Der erste Teil der Autobiografie des ehemaligen Bürgermeistres von Reyjkjavik
© Tropen 2015
Jón Gnarr, Indianer und Pirat. Kindheit eines begabten Störenfrieds.
253 Seiten, gebunden, Tropen 2015, 18,95 Euro (D.).
Jón Gnarr ist bekennender Anarchist, hat keinen Schulabschluss und es trotzdem zum Bürgermeister von Reykjavik geschafft. Sein Bericht darüber hat der DANDY-CLUB ausführlich gewürdigt. Nun legt Jón Gnarr den ersten Teil seiner Autobiografie vor.
Das Buch beginnt so: »Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde aber war wüst und leer. Finsternis lag über dem Abgrund, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Da sprach Gott: ‚Es werde Licht!‘ Und es ward Licht. Das war am 2. Januar 1967, mittags kurz nach zwölf.«
Es war die Geburtsstunde von – Jón Gnarr. In berührender Offenheit schildert der rothaarige Anarchist seine Kindheit, die alles andere als lustig war. Wie andere begabte und grundehrliche Naturen, wurde der junge Jón in der Schule vor allem eines: drangsaliert. So ist es sicher kein Zufall, dass Jón Gnarrs Bücher in Deutsch bei Klett-Cotta (Tropen) erscheinen, dem Verlag von Ernst Jünger. Jünger, einer der bedeutendsten deutschen Chronisten des 20. Jahrhunderts, hatte ebenfalls in der Schule ungeheure Probleme. Wir alle wurden dem Mittelmaß der Lehrer ausgeliefert.
Jón Gnarr entdeckte in sich früh den Punk. Punk als konsequente Revolte gegen die verlogene und falsche Welt der Erwachsenen. »Ich glaubte nicht mal die Hälfte von dem Schwachsinn, den sie uns erzählten. Ich sah keinerlei Sinn darin, Mathematik oder Dänisch zu lernen. Und mir war scheißegal, was die anderen von mir dachten. Ich hatte beschlossen, mich nicht mehr von anderen definieren zu lassen. Der Punk befreite mich von all diesen überhöhten Erwartungen, mit denen die Schule und meine Eltern mich konfrontierten.«
So verlief seine Schullaufbahn wenig erfreulich. Letztlich waren die Lehrer eher froh, wenn Jón gar nicht erst auftauchte, dann konnten sie ihren Unsinn ungestört von sich geben. Häufiger sei er aus dem Unterricht schlichtweg rausgeflogen. Süffisant ist eine Anekdote aus dem Religionsunterricht. Als seine Klasse einen neuen Religionslehrer bekommen habe, »ein arroganter, unsympathischer Typ«, setzte sich der Nachwuchspunk zu Wehr, indem er die Schöpfungsgeschichte in Frage stellte und auf den Biologie-Unterricht verwies, wo nur wenige Stunden zuvor die Abstammung des Menschen vom Affen nach Darwins Evolutionstheorie gelehrt worden war. Jón Gnarr erzählt: »Als ich wissen wollte, ob Hitler an Jesus geglaubt habe, musste ich zum Rektor.«
»Jón zog es dann über mehrere Jahre zum Bahnhof, wo er sich mit anderen jungen Punks und einer Reihe von Obdachlosen eine bestimmte Ecke teilte.
Doch auch hier war Jóns Problem, dass keiner von den anderen Pseudopunks seinen Anspruch an intellektueller Auseinandersetzung teilte. Sie gaben sich zwar äußerlich als Punks, berichtet Jón Gnarr, er aber sei der einzige gewesen, der Bücher dabei gehabt hätte und mit ihnen über Punk als Lebenseinstellung habe sprechen wollen.
Jón Gnarrs Erinnerungen sind in ihrer grundehrlichen Offenheit ein erschütterndes Dokument darüber, wie eine Gesellschaft uns alle einnordet und letztlich klein macht. So lange, bis wir funktionieren.