Zweiundzwanzigste Etappe

Die Zweiundzwanzigste Etappe
© Etappe 2015

 

 

Zweiundzwanzigste Etappe.
Herausgegeben von Heinz-Theo Homann, Bonn-Bad-Godesberg 2015, 186 Seiten, Ppb, 12,- Euro.

 

 

Harry Graf Kessler berichtet in seinem Tagebuch unter dem Datum des 8.12.1929 von einem mondänen Diner mit fadem Beigeschmack: »Gegessen bei Baby Goldschmidt-Rothschild am Pariser Platz. 8-10 Personen, kleines Diner, äusserster Luxus, vier unschätzbare Meisterwerke von Manet, Cézanne, van Gogh, Monet an den Wänden, 30 Briefe von van Gogh in einem überreichen, hässlichen Einband wurden nach Tisch zu Cigarretten und Kaffee herumgereicht. Armer van Gogh! Man empfindet schließlich pogromhaft: diese Leute müsste man totoschlagen. Nicht Neid, sondern Ekel über diese Verfälschung u. Verflachung geistiger u. künstlerischer zu bloß materiellen Werten, zu Gegenständen des ‚Luxus‘.«


Dieses literarische Fundstück ist Teil der neuen Rubrik Quintessenz & Konzentrat – Ausgewählte Einsendungen in der Zweiundzwanzigsten Etappe. Lange hat er auf sich warten lassen, der Almanach für Politik, Kultur & Wissenschaft, wie nun der Untertitel lautet. Von einigen Tausend treuen Abonnenten sehnlichst erwartet, wird das Periodikum stets aus vielerlei Gründen. Als ersten natürlich die Texte: Der Herausgeber Heinz-Theo Homann  holt so manches quasi verschollene Fundstück wieder an die Oberfläche, was der Leser von allein wohl kaum entdeckt hätte. Dazu kommt eine skurril-dadaistisch-ästhetische Gestaltung. Und last but not least wird die Sehnsucht der Leser noch gesteigert durch die lang gewordenen Intervalle zwischen den einzelnen Ausgaben.

 

Die Etappe bezeichnet übrigens in der Militär-Logistik den Ort für die Vorräte der marschierenden Truppe. Das dem Impressum beigefügte Geleit enthält neben anderen den schönen Sinnspruch von Wilhelm von Oranien: »Wir brauchen nicht zu hoffen, um handeln zu können, noch müssen wir Erfolg haben, um Standhaft zu bleiben.«


Die Zweiundzwanzigste Etappe eröffnet wiederum mit Sven Knebels Adnoten aus der Hauptstadt, in denen der Autor Aktuelles aufspießt. Dieses Mal beschäftigt er sich mit Google Books und schaut genauer in die digitale Bibliothek. Knebel sucht Bücher zum Thema Katholische Scholastik zwischen 1600 und 1700 – und wird erstaunlich fündig.

 

Thomas Kuzias beschäftigt sich mit Kulturmarxismus – und wird ebenfalls auf erstaunliche Weise fündig: nämlich eher in den USA als in Deutschland.

 

Ein absolutes intellektuelles Leckerli in der neuen Ausgabe ist das ausführliche und kluge Gespräch, das D. Tsaknias mit dem griechischen Philosophen Panajotis Kondylis führte. Ein weiteres Zeugnis für den Zustand der deutschen Presselandschaft, daß es erst jetzt – 17 Jahre nach dem Erscheinen im April 1998 in Athen – erstmals ins Deutsche übertragen publiziert wird. Kondylis, der nur knapp drei Monate später starb, war einer der bedeutendsten Philosophen der Gegenwart. Chapeau Etappisten!

 

Vieles hätte verdient, erwähnt zu werden. Beschränken wir uns noch auf Franz Bleis Viertes Intermezzo, das wohl aufgrund seiner denkerischen Freiheit seit Jahrzehnten nicht mehr veröffentlicht wurde. Franz Blei (1871-1942) war Übersetzer, Romancier, Literaturkritiker und Herausgeber vieler Bücher über das elegante Leben. In seinen intelligenten Betrachtungen analysiert er den »erotischen Notstand der Deutschen«, für den der Redner Hitler einen Ausweg gefunden hätte (der Text erschien erstmals 1940 in Amsterdam). Man könne, so der geborene Wiener Blei, »auf den sich paaren wollenden Eros verzichten zugunsten eines Autoerotismus jedes einzelnen Volkgenossen, ob Frau oder Mann, Jüngling oder Mädchen«. Die deutschen Männer hätten die Kinder schließlich schon immer ohne den Eros gemacht. Aufmerksame Beobachter, schreibt der Wiener Dandy Blei, wollten am Redner Hitler »jedesmal den Ablauf autoerotischen Erlebens wahrgenommen haben, mit allen immer gleichen Stadien der Vorbereitung, des Ansteigens, der Klimax, des Orgasmus, des Zusammensinkens, des raschen Schlussmachens.«


Die meisten Ausgaben dieser Kult-Zeitschrift, der es im deutschen Sprachraum an Vergleichbarem mangelt, sind längst ausverkauft und auch antiquarisch nicht mehr zu finden. Daher der DANDY-CLUB-Tipp: Abonnieren!

 

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