Emmanuel Bove – Begegnung

Deutsche Erstveröffentlichung: Emmanuel Boves Kurzgeschichten
© Lilienfeld Verlag unter Verwendung eines Bildes von Ruprecht von Kaufmann

 

 

Emmanuel Bove, Begegnung und andere Erzählungen. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Thomas Laux. Lilienfeld Verlag, Düsseldorf 2012. 448 Seiten, Halbleinen, Fadenheftung, Leseband, 24,90 Euro.

 

Als der französische Schriftsteller Emmanuel Bove nach seiner Herkunft gefragt wird, gibt er Erstaunliches zu Protokoll. Er gestehe, so sagt er, dass sein Problem jenes des Schauspielers sei, »der plötzlich den Text seiner Rolle vergessen hat und gezwungen ist, die Repliken zu erfinden oder sich schlecht und recht bei den Zuschauern zu entschuldigen«. Da war Emmanuel Bove gerade einmal knapp 30 Jahre alt. Aber immerhin hatte er schon vier Bücher veröffentlicht. Heute gilt Bove als Klassiker der Moderne. Erheblichen Anteil daran hat Peter Handke, der mit seinen Übersetzungen seinen  französischen Kollegen in Deutschland überhaupt erst bekannt machte. Bei Suhrkamp erschienen in den 1980er-Jahren von Handke übersetzt Meine Freunde, Armand und Bécon-les-Bruyères.

Nun erscheint im kleinen Düsseldorfer Lilienfeld Verlag eine Sammlung von Geschichten Boves, viele von ihnen in deutscher Erstveröffentlichung. Die französische Originalausgabe der Geschichten aus der gesamten Schaffenszeit von Bove erschien 203 bei Le Castor Astral unter dem Titel Monsieur Thorpe et autres nouvelles.

Was die Prosa von Emmanuel Bove verbindet, ist das Scheitern, dieses allzu weltliche und nachvollziehbare Versagen am Leben und seinen  Anforderungen.

Wenn ich mich recht entsinne, war ich damals maßlos und für jeden sichtbar schüchtern. Daß man mich verdächtigen könnte, einen bösen Gedanken zu hegen oder auf einen eigenen Vorteil aus zu sein, machte mich krank. Der kleinste Vorwurf brachte mich aus der Fassung. Für nichts und wieder nichts errötete ich. Und dennoch, trotz meiner Skrupel, beging ich unaufhörlich Taktlosigkeiten.

Dies könnte als Motto über Emanuel Bove, seinem Leben und seinem Werk stehen. Denn er war ein Mann, mit allem, was dazu gehört und gleichzeitig ein sensibler Selbstbeobachter und Frauenversteher im besten Wortsinn. So handeln seine Geschichten vom Fremdgehen, von der Sehnsucht nach Freiheit und der Ambivalenz des Mannes, von Geborgenheit zu wissen und gleichzeitig die Vereinnahmung abwehren zu müssen.

Er sah nur eine Möglichkeit: Reißaus nehmen, so wie es in bestimmten Romanen passiert, unvermittelt aufbrechen, verschwinden. Aber er wußte, daß das seine Kräfte überstieg. Wie feige es auch gewesen wäre! Simone liebte ihn doch! Außerdem hätte sie dann nichts mehr! Und welch grauenhafte Vermutung würde sich aus solch einer Tat herleiten lassen?

Emanuel Bove wurde 1898 in Paris geboren, wo er auch 1945 starb. Sein Vater war ein russischer Lebemann, seine Mutter ein Dienstmädchen aus Luxemburg. Vor und neben seiner schriftstellerischen Arbeit musste er sich mit Gelegenheitsjobs durchschlagen. In all seinen Texten blickt er hinter die Moral der bürgerlichen Gesellschaft, die Regeln aufstellt, die sie permanent bricht. Am genauen Hinsehen hat Bove Freude. Seine Figuren, pardon seine männlichen Protagonisten, sind eigentlich permanent auf der Flucht. Entweder, sie überlegen, wie sie aus ihrem vereinnahmenden, eintönigen Dasein wegkommen können – oder sie hauen wirklich ab.

Er spürte, daß ein Aufbruch, einer, der geplant war, abscheulich gewesen wäre, während jetzt, dadurch, daß er litt, dadurch, daß er nicht mehr gekonnt hatte und er ohne irgend etwas fortgegangen war, ihm – na ja – irgendwie verziehen war.

Die bibliophile, in Halbleinen gebundene Ausgabe vereint 24 Erzählungen, davon zwei Drittel in deutscher Erstveröffentlichung. In einem Nachwort gibt Übersetzer Thomas Laux Hintergrundinformationen. Laux, der zuvor schon sieben Romane von Emanuel Bove ins Deutsche übersetzt hat, schreibt, Bove vivesiziere in seinen Erzählungen »die kleinsten Hirnwindungen seiner Figuren«. »Er versieht seine Geschichten freilich immer wieder mit einem leisen, ihm sehr eigenen  Humor, worin die einzelnen psychologischen Verschränkungen und Widersprüche eher distanziert und schließlich doch, so hat es den Anschein, mit maliziösem Schmunzeln aufgedeckt werden.«

© Matthias Pierre Lubinsky