Alexander Nehamas: Friedrich Nietzsche

Alexander Nehamas brillante Studie über Friedrich Nietzsche
nun in der bibliophilen Ausstattung des LSD-Verlags
© Bild: Steidl Verlag 2011/ Karl Lagerfeld

 


Alexander Nehamas, Leben als Literatur – Nietzsche. Steidl Verlag, Göttingen 2012, 352 Seiten, Leineneinband, Lesebändchen, Euro 34.

 

Nietzsche war der größte aller Dandys, – so könnte man die Kernthese Alexander Nehamas‘ in seinem Buch »Leben als Literatur – Nietzsche« pointiert zusammenfassen. In seiner umfangreichen Studie versucht der Professor für Philosophie und vergleichende Literaturwissenschaft an der Princeton University seine These zu untermauern, dem deutschen Philosophen sei es bei seinem Weltbild primär um die Schöpfung eines literarischen Gesamtkunstwerks gegangen.

Das Buch des gebürtigen Atheners hat der Nietzsche-Rezeption bei seinem Erscheinen 1985 einen gewaltigen Schub – und Stoß versetzt. Nun ist es im LSD Verlag in einer ästhetischen Neuausgabe erschienen: In Leinen gebunden, mit Lesebändchen und als I-Tüpfelchen: mit einer Zeichnung Karl Lagerfelds vom Verächter aller Werte. Nehamas Verdienst war es nicht nur, mit diversen Vor-Urteilen aufzuräumen. Die Annäherung Nehamas an Nietzsche über die Perzeption des Ästhetischen verschafft dem Autoren und seinen Lesern eine ungeheure Möglichkeit: Die Nebelbank ist weggeschoben; wir können uns freien Blickes dem Subjekt nähern.

Nietzsche für seine philosophischen Aussagen an den Pranger zu stellen, ist schon deshalb absurd, so könnte man eine der zentralen Thesen Nehamas verkürzt wiedergeben, weil Nietzsche selbst nicht annahm, es könne nur eine Form eines richtigen Lebens geben oder einen einzigen richtigen Menschentypus. »Statt dessen weist Nietzsche mit seinen eigenen Schriften einen Weg, auf dem es einem Individuum vielleicht gelungen ist, sich selbst zu gestalten, noch dazu einem Individuum, das, obwohl jenseits von Moral, moralisch nicht fragwürdig ist«, schreibt Nehamas. Und dieses Individuum sei niemand anderes als Nietzsche selbst; »er ist ein Geschöpf seiner eigenen Texte«.

Nietzsches Bestreben sei es, sämtliche Dogmen in der Philosophie zu vermeiden. Das bedeutet auch, immer wieder zu fragen, ob man nicht doch in eine Dogma-Falle getappt ist – ohne es zugleich zu bemerken. Nietzsche wählte als Mittel dies zu verhindern, aus sich selbst ein Kunstwerk zu machen, – mithin Werk und Person – zu dem ja auch der Blick auf die Welt gehört – als Gesamtkunstwerk zu initiieren. Dies entspricht der Dandy-Attitüde, der Hässlichkeit der Welt quasi mit einem doppelten Trick entgehen zu wollen: Der Dandy nimmt die Welt ausschließlich durch die Brille der Ästhetik war. Es wird nur noch das Schöne gesehen. Das – überwiegende – Hässliche wird ignoriert. Zugleich umgibt sich der Dandy konsequent mit schönen Dingen.  So sieht Nehamas zutreffend auch Nietzsches Ästhetizismus als eine andere Seite seines Perspektivismus. Seinem bahn-brechenden Buch vorangestellt hat er ein Zitat aus »Die wiedergefundene Zeit« von Marcel Proust: »Ich begriff, daß die Summe aller Materialen des literarischen Werkes mein vergangenes Leben war.« Annäherungen.

In sieben Kapiteln nimmt sich Nehamas jeweils ein Paradoxon vor, um es einer Interpretation zu unterziehen. Von dem »Pulverkopf« (Ernst Jünger über Nietzsche) beeinflusst, wählt Nehamas diese Vorgehensweise in dem Bewusstsein, das  auch sie wiederum nur eine unter andern möglichen ist und niemals einen letztgültigen Erklärungsanspruch hat.  Auch wenn es aber keinen »neutralen Maßstab« gebe, gebe es bessere und schlechtere Interpretationen.

Aber wenn Nietzsche die Welt als Kunstwerk, ja wie Nehamas argumentiert, geradezu als Literatur betrachtet, warum bedient er sich dann so vielfältiger, so unterschiedlicher Stile? »Nietzsche verwendet wechselnde Genres und Stile, um seine Anwesenheit als Autor buchstäblich unvergeßlich zu machen und um seine Leser daran zu hindern, die Tatsache zu übersehen, daß seine Auffassungen notwendig durch ihn entstehen.« So zeige Nietsches beständige Anwesenheit als Autor, dass jedwede Theorie in der Vielfältigkeit der Möglichkeiten eingebettet ist – und ebenso idiosynkratisch wie das Schreiben selbst.

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