Sherlock Holmes – der exzentrische Dandy

Zum 150. Geburtstag des Schöpfers von Sherlock Holmes, Sir Arthur Conan Doyle, adelte die Süddeutsche Zeitung in der vergangenen Woche den legendären Privatdetektiven zum Dandy.
„Der exzentrische Dandy mit Kokain, Pfeife und Geigenspiel“ lautet die zweite Überschrift des Artikels.

Die SZ befasst sich vor allem mit dem Geigespiel des erfundenen Schnüfflers:
„Dass die Geige zu den unveräußerlichen Accessoires von Sherlock Holmes gehört, hebt ihn neben seiner Kokainsucht, seinem exzessiven Pfeiferauchen und anderer Exzentritäten besonders heraus aus dem mächtigen Häuflein der Meisterdetektive. Holmes ist ein Dandy, zweifellos, der seine ganz eigenen Wege geht, das Leben zu genießen. Und wenn es ihn langweilt, greift er zum Opiat oder – wie kann es bei einem Mann mit solchen Fähigkeiten, solchem untrüglichen Differenzierungssinn und Qualitätsbewusstsein anders sein – zu seiner Stradivari, um sich mit weitschweifigen Improvisationen die Zeit zu vertreiben. Doch es gibt eine schöne Ausnahme, bei der Holmes sein Geigenspiel strategisch einsetzt und so mit Hilfe der Musik den Fall wahrhaft virtuos löst.“

http://www.sueddeutsche.de/B5u38f/2900054/Ein-verhaengnisvolles-Violinsolo.html

Viktor Hofmann – neu entdeckt

Der kleine aber feine Düsseldorfer Lilienfeld Verlag hat den russischen Dandy Viktor Hofmann fürs Deutsche wiederentdeckt und veröffentlicht erstmalig sämtliche Erzählungen. Hofmann, ein hochsensibler Schriftsteller und Décadent, starb im Alter von 27 Jahren nach seinem zweiten Siuzid-Versuch.

Im Folgenden ein Auzug der Rezension von Matthias Pierre Lubinsky. Die vollständige ausführliche Würdigung des liebevoll gestalteten Buches lesen Sie hier:

http://webcritics.de/page/book.php5?id=2751

„… In der Erzählung »Lüge«, die dem Band seinen Namen gegeben hat, schildert er seinen unbeholfenen Versuch, eine verheiratete Frau, mit der er im Konzert war, endlich zum Gehen zu überreden.
»Sie macht große Augen und wendet sich mir sogar zu vor lauter Verständnislosigkeit. – Wohin können wir zwei denn fahren? So mitten in der Nacht? Was denken Sie sich eigentlich?Ich glaube nicht, daß ihre Verwunderung echt ist. Möchte ihr am liebsten sagen, daß sie mit der Maskerade aufhören soll. Aber ich merke schon, das darf nicht sein: Es verstößt wohl gegen die Regeln. Es gilt, mitzuspielen und sich ebenfalls zu verstellen.«

Der kleine Düsseldorfer Lilienfeld Verlag hat die Erzählungen von Viktor Hofmann zum erstenmal in Deutsch veröffentlicht. Hofmann, übrigens Neffe des Innenarchitekten von Schloss Neuschwanstein, Julius Hofmann, nannte seinen Stil selbst »Mystischen Intimismus«. Der russische Idiosynkrat verstand es, seine sublime Beobachtungsgabe und seine Wahrnehmung in eine seinen Gefühlen gemäße Sprache zu transferieren. Seine Offenheit wirkt wie Ironie.»Ich überdenke mein Leben. Bei diesem winterlichen und grauen Tagesanbruch wirkt es auf mich zum Erschrecken trübe. War ich denn jemals, und sei es auch nur für eine Minute, glücklich?«Das Leben als ein langer Prozess des Sterbens. »Gib mir die Hand: Weißt du, mir scheint, daß alles erstirbt. Denn auch das Erblühen unserer Rosen war nur deren langsames Absterben: Alles Leben ist ein Ersetzen von Teilchen durch andere […] «

Hofmann befand sich in der Bewegung der europäischen Décadence, spürte er, »daß ich mit jedem Atemzug sterbe. Oh, ich wittere ihn, diesen Geruch des Herbstes, den Geruch der stickigen Treibhäuser, diese Verwesung der Welt«.
So ist selbst die Liebe nicht die Liebe. Was man dafür am Anfang hielt, – ja halten wollte, war nur ein körperliches Verlangen, nichts weiter als Trieb. Wenn selbst die Liebe nur ein hohles Gefäß ist, kann nichts in der materiellen Welt Erlösung bringen.

