Szczepan Twardochs atemberaubender Roman
über das Unterwelt-Warschau der Zwischenkriegszeit
© Rowohlt Berlin Verlag 2018
Szczepan Twardoch: Der Boxer
Roman aus dem Polnischen von Olaf Kühl
464 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag,
Rowohlt Berlin Verlag, 22,95 €.
Szczepan Twardoch rekonstruiert in seinem Roman Der Boxer das Unterwelt-Leben im Warschau der Zwischenkriegszeit. Seine Erzählweise ist wahrhaft atemberaubend. Dabei ist das Buch vielmehr als ein Thriller, wie häufig geschrieben. – Ein Roman, den man aushalten muss.
Jakub Shapiro ist ein hoffnungsvoller junger Boxer: schnell, ehrgeizig und gutaussehend. Attribute, die den Warschauer Unterwelt-Paten Kaplica ihn zu seinem zweiten Mann machen lassen. Schnell steigt der Jude Shapiro auf. Zu seinen Talenten gehört auch, dass er kaum von Skrupeln geplagt wird. Für die Organisation treibt er effektiv das geforderte Schutzgeld ein. Nachdem er bei einem bedeutenden Boxkampf – als Jude – gegen einen nicht jüdischen Gegner obsiegt, kann ihn nichts mehr aufhalten. In seinem jüdischen Viertel bewundern ihn alle. Die Leute grüßen ihn; er braucht meist nicht zu bezahlen.
Die Situation ändert sich wenige Jahre später, als der europäische Bürgerkrieg auch Polen erfasst. Linke und rechte, nationale und antisemitische Gruppierungen werden immer stärker. Szczepan Twardoch schildert einen faschistischen Putschversuch, der so nicht stattgefunden hat. Das schadet dem Plot allerdings nicht. Ähnlich ist die Entwicklung bis 1939 in Polen verlaufen. Die Ereignisse überschlagen sich, und der Autor spart nicht an exzessiv geschilderter Gewalt.
Die Geschichte soll hier nicht verraten werden. Soviel nur: Der Roman ist heftig, nichts für schwache Nerven. Man muss dieses Buch aushalten können. Dies spricht jedoch mehr für die Qualität als gegen sie. Unsinnig ist die Empfehlung der Rezensentin der Süddeutschen Zeitung, der Leser solle seine Lektüre bei Seite 350 beenden, weil sich der Autor ab da nur noch in einer Gewaltorgie verliere. Das Buch hat über 450 Seiten.
Immer wieder blickt der Erzähler zurück, respektive steht urplötzlich von seiner Schreibmaschine auf – und spricht von seinem Blick aus der kleinen Wohnung in Tel Aviv, wo er gerade in seiner kleinen Wohnung sitze, um dies alles aufzuschreiben… Szczepan Twardoch gelingt es, beim Leser für Irritation zu sorgen und die Spannung zu erhöhen.
Szczepan Twardoch wurde 1979 geboren. Mehrere seiner Romane wurden bereits ausgezeichnet. Twardoch studierte Soziologie und Philosophie an der Schlesischen Universität in Katowice.
Der Boxer ist von ungeheurer Schnelligkeit; man mag das Buch nicht aus der Hand legen, will man doch unbedingt wissen, wie es weitergeht. Es gibt immer wieder überraschende Wendungen. – Nicht nur sein Schluss macht diesen Roman zu großer Literatur.
Dabei greifen all die Kritiker zu kurz, die den Roman als bloßen Thriller bezeichnen.
Der schlesische Autor zeigt Unterwelt-Juden im Warschau vor dem Zweiten Weltkrieg, die verstrickt sind in Schuld und Sühne. Sie werden Opfer politischer Veränderungen, nachdem sie Täter waren. Sieben Jahrzehnte nach dem Völkermord an den europäischen Juden zeigt ein junger polnischer Autor ein historisches Bild, das vielschichtiger ist, als es in deutschen Schulbüchern steht.
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