Unzucht im Schnee – Über Denunziantentum und staatlichen Übereifer

Unzucht im Schnee. Perversion in den Lasterhöhlen nördlich des Polarkreises. Diese Neuausgabe ist beim Antiquar Feucht erhältlich. Sie erinnert an seine Hausdurchsuchung vor 20 Jahren.
Dem Staatsanwalt war die Ironie des Untertitels entgangen. Und dass das Buch ein Blindbuch ist.




»Unzucht im Schnee« lautet der Titel eines skurrilen Bändchens, das durch einen Akt staatsanwaltlicher Überaktivität zu einer Neuauflage kam. Der Untertitel: »Perversion in den Lasterhöhlen nördlich des Polarkreises«.

Doch erzählen wir die Geschichte, die sich vor genau 20 Jahren ereignete, der Reihe nach. Diese Geschichte ist so haarsträubend, dass man kaum glauben kann, sie habe sich in der ach so freiheitlichen Bundesrepublik anno 1991 zugetragen.

Rainer G. Feucht hatte damals ein Antiquariat im schwäbischen Allmendingen nahe Ulm. Doch war er nicht irgendein kleiner Antiquar, wie es so viele gibt. Der 1950 Geborene war bereits zu dieser Zeit einer der bedeutendsten Buchhändler alter Erotica und anderer Randbereiche der Kulturgeschichte wie Hexenwesen, Vampirismus oder Homosexualität. Seine Kunden sind seit vielen Jahren Wissenschaftler, Sammler, Schriftsteller. Seine Kundenkartei hat sicher so manchen prominenten Namen zu bieten, auch wenn der Antiquar dazu natürlich schweigt.

Eine Handvoll Polizisten drang Anfang Januar 1991 in die kleinstädtische Idylle ein und klingelte bei Rainer Feucht: Hausdurchsuchung. Einer der Staatsdiener hatte eine Liste bei sich, auf der zu beschlagnahmende Bücher standen. Die Titel stammten aus einem umfangreichen Katalog, den der Händler neun Jahre zuvor (Sie haben richtig gelesen; in Zahl: 9) verschickt hatte. Einer dieser Titel war das perverse Sex im Schnee-Buch. Im Katalog beschrieben: »P. Ervers (!), Unzucht im Schnee (…) MCHN, Verlagsanstalt Schutz und Schmund (sic), (…) etwas gebräunt, Rücken blättert etwas ab (…) Ein ‚Leerbuch‘ mit weißen Blättern. 28,-.« Insgesamt nahmen die Polizisten zwei Kisten voller Bücher mit. Alle harte Pornographie, wie sie vermuteten. Darunter auch die Erinnerungen der Josefine Mutzenbacher in 10 Exemplaren, einschließlich der raren und gesuchten Erstausgabe. Nur leider hatte das Bundesverfassungsgericht wenige Monate zuvor just dieses Buch in Schutz genommen: Es hob die Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf und betonte, das Grundrecht auf Kunstfreiheit überwiege.

Aufgrund der Denunziation eines Kollegen war es zu der Maßnahme gekommen. Gegen den Händler von Pornoheften war ermittelt worden wegen Verbreitung von Pornographie. Durch ‚Kooperation‘ mit der Staatsanwaltschaft kam er mit einer Geldbuße in Höhe von 500 Mark davon. Seine Kooperation war die Denunziation von renommierten Antiquaren im gesamten Bundesgebiet. Peinlich nur, dass nicht ein einziges der bei Feucht beschlagnahmten Bücher auf dem deutschen Index stand. Noch peinlicher, dass in Feuchts uraltem Katalog, den der ermittelnde Staatsanwalt hatte, die »Unzucht im Schnee« schön bürokratisch gelb-gemarkert war. Eine bibliophile Skurrile; – ein Blindbuch mit lediglich weißen Blättern, sollte nun der Überführung eines bedeutenden Antiquars dienen. Dem Ermittler schien auch die Ironie des Untertitels entgangen zu sein. Wo ist »nördlich des Polarkreises«?

Antiquar Feucht scheint wegen eines erheblichen Medienechos vor 20 Jahren und vieler Briefe bekannter Autoren, anerkannter Wissenschaftler und sogar eines Staatsanwaltes, die ihn als honorigen und kenntnisreichen Buchhändler in Schutz nahmen, aus der Sache glimpflich herausgekommen zu sein. Doch lustig ist das Ganze nicht: Die Rechtslage hat sich bis heute nicht geändert. Noch immer übt der Staat mittels eines Indexes, auf dem tausende von Büchern stehen, Zensur aus. Und Rainer Feucht trug erheblichen finanziellen und nervlichen Schaden davon.

Rainer Feucht hält heute Vorträge über diese tiefsitzende Erfahrung. Er betont, das Gleiche könne jedem Antiquar jederzeit passieren.

P. Ervers, Unzucht im Schnee. Perversion in den Lasterhöhlen nördlich des Polarkreises. Erheblich verbesserte Neuausgabe, ehemals Verlagsanstalt Schutz und Schmund, jetzt: Mühlstedt, in diesem Jahr, als Fasnet noch Ostern war. „Zum volkstümlichen Preise von € 12,50“ erhältlich bei

Rainer G. Feucht
BMCF-Antiquariat
Versand-Antiquariat und Buchhandel
89597 Munderkingen
Telephon: (07393) 95 24 31
Der Buchbestand ist gelistet bei www.antiquariat.de, antbo und ZVAB.