Ernst Jünger – Die Schere

Der letzte Essay: Ein philosophisches Sprachkunstwerk
© Klett-Cotta 2015

 

 

 

Ernst Jünger, Die Schere.
Mit Adnoten von Detlev Schöttker. Paperback, 193 Seiten, Klett-Cotta 2015, 14,95 Euro (D).

 

 

Ernst Jüngers letzter Essay Die Schere von 1990 hat heute – 25 Jahre später – noch an Sprengkraft gewonnen. Klett-Cotta bringt das Buch zusammen mit den später erschienenen Ergänzungen im Rahmen der Taschenbuch-Ausgabe des Werkes.

 


»Jedermann«, schreibt Jünger, »ist auch der Autor seines eigenen Lebenslaufes, sein Autobiograph. Er ist sein Romancier und ist sich dieser Aufgabe bewußt. Daraus erklärt sich, daß fast jeder einen Roman zu schreiben zum mindesten einmal begonnen hat.« Dieser Beginn der Sentenz Nr. 3 von insgesamt 284 (plus der Ergänzungen) könnte als Motto spirituell über dem gesamten Text stehen. Der Autor, der fünf Jahre nach Erscheinen seinen hundertsten Geburtstag beging, fasst zusammen, schließt die Kreise bisheriger Argumentationen und Ausführungen.

 

 

 

Die einzelnen Gedanken handeln viel von den geistigen Anregern Jüngers. Schopenhauer, Hamann, Spengler, Nietzsche. Ihre Aussagen zu Technik und Zeitaltern beschäftigen den ur-alten Autoren am Ende seines Weges. Wenn man Jüngers vorige Schriften einigermaßen gut kennt – er hat immerhin um die 100 eigenständige Bücher veröffentlicht, dazu zwei Werkausgaben mit jeweils überarbeiteten oder zumindest durchgesehenen Texten – ist man berührt von der Souveränität und Weisheit dieses Mannes. Obwohl beinahe unglaubliche 95 Jahre alt, gelingt es Jünger, in prononcierter Sprache, dichte Bilder zu schaffen.

 

 

Aber auch für diejenigen, die bisher kaum etwas von Jünger gelesen haben, finden mit diesem aphorismenartigen Buch einen verdaubaren Einstieg. Beeindruckend die Dichte der Schilderungen, Gedanken und Interpretationen: »Die Zahl der dunklen Sterne ist unendlich größer als die jener, die verehrt werden. Die Alten hielten die Fixsterne für Nadelstiche im Firmament, das uns von einer blendenden Lichtflut abschirmt – so betrachtet, ist jeder genial.«

 


Letztlich nimmt Jünger den Faden wieder auf, den er bereits in seinem Buch An der Zeitmauer von 1959 in Händen hielt. Inspiriert von der damals in Mode kommenden Astrologie einerseits und deren erbitterten Bekämpfern andererseits, vergrößert der Autor seinen Deutungsrahmen von der weltrevolutionären zur erdrevolutionären Sicht. Grob erläutert zeigt sich nach Jünger die Weltrevolution im Fortschritt der Technik, den Kriegen und Revolutionen, die ja alle miteinander zusammenhängen. Die Erdrevolutionen würden dagegen vom Menschen im wesentlichen gar nicht bemerkt; Jünger prophezeit in seinen Ergänzungen zur Schere, die 1993 in der Zeit unter dem Titel Gestaltwandel erschienen, im 21. Jahrhundert eine Rückkehr der Titanen.

 

 

Prophetisch, noch prophetisch zutreffender als vor 25 Jahren, liest sich so manche Aussage Jüngers: »Auch nach der Jahrtausendwende wird sich die Entfernung des Menschen aus der Geschichte fortsetzen. Die großen Symbole ‚Krone und Schwert‘ verlieren weiterhin an Bedeutung; das Szepter verwandelt sich. Die historischen Grenzen werden sich verwischen; der Krieg bleibt geächtet, Machtentfaltung und Bedrohung werden planetarisch und universal.«

 


Ernst Jüngers Werk scheint in Teilen aktueller denn je.