenen. Mishima thematisiert Gegensätze wie Liebe und Haß, Treue oder Verrat, Tod und Leben oder das buddhistische Gegensatzpaar Erkenntnis und Tat. Letztlich problematisiert Mishima, der sich zutiefst in der Tradition der japanischen Kultur verwurzelt sah, die Impotenz seiner Nation nach dem verlorenen Krieg. Ein hoch aktuelles Buch in Zeiten des Erwachens ganzer Völker rund um den Erdball!
© Matthias Pierre Lubinsky 2020