Chantal Thomas‘ joviale Geschichte der Konversation mit einer Titelvignette von Karl Lagerfeld
© Steidl Verlag/Karl Lagerfeld 2012
DANDY-CLUB Geschenk-Tipp No. 4:
Chantal Thomas, Die Kunst der Konversation.
Aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz.
L.S.D. Verlag 2012, 102 Seiten, gebunden in Leinen, mit einer Titelvignette von Karl Lagerfeld, 16 Euro.
Was ist Konversation? Wozu braucht man sie überhaupt?
»Der Grund, weshalb das Niveau der Konversation gegenwärtig derart tief ist«, zitiert Chantal Thomas in ihrem kleinen Büchlein Die Kunst der Konversation, unter der Überschrift »Heute« Jonathan Swift aus einem fernen Jahrhundert, der Grund »liegt nicht an mangelndem Verstand, sondern an Stolz, an der Eitelkeit, an schlechter Gesinnung, an Affektiertheit, an Abseitigkeit, an der Sucht, sich zu behaupten, oder an einem anderen Laster – alles Ergebnis einer verkehrten Erziehung.« Das tröstet uns insoweit, als dass wir erfahren: Das grausige Benehmen ist keine Erfindung unserer Tage. Das scheint es schon früher gegeben zu haben.
Die französische Autorin erzählt uns eine Geschichte der Konversation anhand von drei berühmten Salons: dem im Blauen Zimmer der Madame de Rambouillet, bei Madame du Deffand und im Schloss der Madame de Staël. Damit wird die Geschichte ziemlich umfassend erzählt, denn diese drei Salons fanden im 17., im 18. und der der Madame de Staël im 19. Jahrhundert statt.
Catherine de Vivonne Marquise de Rambouillet (1588-1665) machte aus ihrem Stadtpalais eine Begegnungsstätte, in der sich nicht nur Höflichkeit und die Kunst der Konversation entfalten sollten. Der Adligen war es daran gelegen, auch den Talenten für das Theater und für Sprach- und Gesellschaftsspiele einen Raum zu geben, wie Chantal Thomas berichtet. Sie schildert das Blaue Zimmer als ein Prunkgemach, das durch seine bühnenbildartige Gestaltung eine spirituelle Wirkung auf seine Gäste entfalten sollte. Wie ein Regisseur habe sich die Marquise darauf verstanden, in ihren begrenzten Räumlichkeiten eine Illusion von Tiefe zu schaffen. Aus ihrem Haus hätte sie einen Palast gemacht, aus dem Garten darum eine ganze Landschaft. »Die Stammgäste des Blauen Zimmers benehmen und unterhalten sich«, schreibt Chantal Thomas, »wie in einem Roman. Sie geben sich Namen, spielen Romanszenen nach, ersinnen immer neue Episoden. Sie bewegen sich wie in einem Feenspiel.«
Die Marquise du Deffand beginnt ab dem Jahr 1747 in ihrer Wohnung im Kloster Saint-Joseph, ihre Gesellschaft zu empfangen. Die Wände sind bespannt mit einem roten Moiréstoff voller Schleifen. Die Marquise wollte nach einem eher wilden Vorleben im Alter von 50 Jahren nicht mehr von anderen Gesellschaften abhängig sein – und lud sich ihre eigenen ein. Chantal Thomas schildert sie als zugleich schwierig und charmant, eine »fordernde und zärtliche, sarkastische und liebevolle Persönlichkeit, häufig gehässig« und dabei dennoch zutiefst treu. Madame du Deffand residierte in einem hohen Korbsessel, der mit dem Rücken zum Eingang stand, und lies Lesungen stattfinden, die sie selbst reglos verfolgte aber von möglichst lebhaften Erwiderungen unterbrechen ließ.
Madame de Staël war selbst in einem Salon aufgewachsen. So war es ihr beinahe in die Wiege gelegt, selbst später einen zu gründen. Doch der Salon ihrer Mutter diente einem klar umrissenen Zweck: er hatte der Karriere des Mannes, des Bankiers Jacques Necker, zu dienen.
So war es diese umfassende Erfahrung in den Dingen der Konversation, die es der Madame de Staël erlaubte, die gepflegte Gesellschafts-Unterhaltung in ihren Romanen umfassend zu beschreiben. In ihrem Buch Über Deutschland schreibt sie:
»Die Art des Wohlbefindens, welche eine belebte Unterhaltung gewährt, besteht gerade nicht in dem Gegenstande dieser Unterhaltung; nicht die Ideen und die Kenntnisse, die man darin entwickeln kann, bilden das Haupt-Interesse. Dies geht hervor aus einer gewissen Manier, aufeinander zu wirken, sich gegenseitig und rasch Vergnügen zu machen, so schnell zu sprechen wie man denkt, sich selbst mit Wohlgefallen zu empfinden, Beifall ohne Anstrengung zu ernten, seinen Verstand in allen Abstufungen durch Ton, Gebärde und Blick zu offenbaren und, nach Belieben, eine Art von Elektrizität hervorzubringen, deren sprühende Funken die Lebhaftigkeit der einen mäßigt und die unangenehme Apathie der anderen verbannt.«
© Matthias Pierre Lubinsky