Matteo Neri – Baudelaire

Matteo Neris Studie ist nun das Standardwerk über Baudelaire






Matteo Neri: Baudelaire – Die Legende
342 Seiten mit Abbildungen, Paperback.
Verlag Königshausen & Neumann 2019, 34,80 €.






Matteo Neris Buch Baudelaire – Die Legende kommt bescheiden daher. Auch der Untertitel sorgt eher für Verwirrung. Dabei handelt es sich bei dem umfangreichen Werk um nichts Geringeres als das nun bestimmende Standardwerk der Sekundärliteratur zu dem französischen Dichter.





Die Deutschen haben offenbar ein etwas gespaltenes Verhältnis zu Charles Baudelaire (1821-1867). Zwar ist sein Name allgemein bekannt. Walter Benjamin hat von ihm geschwärmt, Texte erstmalig ins Deutsche übertragen. Ernst Jünger hielt ihn für den wichtigsten Erneuerer der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts. Es dauerte hingegen bis 1975, als der kleine Heimeran Verlag mit der ersten vollständigen Werkausgabe in Deutsch begann. Diese war auf acht Bände geplant, wobei chronologisch Briefe integriert wurden. Allerdings ging der Verlag zwischenzeitlich Konkurs; Hanser hat das große Vorhaben dann zu Ende geführt.



Inzwischen sieht es etwas besser aus: Die achtbändige Werkausgabe hat auflagenstarke und preisgünstige Nachdrucke erfahren. Die Blumen des Bösen, Der Spleen von Paris und eine Essay-Sammlung unter dem Titel Wein und Haschisch liegen seit Kurzem in grandiosen Neuübersetzungen vor. Verwunderlich jedoch, dass erst im Jahr 2019 Matteo Neri mit Baudelaire – Die Legende nach einzelnen biographischen Studien die erste Biographie vorlegt.



Matteo Neris Buch ist gelungen, weil der Privatdozent Baudelaires Werk innerhalb seines Lebens aufscheinen lässt. Nur durch diese enge Verschränkung von Baudelaires Biographie, der ein lebenslang Getriebener war, mit seinen Texten, kann überhaupt verständlich werden, woher der Dichter seine Motive nahm. Neri erzählt von einem jungen Mann, der von der so innig geliebten Mutter nicht verstanden und weggeschickt wird. Die Beziehung zum Stiefvater General Aupick, der später bis zum Botschafter in Madrid aufstieg, endete rasch im Fiasko.



Neri beschreibt den Dandy Baudelaire detailliert in all seinen Exzessen und in seinem hemmungslosen Geldausgeben. Allerdings sollte man das im Falle Baudelaires nicht als Verschwendungssucht bezeichnen, was Neri auch dankenswerterweise unterläßt. Denn Baudelaire suchte, einem Dandy gemäß zu leben. So listet Neri die abenteuerlichen Summen auf, die der werdende Dichter vor allem für Kleidung und die Einrichtung seiner Wohnungen ausgab. Der bis dahin noch völlig unbekannte Nachwuchsdichter hatte Stil: Er gab den Schneidern genaue Anweisungen, wie die Anzüge auszusehen hatten. Der junge Baudelaire, der als Mitte Zwanzigjähriger noch keinen einzigen Francs selbst verdient hatte, bat in flehentlichen Briefen seine Mutter, die horrenden Rechnungen für Schneider, Hutmacher, Hemdenfabrikanten, Handschuhmacher und Buchdrucker zu begleichen. Alles Dinge, die ein Dandy tatsächlich benötigt.



»Seine Höflichkeit war so überspitzt, daß sie manieriert anmutete. Wenn er redete, bemaß er die Sätze; er verwendete nur die gewähltesten Worte; manche Worte betonte er, um ihnen eine geheimnisvolle Bedeutung zu verleihen. Mit einer distanzierten Miene brachte er ungeheure Axiome vor oder vertrat irgendwelche Theorien, die auf einer wunderlichen Logik beruhten.«




Doch Matteo Neri belässt es nicht bei den Äußerlichkeiten. Er sieht genau die geistige Disposition seines Subjekts. So kontextiert Neri den Dandy Baudelaire, dessen Entwicklung 1848 abgeschlossen gewesen sei, mit dem Provokateur und zitiert gekonnt einige entsprechende Sätze aus dem umfangreichen Œvre des radikalen Autoren. Ein Beispiel: »Die Päderastie ist das einzige Band, das den Richterstand mit der Menschheit verbindet.« Neri sieht die selbst stilisierte Märtyrer-Rolle des heranreifenden Schriftstellers ebenso wie die enge Verbindung des Dandys zum Geistlichen, der sein Leben in Zurückgezogenheit verbringt.



Unendlich viele weitere Beispiele für Neris kluge Verzahnung von Baudelaires Werk mit dessen Leben ließen sich anführen. Sie zeugen von einer intensiven Auseinandersetzung des Biographen und Interpreten. Wir Leser dürfen nun die Ernte genießen. Ein recht preisgünstiges Paperback – das im Moment DAS Standardwerk der Sekundärliteratur über den wohl bedeutendsten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts und großen Theoretiker des dandysme ist. Chapeau!


© Matthias Pierre Lubinsky 2019