Hofmann schrieb bereits als Schüler seine ersten Verse. 1904 gelang ihm die Veröffentlichung seines ersten Lyrikbandes »Buch der Anfänge«, mit dem er einer größeren Leserschaft bekannt wurde. 1909 siedelte er über nach St. Petersburg, wo er eine Anstellung fand zuerst als Sekretär, später als Redakteur beim »Neuen Journal für alle«. In diesem Jahr erschien auch sein zweiter Gedichtband »Die Probe«. Er verkehrte in Symbolistenkreisen und publizierte in Almanachen der Décadence. Zu seinen Freunden zählte der junge Ossip Mandelstam. Hofmann übersetzte Guy de Maupassant und Heinrich Mann. Wie zufällig folgt Hofmann dem décadenten Romanprotagonisten Huysmans’ Jean Floressas Duc Des Esseintes in seiner Nervenkrankheit am Ende seines kurzen Lebens. Huysmans hatte diese zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert moderne Krankheit dem »Traité des névroses« von Dr. Alexander Axenfeld entnommen. Während eines Paris-Aufenthaltes im Jahr 1911 wurde Hofmann so stark von Neurasthenie heimgesucht, dass er sich aus Furcht vor dem Wahnsinn umbringen wollte. Sein erster Suizidversuch endete im Fiasko: Er schoss sich lediglich einen Finger ab. Beim darauffolgenden zweiten starb der 27jährige.

In einem nicht abgeschickten Abschiedsbrief an seine Mutter schrieb er: »Liebe Mama.
Ich bin verrückt geworden. Bin schon ein vollkommener Idiot. Ich möchte Dich nur ungern traurig machen, aber mit mir ist es nun ganz vorbei…«




Kesslers Vita ist ein veritabler Kulturkrimi (Fritz J. Raddatz)

Man kann über Fritz J. Raddatz (ehemaliger Feuilleton-Chaf der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit) sagen, was man will; seine Rezension der Neuausgabe der Tagebücher hat einfach gesessen. Ein Auszug:

„Für Literaturnarren, für Wissbegierige nach Geschichte und Geschichten ist ein Fest angesagt: Endlich erscheinen als integrale Edition die ins Reich der Legenden und Gerüchte abgesunkenen Tagebücher von Harry Graf Kessler – einer der farbigsten (ja, gewiss, auch schillernden) Figuren des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den Höhepunkten seiner ruhmreichen Tätigkeit auf mancherlei Gebiet der Kunst und Politik in den zwanziger Jahren bis zum bitteren Ende des Emigranten 1937…. Wie gut haben es meine Kollegen von der Theaterkritik – die können applaudieren. Das ist eine leicht lächerliche Vorstellung: Da sitzt jemand, liest und applaudiert – aber man möchte es, sehr oft. Ob über Ibsen oder die Fragwürdigkeit des demokratischen Prinzips, ob über der Menschen notwendige Sehnsucht nach einem Ideal oder über die Bigotterie des Premierenpublikums der Weber – dieser Mann ist sozusagen die Brüder Goncourt als Einzelperson.“

http://www.zeit.de/2004/18/P-Kessler?page=1


Lederausgabe ausverkauft!

Die (normale) Leinen-Ausgabe der Tagebücher Harry Graf Kesslers

 

 

Eine gute und eine schlechte Nachricht für alle waschechten Dandys: Die auf 30 Exx. limitierte Vorzugsausgabe der Gesamtausgabe Harry Graf Kesslers Tagebücher in rotem Ganzleder-Einband ist ausverkauft!

 

Ausstattung: 9 Bände, fadengeheftete Ganzlederbände in venezianisch rotem Ostindisch-Saffianleder…

 

Ich schätze mal, dass sich in unseren Kreisen die meisten davon befinden:)

 

Aber immerhin – und das die gute Nachricht – beweist dies, dass es noch genügend Liebhaber dafür gibt. Das heißt, Menschen, die soetwas zu schätzen wissen.

