Derek Jarman – Die Skizzenbücher

Derek Jarman mit einem seiner Skizzenbücher, London 1986
© Photo Camera Press/ Paul Rider

 

 

Derek Jarman, Die Skizzenbücher, herausgegeben von Stephen Farthing und Ed Webb-Ingall, Deutscher Kunstverlag 2013, 256 Seiten, Halbleinen, 48 Euro.

 

Für Derek Jarman (1942-1994) waren seine Skizzenbücher das, was das Atelier für Alberto Giacometti war: Brutstätte des zu Schaffenden, Sammel-Punkt des einzelnen Werkes. Ideenschmiede. Das Zuhause für die Gedanken – letztlich der Bezugspunkt von Geist und Intuition.

 

Das jeweilige Buch lag stets beim Dreh neben Derek Jarman. Räumlich zwischen ihm und seinem Kameramann. In diesen Büchern sammelte der Filmemacher für jedes Projekt Ideen, Gedanken, die er anreicherte mit Notizen, Zeitungsartikeln Zeichnungen, Skizzen für den zukünftigen Dreh. Aber auch mit Pflanzen, Blättern. In einem findet sich eine Postkarte mit dem Aufdruck: »This is shit but we think you’ll like it.«



Aus Anlass des 20. Todestags des Künstlers präsentiert nun ein liebevoll gestaltetes Buch Die Skizzenbücher, wie sein Titel lautet. Sie gestatten nicht nur einen Einblick in die Gedankenwelt des 1994 an Aids Verstorbenen. Sie legen auch Zeugnis ab von der Magie, die Jarman in diese Bücher legte – und aus der er wiederum das Potenzial für seine Filme schöpfte. Häufig begann er ein neues Projekt mit der Weihung eines neuen Buches: Den originalen Luxus-Einband, der meist aus Leder oder Schmuckpapier besteht, überzog er mit einer dicken Farbschicht, meist in Schwarz. Anschließend verzierte er diesen mit Blattgold oder Tinte. Auf einige Einbanddeckel klebte er winzige Muscheln oder einmal eine kupferne Fliege.

 

Für den außergewöhnlichen Filmemacher und Aktivisten war sein gesamtes Schaffen ein einziges Gesamtkunstwerk. Ob seine verschiedensten Filme, sein Garten, der ihm zur Kontemplation diente, über seine Bühnenbilder bis zu seinen gesellschaftlichen und politischen Statements: Es lässt sich kaum eine sinnvolle Grenze zwischen den Bereichen ziehen. Als Jarman in den 1980er Jahren seine Wohnung in bester Londoner Lage räumen musste, weil sie luxus-saniert wurde, veranstaltete er zuvor eine Zerstörungs-Party in bester Punk-Manier, die er auf Super 8 filmte.

 

Derek Jarman gehörte zur politisch engagierten Schwulen-Szene Londons. Er kämpfte subversiv gegen die Thatcher-Politik. An seiner Seite standen viele andere Avantgardisten und Künstler. Einige von ihnen sind heute weltberühmt und mitten im Mainstream angekommen, wie die Pet Shop Boys. Viele, die ihre bekannten Songs mitsummen, ahnen nichts von den Texten, die sich gegen die Allmacht des Geldes wenden. Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde Derek Jarman durch die Musik-Videos, die er für die Pop-Band drehte. Neil Tennant schildert in dem Buch die Zusammenarbeit und das persönliche Verhältnis zu dem engagierten Film-Künstler.

 

Die Skizzenbücher von Derek Jarman sind auch ein bibliophiler Genuss
© Deutscher Kunstverlag 2013

 

 

In seinem letzten Film Blue (1993) thematisiert Jarman den vollständigen Verlust seiner Sehkraft. Es ist ein Film ohne bewegte Bilder. Der Zuschauer sieht eine blaue Leinwand und hört Jarman mit Freunden über seine Krankheit sprechen. Ohne Beschönigungen. Ohne Filter. Der heftige Film endet mit einem Vermächtnis:

 

»Denn unsere Lebenszeit ist wie ein flüchtiger Schatten, und unsere Leben eilen wie Funken durch die Stoppeln. Ich pflanze einen Rittersporn, blau, auf dein Grab.«