Toulouse-Lautrec und die Photographie

Maurice Guibert, Lautrec porträtiert Lautrec, um 1894
© Beaute, Réalmont; Photographe David Milh

 

 

 

 

Toulouse-Lautrec und die Photographie
Ausstellung im Kunstmuseum Bern 28. August – 13. Dezember 2015.
Katalog im Hirmer Verlag, 280 Seiten mit 300 Abbildungen, geb., 49,90 Euro (D).

 

 

Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901) gilt heute als einer der bedeutendsten Künstler am Ende des 19. Jahrhunderts. Bisher wenig berücksichtigt wurde, wie stark die Photographie sein Werk beeinflusste. Eine Ausstellung im Kunstmuseum Bern fokussiert nun erstmals Toulouse-Lautrec und die Photographie.


Das ist schon erstaunlich. Der kleinwüchsige Maler, der nur zehn Jahre Zeit hatte, professionell zu malen, gehört heute zu den teuersten der Welt. Seine Bilder erzielen Rekorderlöse, Ausstellungen seiner Werke sind in Museumskreisen als sogenannte Blockbuster bekannt.

 

Dennoch hat man sich bislang kaum mit seinem Verhältnis zur Photographie, dem damals noch recht neuen Medium beschäftigt. Dabei hat das Nutzen der Photographie des Kleinwüchsigen zwei für sein gesamtes Œuvre essentielle Seiten gehabt. Zum einen hat er Photos genau studiert und häufig als Vorlagen für seine Gemälde gewählt. Die Ausstellung in Bern zeigt erstmals umfassend anhand von vielen Beispielen, welche photographischen Motive Lautrec inspirierten und was er daraus machte. Wirklich faszinierend ist es zu betrachten, wie aus der Photovorlage von seinem Modell Carmen, die den Blick nach rechts wendet und dem Photographen so ihr Profil zeigt, das Gemälde-Portrait Rothaariges Mädchen, Carmen wird. – Das Gesicht ist identisch; nur die Haare sind voller und die Körperhaltung anders.

 

Ähnlich wie sein Kollege Gustave Caillebotte ließ sich Lautrec inspirieren von Momentaufnahmen, die einen Ausschnitt aus einer Bewegung festhalten. Ähnlich wie sein Kollege Paul Cézanne gab er den bis dahin in der Malerei sakrosankten Illusionsraum zugunsten eines virtuellen Kamerablickes auf. Wie stark diese Techniken die gesamte Malerei verändern sollten, zeigte sich erst viele Jahrzehnte später.

 

 

 

Maurice Guibert, Lautrec mit Hut und Boa, um 1892
© Musée Toulouse-Lautrec, Albi – Tarn – France

 

 


Die zweite Seite von Lautrecs Verhältnis zur Photographie ist seine Maskierung, respektive Inszenierung. Gern traf er sich mit Freunden und schlüpfte in die teils komischsten Kostüme. Die Ausstellung zeigt, wie systematisch und konsequent sich Lautrec das neue Medium zur Selbstinszenierung zu Nutze machte. Die Schau zeigt Photos von Lautrec als Lithograph, Lautrec bei einer Performance, als Soldat verkleidet, als Japaner, als Samurai oder als Muezzin mit erhobenen Armen vom Balkon rufend.

 

Angereichert wird die intelligent kuratierte Ausstellung durch zeitgenössische Photos des sich rasend modernisierenden Paris, in dem Lautrec seine Aufgabe fand, um für neue Vergnügungsorte wie das Moulon Rouge Plakate zu entwerfen, die es heute in jedem Kaufhaus als ikonographische Drucke zu kaufen gibt.

 

Er schuf unser Bild von Paris um 1900. Die fulminante Ausstellung im Kunstmuseum Bern wird ergänzt durch ein adäquates Katalogbuch aus dem Münchner Hirmer Verlag, das jede Bibliothek schmückt. Durch eine Vielzahl profunder Aufsätze vertieft es den Besuch in Bern: Lautrecs familiäre Herkunft, seine Ausbildung, sein Atelier, das Nachtleben in den Amüsierlokalen des Montmartre: So entstand ein Handbuch zu einem der bedeutendsten Maler zur Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, das auch durch die Fülle der gut reproduzierten Photos zu überzeugen weiß.

 

 

Francois Gauzi, Das Modell Hélène Vary im Profil, 1888
Privatsammlung

Henri de Toulouse-Lautrec, Hélène Vary im Profil, 1888
Albi, Musee Toulouse-Lautrec
© Musée Toulouse-Lautrec, Albi – Tarn – France