In Picassos Atelier

Gustave Courbet, Das Atelier des Künstlers, 1855

 



Picasso. Im Atelier des Künstlers. Katalog zur Ausstellung im Graphikmuseum Pablo Picasso Münster 2010.
Hirmer Verlag, München 2010, 247 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, 34,90 Euro.



Das Atelier ist für den Künstler der wichtigste Raum. Hier verbringt er nicht nur seine meiste Lebenszeit. Das Atelier ist Brutstätte und Geburtsort seines Schaffens. Ort der Kontemplation und Meditation. Zugleich ist es aber auch eine Art sozialer und künstlerisch-biologischer Zelle: Nur bestimmte, in der Regel wenige und sehr sorgfältig ausgewählte Besucher werden hereingelassen. Ihnen wird ein Einblick in das Intimste des Künstlers gewährt. Selektierte Werke werden verschenkt. Galeristen der Zugang eher verwehrt. Moderne Zuspitzung und ironische Steigerung auch hierin: Andy Warhol. Er ließ nicht nur seine Siebdrucke fabrikmäßig produzieren. Zum Ende seines Lebens gründete er auch eine Factory nach der anderen, um den Anschein von künstlerischer Exklusivität zu ersticken.

Picasso war ein ganz besonderer Meister des Atelierbildes. Filigran nutzte er dessen geistig-spirituelle und ironische Möglichkeiten, was einen eigenen Blick auf dieses Genre des Spaniers sinnvoll macht. Den tat 2010 das Graphikmuseum Pablo Picasso Münster mit einer Ausstellung, deren Substanz in dem Katalog festgehalten ist. Für Picasso typisch, entäußert er sich auch in seinen Atelierbildern nicht plakativ. Statt bekenntnishaftem Pathos frönt hier das süffisant-komische Vexierspiel, – in der Hoffnung, dass der Betrachter es erkennt.  Ein Höhepunkt sind vielleicht die Bilder, in denen der Frauenheld seine aktuelle Herzensdame portraitiert und dabei auf demselben Gemälde ein Abbild einer vorherigen Geliebten mit einbaut. In dem Bild Frau im Atelier vom 6. April 1956 konfrontiert er seine letzte Ehefrau Jacqueline mit ihrer Vorgängerin Françoise Gilot – in Form der Skulptur Die schwangere Frau, die ihr frontal gegenübersteht. Ein Hinweis des Mannes auf den antizipierten Wunsch der Frau nach Kindern?

In den letzten Jahrzehnten seines Lebens setzte sich Picasso verstärkt mit bedeutenden Malern der Vergangenheit auseinander. Ein Resultat war 1970 gleich eine ganze Serie von Radierungen, die berühmte Bilder aufnehmen, zitieren.  Picasso wiederholt die archetypische Atelierdisposition des nackten weiblichen Modells, das seitlich vor der Leinwand steht. Diese hatte Gustave Courbet  in seinem Bild Das Atelier des Malers von 1854/ 55 dargestellt. Auf der Leinwand bei Picasso ein gutes Jahrhundert später findet sich eine parodierte Fassung des Bildes Frühstück im Freien von Edouard Manet.

In Picassos Spätwerk bekommen die Schilderungen seines Atelier-Lebens andere Züge: Die Familie wird mit eingebunden, stellt häufig sogar den Mittelpunkt des Bildes dar. Nun entstehen Atelierbilder, die von dem liebevollen Umgang seiner Frau mit den Kindern zeugen oder von Picassos Engagement der Vermittlung von künstlerischen Fertigkeiten an seine Kinder.

Schwerpunkt jedoch bleibt der selbstkritisch-ironische Blick des Künstlers auf sich selbst. Wie bei einem dritten Auge, sucht der Maler Abstand zu sich und seinem Schaffen zu finden. So dienen die Atelierbilder schließlich auch der Verdeutlichung der Verhältnisse. Des Verhältnisses zwischen sich und dem Objekt. Zwischen sich und dem entstehenden Werk, der Kunst überhaupt. So können Picassos Bilder, bei denen ein Affe an der Staffelei sitzt, als selbstreflektierende Ikonographien zu der eigenen Begrenztheit gelesen werden.


 

David Douglas Duncan, Picasso beim Malen von Jacquelines Porträt,
La Californie, Cannes, Juli 1957


 

Pablo Picasso, Der Maler, Büste im Profil, 1967

 


Pablo Picasso, Zeichner und Modell, 25. Januar 1971