 

Photo: Copyright Klett-Cotta Verlag. All rights reserved.

Die Totenmaske Nietzsches

Harry Graf Kessler nahm die Totenmaske Friedrich Nietzsches ab.



Dandy an der Front

Portrait Harry Graf Kessler o. J. Klassik Stiftung Weimar. Goethe- und Schiller-Archiv

Tilman Krause gab in der Welt vom 7. Dezember 2007 seiner ausführlichen Würdigung der kleinen Ausstellung des Bröhan Museums den schönen Titel Dandy an der Front.

Hier ein Auszug:

„Das Berliner Bröhan-Museum huldigt dem Kunstmäzen Harry Graf Kessler

Jede Ausstellung zu Harry Graf Kessler (1868 bis 1937) steht vor einem riesigen Problem. Welches seiner zahlreichen Betätigungsfelder soll sie zeigen? Die Politik? Kessler leitete immerhin im Ersten Weltkrieg die deutsche Kulturpropaganda in der Schweiz, war nach dem Zusammenbruch der erste deutsche Botschafter in Polen und agitierte in der Weimarer Republik emsig für den Völkerbund.
Die Literatur? Kesslers Erinnerungsbuch „Gesichter und Zeiten“ zählt zu den schönsten Memoirenbänden des 20. Jahrhunderts. Seine Rathenau-Biographie besitzt noch heute Gültigkeit. Und sein Buch über Mexiko ging in die Geschichte der Reiseliteratur ein.
Die Kunst? Kessler förderte sie in so weitgespannter Weise, dass man nun wiederum nicht weiß, wofür er eigentlich stand…. Oder soll man sich gar, wie die große Schau 1988 im Deutschen Literaturarchiv Marbach tat, auf Kesslers Netzwerk kaprizieren? Auf jene „zehntausend Bekannten“, die, leicht abschätzig, Hugo von Hofmannsthal dem Freund attestierte und aus denen in Kesslers Hauptwerk, seinem Tagebuch, sage und schreibe 80 000 erwähnte Personen werden?
Wie auch immer man es anstellt: Die Gefahr der Unübersichtlichkeit ist bei diesem Tausendsassa immens. Daher sticht die kleine, aber hochfeine Ausstellung, die jetzt aus Anlass seines 70. Todestages das Bröhan-Museum in Berlin zusammengestellt hat, positiv von ähnlichen Unternehmungen der letzten Jahre ab.
Sie entscheidet sich nämlich für nur zwei Aspekte. Sie wagt dabei eine kühne, wiewohl durchaus überzeugende These. Sagt sie doch indirekt: Was auch immer Kessler alles anpackte, im Kern war er ein Mann mit dem lebensreformerischen Impuls, der für die Zeit um 1900 typisch ist. Sein Lebensprojekt: die Ästhetisierung des Alltags. Schmücke Dein Heim, schmücke Dich selbst. Mit Kunst, Kultur, mit allem, was schön ist. „

Deutsches Literaturarchiv in Marbach

…hier noch die URL der Kessler-Seite vom Deutschen Literaturarchiv in Marbach, das den Nachlass verwahrt:
http://www.dla-marbach.de/?id=51773

Ausstellungskatalog des Bröhan Museums

Vor anderthalb Jahren gab es im Berliner Bröhan Museum eine kleine aber feine Kabinettsausstellung zu Harry Graf Kessler.

Der schöne Katalog sei allen Kessler-Verehrern ans Herz gelegt. Hier ein Auszug aus der damaligen Presseerklärung des Museums:

