Michel Serres – Erfindet Euch neu!

Eine Denkanregung aus Frankreich: Michel Serres Essay.
© Suhrkamp Verlag 2013

 

 

Michel Serres, Erfindet Euch neu! Eine Liebenserklärung an die vernetzte Generation.
77 Seiten Ppb., Suhrkamp Verlag 2013, 8 Euro.

 

Der französische Philosoph Michel Serres sieht in der jungen Generation der Internet-Nutzer »Däumlinge«. Und diesen Däumlingen schreibt der 83-Jährige eine Liebeserklärung.

 

»In der kurzen Zeitspanne, die uns von den siebziger Jahren trennt, ist ein neuer Mensch geboren worden. Er oder sie hat nicht mehr den gleichen Körper und nicht mehr dieselbe Lebenserwartung, kommuniziert nicht mehr auf die gleiche Weise, nimmt nicht mehr dieselbe Welt wahr, lebt nicht mehr in derselben Natur, nicht mehr im selben Raum«, schreibt der Autor von anderthalb Dutzend philosophischer Bücher. Sein Essay Erfindet Euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation ist nun bei Suhrkamp in Deutsch erschienen.

Viele schöne und eingängige Bilder enthält der Text. Serres sieht das gesamte vorhandene Wissen wie in einem Kaufhaus aufgetürmt. War es bislang fein säuberlich in unzählige Disziplinen und Unterdisziplinen zergliedert, ergäbe sich durch das Internet die Chance einer Überwindung der künstlich konstruierten Grenzen. Serres vergleicht die Universität mit einem Kaufhaus:

»Boucicaut, der Erfinder des modernen Kaufhauses und Gründer des Bon Marché, hatte die angebotenen Waren zunächst nach Abteilungen und Regalen geordnet. Alle Packungen lagen wohlverstaut in ihren Fächern, klassifiziert, aufgereiht wie Schüler in Bänken oder die römischen Legionen in geschlossenen Verbänden«. Da hier zum ersten Mal alle Waren versammelt waren, die das Kundenherz begehren könnten, ließ der Erfolg nicht auf sich warten, wie Serres schreibt. Doch nach gewisser Zeit stockte das Geschäft.

 

Da kam dem Kaufhaus-Pionier eine Idee: Statt gerader Gänge ließ er das Warenhaus gleich einem Labyrinth verschachteln. Und siehe da: Die Umsätze explodierten.

 

Von diesen Bildern wimmelt das kleine Essay geradezu. Sie versinnbildlichen das Gedanken-Gebäude. Serres sieht eine völlig neue Generation von Menschen am Start: Geprägt und aufgewachsen mit Smartphone, Internet und vielerlei digitaler Anwendungen, zollt er ihnen Respekt. Serres will dies Generation ermuntern, ihren Weg zu gehen und ihren Hunger nach Wissen auf zeitgemäße Weise zu stillen. Nur: Man merkt Autor und Essay an, dass er so recht mit der neuen Welt nicht mitkommt. Viele Bilder werden aneinandergereiht, und der Leser fragt sich, was er mit der Fülle anfangen soll. Es fehlt an mancher Stelle eine Zusammenfügung des Textes. Manches bleibt nur angedeutet und unausgesprochen, wo man als Interessierter gern erfahren hätte, was das Beispiel denn nun aussagt. Warum hat es der Autor ausgewählt?

 

Dennoch: Die Bilder sind schön, sind stimmig. Sie regen allemal zu Diskussionen an. Und Zeit wird es, sich damit zu befassen, wie es weitergehen könnte. Wie könnten politische Entscheidungen aussehen, Weggabelungen und Hilfestellungen für eine Entwicklung, die längst in rasendem Tempo ist, von der Politik jedoch gar nicht verstanden wird.

 

Wie sagte Kanzlerin Merkel so schön: Das Internet stellt uns neue Herausforderungen. Genau!