Ausstellung: Bucerius Kunst Forum, Hamburg
noch bis 11. September 2022
Katalog: Hirmer Verlag, München
288 Seiten mit 318 Abbildungen in Schwarz-Weiß. 45 Euro.
Das Bucerius Kunst Forum, Hamburg präsentiert die erste Retrospektive zu Herbert List (1903 – 1975) seit über zwei Jahrzehnten. Mit rund 240 Vintage-Prints, Erstausgaben von Publikationen und bislang selten ausgestellten Photographien vermittelt die hochkarätige Schau einen fulminanten Einblick in das photographische Schaffen des gebürtigen Hamburgers.
Herbert List, 1903 als ältester Sohn eines Kaffeehändlers in Hamburg geboren, tritt mit 20 Jahren in die elterliche Firma ein. Monatelange Reisen zu Kaffeeplantagen in Brasilien und Mittelamerika motivieren ihn zu einem mobilen und an fremden Kulturen interessierten Lebensstil mit der Kamera. Im Jahr 1936 entscheidet sich List, die Photographie zum Beruf zu machen. Im selben Jahr sieht er sich gezwungen, Deutschland zu verlassen. Er geht zuerst nach Paris, um nur kurze Zeit später für mehrere Monate zu Griechenland zu reisen. Hierher wird er sein Leben lang immer wieder zurückkehren, um Aufnahmen im Geiste des seit 1900 wirkenden Jünglingskultes zu machen. Da Griechenland im April 1941 von Deutschland besetzt wird, muss er wiederum fliehen. Er geht nach München, wo er den Rest seines Lebens sesshaft sein wird.
Die Ausstellung beginnt mit Hamburg als dem Ausgangspunkt von Lists Photo-Laufbahn. Angeregt durch seinen Freund Andreas Feininger, der ihn von dem Erwerb einer Rolleiflex-Kamera überzeugt, intensiviert er 1930 seine Photographie. Geschult am Blick berühmter Vorbilder wie Brassai widmet er sich nächtlicher Stadt-Szenen.
In den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg experimentiert List mit Stillleben, die an der Neuen Sachlichkeit orientiert sind. Durch das gesamte Werk von Herbert List ziehen sich Aufnahmen von jungen, athletischen Männern. Sie gelangen in der Sonne Hellas besonders gut und sind zugleich als Bekenntnis zu seiner Homosexualität zu verstehen. Nach dem Krieg geht Herbert List auf ausgedehnte Reisen. Neben Griechenland zieht es ihn nach Italien. In Rom und Neapel entstehen eindrückliche Moment-Aufnahmen eines sensiblen Flaneurs. Später erweitert er sein Schaffen um das Portraitieren von berühmten Künstlern. Es entstehen eindrucksvolle Portraits unter anderen von Picasso, Pasolini und Ingeborg Bachmann.
Ende der 1960er Jahre schwindet Lists Interesse an der Photographie, und er widmet sich hauptsächlich seiner Sammlung italienischer Meisterzeichnungen aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. List stirbt am 7. Oktober 1973 in der Toscana.
Zur Ausstellung erscheint ein empfehlenswerter Katalog im Münchener Hirmer Verlag. Auf über 300 Seiten dokumentiert das gebundene Buch 318 (fast ausschließlich) Schwarz-Weiß-Photographien. Lesenswerte Texte veranschaulichen Leben und Werk von Herbert List, ohne sich in wissenschaftlichen Ausschweifungen zu verlieren. Die Reproduktion der Photos ist hochwertig, sodass der wohlfeile Band jede Photobuch-Sammlung bereichert.
© Matthias Pierre Lubinsky 2022