„Pressemitteilung
Hommage à Harry Graf Kessler (1868-1937)
Kabinettausstellung vom 1. Dezember 2007 bis 31. Januar 2008
Das Bröhan-Museum möchte mit der Kabinettausstellung „Hommage à Harry Graf Kessler“ aus
Anlass von Kesslers 70. Todestag an seine Persönlichkeit erinnern, um im Rahmen einer lose
durchgeführten monographischen Reihe bedeutende Vertreter aus Kunst und Kultur um 1900
vorzustellen. Harry Graf Kessler hatte für eine wichtige Zeitspanne seines Lebens Berlin als
Mittelpunkt seiner Aktivitäten gewählt. Die Kontakte zu allen bedeutenden Künstlern der Moderne
sowie seine gesellschaftlichen Verbindungen trugen wesentlich zum herausragenden kulturellen
Klima der deutschen Hauptstadt um 1900 bei.
Ausgangspunkt dieser Kabinettausstellung ist der Bestand des Bröhan-Museums an Objekten des
belgischen Jugendstil-Künstlers Henry van de Velde, mit dem Harry Graf Kessler über mehr als 40
Jahre freundschaftlich verbunden war und der durch seine Vermittlung 1900 die Übersiedlung
nach Berlin vollzog. Die Ausstellung aus eigenem Bestand wurde erweitert durch kostbare
bibliophile Buchobjekte, die Kessler ab 1913 in seiner Weimarer „Cranach Presse“ herausgab,
ebenso kamen Schriften und Personalia Kesslers hinzu. Die Leihgaben wurden aus dem Besitz
zweier bedeutender Sammler zur Verfügung gestellt…“



141. Geburtstag von Harry Graf Kessler

Harry Graf Kessler

 

 

 

 

 

Heute vor 141 Jahren, also am 23. Mai 1868 wurde Harry Graf Kessler geboren. Zu seinem Gedenken weisen wir auf zwei brillante Biographien hin – und darauf, dass der Klett-Cotta Verlag in Zusammenarbeit mit Marbach das umfangreiche Tagebuchwerk (neun Bände) veröffentlicht.

 

 

 

Die umfangreichste und dabei sehr detailverliebte ist die 2005 in Deutschland erschienene des US-amerikanischen Historikers Laird M. Easton ‚Der rote Graf‘.
Eine zweite, kürzere aber mit sehr viel Einfühlungsvermögen geschriebene stammt von dem Berliner Galeristen Friedrich Rothe.

 

 

Hier die Rezension von Laird M. Eastons ‚Der rote Graf“ von Matthias Pierre Lubinsky:

Er war der wohl bedeutendste deutsche Dandy des 20. Jahrhunderts. Sein Leben war spannungsreich, aufregend und ein Spiegel der Epoche. Doch bis vor kurzem war er der Öffentlichkeit mehr oder weniger unbekannt: Harry Graf Kessler.

 

 

Dass sich dies änderte, ist vor allem zwei publizistischen Großtaten zu verdanken. Zum einen der Veröffentlichung von Kesslers umfangreichem Tagebuchwerk, das nun im Marbacher Literaturarchiv zusammengefasst ist. Die Publikation ist ein wissenschaftliches Mammutwerk, angelegt auf beinahe ein Jahrzehnt. Als anderes Meisterwerk kann die große Biographie von Laird M. Easton bezeichnet werden, die ebenfalls bei Klett-Cotta erschienen ist.

 

 

»Mir überlegt, welche Wirkungsmittel ich in Deutschland habe: der Deutsche Künstlerbund, meine Stellung in Weimar […], die Verbindung mit der Reinhardtschen Bühne, meine intimen Beziehungen zum Nietzsche-Archiv, zu Hofmannsthal, zu van de Velde, meine nahen Verbindungen mit Dehmel, Liliencron, Klinger, Liebermann, Gerhard Hauptmann, außerdem mit den beiden einflußreichsten Zeitschriften Zukunft und Neue Rundschau, und nach der anderen Seite zur Berliner Gesellschaft, dem Regiment und schließlich mein persönliches Prestige. Die Bilanz ist ziemlich überraschend und wohl einzig. Niemand in Deutschland hat eine so starke, nach so vielen Seiten reichende Stellung,« resümiert Kessler über sich selbst. Und er hat recht.

 

 

Tatsächlich gab es kaum jemanden in Deutschland, der über ein vergleichbares Netzwerk von musischen Persönlichkeiten verfügte, über noble Herkunft und Ausbildung an europäischen Eliteschmieden und darüber hinaus über einen politischen Willen, der seiner Zeit weit voraus war: patriotisch aber anti-nationalistisch.

