Im Tempel des Ich – Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk

Highlight der Ausstellung: Das Begleitbuch aus dem Hatje Cantz Verlag
© Hatje Cantz 2013

 

 

Im Tempel des Ich.
Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk.
Ausstellung noch bis 2. März 2014 in der Villa Stuck, München.
Katalog im Hatje Cantz Verlag, 376 Seiten mit etwa 400 Abbildungen, gebunden mit SU, 49,80 Euro.

 

Das Künstlerhaus als Umhüllung und Refugium. Seit der Renaissance schufen sich einzelne, besonders begnadete Künstler, ihr Haus selbst. Das heißt, sie ließen nichts von anderen entwerfen, entschieden alles allein. Selbst wenn sie einen Architekten mit einbezogen, musste der nach ihren strengen Vorgaben agieren.

 

So entstanden hoch individuelle Häuser, die mehrere Funktionen erfüllten. Einerseits stillten sie den Wunsch des Künstlers nach Individualität. Er wollte in seinem Refugium sein, sich mit seinen Dingen umgeben. Alles, bis ins kleinste Detail musste dabei seinen Vorstellungen entsprechen. Wer einmal im Vittoriale von Gabriele d‘Annunzio am Gardasee gewesen ist, weiß, was dies bedeutet: Auch wenn tausende von Reliquien angesammelt wurden, so hat jedes einzelne seinen Platz. Nichts ist zufällig.

Selbst wenn ein solches Refugium wohl stets auch der Repräsentation diente, ist es zuerst Behausung, Schutz vor der Hässlichkeit der Welt. Das Haus ist immer auch Um-Hüllung und Individualisierung gegenüber der materiellen Welt.

 

Im Jahr des 150. Geburtstages des Künstlerfürsten Franz von Stuck feiert die Villa Stück in München sich selbst. Als höchst artifizielles und durchkomponiertes Gesamtkunstwerk steht sie im Mittelpunkt einer Ausstellung von 20 solcher Künstlerhäuser: Von William Morris über Gustave Moreau bis Max Ernst und Dorothea Tanning reicht die illustre Schau von Häusern, die zugleich auch Ateliers sind. Von Sammlungen, die zugleich auch Wohnstätte sind.

 

Spiegel des Künstlers. Fritz von Ostini schrieb 1909 über die Villa Stuck: »Das Haus ist der Mensch! […] Und wenn ein Künstler sich sein Heim baut, so spiegelt sich sein wahres Wesen darin oft viel klarer wieder, als in einem einzelnen Werke.« Margot Brandlhuber schreibt über das Anwesen: »Das Haus ist Charakterstudie und höchster Ausdruck seines künstlerischen Ich und gilt zur Zeit der Einweihung als sein größtes Kunstwerk, ein Lebensgesamtkunstwerk, inspiriert von der Aura der Universalkünstler der Renaissance.«


Gesamtkunstwerk Katalog-Buch. Der Kunstbuch-Verlag Hatje Cantz ist bloß zu bescheiden, den grandiosen Begleitband zur Ausstellung als das zu bezeichnen, was er in Wahrheit ist: Ein Handbuch über das Künstlerhaus an sich, auch wenn dessen Geschichte quasi anhand der knapp zwei Dutzend Beispiele aufgeblättert wird. Hervorzuheben ist die Fulminanz der Texte, die trotz ihres wissenschaftlichen Niveaus spannend zu lesen sind. Die Gestaltung des schweren Buches ist rundum gelungen: Hier stimmt das Verhältnis von Text und Photos. Jedes einzelne der vorgestellten Häuser ist so bebildert, dass der Leser einen echten Eindruck von diesem vermittelt bekommt, auch wenn er noch nie dort gewesen ist. Last but not least für den Ästheten: Die hervorragende Druckqualität macht aus dem Buch das Gesamtkunstwerk, das die hervorragende Ausstellung trüffelt.

 

Sehnsucht nach Ganzheit. Doch sind nicht alle Künstlerhäuser in der länger zurückliegenden  Vergangenheit entstanden. Der US-amerikanische Multi-Künstler Julian Schnabel errichtete in den Jahren von 2005 bis 2008 sein Palazzo Chupi in New York. Er selbst bezeichnet seinen Aufenthalt 1977 im italienischen Padua als künstlerisches Erweckungserlebnis. Die Fresken von Giotto hätten ihn zutiefst berührt und verändert: »Es war das Gesamterlebnis, ich wusste, ich muss schon dort gewesen sein, hatte aber noch nie gesehen, dass Architektur und Bemalung nicht voneinander zu trennen waren. […] Dort habe ich begriffen, dass meine Gemälde Wände sein mussten. Ich musste eine Architektur bauen als Trägermedium jeglicher Sprache, die ich erfinden würde.«


Die Ausstellung in München und der schöne Katalog lassen uns als Besucher und Leser teilhaben am ästhetischen Bewusstsein einer kleinen Elite von Anspruchsvollen Künstler-Existenzen.

 

Ausstellung: Should see!
Katalog: Must have!