Steve Schapiro – Then and Now

Steve Schapiro, Paul Newman, Fort Lauderdale, Miami, 1983

 

Steve Schapiro, Then and Now.
Texte von Lonnie Ali, Matthias Harder, Steve Schapiro. Interview mit dem Künstler von Matthias Harder. Hatje Cantz Verlag 2012, Deutsch/Englisch, 240 Seiten, 171 Abbildungen, 125 davon in Duplex, Leinen mit Schutzumschlag, Euro 49,80.

 

Zuweilen drohen die Schöpfer ikonographischer Werke von diesen erdrückt zu werden.

Der US-amerikanische Photograph Steve Schapiro (geboren 1934 in New York) machte Photos an über 400 Sets von Hollywood. Seine Standbilder der drei Teile von »Der Pate« und von Scorseses »Taxi Driver« sind nicht nur weltweit bekannt. Sie sind zu Emblemen der US-amerikanischen Kultur geworden. Aber Steve Schapiro ist seit 1961 auch journalistischer und dokumentarischer Photograph. Er dokumentierte den Marsch von Selma mit Martin Luther King, die Factory Andy Warhols und hunderte von Prominenten. Viele große Hollywood-Schauspieler werden vor allem mit dem Bild verbunden, das er von ihnen gemacht hat.

Eine große Werk-Monographie rückt nun das schiefe Bild zurecht und führt uns in Erinnerung, dass der leidenschaftliche Dokumentator, der Schapiro ist, zu den wichtigsten Photojournalisten der 1960er Jahre gehörte. Steve Schapiro – Then and now ist die erste biographische Monographie über den bedeutenden Photographen, die einen Bogen über sein Gesamtwerk spannt. In den 1960ern regten sich die Menschen noch auf. Um Aufträge von Zeitschriften zu bekommen, zog der junge Photograph anfänglich auf eigene  Faust los, wie er im Interview mit Matthias Harder in dem gelungenen Photobuch aus dem Hatje Cantz Verlag erzählt.  Er produzierte Beiträge über Wanderarbeiter in Arkansas und über Drogenabhängigkeit in East Harlem. Und dann kamen die Aufträge von den einflussreichen Zeitschriften. Life, Time, Rolling Stone, Vanity Fair, Sports Illustrated, Paris Match und Stern heißen die Magazine, die noch heute gern auf seine Photo-Sprache zurückgreifen.  Doch die Wirkung seiner Standbilder von den großen Hollywood-Produktionen wurde von Jahr zu Jahr größer und drohte, das übrige Werk, das Schapiro selbst als sein Hauptwerk sieht, in Vergessenheit geraten zu lassen. Dabei besitzt seine Portrait-Kunst einen weltweiten Ruf.

Noch einmal »Taxi-Driver«. Martin Scorsese, der Regisseur des Films, sitzt in einem Sessel. In der rechten Hand hält er einen großkalibrigen Revolver – in der linken eine Staude Weintrauben. Sein Blick ist auf die Mündung der Waffe gerichtet. Sein Blick lässt nicht zweifelsfrei erkennen, was er denkt, was seine Motivation sein könnte. Die Weintraube gilt seit der Antike als Symbol der unvergänglichen Lebenskraft. Der Revolver repräsentiert pure Machtentfaltung durch Gewalt und Tötung. – Wollte Scorsese sich so in Szene setzten? Ist er vom Photographen animiert worden?  Schapiro sucht in seinen Portraits, die komplexe Lebenswirklichkeit eines Menschen in einem Bild festzuhalten. Er selbst sagt im Interview: »Als Fotograf sucht man immer nach der gleichen Art Emotion, Form und Information, die ein Foto erfolgreich machen. Man sucht nach diesem ikonischen Moment, in dem sich das Besondere eines Menschen oder eines spezifischen Moments offenbart.«

Für den Dokumentaristen Schapiro hatte sich ein solcher Moment ergeben, als er am 4. April 1968 abends vom Life-Magazin angerufen wurde. Martin Luther King war erschossen worden. Schapiro machte sich sofort auf den Weg nach Memphis. Frühmorgens am nächsten Tag eingetroffen, ging er in das Badezimmer in der Pension, von dem aus der tödliche Schuss abgefeuert worden war. »Mir fiel ein dunkler, unheilvoller Handabdruck an der Wand über der Badewanne auf, in der der Attentäter gestanden hatte, als er seine Waffe auf das Fenstersims gestützt hatte«, erzählt Steve Schapiro. Eine Woche später wurde dieser Handabdruck ganzseitig in Life gedruckt.

38 Jahre später kehrt der Photograph an den Ort des Geschehens zurück. Die Pension, in die der Attentäter sich eingenistet hatte, existiert nun nicht mehr. Alle Wände waren eingerissen worden; nur die berühmt gewordene Badewanne stand noch da. Man hatte aus der Pension ein massentaugliches Museum gemacht: Die Zuschauer dürfen jetzt durch eine Plastikplane das mörderische Badezimmer bestaunen.

 

 

Steve Schapiro, David Bowie, Los Angeles, 1974



Steve Schapiro, Andy Warhol at The Factory, New York, 1963

Alle abgebildeten Photos sind aus dem Buch.