 

 

Harry Graf Kessler wurde am 23. Mai 1868 in Paris geboren. Sein Vater, Adolf Wilhelm Kessler, ein Hamburger Bankier, ist mit der berüchtigt schönen irischen Adligen Alice Harriett Blosse Lynch verheiratet. Harry ist zeitweilig mit dem Gerücht belastet, er sei ein unehelicher Sohn des Kaisers, der ein Verehrer seiner Mutter ist.Harry erlebt eine Jugend zwischen der preußischen Strenge des Vaters und der musischen Exzentrik der Mutter. – Die Jugend eines werdenden Dandy, auffällig ähnlich mit der von Oscar Wilde und Ernst Jünger. Die verschiedenen Wohnsitze der Kesslers in Paris tragen erste Adressen. Kessler besucht zunächst ein Halbinternat in Paris, wechselt später auf ein Internat nach Ascot/ England. Auf Wunsch seines Vaters tritt er 1882 in die Hamburger Gelehrtenschule des Johanneums ein, wo er das Abitur macht. Um die Möglichkeiten, die seine gesellschaftliche Stellung ihm bietet, zu nutzen, entscheidet er sich für ein Jurastudium, das er einige Jahre später mit Promotion abschließt. Die Diplomatenlaufbahn, auf die ihn das Studium vorbereiten sollte, scheitert jedoch an Widerständen des Auswärtigen Amtes. Vermutlich störte man sich hier an seiner ungestümen Art, hat der doch bei der ersten Vorstellung sogleich seine Ansichten über Verbesserungen in der deutschen Außenpolitik zum besten gegeben.

 

 

1893 übersiedelt er nach Berlin. Er wird Mitherausgeber der Kunstzeitschrift PAN, in der Erstveröffentlichungen von Friedrich Nietzsche, Theodor Fontane, Richard Dehmel, Detlef von Liliencron, Julius Hart, Novalis, Paul Verlaine und Alfred Lichtwark neben Kunstbeilagen berühmter Maler erscheinen. Zwischen 1902 und 1906 ist Kessler Direktor des Großherzoglichen Museums für Kunst- und Kunstgewerbe in Weimar. Er nutzt seine Stellung für die zu dieser Zeit modernste und innovativste Ausstellungs- und Ankaufspolitik in Deutschland. Auf sein Betreiben gründet sich 1903 der Deutsche Künstlerbund, dessen erster Vizepräsident er wird. Der Bund unterstützt zu jener Zeit weniger renommierte Künstler wie Edvard Munch, Johannes R. Becher und die Maler der Künstlervereinigung »Die Brücke«. Zu seinem engeren Freundeskreis gehören Eberhard von Bodenhausen, Henry van de Velde, Max Liebermann und Hugo von Hofmannsthal, mit dem er den »Rosenkavalier« und die Handlung für das Ballett »Josephslegende« verfasst. Unter dem Namen »Cranachpresse« gründet er 1913 seinen eigenen Verlag. Der Kleinverlag erarbeitet sich schnell einen legendären Ruf. Nicht nur erscheinen hier herausragende Erstdrucke wie Shakespeares Hamlet in der Übersetzung von Gerhard Hauptmann Vergils »Eclogen« und die Gedichte Rilkes. Auch die Buchgestaltung ist von höchster ästhetischer Geschmacklichkeit.

 

 

Der Erste Weltkrieg beschert Kessler einen kurzen Fronteinsatz. In der Schlussphase des Krieges leitet er in der Schweiz die deutsche Kulturpropaganda. Nach seiner Rückkehr entwickelt er Ideen zur Schaffung eines Völkerbundes. 1922 übernimmt er für kurze Zeit das Amt des Präsidenten der Deutschen Friedensgesellschaft. 1924 versucht er ein Reichstagsmandat zu erlangen. Als dieser Versuch scheitert, zieht er sich aus der Politik zurück und widmet sich wieder der Cranachpresse. 1933 emigriert Kessler mit vielen anderen Berliner Juden nach Frankreich. »Der ganze Kurfürstendamm ergießt sich über Paris«, notiert Kessler im Tagebuch. Anschließend geht er für einige Jahre nach Palma de Mallorca, um hier intensiv an seinen Memoiren zu arbeiten. Kessler kann jedoch nur einen ersten Band unter dem Titel »Völker und Vaterländer« fertigstellen. Er stirbt nach längerem Leiden am 30. November 1937 in Lyon. Auf den Tag genau 37 Jahre nach seinem großen Dandyvorfahren Oscar Wilde.

