Botho Strauß – Lichter des Toren

Stoff zum Beißen: Lichter des Toren von Botho Strauß
© Diederichs Verlag 2013

 

 

Botho Strauß, Lichter des Toren. Der Idiot und seine Zeit.
176 Seiten, gebunden in Leinen, Diederichs Verlag, München 2013, 20 Euro.

 

Das neue Buch von Botho Strauß war noch gar nicht erschienen, da erregte ein Vorabdruck im Spiegel die Schar der sogenannten Kritiker. Reflexartig sahen sie sich genötigt zu reagieren – sprich: draufzuhauen. Die an-gestellten Redakteure verstanden den Text zwar nicht gänzlich, was einige sogar zugaben. Das hinderte sie jedoch nicht am Verriss. Schöner hätte das nachfolgende Buch nicht bereits vor seiner Auslieferung bestätigt werden können.

Der in der Uckermark zurückgezogen lebende Autor setzt in Lichter des Toren – Der Idiot und seine Zeit seine Notate über die Gegenwart fort. Es sind Beobachtungen, Reflexionen, Schlussfolgerungen. Manches liest sich wie das beste von Ernst Jünger. Einiges ist schwer verständlich; Botho Strauß macht es seinen Lesern eben nicht einfach. Will es auch nicht. Für den kränkelnden Spät-Dandy in Joris-Karl Huysmans À rebours, Jean Floressas des Esseintes war ein Gemälde entweiht, weil es von einem seiner seltenen Besucher gelobt worden war. Sogleich hängte er es ab. Wahre Kunst wird nur von wenigen verstanden. Bei Botho Strauß liest sich das so:

Gegen den Markt des breitgetretenen Quarks, dessen Autoren in digitalen Massen sich vordrängen, zuletzt gegen Verbreitung überhaupt muß das Buch immer dichter und verschlossener sein. Es wird sich resakralisieren. Wobei in dem hochtrabenden Wort die Ironie mitklingt, mit der der Verleger Stendhals dem Autor über den mangelnden Verkaufserfolg von ‚Über die Liebe‘ berichtete: Ihr Buch ist heilig. Niemand rührt es an.

Strauß diagnostiziert das menschliche Leben im beginnenden 21. Jahrhundert, wo alle gleich sein wollen. Alles mitmachen, über nichts nachdenken und jedwede Mode für etwas ‚objektiv‘ Vorgegebenes zu halten. Wo alle mit Badeschlappen durch die Innenstadt laufen, hilft kein Verfassungspatriotismus mehr.

Strauß setzt an bei Valéry, Ernst Jünger, Heidegger, Hofmannsthal. Er ist zutiefst Romantiker – und das bedeutet vor allem: Er glaubt nicht an das lineare Vergehen von Zeit. Noch wichtiger jedoch ist, dass Strauß den üblichen Fortschrittsbegriff negiert. Für ihn gibt es nicht nur kein tatsächliches ‚Fortschreiten‘ der Zeit. Auch den Glauben, dass technologische Errungenschaften das Leben verbesserten, hält er für naiv. Stattdessen ginge es darum, die Chiffren zu lesen:

Chiffren, als wär’s ein anderes Wort für kleine Lebewesen mit Chitin umhüllt, kleine krabbelnde gepanzerte Bilder, in die sich der Geist zurückzieht, in Sicherheit bringt, inkrustiert, worin er wechselnd Feuer und Sintflut überstand und die seit Urzeiten dieselben sind: Fels und Finger. Quelle, Wand und Dolch. Wein, Pferd und Nabel.

So hat sich einer der bedeutendsten deutschen Denker in sein Refugium zurückgezogen. Und noch nicht einmal hier, in der Uckermark als der am dünnsten besiedelten Region der Bundesrepublik, hat er seinen Frieden. In der gesamten Uckermark gibt es seit Jahren kein einziges Dorf mehr, von dem man nicht ein Windrad sieht.

Vieles noch wäre über dies intelligente, anspruchsvolle, dünnhäutige Buch zu sagen. Schließen wir mit einem der wunderbaren Sätze, dieser sprachlichen Schatztruhen aus dem neuen Buch von Botho Strauß:

lieber so eine rauschende Ballnacht des Geistes als noch eine Klimakonferenz.