Christine Turnauer – Presence

© Christine Turnauer, Abil, 80 Jahre,
kasachischer Nomade, Viehzüchter und Jäger, Bayanzurh-Tal,Nordwest-Mongolei, 2013

 

 

Christine Turnauer, Presence.
Texte von Frank Horvat und Christine Turnauer.
Deutsch, Englisch, Französisch. 188 Seiten mit 182 Duplex-Abbildungen auf Photopapier.
Hatje Cantz Verlag 2014, 58 Euro.

 

 

Menschen wirklich frei zu begegnen ist eine Kunst. Zu oft verhindern tradierte Gewohnheiten und gelernte Vor-Urteile, den anderen wahrhaft wahrzunehmen. Christine Turnauer hat diesen freien Blick. Ihr Photo-Band Presence mit Schwarz-Weiß-Portraits aus verschiedenen Kulturkreisen ist ein ästhetisches Groß-Ereignis.

 


Die Photographin Christine Turnauer reiste über viele Jahre in die entlegensten Winkel der Welt, um Menschen mit ihrer Kamera zu portraitieren. Ihr atemberaubendes Projekt war ursprünglich keines. Sie verfolgte kein explizites Ziel. Rückblickend gleicht es eher einem Lebensplan, der erst im Ergebnis seinen Spirit offenbart.

 

 

Ihre Suche entsprang einer Intuition. Einer tiefen Eingebung, die Nähe von Menschen zu suchen. Ihre Individualität zu bannen und damit auch die Geschichte ihrer Völker und Kulturen festzuhalten. Vielleicht kurz vor ihrem Verschwinden.

 

 

Sie reiste in die Mongolei, von der sie wusste, dass hier über zwanzig verschiedene Nomadenstämme leben. Zweien konnte sie nach tagelangen Reisen auf dem Pferd begegnen. Die Portraits von Nomaden gehören zu den eindrücklichsten Bildern ihres an eindrucksvollen Aufnahmen reichen Buches.

 

 

Als sie 2011 Indien bereiste, war es das Ziel der Photographin, die fünf indischen Hauptreligionen kennenzulernen. Doch das Leben verläuft anders. So begegnete sie am letzten Tag ihrer Reise in der größten Moschee von Delhi einem hochgewachsenen Mann mit einem weißen Tuch um den Kopf. Er sagte ihr, sie dürfe ihn photographieren, – aber er sei kein Muslim, sondern Hindu. »Ich komme jeden Tag, weil hier Friede herrscht und ich für mich sein kann – wir sind alle gleich, wir haben alle denselben Gott. Wir müssen ihn nur in uns finden.«

 

 

© Christine Turnauer, Punzel, 78 Jahre,
Tsaatan-Nomadin, Nord-Mongolei, 2013

 

 


Chrisrine Turnauer wurde 1946 geboren. 1971 zog sie nach Paris, um bei verschiedenen Photographen zu lernen. Zwischen 1974 und 1976 war sie Assistentin von Frank Horvat. 1979 wanderte sie nach Westkanada aus und studierte Kunstgeschichte. Eines ihrer bekanntesten Projekte entstand in dieser Zeit: Sie baute sich ein transportables Tageslichtstudio in Form eines Zeltes und reiste zwei Jahre vom Norden Albertas bis ins südliche Montana, um nordamerikanische Indianer-Tänzer zu portraitieren, die in ihrer uralten Tradition leben.

 

 

Ihre nun unter dem Titel Presence erschienenen Photos sind Zeugnisse der Liebe: Den anderen zu SEHEN – ohne ihm die eigenen Motive überzustülpen.

 

 

Der aufwendig gestaltete Band ist ein Meilenstein der Portrait-Photographie und buch-ästhetisch ein Ereignis. Sammlerstück.

 

 

© Christine Turnauer, Enthgen, 4 Jahre,
Tsatan-Nomadin. Nord-Mongolei, 2013