 

 

Easton, Associate Professor für Geschichte an der California State University, gelingt es, sich in seiner umfangreichen Biographie der Person Kesslers einfühlsam und zugleich mit der gehörigen Distanz zu nähern. Eine besondere Stärke des Buches ist die Präsentation des Kunstliebhabers, Mäzens und Weltgewandten innerhalb des Beziehungsgeflechtes aus Bekanntschaften, Freunden und sozialem Umfeld. Kesslers Motivationen wird nachgespürt, ohne dass Easton in falsche psychologische Wertungen verfällt. Sein Werk kann als die nicht nur detaillierteste Kessler-Biographie angesehen werden. Sie ist auch die treffendste und lesenswerteste unter den klassischen Biographien. Dazu beigetragen hat die vorzügliche Übersetzung aus dem Amerikanischen von Klaus Kochmann.

 

 

Kesslers Lebensverlauf lässt auch diese Biographie wie einen Krimi erscheinen. Die historische Kompetenz des Wissenschaftlers steht hierzu nicht im Widerspruch. Dem Buch ist anzumerken, dass sich Easton 10 Jahre in die Biographie des Adligen vertieft hat. Seine Lebensbeschreibung verfällt an keiner Stelle der Gefahr, ins Theoretische abzugleiten oder Historisches ohne erkennbaren Zusammenhang zu dozieren. Beeindruckend ist beispielsweise die Schilderung der Zeit zu Beginn von Kesslers Exil. Der treue Freund Max Goertz aus Weimar ruft ihn im Juni 1933 an, um ihm mitzuteilen, dass Kesslers eigener Diener ihn bestohlen habe. Damit nicht genug: Auch an die Nazis habe der Kessler verraten, die darauf hin in sein Haus eingebrochen waren. Hier wird greifbar, was es bedeutet, wenn ein geistiger Mensch von einem Terrorregime bedroht wird und in seiner direkten Umgebung opportunistischem Denunziantentum ausgesetzt ist.

 

 

Eine großartige Biographie über den Ästheten Kessler. Prädikat: Geeignet zur Förderung der Urbanität in Deutschland.

 

 

Laird M. Easton: Der rote Graf. Harry Graf Kessler und seine Zeit. Klett-Cotta 2005, 575 Seiten.

 

 

 

Das Kultbuch zum Dandytum von Barbey d’Aurevilly


Was ist vornehm?

Friedrich Nietzsche stellte in einer seiner Notizkladden der 1880er Jahre die Frage, „Was ist vornehm?“ Er gab sich selbst umfassende Antwort: Kurze, fast stakkatoartige Sätze, die vom wahrhaften Menschen sprechen, als würde ein Maschinengewehr der tumben Masse die Beschaffenheit eines Vorbildcharakters in die Hirne hämmern wollen.

Nietzsches erste Antworten lauten: „Die Sorgfalt im Äußerlichsten, insofern diese Sorgfalt abgrenzt, fernhält, vor Verwechslung schützt.
Der frivole Anschein in Wort, Kleidung, Haltung, mit dem eine stoische Härte und Selbstbezwingung sich vor aller unbescheidenen Neugierde schützt.“

Diese Kombination aus stolzer Abgrenzung mit einem frivolen Anschein und mithin das, was von Nietzsche als vornehm definiert wird, klassifiziert einen ganz bestimmten Sozialcharakter: den Dandy. Da der Dandy gegenüber der Gesellschaft in der Opposition steht, sieht er sich in frühen Lebensjahren gezwungen, eine tiefe und folgenreiche Entscheidung zu fällen. Wie das Leben gestalten, in welcher Rolle die Lebenszeit verbringen? Da der Dandy um sich herum nur Mittelmaß, Verlogenheit und Karrierestreben sieht, beschließt er, anders zu sein. Wahrhaft anders. Er nimmt die Gepflogenheiten der upper class, in der er verkehrt, auf und stichelt ihre dümmeren und arroganteren Mitglieder. Er hält ihnen einen Spiegel vor, indem er spontan und schlagfertig jegliche Anmaßung, jegliches Philistertum oder jedes Eingeständnis von Mediokrität unmittelbar pariert.

