Neapel und der Süden Italiens in alten Photographien

Giuseppe Incorpora, Kapuzinergruft in Palermo, um 1875
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen/ Sammlung Siegert

 

Neapel und der Süden.
Fotografien 1846-1900. Sammlung Siegert.
Neue Pinakothek München.

 

Neapel und den Süden Italiens unvorbelastet zu betrachten, scheint kaum möglich. Zu sehr sind wir alle konditioniert durch die schön-kitschigen Bilder voller warmem Licht und gediegener Landschaft.

 

Einer, der erheblichen Anteil an der Prägung unserer Erwartungshaltung hat, ist Giorgio Sommer (1834-1914). Der in Frankfurt am Main geborene Photograph entdeckte in den 1850er Jahren Italien für sich und begann quasi zeitgleich mit dem Aufkommen der Photographie, die Region um Neapel – wie auch andere schöne Ecken Europas wie Griechenland und Malta – mit dem neuen Medium darzustellen. Dabei war es Sommers Anspruch von vorn herein nicht etwa, möglichst ‚objektive‘ Ansichten zu produzieren. Vielmehr wollte er von Beginn an solche Ansichten inszenieren, die sich gut verkaufen ließen und bei den Reisenden und Zuhausebleibenden gut ankommen.

 

Die Neue Pinakothek in München zeigt nun frühe Photos von Neapel und dem italienischen Süden aus der Sammlung von Dietmar Siegert (noch bis zum 26. Februar 2012). Die Schau bildet den Abschluss einer Reihe von Ausstellungen zur frühen Photographie in Italien aus dieser bedeutenden Sammlung, die 1996 mit Venedig begann, 1997 fortgesetzt wurde mit Florenz und 2005 mit Rom.

 

Aufschlussreich ist zu betrachten, dass bereits die ersten Photographen wie Sommer an ihren Objekten eine große Stilsicherheit besaßen und scheinbar genau im Kopf hatten, welche Bilder sie letztlich transportieren wollten. Hierzu passt, dass gerade der Deutsche ungeheuer geschäftstüchtig war. Intelligent pflegte er einen regen Austausch mit dem Deutschen Künstlerverein. Sein 1857 in Neapel gegründetes Atelier war alsbald das erfolgreichste der ganzen Stadt. Später hatte er allein in Neapel vier Photostudios. Aufgrund seiner dem damaligen Schönheitsideal entsprechenden Aufnahmen in teilweise großen Formaten bekam er viele Aufträge, die ihn weiter bekannt machten.

 

Geschickt inszeniert Sommer die landschaftlichen Attraktionen von Sorrent und Capri,

die berühmten Stätten der Antike wie Pompeji oder Agrigent. Dennoch war Sommers Blick nicht darauf beschränkt, hatte er doch auch ein Auge für den Alltag in den Metropolen wie auf dem Land. Besonders bedeutend sind seine Photos vom Ausbruch des Vesuvs am 26. April 1872, den Sommer in halbstündigen Abständen festhielt. Berühmt sind heute auch seine Aufnahmen von den Zerstörungen durch das Erdbeben in Ischia 1883.

 

Die Ausstellung zeigt weitere bedeutende Photographen aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Italien. Roberto Rive, Calvert Richard Jones, Michele Amodio und Giacomo Brogi sind die Namen von ausgestellten Photokünstlern, die sich begierig der revolutionären Technik bedienten. Sie alle sind Pioniere dieser neuen Kunst und haben uns Werke hinterlassen, die heute ikonographischen Charakter haben.

 

Ausstellung und begleitendes Katalogbuch gewähren einen Einblick in längst untergegangene Lebenswelten und vergegenwärtigen uns zugleich den Hintergrund und das Herkommen unserer heutigen Seh-Gewohnheiten und Erwartungen. Insgesamt präsentiert die Ausstellung 120 Photographien von 20 Photographen aus dem Zeitraum zwischen 1846 und der Wende zum 20. Jahrhundert. Es ist eine besonders spannende Epoche, breitete sich doch jetzt die Photographie im Süden Italiens aus und zog immer weitere Photographen aus ganz Europa an.

 

Der bibliophile Katalog ist ein gelungener Begleiter während und noch lange nach der Ausstellung: Alle präsentierten Werke sind mit einem kurzen Text erläutert und auf Photopapier abgebildet. Die Photographen werden portraitiert – und auch ein Literaturverzeichnis lässt das schöne Buch nicht vermissen.

 

 

Giorgio Sommer, Fassaden in S. Lucia, Neapel, um 1878
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen/ Sammlung Siegert

 

 

 

Giorgio Sommer, Si traduce il frances, um 1868
© Bayerische Staatsgemäldesammlungen/ Sammlung Siegert

 

 


Bayerische Staatsgemäldesammlungen
Kunstareal München
Barer Straße 29
Eingang Theresienstraße
D-80333 München
T 089 23805 0

 

Der Katalog zur Ausstellung erschien im
Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2011, 192 Seiten mit 129 teils großformatigen Abbildungen in Duplex, 11-farbig, gebunden mit Schutzumschlag, 39,80 Euro.