Gianluca Galtruccos Inszenierungen sind wahr – oder nicht?
© Gianluca Galtrucco/Hatje Cantz 2017
Gianluca Galtrucco
For Your Consideration
Text von Peter Frank, Gestaltung von Julia Wagner, Englisch,
108 Seiten mit 45 großformatigen Farb-Photos auf 170 g Magno Satin,
Hatje Cantz Verlag 2017, 50 €.
Der in Los Angeles lebende Künstler Gianluca Galtrucco bringt uns mit seinen surrealen Photos völlig durcheinander. Ist das nun inszeniert? Oder ist es die Realität?
Wir leben in einer Welt, in der dem aufmerksamen Beobachter so manchmal der Gedanke durch den Kopf schießt: Das gibt’s nicht. Oder: Das kann doch nicht wahr sein. Der in Los Angeles lebende Italiener Gianluca Galtrucco treibt in seinen Photo-Welten die Illusion Hollywoods auf die Spitze. Bei seinen Bildern weiß der Betrachter nicht mehr, ob es sich um die Realität handelt oder der Künstler eine Scheinwelt erschaffen hat.
© Gianluca Galtrucco, Mission Accomplished
Seine kunstvollen Photos wirken sicher nicht zufällig wie Filmstills. An einem sonnigen Sandstrand sitzt eine Familie unter einem Sonnenschirm. Das könnte idyllisch sein, läge nicht auf der anderen Seite, nur wenige hundert Meter entfernt, ein riesiger Flugzeugträger vor Anker.
Zwischen Fata Morgana und ironischer Überspitzung unserer Welt im Zustand der allgegenwärtigen kapitalistischen Verwertung und rasenden Digitalisierung lassen uns die Photos einen Moment lang innehalten. Extrem surreal wirkt das Titelbild des großformatigen Buches For Your Consideration: US-Soldaten in voller Kampfmontur lassen sich von muslimisch gekleideten Männern in einem halbzerstörten Wüstenort Feuer geben. Erst beim zweiten Blick erkennt man, dass der Rauch künstlich erzeugt wird: Es sind Schauspieler in einer Filmkulisse. Nun sieht der Betrachter auch die überall herumstehenden Scheinwerfer.
© Gianluca Galtrucco, United States of China
Ein Photo wird insbesondere manche US-Amerikaner erschaudern lassen: Unter dem Titel United States of China sitzt eine chinesische Familie im Oval Office. An der Wand hängt auf der einen Seite ein Ölportrait von Mao und auf der anderen eines von Lincoln. Und wieder lässt der Künstler die Interpretation offen: Haben nun die Chinesen in ihrem eigenen Land den Stil der Amerikaner komplett kopiert oder haben die Asiaten gleich den gesamten Staat übernommen?
Nicht alle Motive scheinen indes gestellt zu sein. Ein herunter gekommenes Casino, ein mit Schulbussen gefüllter Parkplatz… Dieses Buch fordert den Betrachter heraus. Schon fast diebisch fragt der sich nach dem Umblättern bei jedem neuen Motiv: Ist es gestellt? Die Titel helfen dabei nicht weiter. Sie führen eher in die – ironisierte – Irre. Aber vielleicht gibt es ja gar keinen Unterschied mehr: Was ist die Realität?
© Matthias Pierre Lubinsky 2017