Mit gediegener Kleidung hat das alles nur soviel zu tun, als dass die Macht der Mode in der Regency-Zeit, als der Ur-Dandy, der Begründer der später so genannten Dandy-Sekte, Beau Brummell, reüssierte, so groß war wie in kaum einer andern Epoche. Dies nutzte Georges Bryan Brummell geschickt. Er zog sich besser, will heißen, zurückhaltender und gediegener als seine Bekannten aus dem englischen Hochadel an. So wurde er Freund und ästhetisches Vorbild für den Prinzen von Wales, den späteren König Georg IV. Brummell hatte gar nicht vor, das Vorbild für irgendeinen Verhaltenskodex zu liefern, begründete aber mit seinem gesamten Gebaren den damals so genannten Typus des Bucks.

Heute wird der Dandy gemeinhin verwechselt mit dem Snob. Dabei ist die Grundannahme, ein Dandy wolle um jeden Preis auffallen, vollkommen falsch. Gerade das Gegenteil ist der Fall. Kaum bekannt ist heute, dass Beau Brummell die damalige englische Mode in revolutionärer Manier modernisiert hat. Dies tat er paradoxer Weise, indem er den Adel an seine alten, von ihm selbst vergessenen Tugenden erinnerte. Zurückhaltung, Nonchalance, die Palette der Gentleman-Kodexe. Dies zeigte sich in des Beaus Kostüm in der Zurückhaltung bei den Farben: Statt aller möglichen roten, violetten und anderer wilder Kombination entschied er sich für ein dunkles Blau oder das klassische Schwarz für den Rock. Auch mit anderen individuellen Entscheidungen bei seinem Kostüm wurde er schnell zum arbiter elegantiarum, also zu der maßgeblichen Instanz in den Dingen der Mode. So führte er die lange Hose für das Kostüm des Mannes am Tage ein.

Sein Äußeres verschaffte ihm in den höchsten Kreisen Aufmerksamkeit; irgendwann wollten alle so sein wie er. Und diese Aufmerksamkeit nutzte er, unter anderen den ihm unterlegenen Prinzregenten mit bösem Hohn und Spott zu überziehen. Aber Brummell war keiner, der über andere schlecht sprach, er sagte seine Missachtung dem sozial über ihn Stehenden ins Gesicht, wenn dieser Unsinn von sich gab oder als der immer dicker wurde.

So wie Brummell gegen die Selbstzerstörung der Aristokratie vorging, agierte Charles Baudelaire gegen die von ihm gebrandmarkte Demokratisierung aller Lebensbereiche, die zu nichts weiter führen würde als zu einer Nivellierung ins Bodenlose. So ist die Essenz des Dandytums die Nichteinmischung, das Sich-Heraushalten aus allen Angelegenheiten von Macht und Politik. Mit wem auch immer man sich eins macht, – man kann nur seine Unabhängigkeit verlieren. Der Dandy achtet auf nichts so sehr, wie auf die Erhaltung seines individuellen Freiraums. Brummell war nicht einschätzbar. So wird in der Moderne mit ihrer immer weiter zunehmenden Reglementierung und Überwachung des Einzelnen Dandytum immer schwieriger – zugleich auch immer notwendiger. Ernst Jünger, der größte deutsche Dandy, bemerkte 1983 rückblickend in einem Brief „Meine heutige Wertung ist nicht politischer, sondern stilistischer Natur. Insofern scheint mir, daß ich damals unter mein Niveau gegangen bin, aber nicht deshalb, weil ich mich als Nationalist, sondern weil ich mich überhaupt beteiligte.“

Wie für eine kommende Dandy-Sekte gemacht, edierte der Matthes & Seitz Berlin Verlag die kleine Schrift von Jules Amédée Barbey d’Aurevilly Über das Dandytum und über George Brummell, ursprünglich 1844 erschienen, nicht nur erstmalig vollständig in Deutsch, sondern auch in einer wunderbaren, geradezu kongenialen Übersetzung von Gernot Krämer. Ein informativer Anhang debattiert unter anderem Barbey d’Aurevilly als Dandy. Die Fadenheftung mit Lesebändchen und die schwarze Einbindung sind für Dandys stille Zeichen der Übereinstimmung.

Jules Barbey d’Aurevilly: Über das Dandytum und über George Brummell. Aus dem Französischen von Gernot Krämer, Matthes & Seitz Berlin 2006, 190 S,. 19, 80 Euro.

http://www.matthes-seitz-berlin.de/scripts/buch.php?ID=64#