Revolte im Geiste des Dandytums

jetzt, das Jugendmagazin der Süddeutschen Zeitung, rezensiert Blixa Bargelds aktuelles Buch Europa kreuzweise – Eine Litanei:

„Ein ironischer Mega-Snob geht sehr gut essen: Blixa Bargeld vollzieht noch einmal die notwendige Pop-Konterrevolution. Tourtagebücher sind eine besondere, unliterarische Erzählgattung (…)

Wenn in einem Tourtagebuch aber weder andere Stars noch steile Erlebnisse mit nackten und irren Fans auf den geilsten Backstage-Parties aller Zeiten vorkommen, stattdessen Speisekarten von Feinschmeckerrestaurants, einsame Besuche in Gemäldesammlungen und kurze Betrachtungen über die Ursprünge des Korans im Syro-aramäischen, dann handelt es sich um eine Insider-Revolte im Geiste des Dandytums (… )

Blixa Bargeld, Sänger der Einstürzenden Neubauten, ist der alte Punk, der diese neue Punk-Haltung in der dandyesken Verweigerung des Pop-Star-Mainstreams kultiviert. Unter größtmöglicher Vermeidung von Nebensätzen und Ausführlichkeit beschreibt Bargeld in ‚Europa, Kreuzwege, eine Litanei‘ die Tournee der Einstürzenden Neubauten zur Veröffentlichung von ‚Alles Wieder Offen‘ 2008 als knappe Bekenntnisse eines ironischen Mega-Snobs. Tour-Alltag, das heißt für Bargeld vor allem die ständige Sorge, in verdauungstechnisch relevantem Abstand zu dem abendlichen Konzert in den Metropolen Europas noch einen Tisch im besten Restaurant der Stadt zu ergattern. Hier lästert er dann über das ‚übliche Gesocks für ein besterntes Restaurant‘, bestehend aus ‚Politikern, lauten Amis, Russen mit Hosenträgern‘, stellt fest, dass es im besten Restaurant der Welt, dem El Bulli von Ferran Adrià, wo er nicht etwa ein Jahr auf einen Tisch warten musste, wie andere Gäste, sondern sofort bedient wurde, außer einem Hasenohr fast kein Fleisch gibt, und erzählt, wie er im ‚Norma‘ in Kopenhagen dem Koch seinen Respekt auf einem Zettel neben der Kreditkartenabrechnung hinterlassen hat, und ’sowas mach ich selten‘. Völlig ernst gemeint und ungebrochen wäre diese „Tournee de Culinaire“ natürlich unerträglich. Aber es ist das Kennzeichen jedes guten Dandys seit Erfindung dieses Menschenschlags durch Beau Brummell im Regency, dass er seinen vermeintlich überlegenen Stil mit Witz und Ironie gegen kalte Arroganz behandelt. Wer diese feinsinnige Selbstdistanzierung nicht hinbekommt, der gemeindet sich ein in Bargelds „Gesocks“, das einen Besuch im „Fat Duck“ oder „El Bulli“ ebenso humorlos als Statussymbol braucht wie Rapper ihre Ketten, Autos und wackelnden Ärsche (…)
TILL BRIEGLEB

BLIXA BARGELD: Europa kreuzweise. Eine Litanei. Residenz Verlag, St. Pölten 2009. 128 Seiten, 14,90 Euro.

http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/479164

Photo: Residenz Verlag