Paul Klee – Die Engel

Paul Klee, Angelus novus, 1920, 32



Paul Klee, Die Engel.
Ausstellung im Zentrum Paul Klee, Bern noch bis 20. Januar 2013.
Katalog Hatje Cantz Verlag, Ostfildern 2012, 151 Seiten, etwa 120 farbige Abbildungen, 29,80 Euro.

 





Paul Klee (1879-1940) gehört zu den bedeutendsten Künstlern der Klassischen Moderne des 20. Jahrhunderts. Er wird heute angesehen als eine Art deutscher Picasso. Eine Ausstellung und ein begleitendes Künstlerbuch widmen sich einer speziellen Werkgruppe Klees: den Engeln.

Über allem thront Angelus novus, Paul Klees ikonographisches Bild von 1920. Es ist kunsthistorisch derart bedeutungsschwer aufgeladen, dass die Gefahr besteht, sich diesem Werk gar nicht mehr vorurteilsfrei nähern zu können. Dabei wurde die Rezeptionsgeschichte dieses Bildes noch überhöht, als der Suhrkamp Verlag ein Buch mit Texten Walter Benjamins den Titel Angelus Novus gegeben hat. So lohnt es sich, die Historie seines Besitzes zu vergegenwärtigen, die für sich ein veritabler Kulturkrimi ist.

Im Frühjahr 1940 entwarf der Philosoph Walter Benjamin im Pariser Exil eine experimentelle Reflexion: 15 geschichtsphilosophische Thesen bilden Über den Begriff der Geschichte. Darin enthalten ist ein kurzer Text über Paul Klees Angelus novus:

»Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muß so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert…«

Benjamin ging es weniger um eine enge Interpretation des Bildes, als vielmehr eine geschichts-philosophische Ableitung, die durch das Werk motiviert ist. Weiß man, dass das Bild Benjamin gehörte und jahrelang in seiner Wohnung hing, so kann dies nicht verwundern. Der marxistische Philosoph hatte das Bild im Mai 1921 für 1.000 Mark in der Galerie Goltz am Odeonplatz in München erworben. Benjamin hängte das Bild in seinem Arbeitszimmer in der Berliner Wohnung über das Sofa. Als er sich 1932 mit Suizidgedanken trug, verfasste er ein Testament, in dem er seinen engen Freund und Studienkollegen Gershom Scholem als Erben des Bildes einsetzte. Benjamin ging es vor allem darum, das Bild in sicheren Händen zu wissen. Scholem war nach Jerusalem emigriert. Um 1935 schmuggelte eine Bekannte Benjamins das Bild von Berlin nach Paris, wohin der 1933 vor den Nazis geflohen war. 1939 erwog Benjamin halbherzig, »das einzige wichtige und verkäufliche Objekt«, das ihm verblieben war zu veräußern, um damit seine Überfahrt in die Vereinigten Staaten zu finanzieren. Im Rahmen der Vorbereitung seiner Flucht aus Europa verstaute Benjamin das Bild in einem Koffer, in dem es nach Amerika zu Theodor W. Adorno gelangte. Der nahm es nach dem Krieg nach Frankfurt am Main mit. In den 1960er-Jahren entspann sich ein Streit zwischen Scholem und Benjamins Sohn, der das Bild nach Adornos Tod erhalten hatte. Nach dem Tod von Stefan Benjamin wurde das Werk durch Vermittlung des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld an Scholem ausgehändigt. Seine Frau und er schenkten es 1987 dem Israel Museum in Jerusalem, wo es seitdem öffentlich zugänglich ist.

Die Engel Paul Klees spiegeln sein gesamtes Schaffen: Für ihn symbolisierten sie höhere Wesen. Und waren zugleich völlig weltlich. Sie standen gleichzeitig für Spiritualität und Skepsis und nötigem Zweifel gegenüber Religion und kirchlichem Glauben. So sind die Engel bei Paul Klee niemals nur schön oder entsprechen irgendwelchen Idealen. Sie sind dem menschlichen Dasein verhaftet, durchaus auch hässlich oder mit Makeln versehen. – Es lohnt sich, sich auf die Engel Paul Klees einzulassen.





Die Ausstellung ist noch bis zum 20. Januar 2013 im Zentrum Paul Klee in Bern zu sehen.
Ab dem 1. Februar 2013 im Museum Folkwang, Essen und ab dem 26. April 2013 in der Hamburger Kunsthalle.