Charles-Louis de Montesquieus Reise-Notizen

Charles-Louis de Montesquieu (1689-1755):
Staatstheoretiker, Aufklärer, Ironiker von Rang

 

 

 

Charles-Louis de Montesquieu,
Meine Reisen in Deutschland 1728-1729.
Ausgewählt, hrsg. und eingeleitet von Jürgen Overhoff.
216 Seiten, Leinen mit Schutzumschlag, Cotta 2014, 22 Euro.

 

 

Charles-Louis de Montesquieu (1689-1755) wurde berühmt durch seine verfassungsrechtlichen Standardwerke. In Deutschland kaum bekannt ist er als neugieriger Deutschland-Reisender und Autor von stilistischer Raffinesse. Jürgen Overhoff und der Klett-Cotta-Verlag bringen nun seine Reisenotizen erstmalig in Deutsch.

 

 


Charles-Louis de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu, wie er mit vollem Namen hieß, ist Verfasser der beiden in der Verfassungstheorie bedeutenden Standardwerke Betrachtungen über die Ursachen der Größe der Römer und ihres Niedergangs (1734) und Vom Geist der Gesetze (1748), an dem er zwölf Jahre arbeitete.

 

 

 

Montesquieu konnte diese Werke, die in ihrer Zeit Maßstäbe setzten, nur verfassen, weil er stets von ungeheurer Neugier war – und ohne jedwede Vorurteile. Dies macht auch seine Reisenotizen aus den Jahren 1728/ 29 so spannend. Der Adlige reiste vom April 1728 aus Paris nach Wien. Nach einem kurzen Abstecher nach Ungarn fuhr er im August nach Italien, wovon im vorliegneden Buch allerdings nicht die Rede ist. Da es ihm hier so gut gefiel, blieb er entgegen seiner ursprünglichen Planung beinahe ein Jahr. Er besuchte Venedig, Mailand, Turin, Genua, Florenz, Siena, Rom und Neapel. Danach fuhr er zurück ins deutsche Reich, zu dem damals das heutige Österreich gehörte. Im Oktober 1729 kam er zurück auf das Schloss in Deventer.

 

 

 

 

Ein Dandy auf Reisen: Cotta veröffentlicht erstmals die Reise-Notizen in Deutsch.
© Klett-Cotta 2014

 

 

 

 

Erstaunlich, dass seine inhaltlich wie stilistisch bemerkenswerten Notizen zuvor keinen deutschen Verleger gereizt haben. Die Deutschen hält Montesquieu mehr oder weniger für gutmütige Trottel:
Die Deutschen sind gute Leute. Auf den ersten Blick wirken sie wild und grob. Sie sind den Elefanten vergleichbar; zunächst wirken sie schrecklich, doch sobald man sie gestreichelt hat und ihnen schmeichelt, werden sie sanftmütig. Dann braucht man nur noch die Hand auf ihren Rüssel zu legen, und sie lassen einen willig auf ihren Rücken klettern.

 

 


Doch hatte die Reise einen durchaus seriösen Hintergrund: Montesquieu, von Grund auf liberal eingestellt und früher Aufklärer, war sehr interessiert zu erfahren, wie in Deutschland das föderale System funktioniert. Schließlich war Frankreich zentralistisch organisiert. Durch seinen Stand, seine Bildung und wohl nicht zuletzt seine Empathie bekam er Zugang zu vielen regionalen Herrschern. Er wurde empfangen von Kurfürsten und Prinzen, die ihm teils bereitwillig erläuterten, wie ihr jeweiliges Fürstentum organisiert ist, woher das Geld kommt und was vom Herrscher zu halten ist.

 

 

 

Der Kurfürst von Bayern drangsaliert seinen Adel wegen seiner Privilegien sehr. Die Adligen können das gern in Wien monieren – Wien sagt dazu nichts. Und der Kurfürst, der seine Ansprüche mit militärischen Mitteln verteidigt, behauptet, dass Wien dazu auch gar nichts zu sagen hat.

 

 


Herausgeber Jürgen Overhoff ist seit 2013 Professor für Historische Bildungsforschung an der Universität Münster. Sein Verdienst ist, die Reisenotizen des ironischen Aufklärers und wissbegierigen Staatstheoretikers für uns Leser entdeckt zu haben. Der Verlag hat daraus ein wunderbares Buch gemacht, das stilvoll unter dem alten Verlagsnamen Cotta erscheint.